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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 10.06.1999
Aktenzeichen: 1 U 1/99
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 254
BGB § 823
BGB § 847
Sprung aus dem Auto bei Flucht des Fahrers vor Polizeikontrolle

BGB §§ 254, 823, 847

1. Die Verletzungen des Beifahrers durch einen Sprung aus dem verkehrssituationsbedingt langsam fahrenden PKW sind dem Fahrer zurechenbar, wenn der Beifahrer durch eine für ihn überraschende Flucht des Fahrers vor einer Polizeikontrolle in Panik versetzt worden ist.

2. Der verletzte Beifahrer muss sich unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr ein Mitverschulden anrechnen lassen, wenn er die Alkoholisierung des Fahrers vor Fahrtantritt erkennen konnte und sich in dem Unfall ein alkoholtypisches Risiko verwirklichte.

- 1 U 1/99 - Urteil vom 10.06.1999 - rechtskräftig.


OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES TEILURTEIL

1 U 1/99 15 O 272/98 LG Köln

Anlage zum Protokoll vom 10. Juni 1999

Verkündet am 10. Juni 1999

als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 6. Mai 1999 durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Pillmann, die Richterin am Oberlandesgericht Mayen und den Richter am Oberlandesgericht Schmitz-Justen

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 19.11.1998 - 15 O 272/98 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 27.07.1998 zu zahlen.

2.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin unter Berücksichtigung ihres Mitverschuldensanteils von 1/3 den materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr aus dem Unfall am 04.10.1996 auf der R.straße/K.-B. noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist.

3.

Zur weiteren Aufklärung hinsichtlich der Höhe des Schmerzensgeldes wird die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens an das Landgericht zurückverwiesen.

(Gemäß § 543 Abs. 1 ZPO ohne Tatbestand)

Entscheidungsgründe

Die in förmlicher Hinsicht unbedenkliche Berufung hat im Wesentlichen Erfolg.

1.

Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Schmerzensgeldanspruch wegen der unstreitigen Verletzungsfolgen aus dem Unfall vom 4.10.1996 in Höhe von 6.000,00 DM zu. Hinsichtlich dieses nach den unstreitigen Verletzungsfolgen bereits feststehenden Schmerzensgeldanspruchs konnte vorab durch Teilurteil entschieden werden (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 21. Aufl., § 301 Rdn. 3 mwNw).

Nach §§ 823 Abs. 1, 847 BGB ist dem Beklagten eine Verletzung der Gesundheit der Klägerin vorzuwerfen. Durch seine Handlung, nämlich das Missachten der Polizeikontrolle mit anschließender Flucht hat sich die Klägerin adäquat kausal den Bruch des Sprunggelenks zugezogen. Dem Beklagten ist in Bezug auf diese Verletzung zumindest Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Er hätte nämlich erkennen müssen, dass er durch seine unbedachte Flucht vor der Polizei Panikreaktionen der ihm nicht näher bekannten Beifahrerin auslösen musste. Nach seiner eigenen Einlassung im Strafverfahren hat er sogar erkannt, dass seine Flucht Panik bei der Klägerin verursachte.

Die Flucht des Beklagten vor der Polizei ist für die Verletzung der Klägerin insbesondere ursächlich geworden. Es ist allgemein anerkannt, dass Willensentschlüsse des Verletzten den Ursachenzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und der Verletzungsfolge dann nicht unterbrechen, wenn sie durch das Fehlverhalten des Schädigers "herausgefordert worden sind und eine nicht ungewöhnliche Reaktion darstellen" (BGHZ 57, 25 (28); Palandt-Heinrichs, BGB, 58. Aufl., Vorbemerkung vor § 249 Rdnr. 77 m.w.N.). Danach ist die adäquate Kausalität des schädigenden Ereignisses für den Schaden immer dann zu bejahen, wenn sich die Handlung des Geschädigten im gewöhnlichen Rahmen hält und das vom Verletzten eingegangene Risiko in einem angemessenen Verhältnis zum Verhalten des Schädigers steht.

Nach diesen Grundsätzen ist die Flucht der Beklagten vor der Polizei ursächlich für den Schaden der Klägerin geworden. Es ist nämlich keine ganz ungewöhnliche Reaktion der Klägerin, als von der Situation überraschter Beifahrerin gewesen, durch das Missachten der Polizeikontrolle und die anschließende Flucht des Beklagten in Angst versetzt worden zu sein. Für die Klägerin war in der durch die Flucht des Beklagten verursachten Situation nicht voraussehbar, wie er sich als nächstes nach der Nichtbeachtung der Polizeikontrolle verhalten würde. Für sie bot sich in dem Augenblick als der Beklagte abbremste und abbog eine aus damaliger Sicht gute Gelegenheit, bei niedriger Geschwindigkeit aus dem Wagen zu springen und mit glimpflichen Verletzungen davonzukommen, während sie, falls sie im Wagen geblieben wäre, weiter in eine Flucht involviert geblieben wäre, die aufgrund ihrer Eigendynamik unvorhersehbare Risiken in sich barg. In dieser für sie überraschenden Lage musste sie sich binnen Sekunden spontan entscheiden.

Es ist dabei entgegen der Auffassung des Landgerichts ohne Belang, was der Beklagte während der Verfolgungsfahrt gegenüber der Klägerin geäußert hat. Insbesondere kommt es für die Entscheidung nicht darauf an, ob der Beklagte äußerte, lieber in den Tod fahren zu wollen, als sich der Polizei zu stellen. Es genügt vielmehr, dass das Vorgehen des Beklagten eine verständliche Schreckreaktion der Klägerin und Panik auslöste. Vor dem Hintergrund der nicht unerheblichen Alkoholisierung des Beklagten war sogar Todesangst verständlich, ohne dass die behaupteten Äußerungen gefallen sein müssen.

In der bei dem Sprung erlittenen Sprunggelenksverletzung hat sich ein Risiko verwirklicht, das zu dem auslösenden Ereignis in durchaus angemessenem Verhältnis steht.

Im Rahmen der Bemessung des Schmerzensgeldes war jedoch zu berücksichtigen, dass die Klägerin in das Fahrzeug des Beklagten gestiegen ist, obwohl dieser ersichtlich alkoholisiert war. Nach dem Inhalt der beigezogenen Strafakten roch die Atemluft des Beklagten nach seiner Verhaftung deutlich nach Alkohol. Da sich die Klägerin unstreitig vor dem Antritt der Fahrt mit dem Beklagten in einer Tankstelle länger unterhalten hatte, hätte ihr bei Anspannung der zu erwartenden Sorgfalt dessen Alkoholisierung auffallen müssen.

Von der Rechtsprechung ist anerkannt, dass derjenige, der sich auf die Fahrt mit einem erkennbar fahruntüchtigen Fahrer einlässt, auf eigene Gefahr handelt und (analog § 254 BGB) eine Minderung des Schadenersatzanspruchs hinzunehmen hat (BGHZ 34, 355 (358); Palandt-Heinrichs, a.a.O., § 254 Rdnr. 78). In der Flucht vor der Polizei verwirklichte sich ein in der alkoholbedingten Enthemmung und der Furcht vor Sanktionierung der Trunkenheitsfahrt liegendes Risiko.

Unter Berücksichtigung ihrer Mitverantwortung und der unstreitigen Verletzungsfolgen erscheint dem Senat ein Schmerzensgeld in Höhe von jedenfalls 6.000,00 DM angemessen. Durch den Sprung erlitt die Klägerin im Wesentlichen einen Bruch des linken Fußgelenks. Sie musste sich deswegen zwei Operationen unterziehen. Bei der Schmerzensgeldfestsetzung musste neben diesen unstreitigen Verletzungsfolgen auch berücksichtigt werden, dass der Beklagte die Klägerin vorsätzlich und gegen ihren Willen in die gefährliche Flucht vor der Polizei einbezogen hat.

Eine abschließende Festlegung des Schmerzensgeldes schied indessen deshalb aus, weil die von der Klägerin behaupteten weiteren Verletzungsfolgen noch der Beweisaufnahme bedürfen. Die Klägerin hat bereits mit der Klageschrift vorgetragen, infolge des Unfalls an ihren sportlichen Aktivitäten gehindert zu sein. Sie habe früher regelmäßig Sport getrieben, was nunmehr nicht mehr möglich sei, da sie ständig Schmerzen und Schwellungen habe. Ob diese vom Beklagten bestrittenen Verletzungsfolgen eingetreten sind und daher der Klägerin ein noch höheres Schmerzensgeld zusteht, wird das Landgericht durch Beweisaufnahme zu klären haben.

Der Senat hat davon abgesehen, selbst die angebotenen Beweise zu erheben und zu entscheiden. Dies wäre nicht sachdienlich gewesen. Die Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts ist nämlich Aufgabe des erstinstanzlichen Zivilgerichts und nicht des Rechtsmittelverfahrens.

2.

Der neben dem Zahlungsantrag gestellte Feststellungsantrag ist zulässig und begründet.

Die Klägerin hat ein Recht feststellen zu lassen, dass der Beklagte auch zum Ersatz künftiger immaterieller und materieller Schäden verpflichtet ist.

Die Klage auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden ist begründet, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit für den Eintritt künftiger Schäden spricht. Dies ist angesichts der nicht unerheblicher Sprunggelenksverletzung zu bejahen.

Im Rahmen der Feststellung der Ersatzpflicht war jedoch gemäß § 254 BGB zu berücksichtigen, dass die Klägerin auf eigenes Risiko handelte, als sie in das Fahrzeug des alkoholisierten Beklagten stieg. Im Hinblick darauf muss sie sich eine Mitverschuldensquote von 1/3 anrechnen lassen.

3.

Der Anspruch auf die zuerkannten Zinsen ergibt sich aus § 291 BGB.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus § 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.



Ende der Entscheidung

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