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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 16.10.2000
Aktenzeichen: 16 Wx 141/00
Rechtsgebiete: FGG


Vorschriften:

FGG § 66
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

16 Wx 141/00 6 T 250/00 - LG Köln - 16 XVII 4074 - AG Gummersbach -

In dem Betreuungsverfahren

betreffend pp.

an dem beteiligt sind

pp.

hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln durch seine Mitglieder Dr. Schuschke, Jennissen und Dr. Ahn-Roth

am 16.10.2000

beschlossen:

Tenor:

Auf die weitere Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 18.08.2000 - 6 T 250/00 - aufgehoben.

Die Sache wird zur weiteren Sachbehandlung und erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe

I.

Die weitere Beschwerde ist zulässig; insbesondere ist Herr Rechtsanwalt F. durch die Vollmacht vom 15.08.2000 wirksam zur Vertretung der Betroffenen im laufenden Betreuungsverfahren und zur Einlegung von Rechtsmitteln in diesem Verfahren bevollmächtigt. Aus der Verfahrensfähigkeit der Betroffenen gem. § 66 FGG folgt auch die Möglichkeit zur Beauftragung eines Verfahrensbevollmächtigten. Voraussetzung hierfür ist nur das (vermutete) Vorhandensein eines "natürlichen Willens", also der Fähigkeit sich verständlich zu aktualisieren sowie Sinn und Folge der Erklärungen zumindest ansatzweise zu erkennen oder sich wenigstens eine ungefähre Vorstellung von der eigenen Lage zu bilden (vgl. OLG Saarbrücken FGPrax 1999, 108; Keidel/Kuntze/Winkler, FGG 14. Auflage, § 66 Rdn. 2). Dass die Betroffene jedenfalls über einen derartigen natürlichen Willen verfügt, kann nach den Feststellungen des Vormundschaftsrichters und der Sachverständigen S.-W. , die sie jeweils als bewusstseinsklar erlebt haben, nicht zweifelhaft sein. Prägend in ihrem Verhalten ist es zudem, dass sie Herrn B. als denjenigen ansieht, der "alles" für sie erledigt und dem sie Vertrauen schenkt. Wenn sie geprägt von dieser Willensentschließung eine von ihrer Vertrauensperson erbetene Unterschrift unter ein Schriftstück leistete, wäre der Inhalt dieses Schriftstücks auch dann von ihrer Unterschrift und damit von ihrem Willen gedeckt, wenn sie sich überhaupt nicht nach dem Inhalt des ihr vorgelegten Schriftstücks erkundigt haben sollte. Ein derartiger Fall hätte hier auch nach dem Inhalt des Vermerks des Heimleiters vom 15.08.2000 vorgelegen, so dass es keiner Aufklärung über die Umstände der Vollmachtserteilung bedarf. Die Betroffene hat sich nach dem Inhalt dieses Vermerks gerade nicht zur Unterschrift genötigt gefühlt, sondern die fehlende Kenntnis von dem Inhalt des von ihr unterschriebenen Schriftstücks gerade damit begründet, dass Herr B. alles für sie tue. Der damit zum Ausdruck gekommene Wille der Betroffenen, ihrer Vertrauensperson quasi blindlings einen Freibrief zu erteilen, ist - jedenfalls im Rahmen des § 66 FGG - zu respektieren.

Darauf, ob gegebenenfalls auch Herr B. eine Vollmacht hatte, die ihm die Möglichkeit eröffnete, einen Anwalt mit der Einlegung von Rechtsmitteln in dem vorliegenden Betreuungsverfahren namens der betroffenen zu mandatieren kommt es nach alledem nicht an.

II.

In der Sache führt das Rechtsmittel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

Aus den vorstehenden Ausführungen folgt zunächst, dass auch die Erstbeschwerde zulässig war, was das Landgericht offen gelassen hat und von seinem Standpunkt aus, dass die Erstbeschwerde jedenfalls nicht begründet sei, auch offen lassen konnte (vgl. BGHZ 67, 207; OLG Köln Rpfleger 1975, 29; Bumiller/Winkler, FGG 7. Auflage, § 25 Rdn. 2; Zöller/Gummer ZPO 21. Auflage, § 574 Rdn. 6; a. A. Keidel/Winkler/Kahl a. a. O. § 25 Rdn. 5a).

Indes leidet die Beschwerdeentscheidung an einem erheblichen Verfahrensfehler, weil der Kammer Schriftsätze nicht vorgelegt worden sind und sie deshalb objektiv gegen das aus Art. 103 Abs. 1 GG folgende Gebot, Vorbringen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und sich hiermit auseinander zusetzen, verstoßen hat. Da sowohl im Zivilprozess wie auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht verkündete Beschlüsse erst mit der Herausgabe aus dem inneren Geschäftsbetrieb wirksam werden, muss das Gericht, auch wenn die Entscheidung bereits von allen Richtern unterschrieben wurde und gegebenenfalls schon alle Reinschrift-Ausfertigungen für die Beteiligten von der Kanzlei gefertigt worden sind, vor der Herausgabe eingehende Schriftsätze noch berücksichtigen und eventuell die Entscheidung nochmals überdenken und überarbeiten (vgl. BGH MDR 1999, 1528 = NJW 2000, 365 = EWiR § 234 ZPO 1/2000 [Schuschke]; BayObLG NZM 1999, 908).

Vorliegend hat das Amtsgericht am 01.08.2000 die Nichtabhilfeentschließung getroffen und ohne Nachricht an die Beteiligten die Sache dem Landgericht vorgelegt. Dort sind die Akten am 07.08.2000 eingegangen (GA 68R). Bereits zuvor, nämlich am 04.08.2000 war beim Amtsgericht eine längere ergänzende Beschwerdebegründung vom 03.08.2000 eingegangen, die u. a. neuen Tatsachenvortrag und eine Konkretisierung des Begehrens enthält (GA 96). Am 10.08.00 wurde von der Geschäftsstelle des Amtsgerichts die Übermittlung der Beschwerdebegründung an das Landgericht verfügt, wo sie allerdings erst am 21.08.2000 einging (GA 95). Zwischenzeitlich, nämlich am 18.08.2000 hatte das Landgericht in der Sache entschieden, wobei der Beschluss offensichtlich noch am gleichen Tag von allen Mitgliedern der Kammer unterschrieben wurde, wie der Tatsache zu entnehmen ist, dass die Geschäftsstelle ebenfalls unter dem 18.08.2000 die Abschlussverfügung getroffen hat (GA 86R). Obwohl sich die Akte in der Folgezeit vom 21.08. bis 30.08.2000 in der Kanzlei befand und vor der Herausgabe des Beschlusses am 30.08.2000 noch einmal zur Geschäftsstelle gelangte, erfolgte keine aktenkundige Vorlage der inzwischen eingegangenen ergänzenden Beschwerdebegründung vom 03.08.2000 an die Kammer. Auch ein weiterer Schriftsatz des Rechtsanwalts F. vom 18.08.2000, der am 22.08.2000 eingegangen war, wurde zunächst nicht vorgelegt. Vielmehr hat die stellvertretende Vorsitzende der Kammer hiervon erst am 31.08.2000, also zu einem Zeitpunkt, zu dem der Beschluss bereits herausgegeben und damit wirksam geworden war, Kenntnis nehmen können (GA 99).

Der aufgezeigte Verfahrensverstoß führt zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht. Der Senat wäre zwar nicht gehindert, trotz des Verfahrensfehlers in der Sache selbst zu entscheiden. Hierzu müsste er aber auch den neuen Sachvortrag in der weiteren Beschwerde, insbesondere die nach dem Beschwerdevorbringen erst jetzt aufgefundene und in Kopie vorgelegte, auf den 15.04.1997 datierte Vollmacht an Herrn B. zur Vertretung "in allen meinen Angelegenheiten" berücksichtigen. Eine Einbeziehung dieses Vortrags führt aber dazu, dass wegen des Subsidiaritätsgrundsatzes (§ 1896 Abs. 2 S. 2) zunächst der Frage der Vollmachtserteilung und deren Wirksamkeit nachzugehen und danach gegebenenfalls Art und Umfang der Betreuungsanordnung neu zu überdenken ist. Dies kann nur durch den Tatrichter geschehen, während dem Senat nur im Falle einer Entscheidungsreife eine Sachentscheidung möglich gewesen wäre (vgl. BayObLG FamRZ 1996, 1370).

Zur Klarstellung ist im übrigen anzumerken, dass die (vorläufige) Wirksamkeit der Beschlüsse des Amtsgerichts einschließlich der nach Erlass der Beschwerdeentscheidung getroffenen einstweiligen Anordnungen durch die Senatsentscheidung nicht berührt wird.



Ende der Entscheidung

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