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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 16.03.2001
Aktenzeichen: 19 U 130/00
Rechtsgebiete: StVG, PflVG, BGB, ZPO


Vorschriften:

StVG § 7
StVG § 17
PflVG § 3
BGB § 847
BGB § 254
ZPO § 92 Abs. 2
ZPO § 708 Nr. 10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

19 U 130/00 20 O 529/99 Landgericht Köln

Anlage zum Protokoll vom 16.03.2001

Verkündet am 16.03.2001

Schmitt, JS z.A. als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 19. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 09. März 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Jaeger als entscheidenden Einzelrichter

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 20. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 18.05.2000 - 20 0 529/99 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger weitere 7.552,50 DM nebst 4% Zinsen seit dem 21.03.1999 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, den gesamten materiellen Schaden zu ersetzen, der dem Kläger aus dem Unfallereignis vom 29.06.1998 ab dem 13.04.2000 entstanden ist und noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen ist.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden den Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im übrigen zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache ganz überwiegend Erfolg.

Dem Kläger steht gegen die Beklagten aus dem Unfallgeschehen vom 29.06.1998 ein Anspruch auf Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens zu, §§ 7, 17 StVG; 3 PflVG; 823, § 847 BGB. Eine Anspruchsminderung wegen Mitverschuldens des Klägers nach § 254 BGB ist nicht gegeben.

Das Landgericht hat zutreffend festgestellt, dass der Beklagte zu 1) sich verkehrswidrig verhalten hat, weil er den auf der Strasse neben dem dort parkenden LKW des Streitverkündeten gehenden Kläger gegen die tiefstehende Sonne nicht gesehen und in Höhe des Fahrerhauses des LKW angefahren hat. Den Beklagten zu 1) trifft ein Verschulden, weil er - von der Sonne geblendet - nicht auf Sicht und zudem sehr unaufmerksam gefahren ist und zum LKW keinen Seitenabstand eingehalten hat. Unstreitig fuhr der Beklagte zu 1), bevor er den Kläger anfuhr, gegen die hintere linke Ecke des LKW. Dieses dem Beklagten zu 1) vorwerfbare Fahrverhalten ergibt sich schon daraus, dass er nicht nur den Beklagten zu 1) nicht gesehen hat, sondern sich zudem bezüglich des Ausmaßes des LKW, der nach dem unbestrittenen Vorbringen des Streitverkündeten die Warnblinkanlage eingeschaltet hatte, völlig verschätzt hatte, so dass er die hintere linke Ecke des Fahrzeugs touchierte. Einen Seitenabstand musste er schon deshalb einhalten, weil er - von der Sonne geblendet - nicht ausschließen konnte, dass der Fahrer des LKW dicht neben seinem Fahrzeug stand.

Den Kläger trifft dagegen kein Mitverschulden.

Das Landgericht hat das Mitverschulden u.a. auf die Aussagen der von ihm vernommenen Zeugen gestützt. Der Beweiswürdigung des Landgerichts kann jedoch nicht gefolgt werden. Einer Wiederholung der Beweisaufnahme vor dem Senat bedurfte es denoch nicht, weil das Landgericht den unstreitigen Sachverhalt nicht völlig ausgeschöpft hat und bei der Beweiswürdigung nicht erörtert hat, dass der Zeuge P. das Geschehen offenbar nicht in vollem Umfang zuverlässig in Erinnerung hatte.

Der Kläger betrat die Fahrbahn, weil der Fußweg durch einen Radlader völlig blockiert war. Dies ist unstreitig, die entgegenstehende Aussage des Zeugen P., er habe den Radlader erst weggefahren, nachdem die Polizei den Unfallort wieder verlassen hatte, ist ersichtlich falsch, weil der Radlader auf den von der Polizei gefertigten Fotos nicht (mehr) zu sehen ist.

Nachdem der Kläger gezwungenermaßen die Fahrbahn betreten hatte, um an dem Radlader vorbeizugehen, könnte ihm daraus, dass er zwischen Radlader und LKW nicht wieder auf den Fußweg zurückgekehrt ist, nur dann ein Vorwurf gemacht werden, wenn dies ohne weiteres möglich gewesen wäre. Es ist jedoch nicht bewiesen, dass dies der Fall war. Es steht nicht fest, welcher Abstand zwischen den beiden Fahrzeugen bestand. Selbst wenn es - wie der Zeuge Sch. geschätzt hat, 2,5 m waren, - der Zeuge P. sprach von 2 m -, reichte der Abstand nicht aus, um dem Kläger einen Wechsel von der Fahrbahn auf den Fußweg zuzumuten, denn hinter dem LKW stand der Streitverkündete, um den LKW zu entladen. Wenn auch der Entladevorgang nach seinen Angaben noch nicht begonnen hatte, war doch der Raum zwischen Radlader und Heck des LKW nicht frei, so dass es für den Kläger nicht fern lag, den einmal beschrittenen Weg über die Strasse noch über eine kurze Strecke fortzusetzen.

Angesichts dieser unstreitigen Feststellungen ist ein Mitverschulden des Klägers jedenfalls nicht bewiesen.

Dem Kläger steht deshalb voller Ersatz des entstandenen materiellen und immateriellen Schadens zu. Der materielle Schaden beläuft sich auf 1.095,-- DM. Darauf gezahlt sind 113,33 DM. Vom Landgericht zuerkannt wurden 429,17 DM, so dass auf die Berufung noch 552,50 DM zuzusprechen waren. Der geringfügig darüber liegende Antrag des Klägers beruht auf einem Rechenfehler.

Das dem Kläger zu gewährende Schmerzensgeld beträgt 10.000,00 DM.

Der Kläger erlitt bei dem Unfall am linken Fuß Frakturen des 3. Und 4. Mittelfußknochens sowie eine Grundgelenksfraktur der 5. Zehe und eine Prellung und Distorsion des linken oberen Spunggelenks. Unfallbedingt war er rd. 2 1/2 Monate arbeitsunfähig und für weitere drei Monate zu 20% in der Erwerbsfähigkeit beschränkt. Die MdE betrug bis auf Weiteres 10%. Der Kläger konnte von seinem Arbeitgeber nicht mehr mit handwerklichen, sondern mit administrativen Aufgaben betraut werden und wurde rd. 1 Jahr nach dem Unfall in den Vorruhestand versetzt. Seine einzige sportliche Betätigung, den Kegelsport, konnte der Kläger rd. 1 Jahr lang nicht mehr ausüben. In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger, es komme ihm nicht so sehr auf die Höhe des Schmerzensgeldes an, sondern darauf, dass sein Verhalten als Fußgänger akzeptiert und er nicht als Dummkopf hingestellt würde. Schon in der Klage hat der Kläger darauf hingewiesen, dass bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt werden müsse, dass die Beklagten nicht einmal einen Teilbetrag auf das Schmerzensgeld geleistet hätten.

All diese Gesichtspunkte sind bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen. Die Beklagten berufen sich zu Unrecht darauf, dass ein Schmerzensgeld in Höhe von 9.000,00 DM bis 10.000,00 DM die Schmerzensgeldbemessung der bisherigen Rechtsprechung deutlich übersteige. Sie verkennen, dass der Kläger lange Zeit erhebliche Schmerzen erlitten hat, lange Zeit durch den Unfall erheblich behindert war und schließlich unfallbedingt vorzeitig aus dem Arbeitsleben ausscheiden musste. Noch heute leidet der Kläger unter Unfallfolgen, es liegt also ein Dauerschaden vor.

Demgegenüber liegen Entscheidungen zu vergleichbaren Fällen zeitlich weit zurück und stützen sich auf noch früher liegende Unfälle und Entscheidungen. Die Tendenz der Rechtsprechung zu höherem Schmerzensgeld ist in diesen älteren Entscheidungen nicht berücksichtigt. Hinzukommt hier noch, dass sich das Regulierungsverhalten der Beklagten zu 2) schmerzensgelderhöhend auswirkt. Neben den oben genannten körperlichen Beeinträchtigungen führt das verzögerliche Regulierungsverhalten der Beklagten zu 2) als weiterer, den Schadensfall prägender Umstand zur Erhöhung des Schmerzensgeldes (vgl. hierzu: Müller, zum Ausgleich des immateriellen Schadens nach § 847 BGB, VersR 93, 909 ff.).

Die Beklagten - und hier ist die Beklagte zu 2) als Versicherer angesprochen - hätte selbstverständlich einen Teilbetrag auf das Schmerzensgeld leisten müssen, unabhängig davon, ob den Kläger ein Mitverschulden traf; denn dieses konnte auf keinen Fall so groß sein, dass die unstreitige Unaufmerksamkeit des Beklagten zu 1) und die Betriebsgefahr des Fahrzeugs dahinter völlig zurücktreten würde. Das lag für die Beklagte zu 2) auch auf der Hand, denn auf den materiellen Schaden hat sie 1/3, nämlich 113,33 DM gezahlt. Durch Zahlung dieses lächerlich geringen Betrages und durch die Verweigerung einer Zahlung auf das Schmerzensgeld fühlte sich der Kläger zu Recht gekränkt und verächtlich gemacht. Darunter hat er zusätzlich gelitten. Das hat zur Folge, dass das ihm zuzubilligende Schmerzensgeld höher als üblich ausfallen muss, jedenfalls aber an der oberen Grenze des angemessenen Schmerzensgeldes liegen muss.

Das dem Kläger zugesprochene Schmerzensgeld kann über den bezifferten Antrag hinaus zugesprochen werden, zumal der Kläger nur einen Mindestbetrag angegeben hat (vgl. BGHZ 132, 341 ff., 350 = VersR 96, 990, 992 und Lepa, Auffälligkeiten des Haftpflichtprozesses in unserer Zeit, VersR 01, 265 ff., 268 m.w.N.).

Für die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für den immateriellen Zukunftsschaden des Klägers besteht kein Feststellungsinteresse, der Kläger hat nicht dargetan, dass ein nicht vorhersehbarer Zukunftsschaden eintreten könnte. Das dem Kläger zuerkannte Schmerzengeld erfasst die gesamte künftige Entwicklung, soweit diese vorhersehbar ist (Müller, a.a.O.).

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs.2, 708 Nr. 10 ZPO.

Streitwert für das Berufungsverfahren und zugleich Wert der Beschwer für den Beklagten: 7.552,50 DM.



Ende der Entscheidung

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