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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 23.08.2006
Aktenzeichen: 11 U 134/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 172 Abs. 1
ZPO §§ 233 ff
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1.

Die Berufung des Beklagten zu 1) gegen das ihm am 21.06.2005 zugestellte Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 17.05.2005 (10 O 544/04) wird zurückgewiesen.

2.

Die Kosten der Berufung trägt der Beklagte zu 1).

3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Durch Versäumnisurteil des Landgerichts vom 21.12.2004 wurde der Beklagte zu 1) neben dem Beklagten zu 2) bis 4) als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 100.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.04.2004 zu zahlen. Das Versäumnisurteil wurde am 22.12.2004 den Rechtsanwälten C und T, denen seitens des Beklagten zu 1) der Streit verkündet worden ist, zugestellt; diese hatten sich im Mahnverfahren als Prozessbevollmächtigte für den Beklagten zu 1) bestellt. Gegen das Versäumnisurteil erhob der Beklagte zu 1) mit Schriftsatz seines jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 9.02.2005 Einspruch, der am selben Tag bei Gericht einging. Zur Begründung führte er an, das Versäumnisurteil sei ihm nicht wirksam zugestellt worden. Er habe nie unter der in dem Mahnbescheid angegebenen Anschrift gewohnt, so dass schon der Mahnbescheid nicht wirksam zugestellt worden sei. Eine Zustellung an die Streitverkündeten sei ihm nicht zuzurechnen, weil er diese nicht beauftragt habe, für ihn in diesem Verfahren tätig zu werden. Er habe im Zusammenhang mit der Gründung der Beklagten zu 2) verschiedene Formulare unterschrieben, worunter auch ein Vollmachtsformular gewesen sein möge. Zudem habe die Beklagte zu 4) eingeräumt, dass die Unterschrift des Beklagten zu 1) reihenweise gefälscht worden sei. Der Beklagte zu 1) hat beantragt, unter Aufhebung des Versäumnisurteils vom 21.12.2004 die Klage abzuweisen und ihm wegen Versäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Das Landgericht hat den Einspruch verworfen und den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Beklagte zu 1) müsse sich die Zustellung des Versäumnisurteils an die Streitverkündeten zurechnen lassen, weil er diese bevollmächtigt habe. Der am 09.02.2005 bei Gericht eingegangene Einspruch sei daher verfristet. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht, weil der Beklagte zu 1) nicht dargetan habe, dass er unverschuldet an der Einhaltung der Einspruchsfrist gehindert gewesen sei.

Hiergegen richtet sich der Beklagte zu 1) mit der Berufung. Er behauptet weiterhin, dem Streitverkündeten, Rechtsanwalt C, keine Prozessvollmacht erteilt zu haben. Die Unterschrift auf dem zur Akte gereichten Vollmachtsformular sei gefälscht und stamme nicht von ihm. Im übrigen wiederholt und vertieft er sein erstinstanzliches Vorbringen.

Der Beklagte zu 1) beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Aachen vom 17.05.2005 (10 O 544/04) die Klage, soweit sie sich gegen den Beklagten zu 1) richtet, abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat durch Zeugenvernehmung Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 23.11.2005 und 08.02.2006 Bezug genommen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das angefochtene Urteil, auf die Schriftsätze der Parteien sowie die sonstigen zu den Akten gereichten Unterlagen verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht hat den Einspruch des Beklagten zu 1) gegen das Versäumnisurteil im Ergebnis zu Recht nach § 341 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verworfen. Das Versäumnisurteil ist den Beklagten zu 1) am 22.12.2002 über die Streitverkündeten wirksam zugestellt worden, so dass beim Eingang des Einspruches am 09.02.2005 die Einspruchsfrist nach § 339 ZPO abgelaufen und der Einspruch verfristet war. Einen Wiedereinsetzungsgrund hat der Beklagte zu 1) nicht glaubhaft gemacht.

Im Einzelnen gilt Folgendes:

1. Die Zustellung des Versäumnisurteils ist am 22.12.2004 wirksam erfolgt, da sich die Streitverkündeten für den Beklagten als Prozessbevollmächtigte bestellt hatte. Nach § 172 Abs. 1 ZPO hat die Zustellung in einem anhängigen Verfahren an den für den Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen. Auf dessen Vollmacht kommt es nach ständiger Rechtsprechung des BGH und einhelliger Ansicht im Schrifttum nicht an (BGH VersR 1979, 255; VersR 1986, 993; NJW 1987, 440; NJW 2002, 1728; BGHZ 118, 312, 322; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl., § 172 Rdn. 5; Roth in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 172 Rdnr. 8; Hüßtege in: Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 172 Rdnr. 3; Wenzel in: Münchener Kommentar ZPO, 2. Aufl., § 176 Rdn. 8; Wolst in: Musielak, ZPO, 4. Aufl., § 172 Rdn. 2; Zöller/Stöber, ZPO, 25. Auflage, § 172 Rdnr. 6). Von dieser gefestigten Rechtsauffassung abzuweichen, sieht der Senat keinen Anlass. Aus Gründen der Prozessvereinfachung und Beschleunigung muss eine Prozesspartei darauf vertrauen können, dass ein Rechtsanwalt, der sich ausdrücklich oder durch schlüssiges Handeln zum Prozessbevollmächtigten des Gegners bestellt, Prozess- und damit auch Zustellungsvollmacht hat. Das Interesse des Gegners, im Prozess und insbesondere bei Zustellungen nur von jemanden vertreten zu werden, dem er tatsächlich Vollmacht erteilt hat, muss gegenüber jenem Interesse zurücktreten. Tritt ein Rechtsanwalt ohne Vollmacht auf, so wird das vielfach von der Partei selbst zumindest mitverursacht, wenn nicht sogar verschuldet sein. Schon das nötigt dazu, ihr Interesse geringer zu bewerten als das der anderen Partei. Aber auch sonst werden die Belange dessen, für den ein vollmachtloser Vertreter aufgetreten ist, bereits dadurch hinreichend geschützt, dass er je nach Lage des Falles ein dem vollmachtlosen Rechtsanwalt zugestelltes Urteil anfechten, gegenüber dem Ablauf der Rechtsmittelfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen, Nichtigkeitsklage nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO erheben oder sich bei dem vollmachtlosen Vertreter schadlos halten kann. Eines weiteren Schutzes zu Lasten der anderen Prozessbeteiligten bedarf er nicht (BGH VersR 1979, 255). Dass die beklagte Partei sowohl im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §§ 233 ff. ZPO als auch bei einer Nichtigkeitsklage nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass sie dem Rechtsanwalt, der sich für sie bestellt hat, keine Vollmacht erteilt hat (zu § 579 ZPO vgl. Grunsky in: Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., § 579 Rdnr. 13; Musielak in: Musielak § 579 Rdnr. 9), verschlechtert zwar ihre prozessuale Rechtsstellung. Dies rechtfertigt sich aber aus den Gründen des vorrangigen Vertrauensschutzes der gegnerischen Prozesspartei.

Die Streitverkündeten haben sich im Mahnverfahren als Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 1) bestellt (Bl. 5 unten/6 oben; zum Begriff des Bestellens KG NJW 1987, 1338, 1339). Dabei ist es unerheblich, dass der Mahnbescheid dem Beklagten zu 1) möglicherweise nicht wirksam zugestellt worden ist. § 172 ZPO setzt nur ein anhängiges Verfahren voraus. Die Bestellung kann daher schon vor der Rechtshängigkeit und sogar schon vorprozessual erfolgen; im letzteren Fall ist die Klage an den Prozessbevollmächtigten zuzustellen (Roth a. a. O. § 172 Rdnr. 5, 9; Zöller/Stöber, § 172 Rdnr. 3, 6). Durch die Einreichung des Mahnantrages ist das Verfahren zumindest anhängig geworden (vgl. Zöller/Stöber § 172 Rdnr. 3). Damit war die Zustellung des Versäumnisurteils am 22.12.2004 wirksam. Etwas anderes könnte sich allenfalls dann ergeben, wenn die Klage vor dem Erlass des Versäumnisurteils dem Beklagten zu 1) zu keinem Zeitpunkt zugestellt worden und die Klage damit nicht rechtshängig geworden wäre. Dann würde sich die Frage stellen, ob das Versäumnisurteil überhaupt eine Wirkung entfalten konnte (dazu OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, 895; KG NJW-RR 1987, 1215; Pardey, ZIP 1985, 462, 464 jew. m. w. N.). Darauf kommt es jedoch nicht an. Hier ist der Klageanspruch jedenfalls durch die Zustellung der Klagebegründung vom 22.11.2004 (Bl. 15 ff. d.A.) mit dem darin formulierten Klageantrag nach § 261 Abs. 2 ZPO rechtshängig geworden. Die Zustellung ist an die Streitverkündeten erfolgt (Bl. 32 d.A.), was - wie ausgeführt - nach § 172 ZPO wirksam war.

2. Die Berufung wäre allerdings dann begründet, wenn dem Antrag des Beklagten zu 1) auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §§ 233 ff. ZPO hätte stattgegeben werden müssen. Das wiederum hängt davon ab, ob die Streitverkündeten bevollmächtigt waren. War dies der Fall, so musste sich der Beklagte die fehlende Information durch die Streitverkündeten über die Zustellung des Versäumnisurteils nach § 85 Abs. 2 zurechnen lassen. Hatte er dagegen keine Vollmacht, scheidet die Anwendung dieser Zurechnungsnorm aus, da sie eine wirksame Bevollmächtigung voraussetzt (BGH VersR 1979, 255; NJW 1987, 440). Für eine danach mögliche Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist müsste der Beklagte aber glaubhaft gemacht haben, dass er den Streitverkündeten keine Vollmacht erteilt hatte. Das sieht der Senat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und der persönlichen Anhörung des Beklagten zu 1) nicht als glaubhaft gemacht an. Dabei kann letztlich auf sich beruhen, ob seine Unterschrift unter der schriftlichen Vollmacht vom 08.09.2004 (Bl. 295 = Bl. 122 d.A.) echt ist. Der Streitverkündete Rechtsanwalt C hat bei seiner Zeugenvernehmung durch den Senat berichtet, dass der Beklagte zu 1) in Begleitung des Beklagten zu 3) in seiner Kanzlei zu einer Besprechung erschienen sei. Im Rahmen dieser Besprechung habe er ihn beauftragt, Widerspruch gegen den in der vorliegenden Sache ergangenen Mahnbescheid einzulegen. Die Aussage des Zeugen C ist jedenfalls nicht weniger glaubhaft als die Angaben des Beklagten zu 1) und des von ihm gestellten Zeugen L. Dass der Beklagte zu 1) gegen den Zeugen C ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren veranlasst hat, rechtfertigt keine andere Beurteilung.

Ist danach die Möglichkeit einer für eine wirksame Prozessvollmacht ausreichenden mündlichen Bevollmächtigung (vgl. Zöller-Vollkommer § 80 Rdnr. 5) nicht hinreichend ausgeräumt, so kommt es auf die Wirksamkeit der schriftlichen Vollmacht vom 08.09.2004 nicht an. Insofern war auch kein Sachverständigengutachten dazu einzuholen, ob die Unterschrift gefälscht ist. Ein derartiges Gutachten könnte für die Frage der mündlichen Bevollmächtigung keinen Erkenntniswert haben.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Kosten der Streitverkündeten waren nicht dem Beklagten aufzuerlegen (§ 101 ZPO), da diese dem Rechtsstreit nicht beigetreten sind. Zwar setzt ein Beitritt nach § 70 ZPO nicht die ausdrückliche Erklärung des Beitritts voraus. Es genügt eine dem Sinn nach eindeutige Erklärung, die gegebenenfalls durch Auslegung zur ermitteln ist (OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 443; Zöller/ Vollkommer § 70 Rdn. 1 jew. m. w. N.). An einer eindeutigen Erklärung fehlt es hier. Die Streitverkündeten haben zwar durch eine anwaltliche Bevollmächtigte eine schriftsätzliche Erklärung abgegeben, aus der sich ergibt, dass sie dem Begehren und Vorbringen des Beklagten entgegentreten. Der Schriftsatz enthält aber weder einen Antrag noch eine ausdrückliche Erklärung des Beitritts. Diese wäre in Anbetracht der weiteren Umstandes, dass - wie in dem Schriftsatz angekündigt - weder Rechtsanwalt C noch die Bevollmächtigte an der mündlichen Verhandlung teilgenommen haben, zu erwarten gewesen.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die dafür erforderlichen Voraussetzungen nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 und ZPO nicht gegeben sind.

Berufungsstreitwert: 100.000,-- €

Ende der Entscheidung

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