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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 06.11.2008
Aktenzeichen: 10 UF 214/07
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, FGG


Vorschriften:

ZPO § 621 e
BGB § 1632 Abs. 4 s
BGB § 1666
BGB § 1666 a
FGG § 13 a Abs. 1 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Beschwerden des Antragstellers und der Verfahrenspflegerin wird unter teilweiser Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht - Aachen vom 31.10.2007 (28 F 476/06) zusätzlich angeordnet, dass das Kind E L in der Obhut der Pflegeeltern, der Eheleute T in U, verbleibt.

Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.

Gründe:

Die Antragsgegner sind die Eltern des am 26.09.2006 geborenen Sohnes E. Nachdem das früh geborene Kind im Elternhaus auf Kindesmisshandlung und ein Schütteltrauma hindeutende lebensbedrohliche Verletzungen erlitten hatte und am 25.11.2006 von den Antragsgegnern in ein Krankenhaus eingeliefert worden war, hat das Amtsgericht den Kindeseltern, die sich zu den Ursachen der Körperverletzungen nicht näher geäußert haben, das Personensorgerecht durch einstweilige Anordnung vom 05.12.2006 entzogen und dem antragstellenden Jugendamt übertragen. E befindet sich seit seiner Entlassung aus dem Krankenhaus am 12.12.2006 in der Obhut der Pflegefamilie T. Die Antragsgegnerin und Kindesmutter, die sich von dem Kindesvater getrennt hat, hat das Kind in der Regel samstags für zwei bis drei Stunden bei den Pflegeeltern besucht.

Durch Beschluss vom 31.10.2007 hat das Amtsgericht die einstweilige Anordnung auch in der Hauptsache hinsichtlich des Kindesvaters aufrechterhalten, die elterliche Sorge der Mutter zurückübertragen und ihr aufgegeben, sozialpädagogische Familienhilfe anzunehmen und mit dieser verlässlich zusammen zu arbeiten. Den Antrag des Jugendamtes, das Verbleiben des Kindes bei den Pflegeltern anzuordnen, hat das Amtsgericht, wie den Gründen seiner Entscheidung zu entnehmen ist, zurückgewiesen.

Mit ihren hiergegen gerichteten Beschwerden wenden sich die Verfahrenspflegerin des Kindes und das Jugendamt insbesondere gegen die Versagung der Verbleibensanordnung. Die Kindesmutter tritt den Rechtsmitteln entgegen. Der Kindesvater, der gegen die Entziehung seines Sorgerechts kein Rechtsmittel eingelegt hat, schließt sich ihrer Rechtsverteidigung an.

Die nach § 621 e ZPO statthaften und auch im Übrigen zulässigen befristeten Beschwerden führen zur Anordnung des Verbleibs des Kindes bei den Pflegeeltern. Soweit sie sich gegen die Rückübertragung der elterlichen Sorge auf die Antragsgegnerin richten, haben die Rechtsmittel keinen Erfolg.

Der Senat vermag nicht festzustellen, dass das körperliche, geistige oder seelische Wohl des betroffenen Kindes oder sein Vermögen durch die Mutter so weit gefährdet wäre, dass der Entzug des elterlichen Sorgerechts nach den §§ 1666, 1666 a BGB gerechtfertigt werden könnte. Es ist ungeklärt geblieben, wie es zu den schwerwiegenden Verletzungen des Kindes im elterlichen Haushalt gekommen ist. Der Senat geht davon aus, dass die Mutter hierfür zumindest eine Mitverantwortung trifft, sei es auch deshalb, weil sie Verletzungshandlungen des Vaters keinen Einhalt geboten oder nicht zu einem früheren Zeitpunkt gesundheitliche Fürsorgemaßnahmen veranlasst hat. Solches Versagen kann sich heute nicht mehr zu ihrem Nachteil auswirken. Denn es spricht nichts dafür, dass es in Zukunft bei ihr noch zu Misshandlungen oder ähnlich schwerwiegenden Gefährdungen des Kindeswohls kommen könnte. Die Antragsgegnerin hat offenbar aus den früheren Vorkommnissen, die auch auf ihre Überforderung mit dem früh geborenen Kind zurückgeführt werden können, ihre Lehren gezogen, sich von dem Kindesvater getrennt und angemessene Erziehungsvorstellungen entwickelt. Nach dem vom Senat eingeholten Gutachten der Sachverständigen Dr. V-B können wesentliche Einschränkungen der Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter nicht festgestellt werden, mögen die Erkenntnismöglichkeiten der Sachverständigen wegen des Aufenthalts des Kindes bei den Pflegeeltern auch begrenzt gewesen sein.

Gleichwohl bedarf es im Gegensatz zur amtsgerichtlichen Entscheidung der Anordnung des Verbleibs des Kindes E bei den Pflegeeltern. Diese Maßnahme kommt nach § 1632 Abs. 4 BGB dann in Betracht, wenn das Kind seit längerer Zeit in Familienpflege lebt, die Eltern es von der Pflegeperson wegnehmen wollen und das Kindeswohl durch die Wegnahme gefährdet würde. Das Tatbestandsmerkmal der längeren Zeit der Familienpflege, das kinderpsychologisch zu verstehen ist, ist hier nach fast schon zwei Jahren unzweifelhaft erfüllt und könnte wegen des im frühen Säuglingsalter Es vollzogenen Obhutswechsels auch bei kürzerer Verweildauer bei den Pflegeeltern bejaht werden. Maßgebliche Bedeutung kommt hier dem Umstand zu, dass das Wohl des Kindes nach seinen derzeitigen Befindlichkeiten im Falle der Herausnahme aus dem Haushalt der Pflegeeltern gefährdet würde. Bei dieser Entscheidung ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BVerfG FamRZ 2005, 783 f. m.w.N.) dem Elternrecht der Antragsgegnerin aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, der Grundrechtsposition des Kindes aus Artikel 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und auch dem Grundrecht der Pflegefamilie aus Art. 6 Abs. 1 GG Rechnung zu tragen und zu berücksichtigen, dass mit der Trennung von der unmittelbaren Bezugsperson regelmäßig verbundene psychische Belastungen des Kindes allein keinen ausreichenden Grund für die Verweigerung der Herausgabe bieten. Denn anderenfalls wäre die Zusammenführung von Eltern und Kind immer dann auszuschließen, wenn das Kind seine "sozialen" Eltern gefunden hat. Hier kommt es vor allem aber auf die Tragweite der Trennung des Kindes von der Pflegefamilie und auf die Erziehungsfähigkeit der leiblichen Eltern im Hinblick auf ihre Eignung an, die negativen Folgen einer eventuellen Traumatisierung des Kindes gering zu halten. Die hierzu erforderlichen Feststellungen konnte das Amtsgericht nicht ohne Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens treffen. Der Senat hat dies im Beschwerdeverfahren nachgeholt.

Nach den auf fundierten Erhebungen beruhenden überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. V-B, die von den Antragsgegnern im Kern nicht in Zweifel gezogen werden, würde eine Trennung des betroffenen Kindes von seinen Pflegeeltern zu tiefgreifenden psychischen Beeinträchtigungen führen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass das Kind schon im frühen Säuglingsstadium - zu einem Zeitpunkt, als es begann, eine unterscheidende Interaktionsbereitschaft zu zeigen - in die Obhut seiner Pflegeeltern überführt worden ist. Über die alltäglichen Erfahrungen, die es mit der Familie machte, entstand - so die Sachverständige - eine seelisch-geistige Kind-Eltern-Beziehung, die sich in ihrem Wesen von der seelisch-geistigen Bindung an leibliche Eltern nicht unterscheidet. In der Konsequenz dieser Entwicklung sind die Pflegeeltern im Erleben von E seine sozialen oder auch "faktischen" Eltern geworden, zu denen er sichere Bindungen aufgebaut hat. Dem Erhalt dieser Bindungen ist zu einer psychisch gesunden Entwicklung - so die Sachverständige weiter - höchste Priorität einzuräumen. Dieser psychologischen Erkenntnis ist hier um so mehr Bedeutung beizumessen, als das Kind zwei weitere Risikofaktoren mit sich bringt, nämlich seine Frühgeburtlichkeit und die Erfahrung der im Elternhaus erlittenen lebensbedrohlichen Verletzungen. Daher würde sich die Trennung von den sicheren Bezugspersonen des Kindes seelisch noch stärker belastend auswirken. Es kommt hinzu, dass E aufgrund der bisherigen Besuchskontakte noch keine näheren Beziehungen zu seiner leiblichen Mutter entwickeln konnte und die Bedeutung ihrer Person nicht einzuschätzen gelernt hat. Diese Erkenntnis ist aus ihrer Sicht sicherlich als tragisch zu bezeichnen, muss aber im Interesse des Kindeswohls hingenommen werden. Zudem hat sich die Antragsgegnerin nach den Ausführungen der Sachverständigen noch nicht ausreichend mit den Gründen der Fremdunterbringung E's auseinandergesetzt und kann jedenfalls derzeit noch nicht die Bedeutung seiner in der Pflegefamilie aufgebauten Bindungen erkennen. Es ist daher zu befürchten, dass sie der mit einem Verlust der Pflegeeltern verbundenen Traumatisierung des Kindes nicht so weit entgegenwirken könnte, dass erhebliche Gefahren für sein seelisches Wohlergehen ausgeschlossen erscheinen könnten. Daher war der Verbleib des Kindes im Haushalt der Pflegeeltern anzuordnen. Die von der Antragsgegnerin herangezogene Entscheidung des OLG Karlsruhe (FamRZ 2007, 576) steht dem nicht entgegen, weil dort nicht über die Rückführung des betroffenen Kindes zu den Eltern entschieden worden ist.

Die Verbleibensanordnung wird in einem angemessenen Zeitabstand überprüft werden müssen. Dabei wird insbesondere zu beachten sein, ob und inwieweit E die Bedeutung seiner leiblichen Mutter zu erkennen imstande ist und ob die Antragsgegnerin den mit einem Obhutswechsel verbundenen Gefahren für das seelische Wohlergehen des Kindes genügend entgegenzuwirken vermag.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 S. 1 FGG.

Beschwerdewert: 4.000,00 Euro.

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