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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 17.10.2007
Aktenzeichen: 16 W 24/07
Rechtsgebiete: ZPO, AVAG


Vorschriften:

ZPO § 240
ZPO § 567
ZPO § 722
ZPO § 723
AVAG §§ 11 ff.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Es wird festgestellt, dass das Verfahren wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. dem polnischen Gesetz über das Insolvenz- und Sanierungsrecht über das Vermögen der Antragsgegnerin unterbrochen ist.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Mit einem im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gem. Art. 730 ff. der polnischen Zivilverfahrensordnung ergangenen Beschluss vom 02.04.2007 hat das Appellationsgericht Warschau zur Sicherung eines von der französischen Antragstellerin geltend gemachten und vor einem Schiedsgericht anhängigen Schadensersatzanspruchs von 1,994 Milliarden Euro die Pfändung angeblicher Ansprüche der polnischen Antragsgegnerin gegen Drittschuldner mit Sitz in Deutschland angeordnet. Diesen Beschluss hat der Vorsitzende der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bonn am 14.05.2007 für vollstreckbar erklärt. Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde, die am 27.07.2007 eingelegt worden ist. Danach, nämlich mit Beschluss vom 21.08.2007 hat das Bezirksgericht Warschau bezüglich der Antragsgegnerin das Insolvenzverfahren eröffnet, Eigenverwaltung angeordnet und einen Vergleichsverwalter bestellt.

II.

Die Eröffnung des polnischen Insolvenzverfahrens hat nach Auffassung des Senats zu einer Unterbrechung des anhängigen Beschwerdeverfahrens gem. § 240 ZPO geführt, was klarstellend festzustellen war.

1.

Bei dem polnischen Insolvenzverfahren handelt es sich um ein Verfahren, das gem. Art. 16 EuInsVO anzuerkennen ist mit der Folge, dass sich deren Wirkungen auf einen in Deutschland anhängigen "Rechtsstreit" gem. Art. 15 EuInsVO nach deutschem Verfahrensrecht richten. Dies führt dazu, dass bei einer Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Antragsgegners in einem anderen Mitgliedsstaat der EU die Unterbrechungswirkung des § 240 ZPO grundsätzlich in gleicher Weise eintritt wie bei einer inländischen (vgl. z. B. Gruber IPRax 2007, 426 [427]; Rauscher/Mäsch, EuZPR, Art. 15 EuInsVO Rdn. 4; Zöller/Greger, ZPO 26. Auflage, § 240 Rdn. 6).

Zweifelhaft und umstritten ist es allerdings, ob es sich bei dem Vollstreckbarkeitsverfahren nach Art. 38 ff. EuGVVO i. V. m. dem AVAG um einen "Rechtsstreit" i. S. d. Art. 15 EuInsVO handelt bzw. - unter nationalem Blickwinkel - ob die für das Erkenntnisverfahren geltende Vorschrift des § 240 ZPO auch im Vollstreckbarkeitsverfahren gilt. Für das erstinstanzliche Verfahren vor dem Vorsitzenden der Zivilkammer gem. Art. 40, 41 EuGVVO wird dies wegen der nur einseitigen Verfahrensgestaltung ohne Möglichkeit für den Schuldner bzw. einen etwaigen Insolvenzverwalter, sich am Verfahren zu beteiligen, ganz überwiegend verneint (OLG Bamberg IPRax 2007, 454 mit insoweit zustimmender Anm. Gruber IPrax 2007, 426 [428], Hess, IPRax 1995, 16 [18]; Mankowski ZIP 2004, 1577 [1579]; OLG Dresden FamRZ 2006, 563 für ein Vollstreckbarkeitsverfahren nach dem HUVÜ 1958 i. V. m. § 2 Abs. 1 AusführungsG u. §§ 1063 Abs. 1, 1064 Abs. 2 ZPO; a. A. OLG Dresden IPRspr 2001, Nr. 182, 383; wohl auch MünchKommInsO/Reinhart, Art. 101 EGInsO Rdn. 172).

Anders ist es dagegen beim Beschwerdeverfahren gem. Art. 43 EuGVVO i. V. m. §§ 11 ff. AVAG. Dieses ist kontradiktorisch ausgestaltet und unterscheidet sich von einer Vollstreckbarkeitsklage gem. dem §§ 722, 723 ZPO letztlich nur dadurch, dass ohne Strukturwandel das Verfahren erleichtert wird - z. B. durch eine nur fakultative mündliche Verhandlung - und aufgrund von europarechtlichen oder staatsvertraglichen Vorgaben zur Wahrung des Überraschungseffekts gegenüber dem Schuldner eine Verlagerung der Prüfung möglicher Einwendungen gegen die Vollstreckbarkeit in das Beschwerdeverfahren erfolgt (Gesetzesbegründung zum AVAG 1988 - BT-Drucksache 11/351 S. 19). Bei dem Verfahren nach den §§ 722, 723 ZPO handelt es sich aber um solches, das die Durchsetzung ausländischer Ansprüche vorbereiten soll und damit um einen "ordentlichen Zivilprozess", auf das die allgemeinen Vorschriften des Erkenntnisverfahrens Anwendung finden (BGHZ 118, 312 [316], unter juris Gliederungs-Nr. 11). Nichts anderes kann daher auch für das vereinfachte kontradiktorische Verfahren nach Art. 43 EuGVVO i. V. m. §§ 11 ff. AVAG gelten, auf das im Übrigen die Vorschriften der §§ 567 ZPO über das Beschwerdeverfahren ergänzend Anwendung finden (BT-Drucksache 11/351 S. 23). Deswegen ist § 240 ZPO als Teil des allgemeinen Verfahrensrechts zumindest im Falle einer Inlandsinsolvenz auch auf das Beschwerdeverfahren nach dem AVAG anzuwenden (OLG Zweibrücken NZI 2001, 148; Gruber a. a. O. S. 429, Hess, a. a. O. S. 17; Mankowski a. a. O. S. 1579; a. A. OLG Saarbrücken NJW-RR 1994, 636; Stein/Jonas/Roth, ZPO 22. Auflage, § 240 Rdn. 5).

Soweit teilweise die Anwendung des § 240 ZPO im Beschwerdeverfahren nach dem AVAG auf eine Inlandsinsolvenz beschränkt wird (Gruber a. a. O. S. 429], kann dem nicht gefolgt werden. Durch die EuInsVO soll ein Insolvenzverfahren in einem anderen Mitgliedsstaat einem inländischen weitestgehend gleichgestellt werden. Deshalb ist es den Gerichten durch Art. 15 EuInsVO verwehrt, § 240 ZPO dahingehend auszulegen, dass ausländischen Insolvenzverfahren anders als inländischen keine Unterbrechungswirkung zukommt (Rauscher/Mäsch, EuZPR, 2. Auflage, Art. 15 EG-InsVO Rdn. 4). Wegen des Umstandes, dass es sich bei dem Beschwerdeverfahren um ein dem Erkenntnisverfahren gleichgestelltes Verfahren handelt, auf das die allgemeinen Vorschriften der ZPO grundsätzlich Anwendung finden, kann es keinen Unterschied machen, ob die Insolvenz eine inländische ist oder nicht. Sinn und Zweck des Art. 15 EuInsVO ist es, dass das Gericht, bei dem ein "Rechtsstreit" anhängig ist, sich wegen der Wirkungen der ausländischen Insolvenz auf das Verfahren nicht - wie an sich grundsätzlich in Art. 4 Abs. 1 i. V. m. dem Regelbeispiel des Abs. 2 lit. f, 1. Halbsatz EuInsVO vorgesehen - mit dem für ihn normalerweise unbekannten ausländischen Verfahrensrecht befassen soll, sondern sein eigenes Recht anwenden kann (Rauscher/Mäsch a. a. O. Rdn. 1). Das muss in gleicher Weise dann gelten, wenn es in einem kontradiktorischen Verfahren darum geht, ob einem ausländischen Anspruch im Inland Geltung verschafft, dieser also tituliert werden kann. Es kann deswegen nicht darauf ankommen, ob im konkreten Fall das Vollstreckbarkeitsverfahren Auswirkungen auf die Rechtsstellung der Beteiligten des ausländischen Insolvenzverwahrens hat (verneinend Gruber a.a. O. für das französische Insolvenzverfahren). Eine derartige Betrachtungsweise würde dazu führen, dass das geschehen müsste, was durch Art. 15 EuInsVO gerade vermieden werden soll, nämlich dass sich das Gericht, das zu prüfen hat, ob ein Anspruch - im Inland - tituliert werden kann, sich mit Insolvenzrecht eines anderen Mitgliedsstaates zu befassen hat.

Der Umstand schließlich, dass Eigenverwaltung angeordnet worden ist, steht schon im Falle einer Inlandsinsolvenz nach zutreffender h. M. der Unterbrechungswirkung des § 240 ZPO nicht entgegen (OLG München MDR 2003, 412; OLG Naumburg ZInsO 2000, 505; Musielak/Stadler, ZPO 5. Auflage, § 240 Rdn. 1; Stein/Jonas/Roth, a. a. O. Rdn. 3; a. A. MünchKommZPO/Feiber, 2. Auflage, § 240 Rdn. 10). Deshalb bedarf es auch insoweit keiner Prüfung, welche Befugnisse die Eigenverwaltung polnischen Rechts, bei der nach den Gründen des Eröffnungsbeschlusses die Organe der Schuldnerin für Tätigkeiten, die "über den Bereich der üblichen Verwaltung hinausgehen" die Genehmigung des Vergleichsverwalters einzuholen haben, in Bezug auf das anhängige Vollstreckbarkeitsverfahren der Schuldnerin gibt. Ihrer bloßen Mitteilung in dem Schriftsatz vom 28.09.2007, dass das Insolvenzverfahren eröffnet sei, kann jedenfalls eine Aufnahme des Verfahrens nicht entnommen werden. Der Umstand, dass sie zugleich zu den Hinweisen und Anheimgaben in der Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 22.08.2007 sowie zu der Beschwerdeerwiderung Stellung nimmt, erklärt sich zwanglos damit, dass sie Rechtsnachteile vermeiden will, zumal die Frage der Unterbrechung - wie aufgezeigt - nicht unproblematisch ist.

Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen. Es handelt sich nicht um eine Entscheidung, zu der bereits kraft Gesetzes gem. § 574 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO i. V. m. Art. 44 EuGVVO und dem Anhang IV der EuGVVO die Rechtsbeschwerde eröffnet ist, da der Senat über die Beschwerde der Antragsgegnerin gerade nicht entschieden, sondern beschlossen hat, diese wegen der Insolvenzeröffnung derzeit nicht zu bescheiden. Vielmehr handelt es sich um eine Zwischenentscheidung, die wegen der zum Ausdruck gebrachten Weigerung des Gerichts, sich derzeit mit der Sache zu befassen, in entsprechender Anwendung des § 252 ZPO grundsätzlich anfechtbar ist (vgl. Zöller/Greger, a. a. O. § 252 Rdn. 1; siehe auch BGH NJW 2005, 290 zur Anfechtbarkeit eines Zwischenurteils über die Feststellung der Unterbrechung eines Verfahrens gem. § 240 unter bestimmten Voraussetzungen). Die hierfür im vorliegenden Fall einer Entscheidung des Oberlandesgerichts erforderlichen zusätzlichen Voraussetzungen des § 574 Abs. 1 Ziff. 2, Abs. 2, Ziff. 1, Abs. 3 ZPO liegen vor; denn die Sache hat grundsätzliche Bedeutung. Die Frage, welche Wirkungen eine Insolvenz in einem anderen Mitgliedsstaat der EU auf ein in der Beschwerdeinstanz befindliches inländisches Vollstreckbarkeitsverfahren nach den Art. 38 ff. EuGVVO hat, kann eine unbestimmte Vielzahl von Fällen betreffen und ist bisher nicht höchstrichterlich geklärt. Die innerstaatliche Möglichkeit der Herbeiführung einer letztinstanzlichen Entscheidung durch den Bundesgerichtshof durch Zulassung der Rechtsbeschwerde schließt gem. Art. 68 EGV zugleich eine Möglichkeit des Senats aus, zu den vorstehend aufgeworfenen Fragen der Auslegung des Art. 15 EuInsVO die Sache dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen.

Ende der Entscheidung

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