Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 02.01.2006
Aktenzeichen: 16 W 7/03
Rechtsgebiete: EuGVVO


Vorschriften:

EuGVVO Art. 34 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

16 W 7/03

In dem Vollstreckbarkeitserklärungsverfahren

hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln durch seine Mitglieder Jennissen, Appel-Hamm und Wurm am 02.01.2006

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Vorsitzenden der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 27.01.2003 - 1 O 34/03 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Zahlungsbefehl des Landgerichts Nuoro vom 23.10.2002 (ZNG 191/02, RAC. 292/02 S, Cron.: 1721/02 B, Rep.: 25/03) ist mit der Vollstreckungsklausel zu versehen.

Der zu vollstreckende Ausspruch lautet:

Zahlung des Betrages von 335 Mio. ITL (= 173.013,06 €) sowie festgesetzte Kosten des Verfahrens i. H. v. 620,00 €, für Anwaltsgebühren, 206,58 € für Honorare und 232,00 € für entstandene Kosten, zuzüglich 20 % Mehrwertsteuer und Beiträge für die Versorgungskasse für Anwälte i. H. v. 2 %, zu zahlen von der Antragsgegnerin an die Antragstellerin.

Der weitergehende Antrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

Im Übrigen wird die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens sowie des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin hat am 23.10.2002 gegen die Antragsgegnerin einen Zahlungsbefehl des Landgerichts Nuoro (Italien) erwirkt, wonach die Antragsgegnerin zur Zahlung von 335 Mio. ITL sowie festgesetzte Kosten des Verfahrens i. H. v. 620,00 € für Anwaltsgebühren, 206,58 € für Honorare und 232,00 € für entstandene Kosten, zuzüglich Mehrwertsteuer und Beiträge für die Versorgungskasse für Anwälte i. H. v. 2 % sowie mögliche Folgekosten an sie verurteilt wurde. Das den Rechtsstreit einleitende Schriftstück sowie der Zahlungsbefehl vom 23.10.2002 waren der Antragsgegnerin gemäß Artikel 143 der italienischen Zivilprozessordnung (c.p.c.) öffentlich zugestellt worden. Die Zustellung des Zahlungsbefehls erfolgte über den Gerichtsvollzieher durch Hinterlegung im Gemeindehaus in D am 15.11.2002. Der Zahlungsbefehl wurde am 16.01.2003 für vollstreckbar erklärt.

Dem Antrag der Antragstellerin, den Zahlungsbefehl des Landgerichts Nouro mit der Vollstreckungsklausel zu versehen, hat der Vorsitzende der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bonn mit Beschluss vom 27.01.2003 stattgegeben. Gegen diesen am 28.01.2003 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin mit einem am 14.02.2003 eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt. Sie macht geltend, dass der Zahlungsbefehl des Landgerichts Nuoro nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei. Die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung hätten nicht vorgelegen. Bereits zum Zeitpunkt der Beantragung des Zahlungsbefehls am 16.10.2002 sei der Antragstellerin bekannt gewesen, dass die Rechtsanwälte Dr. Q & T für sie, die Antragsgegnerin, zustellungsbevollmächtigt gewesen seien. Dies ergebe sich daraus, dass sich die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren in der Antragsschrift auf eine entsprechende Zustellvollmacht bezogen und zum Nachweis ein Schreiben der Rechtsanwälte Dr. Q & T vom 04.07.2000 vorgelegt habe.

Die Antragstellerin weist demgegenüber darauf hin, dass die Bevollmächtigung der Rechtsanwälte T & Dr. Q lediglich eine Angelegenheit zwischen den Parteien im Rahmen der Verfügung über ein Guthaben der Antragsgegnerin auf einem Konto der E Bank betreffe; es handele sich hierbei nicht um eine Generalbevollmächtigung.

Nachdem die Antragsgegnerin am 11.04.2003 gegen den Zahlungsbefehl des Landgerichts Nuoro vom 23.10.2002 Widerspruch eingelegt hatte, hat der Senat auf ihren Antrag das Verfahren mit Beschluss vom 07.07.2003 nach Artikel 37 EuGVVO ausgesetzt.

Mit Urteil vom 29.06.2005 (Nr. 373/2005, R.G. 195/2003, RAC Nr. 195/2003 M, Nr. 979/2005 A, Nr. 594/2005) hat das Zivilgericht Nuoro den Widerspruch gegen den Zahlungsbefehl für unzulässig erklärt und den vom Landgericht Nuoro am 23.10.2002 erlassenen Zahlungsbefehl bestätigt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Widerspruch von der Antragsgegnerin verspätet eingelegt worden sei.

II.

Die Beschwerde ist zulässig (Artikel 43 EuGVVO, §§ 1 Abs. 2 b, 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AVAG).

In der Sache hat sie nur in geringem Umfang Erfolg.

Bis auf die "möglichen Folgekosten" hat das Landgericht den Zahlungsbefehl des Landgerichts Nuoro vom 23.10.2002 zu Recht für vollstreckbar erklärt. Der Zahlungsbefehl war insoweit lediglich hinsichtlich der Höhe der auf die festgesetzten Kosten zu zahlenden Mehrwertsteuer zu konkretisieren.

Der italienische Titel stellt eine Entscheidung i. S. v. Artikel 32 EuGVVO dar (vgl. Senatsbeschluss vom 17.11.2004 - 16 Wx 31/04 m. w. N.; EuGH Urteil vom 14.10.2004 - C-39/02, Rdn. 43 bis 52).

Die formellen Voraussetzungen sind erfüllt. Im ersten Rechtszug hatte die Antragstellerin im Original den Titel nebst Nachweis der öffentlichen Zustellung und die Vollstreckbarerklärung vorgelegt. Damit ist Artikel 53 EuGVVO Genüge getan. Die Vorlage einer Bescheinigung nach Artikel 54 bedurfte es im Hinblick auf die vorgelegten Unterlagen nicht.

Anerkennungshindernisse i. S. v. Artikel 34, 35 EuGVVO stehen der Vollstreckbarerklärung der Entscheidung des Landgerichts Nuoro nicht entgegen. Insbesondere kann sich die Antragsgegnerin nicht auf den Versagungsgrund des Artikel 34 Nr. 2 EuGVVO berufen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Antragsgegnerin das verfahrenseinleitende Schriftstück rechtzeitig und ordnungsgemäß i. S. dieser Vorschrift zugestellt worden ist; denn nach Artikel 34 Nr. 2 EuGVVO bleibt auch in Fällen einer Säumnisentscheidung ein Zustellungsmangel folgenlos, wenn die Partei gegen die Ausgangsentscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt hat, obwohl sie die Möglichkeit dazu hatte. Nach Sinn und Zweck dieser Regelung soll über Verfahrensfehler möglichst sachnah im Ursprungsstaat entschieden werden. Daraus folgt, dass Artikel 34 Nr. 2 EuGVVO auch dann nicht anwendbar ist, wenn - wie vorliegend - Widerspruch gegen die Versäumnisentscheidung eingelegt und ein Gericht des Urteilsstaates im Rechtsbehelf mit der Begründung als unzulässig verworfen hat, die Widerspruchsfrist sei abgelaufen (vgl. Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl., Artikel 34 Rdn. 44). Denn auch in diesem Fall hatte die unterlegene Partei zunächst die Möglichkeit, gegen die Entscheidung einen Rechtsbehelf einzulegen. Das Versäumen der Frist ist der Antragsgegnerin zuzurechnen. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob ihr die Versäumnisentscheidung, d. h. der Zahlungsbefehl des Landgerichts Nuoro, rechtzeitig i. S. v. Artikel 34 Nr. 2 EuGVVO zugestellt wurde. Denn die italienische ZPO (Artikel 650 c.p.c.) sieht die Möglichkeit vor, Widerspruch auch noch nach Ablauf der in Artikel 641 c.p.c. vorgesehenen Frist von 40 Tagen (ab Zustellung des Zahlungsbefehls) einzulegen, wenn die unterlegenen Partei den Nachweis erbringt, von der Säumnisentscheidung keine Kenntnis erlangt zu haben. In diesem Fall kann gegen den Zahlungsbefehl noch innerhalb von 10 Tagen ab der ersten Vollstreckungshandlung Widerspruch eingelegt werden. Auch diese Frist hat die Antragsgegnerin nach den Ausführungen des Zivilgerichts Nuoro in dessen Urteil vom 29.06.2005 jedoch versäumt, da - wie das Gericht ausführt - die erste Vollstreckungshandlung in einer in Deutschland am 24.02.2003 erfolgten Pfändung zu sehen ist, die Antragsgegnerin hiervon durch Zustellung "der Pfändung" am 27.02.2003 Kenntnis erlangt hat, der Widerspruch gegen den Zahlungsbefehl des Landgerichts Nuoro aber der Antragstellerin erst am 11.04.2003 und damit nach der gesetzlich in Artikel 650 c.p.c. vorgesehenen 10-Tages-Frist zugegangen ist.

Da die Antragsgegnerin die ihr zur Verfügung stehenden - und auch nach deutschem Verfahrensrecht erfolgsversprechenden - Rechtsbehelfe im erststaatlichen Verfahren nicht rechtzeitig ausgeschöpft hat, um den von ihr gerügten Verfahrensverstoß bereits im Erstverfahren zu beseitigen, kann sie sich im vorliegenden Verfahren auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die Vollstreckbarerklärung des italienischen Titels verstoße gegen den E ordre public (Artikel 45 Abs. 1 i. V. m. Artikel 34 Nr. 1 EuGVVO).

Dass der italienische Zahlungsbefehl die Höhe der auf die Kosten zu entrichtenden Mehrwertsteuer nicht beziffert, steht der Erteilung der Vollstreckungsklausel nicht entgegen. Vielmehr obliegt dem Gericht des Klauselerteilungsverfahrens die ergänzende Auslegung der ausländischen Entscheidung, wobei es das ausländische Recht festzustellen und anzuwenden hat (vgl. BGH NJW 1990, 3084). Der maßgebliche Mehrwertsteuersatz beträgt in Italien 20 %, wie dem Senat bekannt ist.

Der italienische Titel ist allerdings nach deutschem Verständnis insoweit zu unbestimmt und hat insoweit keinen vollstreckungsfähigen Inhalt, als die Antragsgegnerin zu "möglichen Folgekosten" verurteilt worden ist. Insoweit ist eine Konkretisierung nicht möglich, so dass diese Kosten von der Vollstreckbarkeitserklärung auszunehmen sind.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO, diejenige für die erste Instanz auf § 8 Abs. 1 S. 4 AVAG i. V. m. § 788 ZPO.

Beschwerdewert: 173.013,06 €

Ende der Entscheidung

Zurück