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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 29.08.2001
Aktenzeichen: 11 U 16/01
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 426
BGB § 774 Abs. 2
BGB § 873 Abs. 2
BGB § 154 Abs. 2
ZPO § 713
ZPO § 91 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

11 U 16/01

Anlage zum Terminsprotokoll vom 29.08.2001

Verkündet am 29.08.2001

In dem Rechtsstreit

hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 04.07.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Pastor, den Richter am Oberlandesgericht Zoll und die Richterin am Oberlandesgericht Opitz

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 08.12.2001 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 18 O 253/00 - abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet.

Das Landgericht hat die Klage zu Unrecht für stattgegeben. Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung der Klagesumme.

I. Der geltend gemachte Ausgleichsanspruch aus § 426 BGB ist zu verneinen.

1. Entgegen der in der Berufungserwiderung vertretenen Ansicht kann sich die Beklagte auf eine Sittenwidrigkeit der übernommenen Bürgschaft auch im Verhältnis zum Kläger berufen. Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig (§ 138 Abs. 1 BGB). Aus einem nichtigen Rechtsgeschäft können keine Ausgleichsansprüche nach §§ 774 Abs. 2, 426 BGB hergeleitet werden. Die Nichtigkeit hat zur Folge, dass keine Gesamtschuldnerschaft der Mitbürgen (Parteien) gegenüber dem Hauptschuldner besteht. Die Ausgleichungspflicht von Gesamtschuldnern entsteht mit der Begründung der Gesamtschuld (BGH NJW 1992, 2286, 2287). Darauf, ob die Beklagte dem Kläger aus sonstigen Gründen haftet, wird unten (II.) eingegangen.

2. Nach den Maßstäben der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (eingehend der ab dem 01.01.2001 für Bürgschaftssachen zuständige XI. Zivilsenat in: Vorlagebeschluss vom 29.06.1999, NJW 1999, 2584 ff., und jetzt Urteil vom 14.11.2000, NJW 2001, 815 ff. = ZIP 2001, 189 ff.), der der Senat folgt, war die Bürgschaftsübernahme durch die Beklagte sittenwidrig.

a) Die Beklagte ist die Schwester des Geschäftsführers der darlehensnehmenden GmbH. Die Rechtsprechungsgrundsätze gelten nicht nur für Ehegatten, sondern auch für andere nahe Angehörige und sind für alle Gruppen von Bürgen und Mithaftenden einheitlich zu beurteilen (BGH, NJW 1999, 2584, 2585). Sofern der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in der Vergangenheit bei erwachsenen Geschwistern eine "enge persönliche Beziehung" im Zeitpunkt der Verpflichtung für erforderlich gehalten hat (NJW 1998, 597 f.), ist daran nicht festzuhalten.

b) Die Beklagte war durch die Übernahme der Höchstbetragsbürgschaft von 350.000,00 DM krass überfordert. Aus Sicht der Kredit gewährenden Bank konnte nicht erwartet werden, dass die Beklagte das Darlehen in nennenswertem Umfang würde zurückführen können. Selbst mit dem zuletzt beim V.O. verdienten monatlichen Bruttoverdienst von ca. 3.300 DM (vgl. BfA - Versicherungsverlauf, Bl. 104 ff. d.A.) konnten die laufenden jährlichen Zinsen von 16.500,00 DM nicht finanziert werden. Das Arbeitsverhältnis lief zudem am 22.11.1990 aus (Bürgschaftsübernahme am 16.10.1990), so dass - zumal in den neuen Bundesländern - mit erheblichen Einkommenseinbußen gerechnet werden musste. In der Tat war die Beklagte in der Folge in verschiedenen Unternehmen beschäftigt, wobei sich ihr Bruttoeinkommen zunächst im 1000 DM - Bereich bewegte und erst ab 01.02.1995 wieder die 3.000 DM - Grenze erreichte. Maßgebend ist die Beurteilung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (BGH NJW 1999, 2584, 2587). Selbst wenn man nicht nur auf den Verpflichtungszeitpunkt abstellt, sondern mit Fischer die jetzige Einkommenssituation der Beklagten mit in Betracht zieht (vgl. Fischer, WM 2001, 1049, 1057; seit Anfang 1999 verdient die Beklagte 4.300,00 DM brutto), erscheint die Verbürgung für einen Betrag von 350.000,00 DM als krasse Überforderung. Dabei ist auf die Nennbelastung abzustellen. Die weiteren Bürgschaften sind unberücksichtigt zu lassen; denn anderweitige Sicherheiten des Kreditgebers sind nur dann zu berücksichtigen, wenn sie das Haftungsrisiko des Mitverpflichteten oder Bürgen in rechtlich gesicherter Weise auf ein vertretbares Maß beschränken (BGH NJW 2001, 815, 816). Davon kann indes keine Rede sein. Die Einkommensverhältnisse der Mitbürgen waren offensichtlich nicht geeignet, das Risiko der Beklagten nennenswert zu verringern. R. T. hat sich dem Kläger durch Vergleich vom 12.11.1999 (Bl. 47 der Beiakte 35 O 316/99 LG Berlin) verpflichtet, 36.000,00 DM in monatlichen Raten von 500 DM zu zahlen; in dem Vergleich ist festgestellt, dass Ansprüche des Klägers gegenüber I. T. nicht bestehen. Für eine aus damaliger Sicht zu erwartende erfolgreiche Inanspruchnahme der übrigen Mitbürgen ist nichts ersichtlich. Einzig der Kläger konnte der Bank wegen seines Grundbesitzes als tauglicher Sicherungsgeber erscheinen. Allerdings kann auf die von diesem gewährte Grundschuld nicht abgestellt werden, weil diese erst im Mai 1991 bestellt wurde, also bei Bürgschaftsübernahme im Oktober 1990 das Risiko der Beklagten nicht in rechtlich gesicherter Weise beschränkte. Der Senat vermag der in dem Schriftsatz vom 26.07.2001 von dem Kläger vertretenen Ansicht nicht zu folgen, insoweit sei bereits die von dem Kläger gegenüber der Bank übernommene Verpflichtung zur Bestellung der Grundschuld ausreichend. Diese Verpflichtung bedeutete im Zeitpunkt der Übernahme der Bürgschaft noch keine gesicherte Rechtsposition (vgl. § 873 Abs. 2 BGB). Die Forderung der Bank war im Übrigen durch das von dem Kläger bestellte Grundpfandrecht nur teilweise abgesichert; ausweislich des Verteilungsplans ist die Bank mit einem Kapitalteilbetrag von 72.989,86 DM ausgefallen (vgl. Beiakte 70 K 50/96 AG Pankow/Weißensee, Bl. 147), für den die Beklagte - unabhängig von dem dem Kläger zustehenden Ausgleichsanspruch - mithaften würde, wollte man die Bürgschaft als wirksam ansehen.

Soweit der Kläger geltend macht, die Beklagte habe über die BfA-Bescheinigung hinaus "Nebeneinnahmen" gehabt, fehlt es an konkretem Vortrag und entsprechendem Beweisantritt. Zwar muss die Beklagte die Tatsachen vortragen und beweisen, die die Sittenwidrigkeit begründen, also auch die unzureichenden Einkommensverhältnisse. Dem ist aber durch den Vortrag der Arbeitsverhältnisse und Vorlage der Urkunde über deren versicherungsmäßige Erfassung genügt. Wenn der Gegner behauptet, es hätten darüber hinaus weitere Arbeitsverhältnisse bestanden oder es seien weitere Einkünfte bezogen worden, müssen dafür zumindest Anhaltspunkte vorgetragen werden.

c) Die Bank muss die fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit der Beklagten als bekannt gegen sich gelten lassen, da sie sich darüber durch Einholung von Auskünften hätte vergewissern können (BGH, NJW 2001, 815, 816).

d) Angesichts der bestehenden und zu erwartenden Einkommensverhältnisse der Beklagten war die Bürgschaft für die Bank wirtschaftlich sinnlos. Eventuelle Vollstreckungsmaßnahmen bei Realisierung der Gesamtforderung waren unter Berücksichtigung der dadurch verursachten Kosten und der bei fehlender Tilgung immer weiter anwachsenden Zinsbelastung offensichtlich nicht geeignet, den Darlehensbetrag zurück zu führen.

e) Dass die Übernahme der sinnlosen Bürgschaft auf emotionaler Verbundenheit beruht, wird vermutet (BGH a.a.O. S. 817). Die Vermutung ist entkräftet, wenn ein Eigeninteresse des Bürgen festgestellt werden kann. Dies leitet der Kläger hier daraus her, dass die Beklagte in der Gaststätte, welche die GmbH betreiben wollte, als Arbeitnehmerin tätig sein sollte. Der Erwerb bloß mittelbarer Vorteile aus einem vom Hauptschuldner aufgenommenen Betriebsmittelkredit reicht indes zur Widerlegung der Vermutung nicht aus (BGH a.a.O.). Hinzu kommt, dass Bürgschaften von Arbeitnehmern für geschäftliche Verbindlichkeiten des Arbeitgebers grundsätzlich sittenwidrig sind (OLG Celle, OLGR 2000, 42 ff.). Die Vermutung wird auch nicht dadurch widerlegt, dass die Beklagte und ihr Bruder (der Geschäftsführer der GmbH) nach dem Vortrag des Klägers nicht in besonderer Weise vertrauensvoll zusammengelebt haben. Es liegt auf der Hand, dass alleine die familiäre Verbindung Grund genug sein kann, vorschnell ohne rationale Beurteilung der wirtschaftlichen Folgen erhebliche Verpflichtungen einzugehen.

f) Dafür, dass die Bank eine teilweise Aufrechterhaltung der Bürgschaft in einem für die Beklagte tragbaren Umfang (dazu BGH a.a.O.; Fischer a.a.O., S. 1059 f.) hätte verlangen können, ist nichts ersichtlich, da eine Abgrenzung eines nichtigen und eines wirksamen Teils (aus Sicht der Bank) vorliegend nicht in Betracht kommt.

II. Auch Ansprüche aus anderen Gründen bestehen nicht.

1. Der Kläger beruft sich auf die "Verpflichtung" vom 19.05.1991 (Bl. 25 AH). Unstreitig hat die Beklagte diese aber nicht unterzeichnet. Der Vortrag, die Verpflichtung sei "zwischen den Bürgen abgesprochen" gewesen, reicht nicht aus, eine bindende Verpflichtungserklärung der Beklagten darzulegen. Auch steht § 154 Abs. 2 BGB einer wirksamen Verpflichtung entgegen, weil offenbar die Beurkundung der Verpflichtungserklärung verabredet war.

2. Der Senat hat erwogen, ob dem Kläger, der auf Grund seiner Haftungsübernahme für die Familie der Beklagten sein Grundstück verloren hat, nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) ein (Teil-) Anspruch zuerkannt werden kann. Eine solche Möglichkeit besteht indes nicht, da die Beklagte nicht zu den Initiatoren der GmbH gehörte, sondern bei der Unternehmensgründung nur am Rande mitgewirkt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Beschwer des Klägers übersteigt nicht 60.000,00 DM.

Berufungsstreitwert: 20.000,00 DM

Ende der Entscheidung

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