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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 08.05.2009
Aktenzeichen: 16 AR 3/09
Rechtsgebiete: PolG NW, HSOG, FGG, BadWürttPolG, FEVG, FamFG


Vorschriften:

PolG NW § 36
PolG NW § 36 Abs. 1
PolG NW § 36 Abs. 1 Satz 1
PolG NW § 36 Abs. 2 Satz 1
PolG NW § 36 Abs. 2 S. 2
HSOG § 33 Abs. 2 Satz 1
FGG § 5
FGG § 5 Abs. 1 S. 1
FGG § 5 Abs. 2
FGG § 28 Abs. 2
FGG § 43 Abs. 1 Halbsatz 2
BadWürttPolG § 26
FEVG § 3 S. 2
FEVG § 13 Abs. 1
FEVG § 13 Abs. 1 Satz 1
FEVG § 13 Abs. 2
FamFG § 415 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Örtlich zuständig für die richterliche Entscheidung gem. § 36 PolG NW nach polizeilicher Ingewahrsamnahme im Zusammenhang mit den für das Wochenende vom 08. bis 10.05.2009 geplanten Veranstaltungen der "Bürgerbewegung M" im Raum Köln ist für Personen, die im Bezirk des Amtsgerichts Siegburg in Gewahrsam genommen werden, das Amtsgericht Siegburg.

Gründe:

I.

Am Wochenende vom 08. bis 10.05.2009 sind im Raum Köln Veranstaltungen, u. a. eine Großkundgebung der Organisation "Bürgerbewegung M" geplant, welche einen Polizeieinsatz wahrscheinlich machen. Vorbereitend hat die Polizei eine Gefangenensammelstelle (GeSa) in Brühl eingerichtet, in der betroffene Personen in Gewahrsam gehalten werden sollen. Die Polizei hat dem Amtsgericht Siegburg mitgeteilt, dass auch im dortigen Bezirk mit Polizeieinsätzen zu rechnen ist und dass Betroffene, die dort in Gewahrsam genommen werden, in die GeSa nach Brühl verbracht werden sollen.

Dem Senat ist durch eine telefonische Vorabinformation des Vorsitzenden am gestrigen Nachmittag und anschließender Übersendung eines Vermerks der Direktorin des Amtsgerichts Siegburg bekannt geworden, dass sowohl die Richter des Amtsgerichts Brühl wie auch diejenigen des Amtsgerichts Siegburg bei Personen, die im Zusammenhang mit den geplanten Veranstaltungen im Bezirk des Amtsgerichts Siegburg in Gewahrsam genommen werden, ihre örtliche Zuständigkeit verneinen. Ferner wurde seitens des Senats anhand einer Google-Recherche festgestellt, dass auf einer Internetseite seit dem 07.05.2009 13:06 eine Liste kursiert, wonach neben einem Treffpunkt am ICE Bahnhof Siegburg-Bonn als "einziger Treffpunkt, der für unabhängig anreisende Kongressteilnehmer öffentlich bekannt gegeben wird", weitere Treffpunkte vorgesehen sind (xxx).

II.

1.

Der Senat ist gem. § 5 Abs. 1 S. 1 FGG als gemeinschaftliches oberes Gericht der beteiligten Amtsgerichte zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts berufen. Die Sachentscheidungsvoraussetzungen der gesetzlichen Vorschrift liegen vor. Der Senat konnte, nachdem er von der Ungewissheit der Beurteilung der Zuständigkeitsfrage Kenntnis erlangt hat, auch ohne Vorlage durch eines der beteiligten Amtsgerichte das Bestimmungsverfahren von Amts wegen einleiten (OLG Hamm NJW 2006, 2707; Keidel/Sternal, FGG, 15. Aufl., § 5, Rz. 46).

Die Zuständigkeitsbestimmung ist auch bereits jetzt im Vorfeld etwaiger Ingewahrsamnahmen möglich. Zwar kann eine Bestimmung grundsätzlich nur ergehen, wenn die Gerichte, deren örtliche Zuständigkeit zweifelhaft ist, mit einer konkreten Angelegenheit bereits befasst sind. Von diesem Grundsatz ist indes eine Ausnahme nicht nur möglich, sondern sogar zwingend geboten, weil ansonsten die Gewährung effektiven Rechtsschutzes für die möglicherweise betroffenen Personen nicht gewährleistet wäre. Es muss nämlich aufgrund der mitgeteilten Auffassung der Richter der Amtsgerichte Brühl und Siegburg damit gerechnet werden, dass diese im Falle ihrer Befassung eine sachliche Entscheidung über eine Fortdauer der Freiheitsentziehung von Personen ablehnen werden, die im Amtsgerichtsbezirk Siegburg in Gewahrsam genommen werden. Da es sich bei diesen Ingewahrsamnahmen nur um Freiheitsentziehungsmaßnahmen von nicht langer Dauer, unter Umständen nur von einigen Stunden handeln wird, liegt es auf der Hand, dass in einer solchen Situation eine auf die jeweiligen konkreten Verfahren bezogene Zuständigkeitsbestimmung des Oberlandesgerichts nicht vor Beendigung der Maßnahme selbst ergehen könnte. Die Ablehnung einer richterlichen Sachentscheidung allein aus Gründen fehlender örtlicher Zuständigkeit würde also im Ergebnis dazu führen, dass der Rechtsschutz durch die richterliche Entscheidung, die § 36 Abs. 1 PolG NW für den Betroffenen auf der Grundlage des Art. 104 Abs. 2 S. 2 GG auch bei einer kurzfristigen Freiheitsentziehungsmaßnahme gerade gewährleisten will, vereitelt würde (OLG Hamm a. a. O.; OLG Frankfurt NJW 2006, 3443; OLG Karlsruhe NJW 2009, 926; LG Köln, Beschluss vom 27.04.2006 - 1 T 174/06 -).

Der Senat hat trotz der Veröffentlichung der Treffpunktliste, die auch zu Polizeieinsätzen an anderen Orten führen kann, die Zuständigkeitsbestimmung auf die von der Direktorin des Amtsgerichts Siegburg mitgeteilte Situation des Streits zweier Amtsgerichte in verschiedenen Landgerichtsbezirken zu beschränken, da er für die Bestimmung bei Streitigkeiten zwischen Amtsgerichten innerhalb desselben Landgerichtsbezirks nicht zuständig ist (§ 5 Abs. 1 FGG). Er hat sich ferner nur insoweit zu einer Bestimmung veranlasst gesehen, als ihm konkret bekannt geworden ist, dass Richter die hier abgelehnte Auffassung vertreten haben. Er kann nicht vorsorgend für den gesamten OLG-Bezirk eingreifen, soweit ihm keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass auch an anderen Orten eine Ungewissheit im Sinne des § 5 FGG entstehen wird (OLG Frankfurt a. a. O.). Zudem liegen die meisten der in der Liste enthaltenen Treffpunkte im Landgerichtsbezirk Köln, in dem es die oben zitierte einschlägige Entscheidung der 1. Zivilkamer des Landgerichts Köln vom 27.04.2006 gibt.

2.

Im Zusammenhang mit den geplanten Veranstaltungen ist nicht das Amtsgericht Brühl als Gericht des Ortes, an dem sich die GeSa befindet, sondern das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk betroffene Personen in Polizeigewahrsam genommen werden.

Damit weicht der Senat von den oben genannten Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte ab und folgt im Ergebnis der Auffassung des LG Köln in dem ebenfalls bereits angeführten Beschluss.

Maßgeblich hierfür sind folgende Erwägungen:

a)

Gem. § 36 Abs. 2 Satz 1 PolG NW ist für die richterliche Entscheidung über die Fortdauer der Freiheitsentziehung gem. § 36 Abs. 1 PolG NW dasjenige Amtsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Betroffene festgehalten wird.

Das OLG Hamm und ihm folgend die OLG Frankfurt und Karlsruhe für die gleich lautenden Vorschriften des § 33 Abs. 2 Satz 1 HSOG bzw. § 26 BadWürttPolG leiten aus der allgemeinen Vorschrift des § 43 Abs. 1 Halbsatz 2 FGG, die infolge der Verweisung in §§ 36 Abs. 2 S. 2 PolG NW, 3 S. 2 FEVG anwendbar sei, unter Bezugnahme u. a. auf eine frühere Entscheidung des Senats in einer Unterbringungssache (OLG Köln JMBl NW 1959, 30) her, dass wegen des Begriffs des "Festhaltens" auf den Zeitpunkt abzustellen sei, in dem das Gericht mit der Sache befasst werde. Damit wird allerdings vorausgesetzt, dass bei Großereignissen eine Befassung der Gerichte erst zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die betroffene Person bereits in die GeSa verbracht worden ist, dass die Polizei normalerweise erst zu diesem Zeitpunkt eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen braucht und dass die Frage, ob im Einzelfall bereits vorher die richterliche Entscheidung nachzuholen war, einer Prüfung der Rechtmäßigkeit des Polizeigewahrsams im Rahmen der Sachentscheidung des Richters vorzubehalten ist (Ziff. 12 und 14 des Abdrucks der Gründe des OLG Hamm in juris). Ferner entnehmen sie der Formulierung, dass das Gericht des Ortes zuständig ist, an dem die betroffene Person festgehalten "wird" her, dass der zentrale Gewahrsamsort maßgeblich sei.

Dem vermag der Senat nicht beizutreten. Die genannte Betrachtungsweise wird dem Richtervorbehalt des Art. 104 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BVerfG nicht hinreichend gerecht. Eine dem Richtervorbehalt unterliegende Freiheitsentziehung liegt bereits in dem Moment vor, in dem die - tatsächlich und rechtlich an sich gegebene - körperliche Bewegungsfreiheit einer Person nach jeder Richtung hin aufgehoben wird (BVerfGE 94, 166 [198]; BVerfG NJW 2002, 3161), und zwar für eine mehr als kurzfristige Zeitdauer (BVerfG NJW 2004, 3697). Die Unterbringung in einer abgeschlossenen Einrichtung, etwa einem Gewahrsamsraum oder dem abgeschlossenen Teils eines Krankenhauses ist für den Tatbestand einer Freiheitsentziehung nicht zwingend erforderlich, wie etwa die Wendung "insbesondere" vor der Erwähnung dieser Einrichtungen in der Definition des Begriffs der Freiheitsentziehung in dem zum 01.09.2009 in Kraft tretenden § 415 Abs. 2 FamFG deutlich macht.

Der betroffenen Person "wird" daher bereits in dem Moment die Freiheit entzogen, in dem sie von Polizeieinsatzkräften in Gewahrsam genommen wird, und zwar nicht nur kurzfristig, sondern mit dem Ziel, sie für eine gewisse Zeit durch Verbringung in einen Gewahrsamsraum "aus dem Verkehr zu ziehen". Die Polizei ist daher bei der vorgesehenen Verbringung des Betroffenen in eine zentrale GeSa gehalten, "unverzüglich", also ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt (BVerfG NJW 2002, 3161), die richterliche Entscheidung nachzuholen. Derartige Gründe, die der Herbeiführung einer solchen Entscheidung entgegenstehen, sind aber nicht erst nach dem Transport des Betroffenen in die GeSa, sondern lange vorher von dem Moment entfallen, in dem er aus dem Umfeld herausgelöst ist, das ein Eingreifen erforderlich machte. Nunmehr können die polizeilichen Einsatzkräfte ohne weiteres die richterliche Entscheidung nachholen, zu der sie gem. Art. 104 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 36 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 PolG NW und § 13 Abs. 1 Satz 1 FEVG verpflichtet sind.

Auch das OLG Hamm verkennt nicht, dass es Situationen geben kann, die die Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung bereits zu einem Zeitpunkt erforderlich macht, in dem der Betroffene sich noch am Ort der Festnahme befindet (Ziff. 14 des Abdrucks der Gründe des OLG Hamm in juris). Wenn es meint, einer entsprechenden Situation könne dadurch Rechnung getragen werden, dass im Rahmen der richterlichen Sachentscheidung der Richter am Ort der GeSa die Rechtmäßigkeit der Verbringung der betroffenen Person in die GeSa überprüfen und ggf. die Beendigung des Gewahrsams anordnen könne, verkennt es, dass beides nichts miteinander zu tun hat. Im Rahmen des Nachholens der richterlichen Entscheidung nach § 13 Abs. 1 FEVG entscheidet der Richter nur über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung für die Zukunft und nicht über die Rechtmäßigkeit des vorgelagerten Behördengewahrsams (OLG Frankfurt InfAuslR 1997, 313). Zu letzterem bedarf es eines gesonderten Antrags gem. § 13 Abs. 2 FEVG , der auch nach - in anderem Zusammenhang geäußerter - Auffassung des OLG Hamm einen selbständigen Verfahrensgegenstand darstellt (OLG Hamm FGPrax 2005, 90 = JMBl. NW 2007, 80).

Die Frage der Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung stellt sich demnach nicht erst nach dem Transport der betroffenen Person in die GeSa, sondern bereits vorher am Ort der Festnahme. Der für diesen Ort zuständige Richter hat daher über die Fortsetzung der Freiheitsentziehung zu entscheiden. Dies ist vorliegend das Amtsgericht Siegburg.

b)

Schließlich ist das Argument des Landgerichts Köln in dem Beschluss vom 27.04.2006 nicht von der Hand zu weisen, dass es bei einer anderen Betrachtungsweise in der Hand der Verwaltungsbehörde läge, bei Großereignissen durch die Bestimmung einer zentralen GeSa für Ingewahrsamnahmen in verschiedenen Amtsgerichtsbezirken die gerichtliche Zuständigkeit zu bestimmen. Dies hat nichts mit der Befürchtung etwaiger Manipulationen zu tun, wie das OLG Hamm und das OLG Frankfurt meinen, sondern ist schlichtweg eine Feststellung. Natürlich kann und muss die Polizei die organisatorischen Maßnahmen treffen, die für ein möglichst optimales Eingreifen gegen eine unter Umständen große Zahl von Störern notwendig sind. Folge des behördlichen Organisationsaktes der Einrichtung eines zentralen Gewahrsamsortes kann es allerdings nicht sein, dass bei Großereignissen eine andere richterliche Zuständigkeit begründet wird als bei dem Normalfall eines polizeilichen Einschreitens gegen Einzelpersonen.

3.

Der Senat kann trotz der Abweichung von der Auffassung anderer Oberlandesgerichte die nach § 5 Abs. 2 FGG nicht anfechtbare Zuständigkeitsbestimmung selbst treffen; denn eine Vorlage an den Bundesgerichtshof gem. § 28 Abs. 2 FGG kommt im Verfahren nach § 5 FGG nicht in Betracht (Keidel/Sternal, § 5 FGG Rz. 36).

Ende der Entscheidung

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