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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 20.07.2007
Aktenzeichen: 16 Wx 150/07
Rechtsgebiete: FEVG, AufenthG, AsylVfG, VwVfG, FGG, ZPO


Vorschriften:

FEVG § 14 Abs. 3
FEVG § 16 Satz 1
AufenthG § 57 Abs. 3
AufenthG § 62
AufenthG § 62 Abs. 2
AufenthG § 62 Abs. 2 Nr. 1
AufenthG § 62 Abs. 2 Nr. 5
AsylVfG § 14
AsylVfG § 14 Abs. 3
AsylVfG § 14 Abs. 3 S. 1 Nr. 5
AsylVfG § 14 Abs. 3 S. 3
AsylVfG § 55
AsylVfG § 71 Abs. 1
AsylVfG § 71 a
AsylVfG § 71 a Abs. 1
AsylVfG § 71 a Abs. 5
VwVfG § 51 Abs. 1
VwVfG § 51 Abs. 2
VwVfG § 51 Abs. 3
FGG § 30 Abs. 1 S. 3
ZPO § 526 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Stadt L trägt die dem Betroffenen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen Kosten.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist kostenfrei.

Gründe:

I.

Der Betroffene, der aus Frankreich unter nicht genau bekannten Umständen eingereist war, wurde am 03.04.2007 bei dem Versuch einer Ausreise vom Flughafen Köln-Bonn nach London unter Verwendung eines vorläufigen deutschen Reisepasses, der auf einen anderen Namen lautete, festgenommen. Am folgenden Tag wurde gegen ihn Sicherungshaft für die Dauer von drei Monaten angeordnet; ferner wurde er dauerhaft mit sofort vollziehbarer Verfügung aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Bereits in Frankreich hatte er einen Asylantrag gestellt, der im Februar 2007 durch die französischen Behörden abgelehnt worden war. Mit Eingang am 16.05.2007 stellte der Betroffene beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aus der Sicherungshaft heraus einen Asylantrag. Sein Antrag auf Haftaufhebung vom 14.05.2007 wurde vom Amtsgericht Köln am 16.05.2007 abgelehnt; eine dagegen eingelegte sofortige Beschwerde blieb erfolglos. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 04.06.2007, der ihm - wenn überhaupt - erst nach seiner Haftentlassung am 19.06.2007 zugestellt wurde, wurde sein Asylantrag abgelehnt und seine Abschiebung angeordnet. Zur Begründung verwies das Bundesamt darauf, dass die Bundesrepublik Deutschland für das Asylverfahren nicht zuständig sei, da der Betroffene in Frankreich um Asyl ersucht habe und er aus diesem sicheren Drittland in die Bundesrepublik eingereist sei.

Mit der sofortigen weiteren Beschwerde vom 14.06.2007 hat der Betroffene die Hauptsache für erledigt erklärt und die sofortige weitere Beschwerde auf den Kostenpunkt beschränkt.

II.

Der zulässige Kostenantrag hat in der Sache zum Teil Erfolg.

Eine Überbürdung der dem Betroffenen entstandenen außergerichtlichen Kosten auf die Gebietskörperschaft, der die Ausländerbehörde angehört, hat hinsichtlich der im Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Auslagen zu erfolgen, da die Voraussetzungen des entsprechend anzuwendenden § 16 Satz 1 FEVG hierzu vorliegen, nicht hingegen wegen der außergerichtlichen Kosten der ersten und zweiten Instanz. Das Verfahren hat ergeben, dass zunächst ein begründeter Anlass zur Stellung des Antrags auf Anordnung von Sicherungshaft bzw. deren Aufrechterhaltung bestand. Hingegen fehlte ein begründeter Anlass zur weiteren Haftanordnung über den 13.06.2007 hinaus.

Für die Frage, ob der Betroffene begründeten Anlass für die Stellung eines Haftantrags gegeben hatte, kommt es darauf an, wie die Behörde den Sachverhalt zur Zeit der Antragstellung beurteilen durfte, wenn sie alle ihr zumutbaren Ermittlungen angestellt hätte (vgl. BayObLG BayVBl. 1999, 27; 1997, 187; KG FGPrax 1998, 199 = KGReport 1998, 403; Marschner/Volkart, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 4. Auflage, § 16 FEVG Rdn. 3). Für die Kosten eines Rechtsmittelverfahrens ist insofern auf die Sachlage bzw. den Kenntnisstand im Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels abzustellen (vgl. Senat OLGReport 2004, 126; BayObLG JurBüro 2001, 107; BayObLGZ 1998, 338; KG InfAuslR 2000, 230 = KGReport 2000, 184).

Nach diesem Maßstab war die Haftanordnung in erster und zweiter Instanz zulässig. Es bestand seitens der Behörde ein begründeter Anlass zur Stellung eines Antrages zur Aufrechterhaltung der Haft anläßlich des Haftentlassungsantrags vom 14.05.2007. Wie schon bei Antragstellung lagen aus den Gründen der Entscheidung des Amtsgerichts die Haftvoraussetzungen vor, nachdem der Betroffene, der weder über einen Reisepass noch ein Visum verfügte, unerlaubt eingereist war und mit einem nicht auf seinem Namen ausgestellten Reisepass, der ihm von einer Schleuserorganisation überlassen worden war, am Flughafen Köln-Bonn angetroffen wurde. Ferner hatte er sich bei einem früheren Aufenthalt im Bundesgebiet nach Entlassung aus dem Polizeigewahrsam aufgrund eines mündlich geäußerten Asylbegehrens nicht bei der für ihn zuständigen Aufnahmeeinrichtung gemeldet, sondern war für die Behörden unerreichbar. Zu Recht hat das Amtsgericht deshalb die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 5 AufenthG angenommen.

Der weiteren Haftanordnung mit Beschluss vom 16.05.2007 stand auch nicht der am selben Tag eingegangene Asylantrag entgegen. Obgleich der vom Betroffenen in Frankreich gestellte Asylantrag im Februar 2007 abgewiesen worden war, ist der nun beim Bundesamt gestellte Asylantrag vom 14.05.2007 als Erstantrag mit den Folgen der §§ 14 Abs. 3, 55 AsylVfG zu behandeln. Es handelt sich nicht um einen Folgeantrag nach § 71 a AsylVfG. Denn ein solcher setzt voraus, dass der im sicheren Drittstaat gestellte Asylantrag rechtskräftig verbeschieden worden ist. Zwar spricht die Gesetzesfassung des § 71 a Abs. 1 AsylVfG nur davon, dass der im sicheren Drittstaat gestellte Antrag "erfolglos abgeschlossen" sein muss, während §§ 71 Abs. 1 und 71 a Abs. 5 AsylVfG von einer "unanfechtbaren Ablehnung" ausgehen. Dieser terminologische Unterschied kann indes nicht zu einer unterschiedlichen Handhabung der Voraussetzungen eines Folgeantrags führen. Denn die Systematik des Gesetzes lässt erkennen, dass auch das Asylverfahren im sicheren Drittstaat rechtskräftig abgeschlossen sein muss, bevor der erneute Antrag im Bundesgebiet als Zweitantrag behandelt werden kann. § 71 a Abs. 1 AsylVfG verlangt als Voraussetzung eines weiteren Asylverfahrens u. a. das Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG. Dieser setzt jedoch ein rechtskräftig abgeschlossenes - erstes - Asylverfahren voraus. Allein diese Auslegung des § 71 a Abs. 1 AsylVfG führt auch nur zu einem Gleichlauf der Behandlung des Zweitantrags bei inländischem und ausländischem ersten Asylantrag. Da vorliegend keine Feststellungen zur Rechtskraft des in Frankreich betriebenen Asylverfahrens getroffen wurden, ist zugunsten des Betroffenen von fehlender Rechtskraft auszugehen.

Der formwirksam eingereichte und als Erstantrag anzusehende Asylantrag stand der Haftanordnung am 16.05.2007 trotz § 55 AsylVfG nicht entgegen. Denn die Ausnahmevorschrift des § 14 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 AsylVfG greift hier ein. Die Vier-Wochen-Frist des § 14 Abs. 3 S. 3 AsylVfG begann gerade erst zu laufen.

Der Anwendung des § 14 AsylVfG steht nicht entgegen, dass sich der Betroffene in Zurückschiebungshaft und nicht in Abschiebungshaft befunden hat. Dem Antragsteller war seit der Festnahme am 04.04.2007 bekannt, dass sich der Betroffene aus einem sicheren Drittstaat in das Bundesgebiet begeben hatte. Dementsprechend betrieb die Behörde von Anfang an die Zurückschiebung nach Frankreich, wie ihr Haftantrag erkennen lässt. Für die Zurückschiebung eines Ausländers finden über § 57 Abs. 3 AufenthaltG die Vorschriften über die Anordnung der Abschiebungshaft - § 62 AufenthaltG - entsprechende Anwendung. Die in entsprechender Anwendung des § 62 Abs. 2 AufenthaltG angeordnete Haft für zurückzuschiebende Ausländer ist ebenfalls Sicherungshaft nach dieser Vorschrift. Demzufolge umfaßt die in § 14 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 AsylVfG genannte Sicherungshaft auch eine im Rahmen der Zurückschiebung angeordnete Haft, was die obergerichtliche Rechtsprechung bisher ohne weitere Problematisierung angenommen hat (vgl. z.B. OLG München v. 03.05.2007 - 34 Wx 54/07 - recherchiert in juris; OLG Schleswig-Holstein v. 08.07.2005, SchlHA 2006,170; BayObLG, BayVBl. 2004,539; OLG Celle, 10.10.2005 - 22 W 65/05 und 66/05). Soweit im Schrifttum Zweifel an dieser Gleichstellung der formal verschiedenen Haftanordnungen erhoben werden (Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., AsylVfG § 14 Rdnr. 18, 19; Melchior, Abschiebungshaft, Online-Kommentar, Nr. 4127) können diese Einwände nicht überzeugen. Abgesehen davon, dass bereits die Verweisung in § 57 Abs. 3 AufenthaltG auf § 62 AufenthaltG für eine Einbeziehung dieser Haftanordnung in die Fälle des § 14 Abs. 3 AsylVfG spricht, ohne dass dieser ausdrücklich in der Verweisungskette genannt werden müsste, ist auch den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber Abschiebungs- und Zurückschiebungshaft verschieden behandeln will. So verwendet die Begründung zur Neufassung des § 14 AsylVfG im Jahre 1999 durchgängig lediglich den Begriff Sicherungshaft (BT-Drucks. 13/4948 S. 11). Die bereits beschlossene Änderung der ausländerrechtlichen Vorschriften - Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union - (BT-Drucksache 16/5065) geht ohne weitere Begründung davon aus, dass gegen Ausländer, die zurückgeschoben werden sollen, Sicherungshaft auch im Falle eines Asylantrags verhängt werden kann. Denn die für § 14 Abs. 3 AsylVfG vorgesehene Änderung in Satz 3 sieht vor, dass die Haft nicht nach Ablauf der Vier-Wochen-Frist ab Eingang des Asylantrags von Gesetzes wegen endet, vielmehr diese Betroffenen nunmehr länger in Haft bleiben dürfen, wenn u. a. aufgrund von Rechtsvorschriften der EU ein Aufnahmeersuchen an einen anderen Staat gerichtet wurde (BT-Drucksache 16/5065, S. 37). Diese geplante Neuregelung ist nur vor dem Hintergrund sinnvoll, dass die zurückzuschiebenden Ausländer zunächst in Sicherungshaft genommen werden durften, ohne dass das später eingeleitete Asylverfahren dagegen stand. Der Senat sieht auch in der Sache keinen triftigen Grund, warum zwischen Ausländern, die aus nichtsicheren Staaten eingereist sind und solchen, die aus einem sicheren Drittland in die Bundesrepublik gekommen sind, bei der Beurteilung der Haftfrage ein Unterschied zu machen sein sollte.

Zum Zeitpunkt der Einlegung der Erstbeschwerde beim Landgericht fehlte ein begründeter Anlass zur Haftanordnung ebenfalls nicht.

Die Erstbeschwerdeentscheidung ist verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden. Der Einzelrichter konnte in dieser Sache eine Entscheidung treffen, da die Zivilkammer unter Anwendung der §§ 30 Abs. 1 S. 3 FGG, 526 Abs. 1 ZPO das Verfahren rechtfehlerfrei auf den Einzelrichter übertragen hat.

Die Voraussetzungen der einschlägigen Vorschriften zur Bestätigung der Haftanordnung lagen vor. Umstände, weshalb die Sicherungshaft, die die angeordnete Dauer von 3 Monaten noch nicht erreicht hatte, bis zur Entscheidung des Landgerichts unverhältnismäßig geworden sein könnte, sind nicht ersichtlich. Der Beteiligte zu 2) hat sich unmittelbar nach der Festnahme an die französischen Behörden gewandt, um eine unverzügliche Rückschiebung nach Frankreich durchzuführen. Diese wurde im Einvernehmen mit den französischen Behörden für den 28.06.2007 vorgesehen. Die zu beachtende Frist des § 14 Abs. 3 S. 3 AsylVfG war am 11.06.2007 noch nicht abgelaufen.

Mithin kommt eine Auslagenerstattung für die erste und zweite Instanz nicht in Betracht.

Anders stellt sich die Rechtslage zum Zeitpunkt der Einlegung der weiteren Beschwerde am 14.Juni 2007 dar. Da inzwischen die Vier-Wochen-Frist abgelaufen, aber der am 04.06.2007 ergangene Bescheid des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Betroffenen noch nicht zugestellt worden war, endete die Haft von Gesetzes wegen mit Fristablauf am 13.06.2007 (dazu Senat vom 11.06.2007 - 16 Wx 130/07). Bei Rechtsmitteleinlegung bestand somit für die Behörde kein Anlass mehr, die Aufrechterhaltung der Haft zu beantragen, was die Behörde auch hätte erkennen können.

Die dem Betroffenen im Rechtsbeschwerde entstandenen notwendigen Auslagen sind deshalb von der Gebietskörperschaft, der der Beteiligte zu 2. angehört, zu erstatten.

Für die dritte Instanz fallen keine Gerichtskosten an, da nach Beschränkung des Rechtsmittels auf die Kosten keiner der in § 14 Abs. 3 FEVG vorgesehenen Gebührentatbestände erfüllt ist (vgl. BayObLG, InfAuslR 2002, 311f).

Für eine Abänderung der Kostenentscheidungen erster und zweiter Instanz besteht aus den dargelegten Gründen keine Veranlassung.

Geschäftswert: 3.000,- €

Ende der Entscheidung

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