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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 16.11.2007
Aktenzeichen: 9 U 92/07
Rechtsgebiete: ZPO, StVO, StVG


Vorschriften:

ZPO § 331 a
StVO § 25
StVO § 25 Abs. 3
StVG § 7 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 22. Februar 2007 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsmittels werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i. H. v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der Kläger in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe:

A. Der Kläger begehrt vollen Ersatz seines zur Höhe unstreitigen Fahrzeugschadens aus einem Verkehrsunfall vom 11. Februar 2006 gegen 13:50 Uhr auf der L 782 außerorts von S, bei dem er ausgangs einer Rechtskurve mit seinem Pkw Seat nach links von der Fahrbahn abkam, als er dem Kläger auswich, der versucht hatte, mit seinem Fahrrad vom rechten Straßenrand aus die Fahrbahn zu queren und nach Wahrnehmung des klägerischen Pkw umkehrte. Der Kläger hat behauptet, der Beklagte sei plötzlich aus der Gruppe unstreitig wartender drei Personen in die Fahrbahn getreten, als er, Kläger, bereits so dicht herangekommen war, dass er eine Kollision mit dem Beklagten nur durch die Ausweichlenkung zum linken Fahrbahnrand habe vermeiden können. Der Beklagte hat behauptet, er habe bei seiner Beobachtung des Fahrbahnverkehrs den Pkw Seat nicht sehen können, weil dieser noch jenseits der Kurve gewesen und mit gegenüber den dort erlaubten 70 km/h erheblich überhöhter Geschwindigkeit herangekommen sei. Das Landgericht hat nach Vernehmung von Zeugen durch Entscheidung nach Aktenlage gemäß § 331 a ZPO der Klage vollumfänglich stattgegeben. Es hat einen die einfache Betriebsgefahr des Pkw verdrängenden schuldhaften Verkehrsverstoß des Beklagten darin gesehen, dass dieser entgegen § 25 III StVO die Fahrbahn ohne Beachtung des bevorrechtigten Fahrzeugverkehrs betreten habe. Er hätte angesichts der weit einzusehenden Fahrbahn bei hinreichender Sorgfalt das Fahrzeug des Klägers rechtzeitig sehen können. Der Beweis von die einfache Betriebsgefahr seines Pkw erhöhenden Verkehrsverstößen des Klägers sei dem Beklagten nicht gelungen; insoweit fehlten auch die für den Beweis einer Geschwindigkeitsüberschreitung durch Sachverständigengutachten nötigen Anknüpfungstatsachen.

Wegen des Sach- und Streitstandes bis zum Abschluss der ersten Instanz wird auf das angefochtene Urteil einschließlich seiner Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Mit der Berufung begehrt der Beklagte Abweisung der Klage.

Er rügt als Verfahrensfehler den Erlass einer Entscheidung nach Aktenlage, obwohl sein Prozessbevollmächtigter zum vorausgegangenen Verhandlungstermin nicht geladen worden sei.

Zur Sache rügt er - unter Aufrechterhaltung seines bisherigen Vorbringens - rechtsfehlerhaftes Verkennen der Beweislast durch das Landgericht. Diese treffe gemäß § 7 I StVG den Kläger, der nicht bewiesen habe, dass sein Pkw für ihn, Beklagten, bereits sichtbar gewesen sei, als er den Entschluss zur Fahrbahnquerung ausgeführt habe. Das Landgericht habe ferner verkannt, dass die Angaben des Klägers zu seiner Fahrgeschwindigkeit von 65 km/h und dem Abstand von 25 - 30 m zum vorausfahrenden Pkw ( den der Beklagte vor dem Betreten der Fahrbahn noch passieren ließ ) nicht miteinander in Einklang gebracht werden könnten. Zumindest hätte das unter Protest gegen die Beweislast beantragte Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen. Hierfür seien entgegen der Auffassung des angefochtenen Urteils ausreichende Anknüpfungstatsachen für die notwendige rechnerische Nachprüfung des Klagevortrags allein aus den örtlichen Gegebenheiten ( Sichtverhältnisse ) zu gewinnen.

Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Berufung, hält an seinem erstinstanzlichen Vortrag fest und verteidigt das angefochtene Urteil. Der gerügte Verfahrensfehler sei jedenfalls für eine eigene Entscheidung des Senats in der Sache unerheblich. Dass der Beklagte vor dem Betreten der Fahrbahn seinen, des Klägers, Pkw habe herannahen sehen können, erweise sich schon daraus, dass umgekehrt auch er, der Kläger, die drei Personen zuvor am Fahrbahnrand habe stehen sehen. Die von der Berufung vermisste Einholung des Sachverständigengutachtens zur - nach seiner Ansicht ins Blaue hinein aufgestellten - Behauptung seiner Geschwindigkeitsüberschreitung habe unterbleiben müssen, weil sie mangels Vortrags von Anknüpfungstatsachen einen unzulässigen Ausforschungsbeweis dargestellt hätte.

Der Senat hat den Kläger persönlich gehört. Wegen des Inhalts seiner Erklärungen wird auf den Berichterstattervermerk zum Protokoll der Berufungsverhandlung vom 16.11.2007 verwiesen.

B. Die Berechtigung der Verfahrensrüge, das Landgericht habe mangels Säumnis des Beklagten nicht nach Aktenlage entscheiden dürfen, kann dahinstehen, weil sie jedenfalls die eigene Entscheidung des Senats in der Sache, die beide Parteien begehren, nicht hindert.

Danach ist die Berufung zurückzuweisen, weil das Landgericht bei seiner Entscheidung weder die Beweislast verkannt noch die Einholung eines Sachverständigengutachtens verfahrensfehlerhaft unterlassen hat. Auch die Haftungsabwägung des angefochtenen Urteils bedarf keiner Korrektur.

Der schadensursächliche schuldhafte Verkehrsverstoß des Beklagten ist erwiesen. Nachdem das erstinstanzliche Urteil unangegriffen feststellt, dass der Beklagte in die Fahrbahn des Klägers gelangt ist und dadurch dessen Ausweichreaktion herausgefordert hat, streitet nämlich der Anscheinsbeweis für die schuldhafte Nichtbeachtung von § 25 III StVO durch den Beklagten; vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., § 25 StVO Rz. 54 und die dort genannten Rechtsprechungsnachweise, insbesondere OLG Düsseldorf, DAR 77, 268 und OLG Nürnberg VersR 84, 246. Diesen Anscheinsbeweis hat der Beklagte mit den Aussagen der Zeugen Y und L nicht zu erschüttern vermocht, namentlich nicht bewiesen, dass der Pkw des Klägers bei seinem Betreten der Fahrbahn für ihn nicht sichtbar, sondern noch jenseits der Kurve war, aus der er mit überhöhter Geschwindigkeit gekommen sein soll. Zwar wollen beide genannte Zeugen den Pkw Seat des Klägers beim Beginn der Fahrbahnquerung des Beklagten ebenfalls noch nicht gesehen haben. Das besagt aber nichts dafür, dass das Fahrzeug bei gebotener Aufmerksamkeit insbesondere aus der nach der Einlassung des Klägers und der Aussage Kleinekorte deutlich zum Straßenrand vorverlegten Warteposition des Beklagten nicht hätte gesehen werden können. Dagegen ist die Angabe des Klägers auch unter Berücksichtigung der aus den vorgelegten Fotos erkennbaren Sichtweite in den Straßenverlauf plausibel, wonach er den Beklagten schon am Straßenrand hat stehen sehen, als jener den dem Kläger vorausfahrenden Pkw passieren ließ. Daraus ergibt sich, dass umgekehrt auch der Beklagte den Pkw des Klägers mit einer Blickwendung nach links hätte sehen können.

Eine über 70 km/h hinaus überhöhte Geschwindigkeit des Seat, die allein ein den Beklagten überraschendes Auftauchen des Pkw aus der Kurve erklären könnte, ist durch ein Sachverständigengutachten, das nicht eingeholt zu haben die Berufung dem Landgericht anlastet, nicht erweislich. Für eine solche dem Beklagten günstige Feststellung fehlen ausreichende Anknüpfungstatsachen. Die vorgefundene Blockierspur kann schon nicht sicher dem - mit ABS ausgestatteten - Kfz des Klägers zugeordnet werden, sie allein lässt jedenfalls den Geschwindigkeitsabbau des Fahrzeugszeugs nicht genügend ermitteln, weil dessen weiterer Auslauf in den Straßengraben nicht festgestellt ist. Hinzu kommt, dass die Entfernung des Seat bei dem Beginn der Fahrbahnquerung des Beklagten unbekannt ist.

Auf der Basis der danach allein möglichen tatsächlichen Feststellungen überwiegt das Verschulden des Beklagten die von dem Pkw ausgehende Betriebsgefahr in einem Maße, welches den aus § 7 I StVG herzuleitenden eigenen Haftungsanteil des Klägers völlig zurücktreten lässt. Den Kläger belastet lediglich die einfache Betriebsgefahr seines Kraftfahrzeugs, weil ein gefahrerhöhender Fahrfehler auf seiner Seite nicht festgestellt werden kann. Demgegenüber hat der Beklagte mit dem zu seiner linken Seite hin achtlosen Überqueren der Fahrbahn einer hinlänglich übersichtlichen Landstraße mit nicht unerheblichem Verkehrsaufkommen einen objektiv groben Verkehrsverstoß begangen. Dieser kann angesichts seines Alters von zur Unfallzeit 16 Jahren auch nicht subjektiv milder bewertet werden. Das ausreichende Schauen nach links vor einer Fahrbahnquerung wird schon in der elementaren Verkehrserziehung viel jüngerer Kinder eingeübt und kann in dem Alter des Klägers allgemein als eingeprägt erwartet werden.

Die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels hat der Beklagte gemäß § 97 ZPO zu tragen.

Das Urteil ist gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO vorläufig vollstreckbar.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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