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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 04.11.2002
Aktenzeichen: 16 W 38/01
Rechtsgebiete: EuGVÜ


Vorschriften:

EuGVÜ Art. 27
EuGVÜ Art. 28
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

16 W 38/2001

Anl. zum Protokoll v. 4.11.2002

verkündet am 4.11.2002

In dem Vollstreckbarerklärungsverfahren

pp.

hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln durch seine Mitglieder Dr. Schuschke, Jennissen und Dr. Ahn-Roth aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 7.10.2002

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 25.5.2002 - 1 O 117/01 - wird kostenfällig mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der für vollstreckbar erklärte Beschluss der Arrondissementsrechtbank Maastricht vom 2.2.1998 ( nicht : 25.11.1997 ) datiert. Gründe:

Die nach Art. 36, 37 EuGVÜ in Verbindung mit §§ 11, 12 Abs.1 AVAG i.d.F. vom 19.2.2001 zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Es findet noch das EuGVÜ vom 27.9.1968 in der Fassung des 4. Beitrittsabkommens vom 29.11.1996 Anwendung, da die EuGVVO vom 22.12.2000, die nunmehr die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen regelt, in Anbetracht ihrer Übergangsvorschriften ( Art. 66 I, II EuGVVO ) für den vorliegenden Fall, in dem es um die Vollstreckbarkeit einer Entscheidung vom 2.2.1998 geht, noch keine Geltung hat.

Die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss vom 2.2.1998 der Arrondissementrechtbank ( Landgericht ) Maastricht ist zu Recht erfolgt, da die Voraussetzungen für eine Vollstreckbarerklärung vorliegen und keine Ablehnungsgründe bestehen, Artt. 31, 34 Abs. 2, 27, 28 EuGVÜ.

Nach den genannten Vorschriften ist die Vollstreckungsklausel für eine in einem Vertragsstaat ergangene Entscheidung zu erteilen, wenn die formellen Voraussetzungen vorliegen und die in Art 27 und 28 EuGVÜ aufgeführten Anerkennungshindernisse nicht entgegenstehen.

In förmlicher Hinsicht ist der Antrag vom 8.3.2001 nicht zu beanstanden. Anerkennungshindernisse liegen nicht vor, insbesondere handelt es sich nicht um eine Säumnisentscheidung.

Die Einwendungen des Antragsgegners, die die Zahlungspflicht als solche betreffen und die Trennungsunterhalt für die Zeit bis zur rechtskräftigen Scheidung ( 23.12.1999 ) zum Inhalt haben, greifen nicht durch. Zwar sind sie in diesem Verfahren nach § 12 Abs. 1 AVAG beachtlich, da sie erst nach Erlass der Entscheidung entstanden sein sollen.

Soweit der Antragsgegner sich auf Verwirkung beruft, weil die Antragstellerin erst am 7.2.2001 den Beschluss vom 2.2.1998 hat zustellen lassen, können die entsprechenden Voraussetzungen nicht festgestellt werden. Dabei kann an dieser Stelle offen bleiben, ob die Voraussetzungen nach deutschem oder niederländischem Recht zu beurteilen sind. Die Antragstellerin war unwiderlegbar bis Mitte 2001 in den Niederlanden wohnhaft, so dass nach Art. 4 des Haager Übereinkommens über das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht v. 2.10.1973 das am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Unterhaltsberechtigten geltende Recht Anwendung findet - entsprechend der Regelung in Art. 18 Abs. 1 EGBGB- , mithin hier niederländisches Recht beachtlich ist. Verwirkung wird im niederländischen Recht in Zusammenhang mit Art. 6 : 2 ( = Art. 2 des Buches 6 ) NBW behandelt. Dieser Art. sieht vor, dass Gläubiger und Schuldner sich untereinander nach Treu und Glauben zu verhalten haben. Art. 6 Abs. 2 bestimmt, dass eine Regel, die u.a. aufgrund Rechtsgeschäfts gelten würde, keine Anwendung findet, soweit dies unter den gegebenen Umständen nach Maßgabe von Treu und Glauben unannehmbar wäre. Hierbei ist "redelijekheid" (Redlichkeit) nicht völlig gleichzusetzen mit dem Begriff "Treu" im deutschen Recht, sondern entspricht eher der Angemessenheit oder Vernünftigkeit (vgl. Mincke, Einführung in das niederländische Recht, Rz. 88).

Ob nach niederländischem Recht bereits nach 3 Jahren das Zeitmoment für eine Verwirkung erfüllt sein kann, das die Durchsetzung der Ansprüche hindern könnte, kann hier offen bleiben. Denn jedenfalls verstößt die prozessuale Geltendmachung der 1998 titulierten Ansprüche drei Jahre später im vorliegenden Fall nicht gegen Treu und Glauben. Die Gläubigerin hat im März 1999, also ein Jahr nach Titulierung, durch Schreiben ihres Rechtsanwalts vom 23.3.1999 (Bl. 193 d.A.) an den Antragsgegner, der den Erhalt einräumt, diesen zur Zahlung der Unterhaltsrückstände aus dem Beschluss vom 2.2.1998 aufgefordert. Dass sie diesen Anspruch danach zunächst nicht weiterverfolgt hat, kann angesichts der damaligen tatsächlichen Umstände nicht als Treu und Glauben widersprechend angesehen werden. Der Antragsgegner befand sich bis zum 22.12.1999 in Haft, so dass Vollstreckungsmaßnahmen wenig erfolgversprechend erscheinen durften. Selbst wenn er noch über Vermögenswerte verfügt haben sollte, war aus Sicht der Antragstellerin die Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen mit Hilfe der Justiz zu dieser Zeit kaum sinnvoll, da das Scheidungsurteil vom 30.9.1999 des niederländischen Gerichts wegen der Haftverbüßung von einer Zahlungsunfähigkeit des Antragsgegners ausging (Bl. 195 f. d.A.). Ein Zuwarten der Gläubigerin bei dieser Situation bis Anfang 2001, also ein Jahr nach Haftentlassung erscheint weder unangemessen, noch gegen Treu und Glauben verstoßend. Auch der Schuldner konnte bei Gesamtbetrachtung ihres Verhaltens und der Umstände nicht darauf vertrauen, dass sie endgültig auf ihre Ansprüche verzichten wollte.

Das Vorgehen der Antragstellerin kann auch nicht als missbräuchlich im Sinne des Art. 3:13 NBW gesehen werden. Die in Art. 13 Abs. 2 genannten Alternativen des Rechtsmissbrauchs (s. dazu Mincke, a.a.O., Rz. 89) liegen nicht vor. Sie verlangen entweder eine Schädigungsabsicht des Gläubigers, eine Zweckentfremdung einer bestehenden Rechtsposition oder Unverhältnismäßigkeit zwischen der Rechtsausübung und der Schädigung des anderen. Keiner dieser Tatbestände wird durch das Vorgehen der Antragstellerin in Anbetracht der damaligen Verhältnisse erfüllt. Für eine Schädigungsabsicht der Antragstellerin fehlen Anhaltspunkte; für die anderen Alternativen sind schon aufgrund des Sachverhalts keine Hinweise ersichtlich. Auch bei Anwendung deutscher Rechtsvorschriften kann Verwirkung nicht bejaht werden. Ob diese bei titulierten Forderungen überhaupt vor Verjährungseintritt (vier Jahre, § 218 Abs. 2 BGB a. F.) vorliegen kann, ist umstritten und bisher nicht höchstrichterlich geklärt (vgl. zum Meinungsstreit: OLG Stuttgart, FamRZ 99, 859; OLG Karlsruhe, FamRZ 93, 1456; KG, FamRZ 94, 771; OLG Düsseldorf, FamRZ 94, 771; zuletzt wohl OLG Hamburg, FAmRZ 02, 327 mit Zulassung der Revision). Unabhängig vom Zeitmoment fehlt hier jedenfalls das Umstandsmoment, da der Schuldner aufgrund des Verhaltens der Gläubigerin, die nach einem Jahr Zahlung ihrer Forderung verlangt und diesen Anspruch ersichtlich wegen der äußeren Umstände nicht weiter verfolgt hat, kein Vertrauen darauf haben konnte, sie werde diese Ansprüche nicht mehr weiterverfolgen.

Das weitere Vorbringen des Antragsgegners, die Gläubigerin habe bei verschiedenen Gelegenheiten im Jahr 1998 und (nochmals) im Jahr 2000 auf ihre Rechte aus diesem Titel verzichtet, konnte durch die vor dem Senat durchgeführte Beweisaufnahme nicht erhärtet werden. Bereits der Sachvortrag erscheint schwer nachvollziehbar, weil es weder der Sache nach erforderlich ist, dass der Gläubiger bei verschiedenen Gelegenheiten wiederholt den Verzicht auf bestimmte Rechte erklärt, noch ein solches Verhalten üblich ist. Üblicherweise wird einmal Einigung über einen Verzicht herbeigeführt, die dann zu der gewollten dauerhaften Rechtsfolge führt, so dass diese Frage für die Beteiligten für die Zukunft erledigt ist.

Auch das Vorliegen eines Verzichts beurteilt sich wegen des damaligen niederländischen Aufenthaltsortes der Gläubigerin nach niederländischem Recht. Gesetzlich geregelt ist der Verzicht als Vertrag zwischen den Parteien in 6:160 NBW.

Dass zwischen Antragstellerin und Antragsgegner nach dem 2.2.1998 ein solcher Vertrag zustande kam, konnte der Antragsteller indes nicht beweisen. Der zu einem Treffen der Parteien am 1.4.2000 gehörte Zeuge V. konnte keine genauen Angaben zu den Erklärungen der Antragstellerin während eines Gesprächs über einen möglichen Unterhaltsverzichts machen. Der Zeuge Dr. H., der ein Gespräch bei anderer Gelegenheit im Frühjahr 1998 in B. mithört haben will, erklärte, dass die Antragstellerin zunächst Unterhalt verlangt habe, dann aber auf Vorhalt ihres damaligen Ehemannes sagte, sie wolle keinen Unterhalt mehr. Auch diese Aussage ist für die Entscheidung nicht aussagekräftig, da zwischen den Parteien Unterhalt für verschiedene Zeiträume zur Diskussion stand. Neben der hier titulierten Forderung (Trennungsunterhalt) verlangte die Antragstellerin auch (zukünftigen) Scheidungsunterhalt, über den zum damaligen Zeitpunkt noch nicht entschieden war. Auf welchen Zeitraum sich die von der Antragstellerin geforderten Unterhaltsleistungen beziehen sollten, konnte der Zeuge nicht konkret angeben. Sein Eindruck, es sei um beides gegangen, gibt lediglich seine eigene Meinung wieder. Da zum damaligen Zeitpunkt der Trennungsunterhalt bereits tituliert war, über den künftigen Unterhalt jedoch noch keine gerichtliche Auseinandersetzung bestand, ist allein die Verwendung des Wortes "Unterhalt" unklar und lässt verschiedene Deutungen zu.

Im weiteren Verlauf des Verfahrens hat der Antragsgegner sich schließlich auf einen schriftlich erklärten Unterhaltsverzicht auch für die Vergangenheit vom 27.6.1998 berufen (Bl. 262), ohne allerdings plausibel machen zu können, warum er diesen Sachvortrag erst nach über einjähriger Verfahrensdauer vorbringt und die entsprechende Urkunde nicht vorher vorgelegt hat. Den Beweis der Echtheit der Unterschrift der Antragstellerin unter dieser Vereinbarung konnte der Antragsgegner nicht führen, da er die Originalurkunde der behaupteten Vereinbarung nicht vorgelegt hat. Aus diesem Grund konnte sachverständigenseits keine Klärung erfolgen, so dass sich die Einholung eines Schriftgutachtens erübrigte.

Schließlich ist er auch beweisfällig mit seinem Vortrag geblieben, die Antragstellerin habe die Urkunde am 27.6.1998 anlässlich eines Treffens in B.N. unterschrieben. Die Aussagen der beiden dazu vernommenen Zeugen vermochten den Senat nicht von der Richtigkeit dieser Behauptung zu überzeugen. Der Zeuge E. T. will zwar an diesem Tag an einem Gespräch über Unterhalt teilgenommen haben, bei dem die Antragstellerin auf Unterhalt verzichtet habe. Genaueres zu diesem Verzicht, insbesondere in welchem Rahmen und für welche Zeiträume er erklärt werden sollte, konnte der Zeuge nicht angeben. Auch hier gilt wegen der verschiedenen Zeiten, für die die Antragstellerin Unterhalt beansprucht hat, das oben Gesagte. Dazu, welche Papiere die Antragstellerin bei dieser Gelegenheit unterzeichnet haben soll, konnte der Zeuge nichts sagen. Er will nur beobachtet haben, dass sie Unterlagen, die auf dem Tisch lagen, unterzeichnet hat. Dagegen will die Zeugin H. T., eine Verwandte des Antragsgegners, die ebenfalls bei diesem Gespräche zugegen war, gesehen haben, wie die Antragstellerin gerade den Unterhaltsverzicht, den der Antragsgegner hier vorgelegt hat ( Bl. 262 ), neben anderen Papieren unterschrieben hat. Während diese Zeugin im Gegensatz zum Zeugen E. T., ihrem Ehemann, nicht weiß, was gesprochen wurde, obwohl sie gemeinsam mit dem Zeugen E. T. am Besprechungstisch saß, hat sie nach ihren Angaben gerade die mit Bl. 262 vorgelegte Urkunde einsehen können. Den Inhalt sämtlicher anderer Papiere, die ebenfalls auf dem Tisch lagen, habe sie - so ihre Aussage - nicht erkennen können. Abgesehen von dem inhaltlichen Widerspruch zur Aussage E. T. hat der Senat auch deshalb durchgreifende Zweifel an der Richtigkeit dieser Angaben, weil die Zeugin ausschließlich die Urkunde, die für die Entscheidung des Senats von Bedeutung ist, gesehen und deren Überschrift gelesen haben will, während sie zum Inhalt sämtlicher weiterer dort liegender Urkunden keine Angaben machen kann. Dies erscheint dem Senat nicht glaubhaft. Denn wenn die Zeugin tatsächlich so nah dabei gesessen hat und zugleich - aus welchen Gründen auch immer - so interessiert an dem Gespräch und den vorliegenden Papieren war, hätte sie auch einige andere Urkunden angesehen, hätte ferner jedenfalls Teile des Gesprächs mitbekommen und dieses in wesentlichen Zügen in Erinnerung behalten. Deshalb erscheint die Schilderung, wie sie die Zeugin gegeben hat, in dieser Form nicht glaubhaft.

Sollte sich die Frage des Verzichts nach deutschem Recht beurteilen, bliebe es aufgrund der Beweislage bei demselben Ergebnis. Ein Verzicht der Antragstellerin auf die titulierten Forderungen lässt sich demnach nicht feststellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, der auch in dem Vollstreckbarkeitsverfahren Anwendung findet.

Beschwerdewert: 22.689,- €

Ende der Entscheidung

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