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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 27.09.2002
Aktenzeichen: 16 U 67/02
Rechtsgebiete: ZPO, GVG


Vorschriften:

ZPO § 522
GVG § 119
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

16 U 67/02

In Sachen

pp.

hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln durch seine Mitglieder Dr. Schuschke, Jennissen und Appel-Hamm

am 27.09.2002

beschlossen:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 22.05.2002 verkündete Urteil des Amtsgerichts Kerpen - 20 C 428/01 - wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrnes zu tragen.

Gründe:

I.

Aus Anlass eines Verkehrsunfalls vom 09.01.2002 im Bereich des Autobahnkreuzes K. verlangt der Kläger von den Beklagten zu 1. und 2., die beide ihren Wohn- bzw. ihren Firmensitz in den Niederlanden haben, als Fahrer bzw. Halterin eines Lkws sowie von der Beklagten zu 3. als inländische Regulierungsbeauftragte nach dem Auslandshaftpflichtgesetz Schadensersatz in Höhe von 1.722,03 €.

Mit einem dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 29.05.2002 zugestellten Urteil hat das Amtsgericht Kerpen die Klage abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger mit einem an das Landgericht Köln vom 25.06.2002 gerichteten Schriftsatz, der per Fax noch am gleichen Tag bei der Fernkopierstelle als gemeinsamer Briefannahmestelle des Amts- und Landgerichts Köln und am 26.06.2002 auf der Geschäftsstelle der Berufungszivilkammer eingegangen ist, Berufung eingelegt. Nachdem auch das Original der Berufungsschrift nebst Abschriften eingegangen war, hat die Geschäftsstelle am 26.06.2002 die Akten beim Amtsgericht angefordert und die Zustellung der Berufungsschrift an den Prozessbevollmächtigten der Beklagten verfügt. Nach Eingang der Berufungsbegründung am 25.07.2002 per Fax bzw. am 27.07.2002 im Original hat der Vorsitzende der Berufungszivilkammer mit Verfügung vom 29.07.2002, auf die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts nach § 119 Abs. 1 Nr. 1. b) GVG n. F. hingewiesen und die Abgabe der Sache an das Oberlandesgericht veranlasst, wo die Akte am 01.08.2002 eingegangen ist.

Mit einem an das Landgericht gerichteten Schriftsatz vom 08.08.2002 hat der Kläger die Berufung zurückgenommen, soweit sie gegen die Beklagten zu 1. und 2. gerichtet ist. Diese Rücknahme hat er nochmals mit einem an das Oberlandesgericht gerichteten Schriftsatz seines weiteren Prozessbevollmächtigten vom 12.08.2002 erklärt und zugleich wegen Fortfalls der Voraussetzungen des § 119 Abs. 1 Nr. 1. b) GVG die Verweisung der Sache an das Landgericht beantragt.

II.

Die Berufung des Klägers ist verspätet eingelegt und daher gem. § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen.

Es handelt sich um eine Sache, bei der gem. § 119 Abs. 1 Nr. 1. b) GVG eine Berufungszuständigkeit des Oberlandesgericht besteht, da die Klage gegen "eine Partei" gerichtet ist, die im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit ihren allgemeinen Gerichtsstand im Ausland hatte. Letzteres war gem. den insoweit maßgeblichen §§ 13, 17 ZPO bei den Beklagten zu 1. und 2. unzweifelhaft der Fall. Die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts ist auch dann begründet, wenn eine Klage gegen verschiedene Streitgenossen gerichtet ist, und nur einer bzw. nur ein Teil von ihnen seinen allgemeinen Gerichtsstand im Ausland hat (vgl. Zöller/Gummer, ZPO 23. Auflage, § 119 GVG Rdn. 14). Die vereinzelt vertretene Meinung, im Hinblick darauf, dass das Gesetz die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts nicht für Ansprüche vorsehe, die "auch" für oder gegen eine im Ausland wohnende Partei geltend gemacht werden, und es deshalb zu einer Prozesstrennung komme(Heidemann NJW 2002, 494), ist unrichtig. Bereits nach dem Wortlaut des Gesetzes, nämlich wegen der Verwendung des unbestimmten Artikels kann es nicht zweifelhaft sein, dass es ausreicht, wenn "ein" Streitgenosse seinen allgemeinen Gerichtsstand im Ausland hat. Auch in diesem Fall richtet sich die Klage gegen "eine Partei" mit fehlendem inländischen Wohnsitz bzw. Sitz. Auch ergibt sich aus der Systematik des Rechtsmittelrechts, dass gegen ein bestimmtes Urteil immer nur eine Berufung bei einem bestimmten Gericht statthaft ist und eine Prozesstrennung, welche die hohe Gefahr sich widersprechender Entscheidungen in sich bergen würde und im Falle notwendiger Streitgenossen ohnehin nicht möglich wäre, dem Berufungsrecht fremd ist. Der von der Gegenmeinung angeführte Vergleich mit der selbständigen Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen von Berufungen bei der Anfechtbarkeit mehrerer Teilurteile (Heidemann a.a.O.), greift schon deshalb nicht, weil ein Teilurteil nur dann ergehen kann, wenn die noch ausstehende Entscheidung davon sachlich unabhängig und die Gefahr widersprechender Entscheidungen ausgeschlossen ist (vgl. Zöller/Vollkommer a.a.O. § 301 Rdn. 2 ff.), die Situation also eine ganz andere ist, als bei einem einzigen Urteil, das für oder gegen mehrere Streitgenossen ergangen ist. Wegen der erforderlichen Einheitsbetrachtung ist beispielsweise bei der Verbindung einer kaufrechtlichen Rückabwicklungsklage mit einer Kartellklage auf Weiterbelieferung dann, wenn das Landgericht die Nicht-Kartellsache nicht abgetrennt, sondern über beide Ansprüche in einem Urteil entschieden hat, für das gesamte Berufungsverfahren, also auch für die Entscheidung über die Nicht-Kartellsache der Kartellsenat eines Oberlandesgericht bzw. das nach § 93 GWB zuständige besondere Oberlandesgericht zuständig (vgl. Karsten Schmidt in Immenga/Mestmäker, GWB, 3. Auflage, § 91 Rdn. 8).

Da die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts nicht davon abhängt, dass die Berufung von einer Partei im Ausland eingelegt ist oder sich das Rechtsmittel gegen eine Partei im Ausland richtet, sondern maßgeblicher Anknüpfungspunkt der ausländische Wohnsitz bzw. Sitz im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit ist, hat die Rücknahme des gegen die Beklagten zu 1. und 2. gerichteten Rechtsmittels keinen Einfluss auf die Zuständigkeit. Für eine Verweisung der Sache an das Landgericht ist daher kein Raum. Das erst am 01.08.2002 und damit lange nach Ablauf der einmonatigen Berufungsfrist des § 517 ZPO eingelegte, mithin unzulässige Rechtsmittel konnte dadurch ohnehin nicht zulässig werden, da es für die Zulässigkeit auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels ankommt.

Die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen wegen Versäumung der Berufungsfrist und - hierdurch bedingt - der Berufungsbegründungsfrist gem. den §§ 233, 236 Abs. 2 S. 2 ZPO scheidet aus.

Der Kläger war nicht ohne Verschulden an der Wahrung dieser beiden Fristen gehindert. Sein Prozessbevollmächtigter, dessen Verschulden ihm gem. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist, hatte die seit dem 01.01.2002 geltende Regelungen über die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts nach § 119 Abs. 1 GVG in Fällen mit Auslandsbezug sowie die Übergangsvorschrift des § 26 Nr. 5 EGZPO, wonach für die Berufung die Neuregelung in allen nach dem 01.01.2002 verhandelten Sachen gilt, zu kennen, zumal die durch das ZPO-Reformgesetz geschaffene neue Rechtslage im Berufungsrecht Gegenstand einer Vielzahl von Fachbeiträgen war, u. a. verbunden mit Hinweisen zu Haftungsrisiken für einen Anwalt (vgl. zu letzterem Jungk AnwBl 2001, 565; siehe im übrigen z. B. Büttner, MDR 2001, 1201; Schellhammer MDR 2001, 1141; Heidemann a.a.O.; Stackmann NJW 2002, 781). Wenn er gleichwohl bei einem nicht zuständigen Gericht das Rechtsmittel einlegte, so gereicht ihm dies zum Verschulden, zumal es ihm unbenommen gewesen wäre, dann, wenn für ihn die Zuständigkeitsfrage zweifelhaft gewesen wäre, den "sichersten Weg" zu gehen und das Rechtsmittel vorsorglich bei beiden in Betracht kommenden Gerichten einzulegen (vgl. Heidemann a.a.O.). So wird es teilweise auch von Rechtsanwälten, die entsprechendes Problembewusstsein haben, gehandhabt, wie dem Senat, bei dem geschäftsplanmäßig Sachen nach § 119 Abs. 1 b) und c) GVG konzentriert sind, aus anderen Verfahren bekannt ist.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt auch nicht im Hinblick darauf in Betracht, dass bei sofortiger Weiterleitung der Rechtsmittelschrift an das Oberlandesgericht aller Voraussicht nach die Berufungsfrist gewahrt worden wäre. Zwar hat der Bundesgerichtshof im Anschluss an eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass eine statt an das Rechtsmittelgericht an das Ausgangsgericht adressierte Rechtsmittelschrift wegen einer aus dem Gebot des fairen Verfahrens folgenden nachwirkenden Fürsorgepflicht im ordentlichen Geschäftsgang an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten und dem Rechtsmittelführer dann, wenn sich diese Weiterleitung verzögert, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (vgl. BVerfG NJW 1995, 3171 =BVerfGE 93, 99; BGH NJW 1998, 908 = MDR 1998, 363). Auch kann nach aller Erfahrung davon ausgegangen werden, dass bei einer Weiterleitung der Sache am Mittwoch, dem 26.06.2002, dem Tag an dem die Geschäftsstelle der Berufungszivilkammer die Sache durch die Aktenanforderung bearbeitet hat, die Berufungsschrift bis zum darauffolgenden Montag, dem 01.07.2002, an dem die Berufungsfrist ablief, bei dem Oberlandesgericht eingegangen wäre. Die vorstehenden Grundsätze können indes nicht auf die vorliegende Konstellation übertragen werden. Hier war die Berufungsschrift gerade nicht an das Ausgangsgericht oder - was dem möglicherweise gleichzustellen ist - an ein Gericht gerichtet, bei dem die Unzuständigkeit auf der Hand lag. Vielmehr war das Rechtsmittel bei einem Gericht eingelegt worden, das gem. § 72 GVG Berufungsgericht in allen vor den Amtsgerichts verhandelten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ist, soweit nicht eine Zuständigkeit des Oberlandesgerichts begründet ist. Die Geschäftsstelle der Berufungszivilkammer, der die Bearbeitung neu eingehender Berufungen zunächst obliegt, durfte daher davon ausgehen, dass die Einlegung bei dem Landgericht dem Willen des Rechtsmittelführers entsprach und eine Einlegung bei dem Oberlandesgericht gerade nicht gewollt war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den § 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO.

Berufungsstreitwert: 1.722,03 €

Ende der Entscheidung

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