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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 22.11.2000
Aktenzeichen: 11 U 75/00
Rechtsgebiete: StVG, PflVG, StVO, BGB, ZPO


Vorschriften:

StVG § 7 Abs. 1
StVG § 7 Abs. 2
StVG § 9
PflVG § 3 Nr. 1
StVO § 3 Abs. 2a
BGB § 254
BGB § 288
BGB § 291
ZPO § 528
ZPO § 92 Abs. 2
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

11 U 75/00 18 O 452/98 LG Köln

Anlage zum Protokoll vom 22.11.2000

Verkündet am 22.11.2000

Bourguignon, J.A. als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 25. Oktober 2000 durch den Richter am Oberlandesgericht Zoll, die Richterin am Oberlandesgericht Opitz und den Richter am Landgericht Frohn

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 21.03.2000 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 18 O 452/98 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 452,72 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 16.08.1999 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache nur einen geringfügigen Erfolg.

Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht die Klage auf Zahlung von Schmerzensgeld und auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftig entstehende materielle und immaterielle Schäden des Klägers aus dem Verkehrsunfall am 11.04.1998 in K.-E. abgewiesen; nur soweit das Landgericht auch einen Anspruch auf Ersatz des bereits entstandenen materiellen Unfallschadens gemäß § 7 Abs. 1 StVG, § 3 Nr. 1 und 2 PflVG verneint hat, war das Urteil auf die Berufung des Klägers geringfügig abzuändern.

1.

Einen Schmerzensgeldanspruch (§§ 823 Abs. 1, 847 BGB) sieht das Gesetz nur bei nachgewiesenem Verschulden des Unfallverursachers vor. Von einer schuldhaften Herbeiführung des Unfalls durch die Beklagte zu 1.) kann jedoch nicht ausgegangen werden.

Auch gegenüber Kindern gilt der sogenannte Vertrauensgrundsatz, wonach ein Fahrzeugführer nicht ohne besondere Anhaltspunkte damit rechnen muss, dass Fußgänger kurz vor seinem herannahenden Fahrzeug die Fahrbahn betreten werden. Zwar gilt für den Kraftfahrer eine erhöhte Sorgfaltspflicht gegenüber Kindern und anderen erkennbar verkehrsungewandten Personen (§ 3 Abs. 2a StVO). Die Verletzung dieser Sorgfaltspflicht setzt jedoch voraus, dass er die Kinder am Fahrbahnrand gesehen hat oder bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte bemerken müssen und dass das Verhalten der Kinder oder die Situation, in der sie sich befinden, auf eine mögliche Gefährdung hinweisen; damit, dass ein bisher für ihn unsichtbares Kind hinter einem geparkten PKW auf die Fahrbahn läuft, braucht ein Fahrzeugführer auch in Wohngebieten nicht stets zu rechnen (BGH, NJW 1986, 184 [185] = VersR 1985, 1088; NJW 1991, 292 [293] = VersR 1990, 1366; NJW-RR 1992, 1116 [1117] = VersR 1982, 890; NJW 1994, 941; NJW 1998, 2816 [2817]; OLG Schleswig, VersR 1999, 334 f.).

Nach dem erstinstanzlichen Beweisergebnis sowie den unstreitigen oder nachträglich noch feststellbaren Umständen kann hier der Beklagten zu 1.) ein Sorgfaltspflichtverstoß nicht zur Last gelegt werden.

Die Aussagen der in erster Instanz vernommenen Zeugen tragen - wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hat - zur Klärung des genauen Unfallherganges nichts bei, da keiner der Zeugen das zum Unfall führende Geschehen beobachtet hat. Insbesondere haben die Zeugen keine näheren Angaben dazu machen können, wo der viereinhalbjährige Kläger sich vor dem Unfall befand und in welcher Weise er auf die Fahrbahn lief.

Aus der polizeilichen Verkehrsunfallskizze (Bl. 5 der Ermittlungsakte 142 Js 351/98 StA Köln) und dem vom Kläger nunmehr vorgelegten Polaroid-Foto der Unfallörtlichkeit (Bl. 142 d.A.) geht hervor, dass der Kläger vom Gehweg der V.er Straße gekommen sein und die Fahrbahn in Höhe der Verkehrsinsel betreten haben muss, die sich - stadtauswärts gesehen - 9,80 m vor der Einmündung der S.straße befindet; denn unmittelbar vom Gehweg der S.straße (im Kreuzungsbereich) kann er wegen der dort entlang der V.er Straße stehenden, mit einer Kette verbundenen Begrenzungspfähle nicht auf die Fahrbahn gelaufen sein. Kurz vor der Verkehrsinsel war die Sicht von der Fahrbahn der V.er Straße auf den Gehwegbereich durch einen in der Parktasche am rechten Straßenrand abgestellten PKW verdeckt, während der rückwärtige Gehwegbereich bis zur Hausecke an der S.straße besser einsehbar gewesen sein dürfte. Je nachdem, wo der Kläger und sein Bruder sich während ihres Spiels mit dem Tennisball aufhielten und von welcher Stelle aus der Kläger dem auf die Fahrbahn rollenden Ball nachlief, können beide - wie auch der zehnjährige Zeuge S.C. mit seinem Fahrrad - für einen auf der V.er Straße stadtauswärts fahrenden PKW-Führer entweder schon aus größerem Abstand als spielende Kinder erkennbar oder durch parkende Fahrzeuge oder Häuserecken zunächst verdeckt und damit unsichtbar gewesen sein; hinreichend sichere Anhaltspunkte, die hierzu genauere Feststellungen erlauben könnten, sind nach den Bekundungen der Zeugen, der polizeilichen Unfallaufnahme und den eigenen Angaben der Beklagten zu 1.) nicht ersichtlich.

Bestand der erste Reaktionsanlass für die Beklagte zu 1.) aber im Erblicken des auf die Fahrbahn rollenden Tennisballs aus einer Entfernung von nicht mehr als 11 Metern (wie sie bei der polizeilichen Unfallaufnahme angegeben hat, Bl. 1 der Ermittlungsakte), so kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass der Unfall für sie unvermeidbar war. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Beklagten, solange sie die auf dem Gehweg spielenden Kinder nicht bemerken musste, selbst dann kein Verstoß gegen Sorgfaltspflichten vorzuwerfen wäre, wenn sie sich der Unfallstelle mit der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h genähert hätte (was angesichts des an der Verkehrsinsel bestehenden Engpasses allerdings eher unwahrscheinlich erscheint).

Eine zuverlässigere Beurteilungsgrundlage lässt sich auch nicht mit technisch-mathematischen Mitteln gewinnen. Für die vom Kläger beantragte Unfallrekonstruktion durch einen Sachverständigen fehlt es nämlich an geeigneten Anknüpfungstatsachen. Ein Sachverständiger könnte anhand der mutmaßlichen Endstellung des Beklagtenfahrzeugs nach dem Unfall (Bl. 5 der Ermittlungsakte), der örtlichen Verhältnisse und der widerstreitenden Behauptungen der Parteien lediglich Alternativberechnungen zur Ausgangsgeschwindigkeit der Beklagten zu 1.) sowie ihrem Brems- und Anhalteweg anstellen. Objektive Spuren (Bremsspuren, Beschädigungen des Beklagtenfahrzeugs), an die eine realistische Ermittlung der Weg-Zeit-Relationen anknüpfen könnte, waren dagegen nicht vorhanden, wie die Verkehrsunfallanzeige (Bl. 1-2 der Ermittlungsakte) belegt. Andere mögliche Anknüpfungstatsachen, insbesondere der Bewegungsablauf des Klägers bis zum Unfall und der Zeitpunkt seines erstmaligen Erscheinens im Sichtfeld der Beklagten zu 1.), lassen sich nicht mehr aufklären.

Hinsichtlich der Ausgangsgeschwindigkeit der Beklagten zu 1.) ergeben sich - abgesehen von ihren eigenen Anga-ben - auch im übrigen keine geeigneten Anknüpfungstatsachen für eine Unfallrekonstruktion. Soweit der Zeuge Kivilcim bekundet hat, dass der Kläger nach dem Anstoß des Beklagtenfahrzeugs "durch die Luft geflogen" sei, lässt diese Aussage - wie schon das Landgericht richtig ausgeführt hat - keine sicheren Schlüsse auf die Ausgangsgeschwindigkeit oder das Fahrverhalten der Beklagten zu. Soweit der Kläger in zweiter Instanz nunmehr Zeugen für die Behauptung benennt, dass die Beklagte "mit überhöhter Geschwindigkeit" auf eine jenseits der Kreuzung befindliche Ampel zugefahren sei, handelt es sich dabei - abgesehen von einer möglichen Verspätung des Beweisantritts (§ 528 ZPO) - ebenfalls um ein untaugliches Beweismittel, da die Zeugen, erstmals zweieinhalb Jahre nach dem Unfall dazu vernommen, allenfalls über ihr subjektives Empfinden der Schnelligkeit des Beklagtenfahrzeugs, aber nicht über nachprüfbare Tatsachen berichten könnten, die eine auch nur annähernd exakte Geschwindigkeitsrekonstruktion zulassen würden. Dies steht für die Mitglieder des Senats aufgrund der in langen Jahren gewonnenen Erfahrung in Verkehrsunfallsachen völlig außer Zweifel.

2.

Andererseits lassen die objektivierbaren Umstände des Unfallhergangs und selbst die eigenen Angaben der Beklagten zu 1.) auch nicht den Schluss zu, dass der Unfall sogar für einen idealen Kraftfahrzeugführer in der Lage der Beklagten unabwendbar (§ 7 Abs. 2 StVG) war. Denn da nicht feststeht, wo sich der Kläger und seine Spielkameraden bis zum Wegrollen des Tennisballs aufhielten, ist auch nicht auszuschließen, dass sie von der Beklagten bei gehöriger Aufmerksamkeit schon früher als spielende Kinder hätten erkannt und der Unfall von ihr bei Beobachtung der dann nach § 3 Abs. 2a StVO gebotenen Sorgfalt hätte vermieden werden können.

Ein nach § 9 StVG, § 254 BGB zu berücksichtigendes Mitverschulden des zur Zeit des Unfalls erst viereinhalb Jahre alten Klägers kommt wegen dessen fehlender Verantwortlichkeit (§ 828 Abs. 1 BGB) nicht in Betracht; für eine Mitverantwortlichkeit unter Billigkeitsgesichtspunkten (§ 829 BGB) besteht kein Anlass.

3.

Der Höhe nach erstattungsfähig (§§ 249 ff. BGB) sind diejenigen materiellen Aufwendungen, die zur Behebung der erlittenen Verletzungen und Schäden des Klägers als erforderlich angesehen werden können (§ 287 ZPO). Dabei sind die Kosten von Besuchen naher Angehöriger bei stationärem Krankenhausaufenthalt des Verletzten dann seinen zu ersetzenden Heilungskosten zuzuordnen, wenn die Besuche medizinisch notwendig und die Aufwendungen unvermeidbar sind; Verdienstausfall oder der Ausfall im Haushalt der Angehörigen ist nur zu ersetzen, wenn er nicht durch Vor- oder Nacharbeit aufgefangen werden kann (BGH, NJW 1991, 2340 ff.).

Soweit solche Schäden auch von dem Vater des Klägers in dem Verfahren 261 C 599/98 AG Köln geltend gemacht worden sind, ist der Einwand anderweiter Rechtshängigkeit durch die Klagerücknahme in dem Parallelverfahren (Bl. 30 d. Beiakten) gegenstandslos geworden.

a) Dass die Mutter des noch sehr jungen Klägers während der ersten drei Wochen seines stationären Aufenthalts im Kinderkrankenhaus A.er Straße rund um die Uhr bei ihm blieb, kann zwar im vorgenannten Sinne als notwendig angesehen werden. Nicht überzeugend dargelegt ist jedoch ihr angeblicher Verdienstausfall; aus dem vorgelegten Kontoauszug über eine Gehaltszahlung vom September 1998 ergibt sich weder eine entsprechende Verdienstmöglichkeit im April/Mai 1998 noch eine Schmälerung des Verdienstes durch unbezahlten Urlaub zur Versorgung des Klägers. Auf die insoweit bestehenden Bedenken haben die Beklagten bereits mit Schriftsatz vom 17.08.1999 (Bl. 38, 39 d.A.) hingewiesen, ohne dass der Kläger sein Vorbringen ergänzt hat.

b) Fahrtkosten des Vaters für täglich einen Krankenbesuch erscheinen angemessen; die für die ersten drei Wochen geltend gemachten Kosten eines zweiten Besuchs mögen durch den Aufenthalt der Mutter im Krankenhaus begründet gewesen sein, können aber bei wertender Betrachtung gerade wegen der Anwesenheit der Mutter nicht als weiterer ersatzfähiger Schaden des Klägers angesehen werden. Die Berechnung der Fahrtstrecke von K.-E. zum Kinderkrankenhaus in K.-R. und der insoweit aufgewendeten Kosten begegnet keinen Bedenken. Es ergibt sich für 27 Tage à 18 km bei angemessenen 0,52 DM/km ein Betrag von 252,72 DM.

c) Soweit der Kläger für den angeblichen Verpflegungsmehraufwand des Vaters - wegen Ausfalls der Mutter im Haushalt - einen Betrag von 525,00 DM geltend macht, ist gerade bei derartigen Schadenspositionen zur Vermeidung eines vom Gesetz nicht vorgesehenen Ersatzes der Schäden von nur "mittelbar" Betroffenen eine Begrenzung auf den nicht anders vermeidbaren Mehraufwand vorzunehmen (BGH, NJW 1991, 2340 [2341]). Dass ein solcher Fall unvermeidbaren Mehraufwands hier vorliegt, kann der eher pauschalen, von den Beklagten jedoch im einzelnen bestrittenen Darlegung des Klägers nicht entnommen werden. Zur Familie des Klägers, die nach seinen eigenen Angaben nur 9 km entfernt vom Krankenhaus entfernt in einem anderen K.er Stadtteil wohnt, gehören mindestens zwei weitere minderjährige Kinder (Brüder des Klägers), die während des Aufenthalts der Mutter am Krankenbett des Klägers ebenfalls verpflegt werden mussten; ist aber davon auszugehen, dass die Eltern des Klägers hierfür geeignete Vorkehrungen getroffen haben, so ist nicht ersichtlich, wieso im gleichen Zeitraum für die Verpflegung des Vaters täglich (nicht näher bezifferte) Mehrkosten von 25,00 DM entstanden sein sollen.

d) Unter dem Gesichtspunkt der Eigentumsverletzung ist der Kleiderschaden des Klägers ersatzfähig. Da der von den Beklagten im einzelnen bestrittene Zeitwert der zerstörten Bekleidungsstücke (Hose, Schuhe, Pullover) nicht näher begründet und belegt worden ist, kann allerdings nicht der volle geltend gemachte Betrag von 220,00 DM, sondern lediglich ein Mindestschaden in Ansatz gebracht werden, den der Senat auf 150,00 DM schätzt.

e) Zur Abgeltung der sonstigen mit einem Unfallereignis typischerweise verbundenen Kosten und Auslagen erscheint dem Senat hier ein Betrag von 50,00 DM angemessen.

f) Insgesamt ergeben die zu b), d) und e) erörterten Schadenspositionen einen Betrag von 452,72 DM.

g) Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 288, 291 BGB.

4.

Der vom Kläger verfolgte Feststellungsantrag war zwar zulässig (§ 256 Abs. 1 ZPO), da der Kläger die Möglichkeit von noch nicht erkannten Spätfolgen des Unfalls unter Bezugnahme auf das Gutachten der behandelnden Klinikärzte Prof. Dr. H., Prof. Dr. G. und Dr. Z. vom 04.02.1999 (Bl. 15 ff. d.Anl.H.; dort vor allem S. 4 = Bl. 18 d. Anl.H.) schlüssig dargetan hat. Die Klage ist insoweit aber nicht begründet, da heute - zweieinhalb Jahre nach dem Unfall - eine gewisse Wahrscheinlichkeit solcher Spätfolgen nicht mehr bejaht werden kann; dass die von den Gutachtern für April 2000 empfohlene Nachuntersuchung irgendein Anzeichen für ein Fehlwachstum oder andere Spätfolgen ergeben hat, ist vom Kläger nicht vorgetragen worden.

5.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Beschwer beider Parteien liegt unter 60.000,00 DM.

Streitwert für die Berufungsinstanz: 31.664,83 DM

Ende der Entscheidung

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