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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 25.06.2004
Aktenzeichen: 16 W 21/04
Rechtsgebiete: AVAG


Vorschriften:

AVAG § 3 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

16 W 21/04

In Sachen

hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln durch seine Mitglieder Dr. Schuschke, Jennissen und Ahlmann

am 25.06.2004

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bonn vom 16.01.2004 - 12 O 4/04 - wird zurückgewiesen.

Die Schuldnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe:

I.

Die im Verhandlungstermin säumig gebliebene Schuldnerin ist durch Urteil einer Kammer für Handelssachen des Amtsgerichts von und in Luxemburg verurteilt worden, 13.619,76 € zuzüglich Zinsen und Kosten zu zahlen. Auf einen an die Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bonn gerichteten Antrag hat der Vorsitzende der 2. Kammer für Handelssachen dieses Urteil für vollstreckbar erklärt. Gegen die ihr am 03.03.2004 zugestellte Entscheidung wendet sich die Schuldnerin mit ihrer am 05.05.2004, einem Montag, eingegangenen Beschwerde, mit der sie unter Zeugenbeweisantritt geltend gemacht hat, im Ausgangsverfahren sei ihr das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß zugestellt worden. Vielmehr habe sich in dem ihr zugestellten Schriftstück lediglich ein mit "ANNEXE" überschriebenes Schriftstück befunden, das lediglich Angaben mit den Daten der am Verfahren beteiligten Personen bzw. Institutionen enthalten habe.

Der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen ist daraufhin in die Prüfung einer etwaigen Abhilfe eingetreten und hat vor der Kammer, also unter Beteiligung der Handelsrichter eine Zeugin vernommen. Sodann hat die Kammer beschlossen, der Beschwerde nicht abzuhelfen und die Sache dem Oberlandesgericht vorzulegen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig; insbesondere steht der Umstand, dass der Prozessbevollmächtigte der Schuldnerin sein Mandat inzwischen niedergelegt hat, der Zulässigkeit nicht entgegen. Aus der Bestimmung in § 6 Abs. 3 AVAG, wonach im ersten Rechtszug eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht erforderlich ist, folgt nicht die unbedingte Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung im Beschwerdeverfahren; denn diese kann gem. § 11 Abs. 2 AVAG auch zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden. Entsprechendes gilt gem. § 13 Abs. 2 AVAG für weitere Prozesshandlungen, solange keine mündliche Verhandlung angeordnet ist. Nur für das Verfahren mit mündlicher Verhandlung besteht gem. den §§ 13 Abs. 2 AVAG, 78 Abs. 3 ZPO Anwaltszwang (vgl. Zöller/Geimer, ZPO 24. Auflage, § 11 AVAG Rdn. 4, § 13 Rdn. 1; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO 23. Auflage, Art. 43 EuGVVO Rdn. 17) mit der weiteren Folge, dass auch § 87 Abs. 1, 2. Alt. ZPO nicht eingreift, also die Mandatsniederlegung sofort wirksam geworden ist.

In der Sache hat die Beschwerde keinen Erfolg.

1.

Es ist allerdings zweifelhaft, ob der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen funktionell zuständig war. Für Vollstreckbarkeitssachen nach dem AVAG ist auch nach der gesetzlichen Neufassung an sich nur und ausschließlich der Vorsitzende einer Zivilkammer zuständig (§ 3 Abs. 3 AVAG). Zwar soll gem. § 55 Abs. 1 AVAG die Vorschrift des § 3 dann keine Anwendung finden, wenn dem Vollstreckbarkeitsverfahren die EGVVO zugrunde liegt, nach dessen Anhang II der "Vorsitzende einer Kammer des Landgerichts" zuständig ist. Durch den Ausschluss des § 1 sollte aber wegen der Regelung der Zuständigkeit in Art. 39 Abs. 1 EGVVO i. V. m. Anhang II nur der Anschein einer nach EG-Recht unzulässigen Doppelregelung vermieden werden (vgl. BT-Drucks. 14/7207; Zöller/Geimer, ZPO 24. Auflage, § 55 AVAG Rdn. 1; Hub NJW 2001, 3145 [3150]). Eine Abweichung gegenüber dem früheren Rechtszustand und demjenigen nach Art. 39 EuGVÜ/LGVÜ, deren Regelung wegen des in Deutschland zuständigen Gerichts im Anhang II der EGVVO unverändert übernommen wurde, war damit nicht beabsichtigt. In der Literatur wird demzufolge auch im Anwendungsbereich der EGVVO auch weiterhin - wie selbstverständlich - nur der Vorsitzende einer Zivilkammer als zuständig angesehen (vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO 25. Auflage, Art. 39 EGVVO Rdn. 1; Schlösser, EU-Zivilprozessrecht, 2. Auflage, Art. 39 EuGVVO Rdn. 1).

Ob dem zu folgen ist, kann indes letztlich offen bleiben; denn die Schuldnerin hat eine etwaige fehlende funktionelle Zuständigkeit des Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen nicht gerügt. Zwar ist die in erster Instanz von Amts wegen zu prüfende Zuständigkeit auch vom Beschwerdegericht nachprüfbar, wie der Senat mit Beschluss vom 17.03.2004 - 16 W 2/04 - auf eine entsprechende Rüge hin für die örtliche und sachliche Zuständigkeit entschieden hat. Dies beruht darauf, dass der Ausschluss von Zuständigkeitsrügen in § 571 Abs. 2, S. 2 ZPO wegen des nur einseitigen Verfahrens erster Instanz im Beschwerdeverfahren nach dem AVAG keine entsprechende Anwendung finden kann. Ein etwaiger Mangel der funktionellen Zuständigkeitsmangel führt indes regelmäßig nur zu einer Anfechtbarkeit und damit zu einer Rügeobliegenheit des Rechtsmittelführers (vgl. Thomas/Putzo a. a. O. vor § 1 ZPO Rdn. 11). Eine entsprechende Rüge ist nicht erfolgt.

2.

Prozessual unzulässig war es, dass das Landgericht auf die Beschwerde hin in die Prüfung einer etwaigen Abhilfe gem. § 572 ZPO eingetreten ist und zu diesem Zweck eine Zeugin vernommen hat, und zwar vor der gesamten Kammer einschließlich der Handelsrichter. Eine Zuständigkeit der Kammer insgesamt ist im Vollstreckbarkeitsverfahren nirgends begründet. Wenn und soweit entsprechend § 572 ZPO eine Abhilfebefugnis bestände, könnte dies daher ohnehin nur durch den als erstinstanzliches Organ nur zuständigen Vorsitzenden erfolgen. Indes scheidet eine entsprechende Befugnis von vornherein aus. Zwar können die §§ 567 ff. ZPO im Beschwerdeverfahren nach dem AVAG entsprechende Anwendung finden, aber nur sofern sich nicht aus der EGVVO, dem jeweils anwendbaren Übereinkommen oder dem AVAG nicht etwas anderes ergibt (vgl. Zöller/Geimer a. a. O. § 11 AVAG Rdn. 1). Vorliegend ist es bereits zweifelhaft, ob die Regelung in § 11 Abs. 2 AVAG, wonach die Zulässigkeit der Beschwerde nicht durch die Einlegung beim Landgericht berührt wird und dieses verpflichtet ist, die Sache unverzüglich an das Oberlandesgericht abzugeben, überhaupt mit Art. 43 Abs. 2 EuGVVO i. V. m. Anlage III zur EuGVVO, nach der die Beschwerde beim Oberlandesgericht einzulegen ist, in Einklang zu bringen ist (vgl. die Nachweise zum Meinungsstand in dem Senatsbeschluss vom 17.03.2004 - 16 W 2/04 - ). Jedenfalls ist es alleine Sinn und Zweck des § 11 Abs. 2 AVAG unbillige Härten für den zu vermeiden, der in Unkenntnis der Besonderheiten des Vollstreckbarkeitsverfahrens entsprechend den allgemeinen Vorschriften der ZPO Beschwerde beim Ausgangsgericht einlegt. Deshalb besteht nach allgemeiner Meinung keine Abhilfemöglichkeit (vgl. BT-Drucks. 11, 351 S. 22; OLG Zweibrücken InVo 2004, 250; Thomas/Putzo/Hüßtege a. a. O. Art. 43 EuGVVO Rdn. 1; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 7. Auflage, Art. 43 Rdn. 10; EuGVVO Rdn. 10; Zöller/Geimer a. a. O. § 11 AVAG Rdn. 4).

3.

Ob die hiernach verfahrenswidrig durchgeführte Beweisaufnahme des Landgerichts vor der Kammer zu der Frage, ob der Schuldnerin das verfahrenseinleitende Schriftstück ordnungsgemäß zugestellt worden ist, für das weitere Beschwerdeverfahren verwertbar ist, bedarf ebenfalls keiner Entscheidung; denn der Versagungsgrund des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO liegt auch auf der Grundlage des Sachvortrags der Schuldnerin nicht vor. Nach Nr. 2 bleibt nämlich - in bewusster Abkehr von der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ - auch in Fällen einer Säumnisentscheidung ein Zustellungsmangel folgenlos, wenn der Beklagte gegen die Ausgangsentscheidung kein Rechtsmittel eingelegt hat, obwohl er die Möglichkeit hierzu hatte. Um einen derartigen Fall handelt es sich hier. Gegen das ihm am 04.09.2003 zugestellte Versäumnisurteil des Amtsgerichts von und in Luxemburg hätte die Schuldnerin gem. Art. 90 der luxemburgischen ZPO innerhalb von 15 Tagen Einspruch einlegen können. Zudem war ihr als Partei mit Sitz im Ausland gem. Artt. 571, 573 der luxemburgischen ZPO die Möglichkeit eröffnet, nach Ablauf der Einspruchsfrist innerhalb einer von 40 auf 55 Tagen verlängerten weiteren Frist Berufung einzulegen. Von beiden Möglichkeiten hat die Schuldnerin keinen bzw. keinen formgerechten Gebrauch gemacht, weil die von ihrem früheren Prozessbevollmächtigten unterzeichnete Rechtsmittelschrift vom 21.09.2004 wegen der fehlenden Zulassung bei dem zuständigen luxemburgischen Berufungsgericht nicht der gesetzlichen Form i. S. d. Art. 584 der luxemburgischen ZPO entsprach.

Da auch die formellen Voraussetzungen für eine Vollstreckbarkeitserklärung unzweifelhaft vorliegen, war die Beschwerde mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Beschwerdewert: bis 14.000,00 €

Ende der Entscheidung

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