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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 10.09.1999
Aktenzeichen: 19 U 202/98
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 313 a
ZPO § 708 Ziff. 10
ZPO § 713
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 847
BGB § 843
BGB § 254
BGB § 286
BGB § 288 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
19 U 202/98 20 O 266/98 (LG Köln)

Anlage zum Protokoll vom 10.09.1999

Verkündet am 10.09.1999

Kutz, JS als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

OBERLANDESGERICHT KÖLN

IM NAMEN DES VOLKES TEILURTEIL

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 19. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 06.08.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Jaeger, den Richter am Oberlandesgericht Pütz sowie die Richterin am Amtsgericht Wester

für Recht erkannt:

Tenor:

1.

Auf die Berufung des Klägers wird das am 14. Oktober 1998 verkündete Urteil des Landgerichts Köln - 20 O 266/98 - bezüglich der Klageanträge zu 3), 4) und 6) unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

a)

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 33.000,-- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Mai 1996 zu zahlen.

Die weitergehende Schmerzensgeldklage (Kapital und Rente) wird abgewiesen.

b)

Die Beklagten werden ferner als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 400,-- DM nebst

4 % Zinsen aus 160,-- DM seit dem 18.04.1998,

4 % Zinsen aus 80,-- DM seit dem 02.05.1998,

4 % Zinsen aus 80,-- DM seit dem 02.06.1998 und

4 % Zinsen aus 80,-- DM seit dem 02.07.1998

zu zahlen.

2.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

- Ohne Tatbestand gem. § 313 a ZPO -

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

In der Sache hat sie teilweise Erfolg, soweit der Kläger ein höheres Schmerzensgeld und die Bezahlung der Kosten eines Muskelaufbautrainings (Klageanträge zu 3) und 6)) begehrt; in Bezug auf den Klageantrag zu 4), das Begehren einer Schmerzensgeldrente, war die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich der Klageanträge zu 1) (Gehaltssteigerung) und 2) (Mehrkosten der Haushaltsführung) ist eine Beweiserhebung erforderlich und der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif.

1.

Der Kläger hat auf Grund der bei dem Unfallereignis vom 31. Oktober 1995 erlittenen Verletzungen gegen den Beklagten zu 1) einen Anspruch auf Schmerzensgeld aus §§ 823 Abs. 1, 847 BGB, für welchen die Beklagte zu 2) gem. § Pflichtversicherungsgesetz gesamtschuldnerisch haftet.

Der Anspruch des Klägers ist dem Grunde nach zwischen den Parteien unstreitig.

Angesichts der Schwere der erlittenen Verletzungen und deren Folgen hält der Senat jedoch, abweichend von der landgerichtlichen Entscheidung, ein Schmerzensgeld i.H.v. insgesamt 60.000,00 DM, mithin nach vorprozessual gezahlten 27.000,00 DM weiteren 33.000,00 DM für angemessen. Maßgeblich sind in erster Linie Höhe und Maß der Lebensbeeinträchtigung (Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen). Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass eine billige Entschädigung in Geld, die nach § 847 BGB bei bestimmten Rechtsgutverletzungen für den hierdurch entstandenen nicht vermögensrechtlichen Schaden zu zahlen ist, in erster Linie dem Verletzten einen Ausgleich für die erlittene immaterielle Beeinträchtigung bieten soll (BGHZ 18, 149, 156 f.; BGH NJW 1993, 781 = r+s 1993, 56, 57; BGH NJW 1993, 1531; BGH NJW 1995, 781; BGH NJW 1996, 1591). Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes muss daher das Ausmaß der Beeinträchtigung, wie auch das Landgericht zutreffend festgestellt hat, im Vordergrund stehen. Der Kläger hat durch den Unfall erhebliche Verletzungen und Schmerzen erlitten. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Unfall bei dem Kläger zu einer zweigradigen offenen Oberschenkelfraktur links, einer Oberarmfraktur rechts, Radiustrümmerfraktur rechts, commotio cerebri, Weichteilverletzung am rechten Augenlid und Lippe, multiplen Prellungen, Pneumothorax rechts, Absplitterungsfraktur der oberen Frontzahnreihe und Amnesien geführt hat. Durch den Pneumothorax wurden zwei Tage Intensivstation mit künstlicher Beatmung notwendig. Der Behandlungsverlauf im übrigen zog sich über mehrere Monate hin. So war der Kläger im Anschluss an den Unfall 16 Tage in stationärer Behandlung, wurde sodann ambulant weiter behandelt mit intensiver Krankengymnastik und Gangschule. Eine erneute 10-tägige stationäre Behandlung wurde notwendig nach Bruch der Osteosyntheseplatte und des linken Oberschenkelknochens mit der Notwendigkeit einer weiteren Operation. Im Anschluss verzögerte sich die Heilung, der Kläger konnte erst nach drei Monaten mit einer vorsichtigen Teilbelastung beginnen. Die operative Entfernung eines Implantates steht noch aus. Schließlich war eine prothetische Versorgung und Herstellung der Zahnfacetten der Frontzahnreihe des Klägers erforderlich. Der Kläger war insgesamt 11 Monate zu 100 % in der Erwerbsfähigkeit gemindert, für die Dauer von 8 Monaten bestand eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 70 %. Der Kläger wird nach heutigen Erkenntnissen dauerhaft zu 50 % in der Erwerbsfähigkeit gemindert sein. Darüber hinaus hat der Unfall, wie auch das Landgericht zutreffend festgestellt, für den Kläger weitere gravierende Dauerfolgen. Der 34-jährige Kläger kann seinen Beruf als Lagerverwalter nicht mehr ausüben. Er hat belastungsabhängige Schmerzen am rechten Arm und der rechten Hand sowie im linken Oberschenkel und im linken Kniegelenk. Das Kniegelenk selbst ist instabil. Darüber hinaus liegt eine leichte Kraftminderung des rechten Armes gegenüber links, verbunden mit leichtem Muskeldefizit im Bereich des rechten Oberarmes und im Bereich des linken Beines ein deutliches Muskeldefizit am linken Oberschenkel vor. Der Senat hat sich davon überzeugt, dass der Kläger ein hinkendes Gangbild aufweist.

Als Folge des Unfalls hat der Kläger darüber hinaus als Dauerschaden sehr lange Narben im Bereich des rechten Oberarmes und des linken Oberschenkels und zusätzlich eine quer verlaufende 12 cm große Narbe am linken Oberschenkel zurückbehalten.

Der Kläger litt und leidet unter unfallbedingten Depressionen, Wetterfühligkeit und einer Einschränkung seines Sexuallebens. Zwar haben die Beklagten diese Unfallfolgen bestritten, es spricht aber der Beweis des ersten Anscheins für den Kläger. Es handelt sich bei den von ihm behaupteten Beeinträchtigungen nämlich um Unfallfolgen, die nach dem üblichen Verlauf der Dinge bei den geschilderten Verletzungen regelmäßig zu erwarten sind. Andererseits hat der Kläger seine Angaben hierzu jedoch nicht so spezifiziert, dass erkennbar wäre, dass sich die Beeinträchtigungen in einem Rahmen bewegen, welcher die zu erwartenden Unfallreaktionen übersteigen würde.

Die von dem Kläger behaupteten Erinnerungslücken als Folge des Unfallereignisses können dagegen keine Berücksichtigung finden, da sie nach Art, Umfang, Dauer und Häufigkeit des Auftretens nicht beschrieben werden.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes war auch die ihm zukommende Genugtuungsfunktion einzubeziehen.

Die gem. § 847 BGB erforderliche billige Entschädigung darf grundsätzlich alle in Betracht kommenden Umstände des Falles berücksichtigen, darunter auch den Grad des Verschuldens des Verpflichteten und die wirtschaftlichen Verhältnisse beider Parteien (BGHZ 18, 149 ff.). Es ist in der Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt, dass der Schmerzensgeldanspruch jedenfalls in Fällen groben Verschuldens eine doppelte Funktion hat: Er soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für diejenigen Schäden bieten, die nicht vermögensrechtlicher Art sind, und zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung schuldet für das, was er ihm angetan hat (BGHZ 18, 149; BGH NJW 1993, 1531; BGH NJW 1995, 781; BGH NJW 1996, 1591; OLG Frankfurt am Main, VersR 1995, 544; OLG Köln, VersR 1992, 975). Die Doppelfunktion des Schmerzensgeldanspruchs ist nach der Rechtsprechung des BGH und der heute herrschenden Meinung anerkannt (Münchner Kommentar Stein, § 847 Rdnr. 3 m.w.N.). Bei der Definition des Begriffs der Genugtuung wendet sich der BGH allerdings explizit gegen ein Vverständnis der Genugtuungsfunktion als Einfallstor für Straf- oder Bußelemente in die Schmerzensgeldbemessung (BGH NJW 1995, 781). Vielmehr trage die Berücksichtigung des Verschuldens eine besonderen Einstellung des Verletzten gegenüber der Person des Schädigers Rechnung, die für einen angemessenen Ausgleich zu berücksichtigen sei (BGH a.a.O.). Dies rechtfertigt es jedenfalls bei vorsätzlichen Rechtsgutverletzungen auch ein Genugtuungsbedürfnis des Geschädigten zu berücksichtigen, welches von einem etwaigen Strafanspruch des Staates zu unterscheiden ist (BGH NJW 1995, 781). Gleiches muss für grob fahrlässige Rechtsgutverletzungen gelten, da auch hier ein im besonderen Maße die verkehrsübliche Sorgfalt verletzendes Verhalten des Schädigers das Geschehen für den Geschädigten aus dem Bereich des allgemeinen Lebensrisikos herausrückt (vgl. hierzu OLG Köln VersR 1992, 975). So ist es auch hier, die Verletzungen des Klägers beruhten auf einem grob fahrlässigen Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1). Dieser hat plötzlich unvorhersehbar auf der Fahrbahn gewendet und dabei den Unfall verursacht.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sind sodann zwar grundsätzlich auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers einzubeziehen. Findet nämlich der Verpflichtete Ersatz seiner Leistung durch ein Ausgleichsanspruch oder durch eine Haftpflichtversicherung, so ist dies bei der Beurteilung seiner wirtschaftlichen Lage zu berücksichtigen (BGHZ 18, 149, 165). Ein Schädiger, der in Höhe der Versicherungssumme durch den Haftpflichtversicherer von seiner Haftung freigestellt wird, ist wirtschaftlich günstiger gestellt, als ein Schädiger der die Schäden aus unerlaubter Handlung allein zu tragen hat (BGH a.a.O., 166). Die Einbeziehung der Haftpflichtversicherung des Schädigers in die Schmerzensgeldbemessung kann jedoch in Verkehrsunfallsachen nur dazu führen, dass eine Gleichbehandlung mit anderen Verkehrsunfallopfern erfolgt. Aufgrund der in Deutschland bestehenden Haftpflichtversicherungspflicht sind die Schädiger in diesem Punkt in aller Regel wirtschaftlich gleichgestellt. Die Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Schädigers konnte und musste daher in verständigen Grenzen erfolgen.

Nach allem war dem Kläger ein Schmerzensgeld i.H.v. insgesamt 60.000,00 DM zuzubilligen.

2)

Die Voraussetzung zur Zahlung einer Schmerzensgeldrente lagen dagegen nicht vor. Eine Schmerzensgeldrente kommt neben einer Kapitalabfindung nur in engen begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, so bei schweren voraussichtlich lebenslangen Dauerschäden (BGH VersR 1997, 65). Dies gilt beispielsweise für den Fall, in dem eine lebenslängliche Beeinträchtigung auch mit zunehmendem Alter immer wieder neu und immer wieder schmerzlich empfunden wird. Eine Rente gibt dem Geschädigten die Möglichkeit, sein beeinträchtigtes Lebensgefühl stets von neuem durch zusätzliche Erleichterung und Annehmlichkeiten zu heben (BGH VersR 1993, 113 = NJW RR 1993, 146). Dies ist der Fall bei schwersten lebenslangen Beeinträchtigungen und ständigen starken Schmerzen sowie eine erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität (vgl. OLG Frankfurt Recht und Schaden 1992, 91; OLG Düsseldorf VersR 1997, 65). Vorliegend bewegen sich die Dauerfolgen des Unfalls für den Kläger jedoch noch in einem Rahmen, in welchem eine einmalige Abfindung zu gewähren ist.

Die beantragte Rente von 250,00 DM/Monat stünde auch nicht in einem ausgewogenen Verhältnis zu einem vergleichbaren Kapitalbetrag. Eine Kapitalisierungsberechnung (vgl. hierzu BGH VersR 1976, 967; OLG Düsseldorf, VersR 1997, 65) ergäbe bei dem 35-jährigen Kläger einen Kapitalbetrag von 47.910,00 DM (250,00 DM x 12 x 16,97; vgl. Kapitalisierungstabelle bei Becker/Böhme, Kraftverkehrshaftpflichtschäden, 576). Der Rahmen des dem Kläger zuzubilligenden Schmerzensgeldes würde durch eine Rente in beantragter Höhe deutlich überschritten.

3)

Der Kläger hat gegen den Beklagten zu 1) schließlich einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 843 BGB auf Zahlung von 400,00 DM wegen der Inanspruchnahme eines Fitnesscenters zum Muskelaufbautraining, für welchen die Beklagte zu 2) gem. § 3 Pflichtversicherungsgesetz gesamtschuldnerisch haftet.

Der Kläger kann von den Beklagten die Kosten des Muskelaufbautrainings sowohl aus dem Gesichtspunkt der Wiederherstellung seines Gesundheitszustandes als auch Entrichtung einer Geldrente bei Vermehrung seiner Bedürfnisse verlangen. Der Kläger hat durch Vorlage einer internistischen Bescheinigung des behandelnden Arztes Dr. D. vom 29.12.1997 die Notwendigkeit eines regelmäßigen Muskelaufbautrainings sowie eines Koordinationstrainings in einem geeigneten Therapiezentrum unter Einleitung eines Diplomsportlehrers bewiesen. Die Beklagten können dem Kläger nicht entgegenhalten, er sei im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht gem. § 254 BGB gehalten, das Muskelaufbautraining bei einem Heilgymnasten durchzuführen, da nur diese Kosten durch die Krankenversicherung erstattet würden. Der Geschädigte ist nämlich grundsätzlich berechtigt, die zur Schadensbeseitigung am besten geeigneten Maßnahmen zu ergreifen. Dies ist mangels entgegenstehender Anhaltspunkte in der Regel die von dem Arzt empfohlene Behandlungsmethode, hier das gezielte Muskelaufbautraining im Fitnessstudio. Darüber hinaus liegt es auf der Hand, dass ein mit Spezialgeräten besonders ausgestattetes Fitnessstudio i.V.m. einem Diplomsportlehrer andere und bessere Möglichkeiten zur Durchführung eines Muskelaufbautrainings hat, als der Krankengymnast.

Der Zinsanspruch des Klägers folgt in zuerkannter Höhe aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.

Die Kostenentscheidung war dem Schlussurteil vorzubehalten. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Ziff. 10, 713 ZPO.

Wert der Beschwer für den Kläger: 54.750,00 DM (37.000,00 DM + 17.500,00 DM);

für die Beklagten: 20.400,00 DM.

Ende der Entscheidung

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