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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 10.01.2002
Aktenzeichen: 12 U 148/01
Rechtsgebiete: AGBG, BGB


Vorschriften:

AGBG § 9
AGBG § 11
BGB § 307
BGB § 309
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

12 U 148/01

Anlage zum Verkündungsprotokoll vom 10.01.2002

Verkündet am 10.01.2002

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 6. Dezember 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Nierhaus, den Richter am Oberlandesgericht Ueffing und die Richterin am Oberlandesgericht Macioszek

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 6.3.2001 - 5 O 490/99 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 250.000 DM, wenn nicht die Klägerin zuvor entsprechende Sicherheit erbringt. Als Mittel der Sicherheitsleistung wird jeweils auch die selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Bank oder öffentlichen Sparkasse zugelassen.

Tatbestand:

Die Beklagte hat von der Klägerin durch Vertrag vom 17.12.1996/19.9.1997 zwei Hallen nebst Freiflächen zum Betrieb einer "Fun-Sport-Anlage" (Skateboardanlage) und zur Durchführung von Konzerten, Partys und ähnlichen Veranstaltungen angemietet. Eine der beiden Hallen wurde der Beklagten am 2.4.1998 übergeben; die Übergabe der zweiten Halle erfolgte am 1.5.1999. Die Beklagte hat bislang an die Klägerin weder Mietzins gezahlt, noch Betriebskostenvorauszahlungen erbracht oder abgerechnete Betriebskosten ausgeglichen. Da die Hallen nach ihrer Darstellung mit diversen Mängeln behaftet sind (Undichtigkeiten im Dach, Unbenutzbarkeit der Galerien wegen fehlender Nutzungsgenehmigung u.ä.) und ihr die Räume erst verspätet überlassen worden sein sollen, macht sie eine Minderung des Mietzinses geltend, hält den übrigen Teil des Mietzinses (und die Betriebskosten) bis zur Behebung der Mängel zurück und berühmt sich erheblicher Schadensersatzansprüche. Die behaupteten Mängel waren Gegenstand eines selbständigen Beweisverfahrens (17 OH 46/98 LG Köln). In dem Rechtsstreit 17 O 452/98 LG Köln = 12 U 126/99 OLG Köln hat die Beklagte Feststellungsklage erhoben mit dem Ziel, dass die Unwirksamkeit des § 9 des Mietvertrags festgestellt wird, der folgenden Wortlaut hat:

"Aufrechnung, Mietminderung oder Geltendmachung eines Zurückbehaltungs-rechtes sind ausgeschlossen, es sei denn, die Forderung des Mieters ist vom Vermieter anerkannt oder rechtskräftig festgestellt."

Der Senat hat diese Klage durch Urteil vom 18.5.2000 - 12 U 126/99 - abgewiesen; die Beklagte hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt (XII ZR 181/00), die unter dem 25.9.2000 begründet worden und über deren Annahme - soweit dem Senat bekannt - bislang nicht entschieden ist.

Wegen der Nichtzahlung von Miete und Betriebskosten hat die Klägerin unter dem 23.9.1999 die fristlose Kündigung ausgesprochen und nachfolgend die vorliegende Räumungsklage erhoben, der das Landgericht stattgegeben hat. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Zwischenzeitlich hat die Klägerin rückständige Miete und Betriebskosten eingeklagt (8 O 54/01 LG Köln). Die Beklagte verteidigt sich mit Minderung, Zurückbehaltung und Aufrechnung und hat außerdem Widerklage über ca. 1,1 Mio DM erhoben. Eine gerichtliche Entscheidung ist in jenem Verfahren noch nicht ergangen.

Gegen das ihr am 9.4.2001 zugestellte Räumungsurteil hat die Beklagte am 9.5.2001 Berufung eingelegt; sie hat das Rechtsmittel nach Fristverlängerung bis zum 13.8.2001 am 1.8.2001 begründet.

Die Beklagte hält die Bestimmung des § 9 des Mietvertrags für unzulässig und macht geltend, selbst wenn die Klausel wirksam wäre, sei sie, die Beklagte, gleichwohl mit der Zahlungspflicht nicht in Verzug geraten, da sie sich in einem unverschuldeten Rechtsirrtum befunden habe.

Die Beklagte beantragt

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen,

hilfsweise die Aussetzung des Verfahrens bis zum Abschluss des Revisionsverfahrens XII ZR 181/00.

Die Klägerin, die die Zurückweisung des Rechtsmittels beantragt und einer Aussetzung widerspricht, tritt dem Vorbringen der Berufung entgegen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Landgericht hat zu Recht von einer Aussetzung des Rechtsstreits abgesehen und der Räumungsklage stattgegeben.

1.

Bedenken gegen die Zulässigkeit der vorliegenden Klage bestehen nicht. Die erstinstanzlich (GA 84) geäußerte Auffassung der Beklagten, die Klage sei im Hinblick auf das nunmehr in der Revisionsinstanz anhängige Verfahren gem. § 261 III Nr. 1 ZPO als "zur Zeit unbegründet" abzuweisen, ist nicht zutreffend. Zum einen wäre dann, wenn ein Fall der doppelten Rechtshängigkeit vorläge, die Klage nicht unbegründet (auch nicht zur Zeit), sondern durch Prozessurteil als unzulässig abzuweisen. Zum anderen ist ein Fall der doppelten Rechtshängigkeit aber auch nicht gegeben, da die Streitgegenstände zweifellos nicht identisch sind. Das vorliegende Verfahren hat einen wesentlich umfassenderen Streitgegenstand, denn es geht nicht nur um die Frage der Wirksamkeit der Vertragsklausel; dieser Streitpunkt ist nur ein Entscheidungselement neben anderen.

2.

Die Räumungsklage ist begründet, da die Beklagte mit der Zahlung von Mietzins und Betriebskostenvorauszahlungen in Verzug geraten ist und der Rückstand den in § 554 I 1 Nr. 1 oder 2 BGB a.F. beschriebenen Umfang erreicht hat.

a) Die Beklagte schuldete unstreitig ab April 1998 (Übergabe der großen Halle) zwar noch keinen Mietzins, wohl aber die Betriebskostenvorauszahlung von monatlich 726,53 DM + MWST = 842,77 DM. Bis zum Ausspruch der Kündigung am 23.9.1999 waren insoweit 18 x 842,77 DM = 15.169,86 DM fällig. Bereits hierdurch waren betragsmäßig die Voraussetzungen des § 554 I 1 Nr. 1 BGB erfüllt, da der reine Mietzins für einen Monat 10.411,10 DM und unter Einschluss der Vorauszahlung 11.253,88 DM beträgt.

b) Daneben bestand bei Ausspruch der Kündigung ein Anspruch der Klägerin auf Nettomietzins in Höhe von 5 x 10.411,10 DM = 52.055,55 DM.

c) Die Beklagte war und ist durch die in § 9 des Mietvertrags getroffene Vereinbarung gehindert, diese Ansprüche der Klägerin durch Aufrechnung mit Gegenansprüchen zum Erlöschen zu bringen oder ihnen ein Minderungs- oder Zurückbehaltungsrecht entgegen zu halten. Hierzu kann auf die Ausführungen unter II. der Entscheidungsgründe des den Parteien bekannten Urteils des Senats vom 18.5.2000 - 12 U 126/99 - verwiesen werden. Auch nach Überprüfung hält der Senat seine dort dargelegte Rechtsauffassung für zutreffend und mit der zitierten Rspr. des BGH (Urteil vom 27.1.1993 - XII ZR 141/91 - NJW-RR 1993, 519) in Einklang stehend.

d) Die Beklagte hat die nicht erfolgte Mietzinszahlung auch zu vertreten. Ein unverschuldeter Rechtsirrtum der Beklagten ist zu verneinen. Dieser Entschuldigungsgrund wird in st. Rspr. an strenge Voraussetzungen geknüpft (BGH NJW 1984, 1029, 1030; 1994, 2754, 2755). Grundsätzlich trägt der Schuldner das Risiko eines Irrtums über die Rechtslage; er kann dieses Risiko nicht dem Gläubiger zuschieben. Es genügt nicht, wenn er sich seine Rechtsauffassung nach sorgfältiger Prüfung und sachgemäßer Beratung gebildet hat, vielmehr kann seine Säumnis nur dann als entschuldigt angesehen werden, wenn er auch bei Wahrung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit seinem Unterliegen im Rechtsstreit nicht zu rechnen brauchte (BGH NJW 1951, 398; 1972, 1045, 1046 m.w.N. und NJW 1974, 1903, 1904). Im Hinblick auf die im Vorprozess erörterte Entscheidung BGH NJW-RR 1993, 519 musste die Beklagte eine für sie ungünstige gerichtliche Entscheidung durchaus in Betracht ziehen, so dass von einem unverschuldeten Rechtsirrtum nicht ausgegangen werden kann. Wenn die sie beratenden Rechtsanwälte die Rechtslage unzutreffend eingeschätzt haben sollten in dem Sinne, dass sie der Auffassung waren, die Klausel des Mietvertrags sei mit hinreichender Sicherheit unwirksam, handelt es sich um eine Fehleinschätzung, die sich die Beklagte gem. § 278 BGB zurechnen lassen muss (zur Anwendbarkeit des § 278 BGB in vergleichbaren Fällen s. Senatsurteil vom 30.10.1997 - 12 U 29/97 - ZMR 1998, 763 = WuM 1998, 23/4).

Die Klägerin hat zudem in ihrer Berufungserwiderung vom 8.10.2001 (GA 168) nochmals die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses ausgesprochen. Zu diesem Zeitpunkt kann ein unvermeidbarer Irrtum der Beklagten über die Rechtslage keineswegs mehr bejaht werden, da inzwischen das Urteil des Senats vom 18.5.2000 vorlag und sich auch das Landgericht in dem angefochtenen Urteil dieser Rechtsauffassung angeschlossen hatte.

3.

Eine Aussetzung des vorliegenden Rechtsstreits bis zum Abschluss des Revisionsverfahrens XII ZR 181/00 hält der Senat nicht für angezeigt. Die Abwägung der gegenläufigen Interessen der Prozessparteien spricht gegen eine solche Aussetzung. Bei Zugrundelegung der mietvertraglich vereinbarten Zahlungspflichten der Beklagten steht inzwischen eine Forderung der Klägerin von mehr als 370.000 DM offen. Auch wenn die Beklagte die in § 17 Abs. 1 des Mietvertrags vorgesehene Barkaution geleistet haben sollte, wäre ein Teilbetrag dieser Forderung von ca. 340.000 DM ungesichert. Inwieweit die von der Beklagten demgegenüber geltend gemachten Minderungsrechte und Schadensersatzansprüche bestehen, ist noch weitgehend ungeklärt. Dass der Klägerin bei einer eventuell durchzuführenden Abrechnung wechselseitiger Forderungen erhebliche Zahlungsansprüche zustehen, die bislang völlig ungesichert sind, ist nicht unwahrscheinlich. Bei einer Aussetzung wäre zu besorgen, dass noch erhebliche weitere Forderungen der Klägerin auflaufen, da über die Annahme oder Nichtannahme der Revision noch nicht entschieden ist, das Revisionsverfahren also möglicherweise noch längere Zeit in Anspruch nehmen wird. Andererseits musste die Beklagte - wie bereits dargestellt - damit rechnen, dass sie die von ihr reklamierten Gegenrechte dem Zahlungsbegehren der Klägerin nicht mit Erfolg entgegen halten kann und deshalb eine Kündigung wegen Zahlungsverzugs nur durch Zahlung des Mietzinses (ggfls. unter ausdrücklichem Vorbehalt) vermeiden konnte. Im Hinblick darauf wäre die Anordnung einer Aussetzung nur dann vertretbar, wenn die Beklagte der Klägerin eine angemessene Sicherheit für die entstandenen und während der Aussetzung zu erwartenden Mietzinsrückstände angeboten hätte, was jedoch nicht erfolgt ist.

4.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 I, 708 Nr. 7 u. 10, 711 ZPO.

Die Beschwer der Beklagten beträgt mehr als 60.000 DM.

Der Wert des Streitgegenstands für die erste und zweite Instanz wird (bezüglich der ersten Instanz zugleich in Abänderung der dem angefochtenen Urteil beigefügten Wertfestsetzung gem. § 25 II 2 GKG) auf 124.933,20 DM festgesetzt. Die Betriebskostenvorauszahlungen sind nach der Rspr. des BGH (NJW-RR 1999, 1385 f = NZM 1999, 794 = ZMR 1999, 615), der sich der Senat angeschlossen hat (Beschluss vom 3.7.2000 - 12 W 21/00 -), bei der Wertermittlung gem. § 16 II GKG nicht zu berücksichtigen.

Ende der Entscheidung

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