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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 30.04.2002
Aktenzeichen: 13 U 93/01
Rechtsgebiete: AGBG, BGB, ZPO


Vorschriften:

AGBG § 9
AGBG § 3
BGB § 138 Abs. 1
BGB § 138 Abs. 2
ZPO § 713
ZPO § 850c
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711 Satz 1
ZPO § 543 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 U 93/01

Anlage zum Protokoll vom 30. Januar 2002

Verkündet am 30. Januar 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 19. Dezember 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Eßer, den Richter am Oberlandesgericht Hentschel und den Richter am Amtsgericht Bröder

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 5. März 2001 verkündete Urteil des Landgerichts Bonn - 1 0 349/00 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

- Ohne Tatbestand gemäß § 543 Abs. 1 ZPO. -

Entscheidungsgründe:

Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat zwar - jedenfalls im Rahmen des Berufungsvorbringens - hinreichend dargelegt, welche Forderung Anlass für die Abgabe der Bürgschaftserklärung durch die Beklagte war, so dass die Inanspruchnahme der Beklagten aus der Bürgschaft vom 10.09.1994 in Höhe des vorliegend lediglich geltend gemachten Teilbetrages nicht an einer Unwirksamkeit bzw. Nichteinbeziehung nach §§ 3, 9 AGBG scheitert. Die Bürgschaftserklärung ist jedoch vor dem Hintergrund der bereits am 26.11.1993 über den Betrag von 380.100,00 DM abgegebenen Bürgschaftserklärung nach § 138 Abs. 1 BGB wegen krasser finanzieller Überforderung sittenwidrig und damit nichtig, so dass der Klägerin aus diesem Grunde der geltend gemachte Anspruch nicht zusteht.

1.

Die Inanspruchnahme der Beklagten aus der Bürgschaftserklärung vom 10.09.1994 scheitert nicht bereits daran, dass die Verpflichtung wegen der formularmäßig abgegebenen weiten Zweckerklärung nach § 9 AGBG unwirksam bzw. nach § 3 AGBG nicht in den Vertrag einbezogen worden ist. Denn bei einer (unzulässigen) weiten Zweckerklärung hat der Bürge - zu ermitteln im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung - (nur) für diejenige Forderung einzustehen, die Anlass der Bürgschaftsübernahme war (vgl. BGH NJW 1997, 3230, 3232; 2000, 658, 660). Dies gilt in gleicher Weise - auch im Falle einer Höchstbetragsbürgschaft (BGH NJW 2000, 658, 659 f. unter ausdrücklicher Aufgabe der in NJW 1996, 1470 ff., 1472 vertretenen Auffassung, bei einer Höchstbetragsbürgschaft verstoße die formularmäßige Erstreckung auf alle gegenwärtigen bestehenden Ansprüche nicht gegen § 9 AGBG) - für eine bestehende wie für eine künftige Verbindlichkeit. Im Falle eines den Anlass für die Bürgschaft bildenden Kontokorrentkredits ist dabei die Haftung des Bürgen auf das im Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme vereinbarte Kreditlimit begrenzt (BGH NJW 1998, 450, 452; Nobbe, Bankrecht - Aktuelle höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung, 1999, Rn. 1160, 1161). Welche Verbindlichkeit Anlass für die Verbürgung war, ist objektiv nach dem aktuellen Sicherungsinteresse des Gläubigers zu bestimmen. Es kommt dabei nicht darauf an, ob der Bürge einen bestimmten Kredit (oder eine sonstige Hauptschuld) vor Augen hatte, als er die Verpflichtung einging (BGH NJW 1996, 924; 1998, 450, 452; Nobbe, a.a.O., Rn. 1153).

Anlass für die Abgabe der Bürgschaftsverpflichtung der Beklagten am 10.09.1994 war die Einräumung eines Kreditlimits durch die Klägerin in Höhe von jedenfalls 76.000,00 DM an die Hauptschuldnerin, deren Geschäftsführer und Gesellschafter der Ehemann der Beklagten war. Dahinstehen kann, ob dieser Anlass von der Klägerin in erster Instanz nicht hinreichend dargelegt worden ist. Jedenfalls im Rahmen der Berufungsbegründung hat die Klägerin die entsprechende Darlegung nachgeholt und die Beklagte ist dem nicht in erheblicher Weise entgegen getreten. Bereits der zeitliche Zusammenhang zwischen der Abgabe der Bürgschaftserklärung und der Bewilligung der Überziehung des Geschäftskontos der Hauptschuldnerin deutet darauf hin, dass die Bewilligung der Kontoüberziehung Anlass für die Bürgschaftserklärung war. Jedenfalls bestand für die Kontoüberziehungen objektiv ein Sicherungsinteresse der Klägerin. Dass dieses subjektiv für die Beklagte auch erkennbar war, hat sie bereits in ihrem erstinstanzlichen Vortrag eingeräumt, indem sie vorgetragen hat, ihr Ehemann habe sie am Abend vor der Unterschriftsleistung angerufen und gebeten, sie möge die Bürgschaftserklärung unterschreiben, andernfalls der Hauptschuldnerin Zahlungsunfähigkeit drohe, da ohne die Abgabe der Bürgschaftserklärung die Klägerin sämtliche gegenüber der Hauptschuldnerin bestehenden Forderungen fällig stellen werde.

Im Hinblick auf die geltend gemachte Teilforderung ist unerheblich, ob entsprechend der Behauptung der Beklagten Anlass für die Abgabe der Bürgschaftserklärung die Einräumung einer Kreditlinie in Höhe von lediglich 76.000,00 DM oder, entsprechend der Behauptung der Klägerin, eine solche in Höhe von 93.000,00 DM war. Ferner ist unerheblich, ob die Einräumung der Kreditlinie zeitlich befristet war, da die Hauptforderung jedenfalls zu keinem Zeitpunkt unter den mit der vorliegenden Klage geltend gemachten Teilbetrag gesunken ist. Schließlich ist unerheblich das Bestreiten der Beklagten, es sei der Hauptschuldnerin zuvor keine Kreditlinie eingeräumt worden. Entscheidend ist allein der Anlass für die Abgabe der Bürgschaftserklärung, der objektiv in der Einräumung eines Kreditlimits jedenfalls bis zum Betrage von 76.000,00 DM bestanden hat. Auf die Tatsache, ob und in welcher Höhe zuvor bereits ein Kreditlimit eingeräumt gewesen sein mag, könnte es nur dann ankommen, wenn die Beklagte die Bürgschaft lediglich für eine bestehende und nicht auch für eine künftige Verbindlichkeit hätte übernehmen wollen, oder wenn es sich um einen unlimitierten Kredit gehandelt hätte. Dies wird aber weder von der Beklagten behauptet, noch ergeben sich diesbezügliche Anhaltspunkte aus den Umständen.

2.

Eine Inanspruchnahme der Beklagten aus der Bürgschaftsverpflichtung vom 10.09.1994 scheitert jedoch daran, dass die Verpflichtung wegen krasser finanzieller Überforderung der Beklagten nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist. Eine Anwendung von § 138 Abs. 2 BGB scheidet demgegenüber von vornherein aus, da es sich beim Bürgschaftsvertrag um einen einseitig verpflichtenden Vertrag handelt und es somit an einem in § 138 Abs. 2 BGB vorausgesetzten Leistungsaustausch fehlt (vgl. BGH NJW 2001, 2466, 2467; Nobbe/Kirchhoff, BKR 2001, 5, 7).

a)

Für die Beurteilung von Bürgschaftsverpflichtungen naher Angehöriger am Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB gelten nach der Rechtsprechung des BGH - sowohl des 9. als auch des 11. Senats -, der sich der Senat angeschlossen hat (OLG Report Köln 2001, 381 f; 361 ff. - zur Mithaftung; vgl. auch Nobbe/Kirchhof, Bürgschaften und Mithaftungsübernahmen finanziell überforderter Personen, BKR 2001, 5 ff.), im wesentlichen die folgenden Grundsätze:

Bürgschaftsverpflichtungen können nach § 138 Abs.1 BGB nichtig, da sittenwidrig sein, wenn ein krasses Missverhältnis zwischen dem Verpflichtungsumfang und der Leistungsfähigkeit des Bürgen besteht. Über den - objektiven - Umstand hinaus, dass der Bürge sich in einem Umfang verpflichtet, der seine im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehenden oder zu erwartenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse weit übersteigt, müssen jedoch noch weitere, dem Kreditgeber zurechenbare Umstände hinzutreten, durch die ein unerträgliches Ungleichgewicht zwischen dem Bürgen und dem Kreditgeber entsteht, das die Verpflichtung des Bürgen als rechtlich nicht mehr hinnehmbar erscheinen lässt. Liegt eine krasse Überforderung vor und handelt es sich bei dem Bürgen um den Ehegatten oder nahen Angehörigen des Hauptschuldners (bzw. um den Ehegatten des Geschäftsführers des Hauptschuldners; vgl. BGH NJW 2000, 362 f; ZIP 2001, 1954, 1955), so besteht eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass diese zusätzlichen subjektiven Umstände in der Person des Kreditgebers ebenfalls gegeben sind, insbesondere dass dieser weiss oder sich in vorwerfbarer Weise der Erkenntnis verschließt, dass der Bürge lediglich aufgrund der emotionalen Verbundenheit zum Hauptschuldner das ihn krass überfordernde und wirtschaftlich sinnlose Geschäft tätigt (BGH NJW 1999, 2584 ff; 2000, 1182 ff; 2001, 815 ff - zum Mithaftenden; 2466, 2467).

Eine krasse Überforderung kommt dann in Betracht, wenn die Verbindlichkeiten, für die der Bürge einstehen soll, so hoch sind, dass bereits bei Vertragsschluss feststeht und dem Kreditgeber dies bekannt ist oder sich ihm jedenfalls aufdrängen muss, dass der Bürge bei einer Inanspruchnahme, das heißt bei Verwirklichung des Risikos, auch bei günstiger Prognose die Forderung nicht einmal zu erheblichen Teilen wird tilgen können, bzw. nicht einmal in der Lage sein wird, die laufenden Zinsen aufzubringen (BGH a.a.O.). Dabei ist allerdings noch nicht abschließend geklärt, worauf bei den "aufzubringenden Zinsen" abzustellen (vertraglich geschuldete Zinsen oder Verzugszinsen) und wo die Grenze zu ziehen ist, wenn die Zinsen aufgebracht werden können, aber kein "erheblicher" oder "wesentlicher" Tilgungsbeitrag geleistet werden kann. Der 9. Zivilsenat des BGH hat jedenfalls seine frühere Rechtsprechung aufgegeben, wonach eine Überforderung dann anzunehmen sei, wenn nicht binnen fünf Jahren ein Viertel der Bürgschaftssumme aufgebracht werden könne (so noch BGH NJW 1997, 1003; aufgeben bzw. klargestellt in NJW 2000, 1182, 1183). Er stellt nunmehr nur noch darauf ab, ob die Verbindlichkeit, für die der Bürge einstehen soll, so hoch ist, dass bereits bei Vertragsschluss nicht zu erwarten ist, er werde die Forderung des Gläubigers wenigstens zu wesentlichen Teilen tilgen können. Davon sei "jedenfalls" dann auszugehen, wenn der Bürge voraussichtlich nicht einmal die laufenden Zinsen der Hauptschuld aufzubringen vermöge (a.a.O.). Auch der 11. Senat bejaht eine krasse finanzielle Überforderung grundsätzlich dann, wenn der Bürge voraussichtlich nicht einmal in der Lage sein wird, die laufenden Zinsen mit seinen eigenen finanziellen Mitteln auf Dauer aufzubringen (NJW 2001, 815, 816 zu Mitdarlehnsnehmern). Der Grund dafür, ein krasses Missverhältnis "jedenfalls" dann anzunehmen, wenn noch nicht einmal die Zinsen ganz aufgebracht werden können, liegt darin, dass - bei Eintritt des Sicherungsfalls - die Bürgschaftsverpflichtung zu einer ausweglosen lebenslangen Überschuldung führt, da die Hauptforderung nicht getilgt wird und die Zinsforderung immer weiter anwächst (vgl. Nobbe/Kirchhoff, a.a.O., S. 8).

Einzusetzen hat der Bürge nicht sein ganzes Einkommen, sondern lediglich den pfändbaren Teil seines Einkommens, da ihm wie jedem Schuldner nach den gesetzlichen Schutzvorschriften zur Sicherung des Existenzminimums ein unpfändbarer Teil des Einkommens verbleiben muss und ihm nicht angesonnen werden kann, diesen zur Tilgung von Verbindlichkeiten zur Verfügung zu stellen (Nobbe/Kirchhoff, a.a.O., S. 9). Einzubeziehen in die Beurteilung sind im übrigen nur die eigenen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Bürgen, und nicht die seiner Familie, insbesondere nicht die des Hauptschuldners (BGH NJW 2000, 1182, 1183; 2001, 815, 816). Hat der Bürge dagegen Vermögen, hat er dieses zu verwerten, um die Schuld zu tilgen; dies gilt auch im Falle eines von ihm bewohnten Hausgrundstücks (BGH NJW 2001, 2466, 2467). Dingliche Belastungen auf Grundvermögen sind wertmindernd zu berücksichtigen (Nobbe, a.a.O., Rn. 1052; Nobbe/Kirchhoff, a.a.O., S. 9 f). Liegt (pfändbares) Vermögen vor, welches den Betrag der Verpflichtung nicht abdeckt, so ist das Vermögen bei der Beurteilung der krassen finanziellen Überforderung in der Weise in die Berechnung einzubeziehen, dass zunächst der - gegebenenfalls um Belastungen verminderte - Wert des Vermögensgegenstandes von der Bürgschaftsschuld abzuziehen ist und die auf den verbleibenden Betrag entfallenden laufenden Zinsen zu errechnen sind. Sodann muss geprüft werden, ob der Bürge diese Zinsen aus seinem Einkommen aufzubringen vermag (Nobbe/Kirchhoff, a.a.O., S. 10). Anderweitige Sicherheiten sind nur dann - als die Belastung des Bürgen mindernd - zu berücksichtigen, wenn durch diese der Bürge in rechtlich gesicherter Weise vor einer (teilweisen) Inanspruchnahme geschützt ist. Schließlich sind nur dem Bürgen aus dem Hauptgeschäft zufließende eigene unmittelbare Vorteile grundsätzlich geeignet, die tatsächliche Vermutung, er habe die Bürgschaft lediglich aus emotionaler Verbundenheit übernommen, zu widerlegen. Der Erwerb bloß mittelbarer geldwerter Vorteile, so zum Beispiel bei Gewährung von Betriebsmittelkrediten für den Hauptschuldner, reicht nicht aus (BGH NJW 2000, 1182, 1184; 2001, 816, 817).

b)

Der Vortrag der für das Vorliegen der eine Sittenwidrigkeit begründenden objektiven und subjektiven Voraussetzungen darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten reicht zwar nicht aus, isoliert betrachtet die Bürgschaftsverpflichtung vom 10.09.1994 als sittenwidrig erscheinen zu lassen - die Darlegung der Belastung und der eigenen Leistungsfähigkeit sind dazu nicht hinreichend bestimmt. Die streitgegenständliche Bürgschaftsverpflichtung baut indes auf der Bürgschaftserklärung vom 26.11.1993 auf und ergänzt diese. Letztere ist jedoch in jedem Fall wegen krasser finanzieller Überforderung der Beklagten sittenwidrig, und zwar unabhängig davon, ob das im hälftigen Eigentum der Beklagten stehende Grundvermögen insgesamt einen Wert von "nur" 750.000,00 DM (so die Beklagte) oder einen solchen in Höhe von 1,2 Mio DM (so nach der Behauptung der Klägerin) hat.

Hinsichtlich der Bürgschaftsverpflichtung vom 10.09.1994 hat die Beklagte die daraus resultierende Belastung mit monatlich ca. 700,00 DM angegeben. Es dürfte sich dabei um die Verzugszinsen, berechnet nach einer Hauptforderung von ca. 90.000,00 DM, handeln. Mangels konkreter Darlegung ihrer Einkommensverhältnisse im Zeitpunkt des Eintritts des Sicherungsfalls sowie zur Notwendigkeit, Unterhaltsleistungen auch an ihren Ehemann in vollem Umfange erbringen zu müssen, und im Hinblick auf eine Zukunftsprognose, die eher auf ein steigendes Einkommen schließen lässt, steht zu Lasten der Beklagten nicht fest, dass sie den genannten Betrag nicht von ihrem pfändungsfreien Einkommen hätte aufbringen können.

Ohne nähere Darlegung ist bei der Berechnung des pfändungsfreien Einkommens nach § 850c ZPO der Ehemann der Beklagten nicht als Unterhaltsberechtigter zu berücksichtigen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Beklagte diesem gegenüber tatsächlich Unterhaltsleistungen erbracht hätte. Hierzu hat sie nichts konkretes vorgetragen. Legt man das zunächst angegebene Nettoeinkommen von 2.500,00 DM zugrunde, so ergibt sich zwar nach der Anlage zu § 850c ZPO bei zwei unterhaltsberechtigten Personen ein pfändbarer Betrag von nur 188,80 DM. Legt man demgegenüber jedoch die unstreitig im Februar 1999 erzielten 4.688,47 DM (netto) zugrunde, so verbleibt ein pfändbarer Betrag in Höhe von 1.593,27 DM (700,80 DM nach Tabelle sowie Mehrbetrag in Höhe von 892,47 DM). Berücksichtigt man das weitere Vorbringen der Beklagten, im Jahre 1994 habe das Einkommen ca. 5 % weniger als 1999 betragen, was rechnerisch zu einem Einkommen von 4.454,05 DM führt, so verblieb immer noch ein pfändbarer Betrag in Höhe von 1.358,85 DM, und damit in jedem Falle mehr als die Belastung von ca. 700,00 DM.

c)

Anders verhält es sich dagegen in Ansehung der Bürgschaft der Beklagten vom 26.11.1993 über die Summe von 380.100,00 DM. Die Eingehung dieser Verpflichtung hat die Beklagte auch unter Berücksichtigung des Grundvermögens finanziell krass überfordert. Dies führt zur Nichtigkeit nicht nur dieser Bürgschaftsverpflichtung, sondern, da die Klägerin vor Abgabe der streitgegenständlichen Bürgschaftserklärung nicht auf etwaige Rechte aus der früheren Bürgschaftserklärung verzichtet, sondern die Beklagte vielmehr auch aus dieser Bürgschaft in Anspruch genommen hat, zur Nichtigkeit auch der nachfolgenden Bürgschaft vom 10.09.1994.

Ausgehend - zu Lasten der Beklagten - von dem im Februar 1999 erzielten Nettoeinkommen verblieb nach der vorstehenden Berechnung der Beklagten ein pfändbarer Betrag in Höhe von 1.593,27 DM. Mit diesem Betrag konnte sie weder die nach dem Leasingvertrag von der Hauptschuldnerin geschuldeten Leasingraten von 6.778,59 DM monatlich noch bei Fälligstellung des Gesamtbetrages die anfallenden Verzugszinsen in Höhe von knapp 3.000,00 DM monatlich bezahlen, so dass es vorliegend nicht darauf ankommt, ob bei der Beurteilung der Überforderung auf die finanzielle Belastung, wie sie sich aus dem Vertrag zwischen Gläubiger und Hauptschuldner ergibt, oder auf diejenige nach Eintritt des Sicherungsfalles abzustellen ist.

An dieser Überforderung ändert sich auch dann nichts, wenn man entsprechend der Behauptung der Klägerin bei dem Grundvermögen, das im hälftigen Miteigentum der Beklagten steht, von einem Gesamtwert in Höhe von 1,2 Mio. DM ausgeht. Die Klägerin hat hinreichend dargelegt und belegt - aufgrund der beigezogenen Grundakten des Grundbuches von M. Bl. 1445, 1646 und 1647 sowie der vorgelegten Kontoauszüge zur Höhe der durch die Grundpfandrechte gesicherten Darlehen -, dass im Zeitpunkt der Abgabe der Bürgschaftserklärung dingliche Belastungen auf dem Grundvermögen in Höhe von 900.000,00 DM bestanden und die durch diese Belastungen gesicherten Kredite in Höhe von ca. 1 Mio. DM valutierten. Berücksichtigt werden kann daher bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Beklagten lediglich ein Gesamt-Vermögenswert in Höhe von 200.000,00 DM, von dem auf die Beklagte rechnerisch ein Anteil in Höhe von 100.000,00 DM entfällt. Zieht man diesen Vermögenswert von der eingegangenen Bürgschaftsverpflichtung ab und berechnet man die Belastung für die Beklagte aus einer Forderung von nur 280.100,00 DM, so verbleiben immer noch, bei einem von der Klägerin nicht bestrittenen Zinssatz von 9,25 %, ca. 2.150,00 DM monatlich anfallende Verzugszinsen. Auch dieser Betrag übersteigt noch erheblich das pfändungsfreie Einkommen der Beklagten bei Eingehung der Bürgschaftsverpflichtung.

Abgesehen von der Darlegung der Belastungen und des Wertes durch die Beklagte erscheint im übrigen zweifelhaft, dass die Klägerin keine Kenntnis von dem Wert des Grundstücks und dessen Belastung gehabt haben will. Denn zum einen ist nicht nachvollziehbar, warum die Klägerin zur Absicherung des Kredits nicht auf einer dinglichen Absicherung bestanden, sondern sich mit den Bürgschaften der Beklagten und ihres Ehemannes begnügt hat. Zum anderen entspricht es banküblichen Gepflogenheiten, die Werthaltigkeit einer Sicherung zu überprüfen, bei einer Bürgschaft mithin die Vermögensverhältnisse des/der Bürgen. Dann konnte der Klägerin aber nicht die Existenz des Hausgrundstücks verborgen geblieben sein. Wenn sie sich insoweit keine Sicherheit einräumen ließ, so deutet dies darauf hin, dass von ihr das Grundstück wegen anderweitiger Belastungen nicht mehr als taugliches Sicherungsobjekt angesehen worden ist.

Entgegen der Auffassung der Klägerin war auch nicht damit zu rechnen, dass eine erhebliche Steigerung der Leistungsfähigkeit der Beklagten, durch die die krasse finanzielle Überforderung beseitigt und die Beklagte in die Lage versetzt werden würde, einen wesentlichen Teil der Verbindlichkeiten zu tilgen, eintreten würde. Zwar kann nicht in Abrede gestellt werden, dass die Aussicht bestanden haben mag, die Beklagte werde wieder eine Vollzeitbeschäftigung annehmen; im Hinblick auf das Alter der zu betreuenden Kinder konnte die Klägerin jedoch nicht davon ausgehen, dass dies in absehbarer Zeit oder mittelfristig der Fall sein würde. Der Sicherungsfall ist im übrigen schon gut ein Jahr nach Abschluss des (Leasing-) Vertrages und der Abgabe der Bürgschaftserklärung eingetreten. Zu einem solch frühen Zeitpunkt war indes mit einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse nicht zu rechnen. Jedenfalls hat die Klägerin die tatsächliche Vermutung, dass die bei Eintritt des Sicherungsfalls tatsächlich vorhandenen Verhältnisse bei Abschluss des Bürgschaftsvertrages voraussehbar waren (vgl. dazu Nobbe/Kirchhoff, a.a.O., S. 10), nicht in der Weise widerlegt, dass die tatsächlich vorhandenen Verhältnisse hinter der realistischerweise zu treffenden Prognose zurückgeblieben wären.

d)

Die Nichtigkeit der Bürgschaftserklärung vom 26.11.1993 führt zur Nichtigkeit der streitgegenständlichen Bürgschaftsverpflichtung. Zwar handelt es sich bei beiden Verpflichtungen um getrennte Rechtsgeschäfte, gleichwohl verbietet sich nach Ansicht des Senats insbesondere wegen des engen zeitlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs und der Personenidentität eine isolierte Betrachtungsweise. Die Frage der finanziellen Überforderung ist vielmehr insgesamt und einheitlich zu beurteilen. So dürfte es außer Frage stehen, zwei oder mehrere Bürgschaftsverpflichtungen einer gemeinsamen Beurteilung zu unterziehen, wenn etwa die erste eingegangene Bürgschaftsverpflichtung noch keine krasse finanzielle Überforderung darstellt, dies für eine zweite Bürgschaftsverpflichtung in gleicher Weise gilt, das heißt, diese für sich genommen rechnerisch ebenfalls keine krasse finanzielle Überforderung begründet, beide oder die mehreren Bürgschaften zusammen jedoch zu einer krassen finanziellen Überforderung führen. Dies hat jedenfalls dann zu gelten, wenn der Gläubiger jeweils identisch ist. Denn in diesem Fall hat der Gläubiger Kenntnis (oder vorwerfbare Unkenntnis) von der Überforderung sowie dem Umstand, dass jede der Bürgschaften lediglich aus emotionaler Verbundenheit mit dem nahen Angehörigen abgegeben worden ist. Nichts anderes kann gelten, wenn bereits die erste von mehreren Bürgschaftsverpflichtungen sittenwidrig ist. Verfehlt wäre es, eine solche Bürgschaft bei der Beurteilung der nachfolgenden weiteren Bürgschaften mit der Begründung - so der Vortrag der Klägerin im Termin -außer Betracht zu lassen, infolge der Nichtigkeit gingen von dieser Verpflichtung keinerlei Wirkungen mehr aus, insbesondere bestünde keine Belastung mehr für den Bürgen. Dies lässt nicht nur unberücksichtigt, dass in Fällen des wirtschaftlichen Zusammenhangs die weiteren Bürgschaften auf der ersten nichtigen Bürgschaft aufbauen, sondern auch, dass die Zwangssituation für den Bürgen und deren Ausnutzung durch den Gläubiger, was beides die Bewertung des Rechtsgeschäftes als gegen die guten Sitten verstoßend begründet, so lange fortbesteht, wie der Gläubiger nicht auf etwaige Rechte aus der sittenwidrigen Bürgschaft verzichtet. So lange dies nicht geschieht, sieht sich der Bürge beiden oder den mehreren Forderungen des Gläubigers ausgesetzt und stellt sich die Gesamtsituation für ihn einheitlich dar. Der Unterschied zu den Fällen der Umschuldung, bei denen die Nichtigkeit des ersten Vertrages nicht automatisch die Nichtigkeit des zweiten zur Folge hat, sondern dieser gesondert auf eine etwaige Sittenwidrigkeit hin zu prüfen ist, liegt darin, dass -so jedenfalls vorliegend - durch die zweite Bürgschaftsverpflichtung nicht die erste Bürgschaftsverpflichtung abgelöst werden sollte. Vielmehr sollten beide Verpflichtungen nebeneinander bestehen, so dass der Bürge beiden Ansprüchen ausgesetzt ist.

Vorliegend dokumentiert sich die Zwangssituation für die Beklagte und der Zusammenhang der Verpflichtungen darin, dass beide Hauptforderungen und beide Bürgschaftsverpflichtungen dazu dienten, den vom Ehemann der Beklagten geführten Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten und dadurch das wesentliche Familieneinkommen zu sichern. Der besondere wirtschaftliche Zusammenhang zwischen den Bürgschaftserklärungen zeigt sich überdies darin, dass mit der streitgegenständlichen Bürgschaftsverpflichtung aufgrund der (nach §§ 3, 9 AGBG unwirksamen) weiten Zweckerklärung auch Ansprüche erfasst werden sollten, die bereits durch die Bürgschaft vom 26.11.1993 abgesichert waren, nämlich die Zahlung der monatlichen Leasingraten.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1, 713 ZPO.

4.

Streitwert für das Berufungsverfahren und Wert der Beschwer für die Klägerin: 50.000,00 DM.

Ende der Entscheidung

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