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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 27.09.2006
Aktenzeichen: 1 Ws 30/06
Rechtsgebiete: OWiG, GVG, StPO


Vorschriften:

OWiG § 80a
OWiG § 80a Abs. 1 n.F.
OWiG § 80a Abs. 2 Nr. 1
OWiG § 178 Abs. 1
GVG § 122 Abs. 1
GVG § 181
GVG § 181 Abs. 1
StPO § 35 Abs. 1 S. 1
StPO § 268 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

I.

Durch Urteil des Amtsgerichts Aachen vom 26. Mai 2006 ist gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb geschlossener Ortschaften eine Geldbuße von 25,00 € verhängt worden. Ausweislich des Sitzungsprotokolls hat der Betroffene nach Verkündung des Tenors vor der mündlichen Urteilsbegründung den Saal verlassen. Daraufhin hat das Amtsgericht durch verkündeten Beschluss gegen den Betroffenen ein Ordnungsgeld in Höhe von 150,00 €, ersatzweise 3 Tage Ordnungshaft, verhängt. Diese Entscheidung ist dem Betroffenen am 31. Mai 2006 zugestellt worden.

Er wendet sich hiergegen (gesondert neben seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, über den der Senat bereits mit Beschluss vom 21. September 2006 entschieden hat) mit der "Beschwerde" gemäß Schreiben vom 05. Juni 2006.

II.

1. Die Beschwerde die sich gegen einen Ordnungsmittelbeschluss gemäß § 178 Abs. 1 OWiG richtet, ist gemäß § 181 Abs. 1 GVG statthaft.

Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere innerhalb der Frist von einer Woche nach Bekanntmachung eingelegt. Zwar ist die Beschwerdeschrift später als eine Woche nach Verkündung des Ordnungsmittelbeschlusses eingegangen. Zur Urteilsverkündung im Sinne des § 35 Abs. 1 S. 1 StPO gehört nach § 268 Abs. 2 StPO auch die Eröffnung der Urteilsgründe. Der Betroffene hat jedoch schon vor der mündlichen Urteilsbegründung den Saal verlassen. Damit hat die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels nach § 181 Abs. 1 GVG erst mit der Beschlusszustellung zu laufen begonnen.

2. Über die Beschwerde gegen den wegen Ungebühr erlassenen Ordnungsgeldbeschluss hat der Senat in der Besetzung mit einem Richter (§ 80a Abs. 1 OWiG) und nicht mit drei Richtern zu entscheiden. Dem stehen auch § 122 Abs. 1 GVG sowie der Beschluss des OLG Hamm DAR 01, 134 = VRS 100, 29 (dazu und dementsprechend für eine Dreier-Besetzung bei Beschlüssen nach § 181 GVG auch Meyer-Goßner, StPO, 49. Auflage, § 181 Rdn. 8) nicht entgegen.

Das OLG Hamm a.a.O. hat zwar - in Abgrenzung zur Zuständigkeit für Annexentscheidungen in Einzelrichtersachen (hierzu OLG Hamm NJW 00, 451 = DAR 00, 83 = VRS 98, 221) - darauf erkannt, dass über eine Beschwerde gegen einen in der Hauptverhandlung wegen Ungebühr ergangenen Ordnungsbeschluss gemäß § 122 Abs. 1 GVG auch dann in der Besetzung mit drei Richtern zu entscheiden ist, wenn über die Rechtsbeschwerde des Betroffenen nach § 80a Abs. 2 Nr. 1 OWiG (damaliger Fassung im Jahre 2000) der Einzelrichter zu entscheiden hätte.

Dies entspricht nicht mehr der Rechtslage seit der Neufassung des § 80a OWiG durch das Erste Justizmodernisierungsgesetz vom 24.08.2004 (BGBl. I S. 2198). Nach § 80a Abs. 1 n.F. sind nunmehr die Bußgeldsenate mit einem Richter besetzt, soweit nichts anderes bestimmt ist. Die Besetzung mit drei Richtern ist also die Ausnahme, die mit einem Richter die Regel (Senge in Karlsruher Kommentar, OWiG, 3. Auflage, § 80a Rdn. 5; ähnlich Göhler-Seitz, OWiG, 14. Auflage, § 80a Rdn. 2 "Grundsatz der Besetzung mit einem Richter"). Die Entscheidungskompetenz des Einzelrichters erstreckt sich auf alle Verfahrensvorgänge (Senge in KK-OWiG a.a.O.). Zwar handelt es sich bei der Verhängung eines Ordnungsmittels nicht um eine mit einer Rechtsbeschwerde oder einem Zulassungsantrag zusammenhängende Frage ("Beschwerde gegen einen Ordnungsgeldbeschluss keine Nebenentscheidung", so Göhler/Seitz § 80a Rdn. 6 Fußnote 2). Der Grundsatz, dass über Beschwerden nach § 181 GVG (nach der ursprünglichen Fassung des § 80a OWiG) in der Besetzung mit drei Richtern zu entscheiden war, gilt jedoch seit der Einführung der Einzelrichterbesetzung als Regel auch für solche Entscheidungen nicht mehr (so ausdrücklich Herrmann in Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, § 80a Rdn. 6). Der Gesetzgeber hat durch das Erste Justizmodernisierungsgesetz mit § 80a Abs. 1 OWiG n.F. gerade jene Regelung zu Gunsten des Einzelrichterprinzips erlassen, die das Oberlandesgericht Hamm in seiner Entscheidung DAR 01, 134 = VRS 100, 29 noch vermisst hatte.

Auch die Entscheidung über eine Beschwerde gegen einen Ordnungsmittelbeschluss in OWi-Sachen ist eine Entscheidung in einem Bußgeldverfahren. Daher steht der Entscheidungskompetenz des Einzelrichters auch § 122 Abs. 1 GVG nicht entgegen. Auch dort ist die Besetzung der Senate mit drei Mitgliedern nur vorgesehen, soweit nicht nach den Vorschriften der Prozessgesetze - vorliegend eben nach § 80a Abs. 1 OWiG - der Einzelrichter zu entscheiden hat.

3. In der Sache erweist sich die Beschwerde als begründet. Eine Ungebühr des Betroffenen in der Hauptverhandlung gemäß § 178 Abs. 1 OWiG lässt sich nicht feststellen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat insoweit in ihrer Vorlageverfügung ausgeführt:

"Eine Ungebühr im Sinne von § 178 Abs. 1 GV ist ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf deren justizmäßigen Ablauf, auf den "Gerichtsfrieden" und damit auf die Ehre und Würde des Gerichts (Meyer-Goßner, StPO, 49. Auflage, GVG § 178 Rdn. 2 m.w.N.), aber nicht ein Verhalten, das lediglich prozessualen Vorschriften zuwiderläuft (OLG Stuttgart, Beschl. v. 03.12.1990 - 1 Ws 252/90).

Der - unbegründet gebliebene - Beschluss des Amtsgerichts und der Protokollvermerk zur Veranlassung des Ordnungsgeldbeschlusses ermöglichen dem Beschwerdegericht vorliegend nicht die Nachprüfung, ob das Verhalten des Betroffenen als Ungebühr im Sinne des § 178 Abs. 1 GVG zu werten ist. Die fehlende oder mangelhafte Begründung eines Ordnungsgeldbeschlusses führt nicht zwangsläufig zu dessen Aufhebung; sie ist unschädlich, wenn die Gründe für die Verhängung des Ordnungsgeldes außer Zweifel standen und der aufgenommene Protokollvermerk die volle Nachprüfung ermöglicht (OLG Koblenz, Beschl. v. 27.03.1987 - 1 Ws 167/87; OLG Stuttgart, Beschl. v. 20.08.1990 - 1 Ws 201/90). Das ist vorliegend indes nicht der Fall.

Es heißt zu dem geahndeten Verhalten des Betroffenen im Hauptverhandlungsprotokoll lediglich:

"Der Betroffene verlässt vor der mündlichen Urteilsbegründung den Saal".

Mit dem Verlassen des Sitzungssaales vor Beendigung der Sitzung hat der Betroffene zwar gegen seine in § 231 StPO normierte Anwesenheitspflicht verstoßen; gleichwohl hat er mit seinem Verhalten eine Fortsetzung und ordnungsgemäße Beendigung der Sitzung, in der nur noch die Urteilsgründe auszuführen waren, nicht beeinträchtigt, da - wie auch geschehen - gemäß § 231 Abs. 2 StPO ohne den Betroffenen fortgefahren werden konnte.

Mangels weitergehender Feststellungen im Protokoll und in dem angefochtenen Beschluss zu den Motiven oder dem sonstigen Verhalten des Betroffenen kann nicht zweifelsfrei davon ausgegangen werden, er habe mit dem Verlassen des Saales die Ehre des Gerichtes angreifen oder die Rechtsprechungsaufgaben des Gerichtes erheblich erschweren oder unmöglich machen wollen (zu vgl. hierzu Wickern in Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 7, 25. Auflage, § 178 GVG Rdn. 3). Der protokollierte Sachverhalt rechtfertigt jedenfalls die Annahme eines - erheblichen - ungebührlichen Verhaltens i.S.v. § 178 Abs. 1 GVG nicht.

Der Ordnungsgeldbeschluss ist demgemäß aufzuheben".

Dem ist beizutreten. Es kommt daher auch nicht mehr darauf an, dass nach dem Protokoll nicht ersichtlich ist, dass das Amtsgericht dem Betroffenen vor der Verhängung des Ordnungsgeldes das erforderliche rechtliche Gehör gewährt hat (vgl. hierzu Meyer-Goßner, § 178 GVG Rdn. 13).

Das Beschwerdeverfahren ist zwar gebührenfrei. Jedoch fallen die notwendigen Auslagen des erfolgreichen Beschwerdeführers der Staatskasse zur Last (§ 467 StPO analog; vgl. insgesamt Diemer im Karlsruher Kommentar, StPO, § 181 GVG Rdn. 6).

Ende der Entscheidung

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