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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 16.05.2001
Aktenzeichen: 13 W 23/01
Rechtsgebiete: BGB, GKG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 138 Abs. 1
GKG § 1
ZPO § 127 Abs. 4
ZPO § 127 Abs. 2
ZPO §§ 567 ff
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

13 W 23/01 10 O 120/01 LG Aachen

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln durch den Vorsitzenden Richter des Oberlandesgerichts Eßer, den Richter am Oberlandesgericht Hentschel und den Richter am Amtsgericht Bröder

am 16. Mai 2001

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin vom 26. April 2001 gegen den ihr die Prozesskostenhilfe verweigernden Beschluss des Landgerichts Aachen vom 29. März 2001 - 10 O 120/01 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die gemäß §§ 127 Abs. 2, 567 ff ZPO zulässige Beschwerde ist in der Sache nicht begründet. Das Landgericht hat der Antragstellerin zu Recht Prozesskostenhilfe verweigert, da die Rechtsverteidigung der Beklagten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 ZPO).

In dem angegriffenen Beschluss geht das Landgericht zutreffend davon aus, dass jedenfalls eine krasse Überforderung der Beklagten durch die von ihr abgegebene Bürgschaftserklärung nicht festgestellt werden kann und sich eine von der Beklagten geltend gemachte Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1 BGB) auch nicht aus einer Gesamtwürdigung aller Umstände unter Berücksichtigung einer etwaigen finanziellen Überforderung ergibt.

Ein Bürgschaftsvertrag kann nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig sein, wenn der Bürge sich in einem Umfang verpflichtet, der seine im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehenden oder zu erwartenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse weit übersteigt, und noch weitere, dem Kreditgeber zurechenbare Umstände hinzutreten, durch die ein unerträgliches Ungleichgewicht zwischen dem Bürgen und dem Kreditgeber entsteht, das die Verpflichtung des Bürgen als rechtlich nicht mehr hinnehmbar erscheinen lässt (BGH NJW 1995, 1886, 1887; Nobbe, Bankrecht - Aktuelle höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung, 1999, Rdnr. 1054 m.w.N.). Allein eine objektiv bestehende finanzielle Überforderung des Bürgen reicht danach grundsätzlich noch nicht aus, um eine Sittenwidrigkeit zu begründen. Erst bei einer krass den Bürgen überfordernden Verpflichtung kann die Bürgschaft auch ohne das Hinzutreten weiterer Umstände regelmäßig als sittenwidrig angesehen werden. Eine krasse Überforderung in dem Sinne kommt dann in Betracht, wenn die Verbindlichkeiten, für die der Bürge einstehen soll, so hoch sind, dass bereits bei Vertragsschluss feststeht und dem Kreditgeber dies bekannt ist oder sich ihm jedenfalls aufdrängen muss, dass der Bürge bei einer Inanspruchnahme auch bei günstigster Prognose mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Forderung nicht einmal zu erheblichen Teilen wird tilgen können, bzw. nicht einmal in der Lage sein wird, die laufenden Zinsen aufzubringen (BGH a.a.O.; Nobbe, a.a.O., Rdnrn. 1079, 1083; Palandt, BGB, 60. Aufl. 2001, § 138 Rdnr. 38 b).

Vorliegend ist fraglich, ob überhaupt eine finanzielle Überforderung in dem genannten Sinne festgestellt werden kann, jedenfalls liegt keine krasse Überforderung der Beklagten vor. Bei der Beurteilung einer finanziellen Überforderung des Bürgen sind nicht nur dessen Einkommensverhältnisse - zugunsten der Beklagten kann davon ausgegangen werden, dass sie über kein eigenes Einkommen verfügte, das heißt kein Entgelt für ihre Mitarbeit in dem Betrieb ihres früheren Ehemannes erhielt, sondern durch die Mitarbeit zum Familienunterhalt beitrug -, sondern auch das Vermögen, insbesondere etwaiges Grundvermögen zu berücksichtigen. Reicht dieses zur Tilgung der Bürgschaftsschuld aus, so fehlt es an einer wirtschaftlichen Überforderung des Bürgen (Nobbe, a.a.O., Rdnrn. 1047-1050 m.w.N.). Auch wenn man auf dem Grundbesitz befindliche Belastungen vermögensmindernd abzieht, verfügte die Beklagte zumindest noch über einen Vermögenswert, der genau der Höhe der Bürgschaftsverpflichtung entsprach. Legt man den in dem von der Beklagten vorgelegten Gutachten F. (Bl. 69 ff d.A.) ermittelten Verkehrswert von 280.000,00 DM zugrunde (in ihrer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat die Beklagte sogar einen Wert von 320.000,00 DM angegeben), und zieht man hiervon die dingliche Belastung in Höhe von 200.000,00 DM ab - wobei zugunsten der Beklagten unberücksichtigt bleibt, ob die zugrundeliegende Forderung noch in dieser Höhe valutiert war -, so verbleibt für den hälftigen Miteigentumsanteil der Beklagten noch ein Wert in Höhe von 40.000,00 DM. Die später, im September 2000, erfolgte weitere Belastung des hälftigen Miteigentumsanteils der Beklagten (Höhe: 32.000,00 DM) hat zum einen außer Betracht zu bleiben, da es bei der Beurteilung der Vermögensverhältnisse auf den Zeitpunkt der Bürgschaftserklärung ankommt und weder vorgetragen ist noch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die weitere Belastung bereits im Zeitpunkt der Abgabe der Bürgschaftserklärung veranlasst oder auch nur absehbar war. Zum anderen zeigt die Belastung des Miteigentumsanteils der Beklagten, dass auch ohne eine Einwilligung ihres früheren Ehemannes der vorhandene Vermögenswert hätte realisiert werden können.

Die Beklagte hat des weiteren nicht dargetan, dass bei Eingehung der Bürgschaftsverpflichtung nicht damit gerechnet werden konnte, dass sie auch in absehbarer Zeit außer Stande sein würde, zu der Erfüllung der Verpflichtung aus eigenem Einkommen oder Vermögen in nennenswertem Umfange beizutragen. Die monatliche Belastung durch das Darlehen betrug lediglich 429,00 DM. Der Beklagten wäre es bereits dann möglich gewesen, diese laufenden Verbindlichkeiten zu bedienen, wenn sie, wie nach der Trennung bzw. Scheidung von ihrem Ehemann, eine zusätzliche Tätigkeit auf sogenannter 630,00 DM-Basis aufgenommen hätte. Dass sie dazu etwa aufgrund der familiären Verhältnisse (z.B. wegen der Betreuung von Kindern) nicht in der Lage war, ist weder vorgetragen noch ersichtlich; ausweislich der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sind jedenfalls unterhaltsberechtigte Angehörige nicht vorhanden, so dass die Beklagte nicht an der Aufnahme einer Tätigkeit gehindert war.

Eine krasse Überforderung wird schließlich auch nicht allein durch die absolute Höhe der Bürgschaftsverpflichtung (40.000,00 DM) in Ansehung des bei Abgabe der Bürgschaftserklärung nicht vorhandenen Einkommens indiziert (vgl. insoweit OLG Koblenz NJW-RR 2000, 639, 640 und Palandt a.a.O., je m.w.N.).

Selbst in dem Fall, in dem eine finanzielle Überforderung, wenngleich keine krasse Überforderung, anzunehmen sein sollte, führt die Gesamtwürdigung der Umstände nicht zur Annahme einer Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB. Zusätzliche Umstände, die geeignet sein könnten, die Sittenwidrigkeit der Bürgschaft zu begründen, hat die Beklagte nicht vorgetragen; die feststehenden Umstände sprechen gegen die Annahme der Sittenwidrigkeit. Allein die Tatsache, dass die Beklagte in der Entscheidungsfreiheit durch ihren früheren Ehemann als Hauptschuldner beeinträchtigt gewesen sein mag, reicht als zusätzlich belastender Umstand nicht aus. Zum einen ist dies bei einer Bürgschaft von Ehegatten oder nahen Angehörigen nicht selten der Fall, so dass die Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit nur dann rechtlich relevant werden kann, wenn etwa massiver psychischer Druck ausgeübt wird (vgl. Nobbe, a.a.O., Rdnr. 1063), zum anderen könnte dies nur dann Berücksichtigung finden, wenn der Klägerin ein solcher Umstand bekannt gewesen wäre. Davon ist jedoch ohne weitere Anhaltspunkte nicht auszugehen. Vielmehr kann der Kreditgeber grundsätzlich annehmen, dass die einem Familienbetrieb dienende Kreditgewährung den Wünschen und Interessen beider Ehepartner entspricht, auch wenn der Betrieb durch einen Ehepartner allein geführt wird bzw. diesem allein gehört. Insbesondere mit Blick darauf, dass aus dem wirtschaftlichen Erfolg des Betriebes auch der sich verbürgende Ehegatten Nutzen ziehen kann, darf der Kreditgeber davon ausgehen, dass auch dieser an der Einräumung des Kredits unmittelbar interessiert ist (OLG Koblenz a.a.O.).

Im Rahmen der Gesamtwürdigung spricht gegen die Annahme der Sittenwidrigkeit die vorgenannte Tatsache, dass der Beklagten jedenfalls mittelbar der von der Klägerin gewährte Kredit zugute gekommen ist, da der Gewerbebetrieb die wirtschaftliche Lebensgrundlage für die Beklagte und ihren früheren Ehemann darstellte. Dem steht nicht die Auffassung des BGH entgegen, dass im Falle einer krassen Überforderung des Bürgen nur diesem unmittelbar zufließende eigene geldwerte Vorteile zu berücksichtigen sind (NJW 2000, 1182, 1184; für den Fall der Mithaftung: NJW 2001, 815, 817). Denn dabei geht es um die Frage, ob bei einer krassen Überforderung, bei der es regelmäßig nicht der Feststellung sonstiger belastender Umstände zur Annahme der Sittenwidrigkeit bedarf, diese krasse Überforderung gewissermaßen durch dem Bürgen zufließende Vorteile kompensiert wird und dadurch ausnahmsweise der Sittenverstoß entfallen kann. Dies hindert nicht, im Rahmen einer vorzunehmenden Gesamtabwägung, wenn der Sittenverstoß nicht alleine aufgrund einer krassen Überforderung indiziert ist, zu berücksichtigen, dass der Verpflichtete auch mittelbar von der Darlehensgewährung profitiert (vgl. BGH NJW 1999, 135 für den Fall der Mithaftung des Ehegatten).

Schließlich kann bei einer Abwägung auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass neben der Bürgschaftsverpflichtung der Beklagten die Rückzahlung des Kredits durch zwei Lebensversicherungen gesichert war. Deren Verwertung hat zu einer nicht unerheblichen Reduzierung der Hauptforderung (um ca. 1/3) und damit auch der Verpflichtung der Beklagten aus der Bürgschaftserklärung geführt.

Einer Kostenentscheidung bedurfte es nicht, §§ 1 GKG, 127 Abs. 4 ZPO.



Ende der Entscheidung

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