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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 19.07.2002
Aktenzeichen: 19 U 56/02
Rechtsgebiete: HGB, ZPO


Vorschriften:

HGB § 89 b
HGB § 89 a
ZPO § 91
ZPO § 97
ZPO § 108
ZPO § 711
ZPO § 546 n.F.
ZPO § 708 Nr. 10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Köln Im Namen des Volkes Urteil

19 U 56/02

Anlage zum Protokoll vom 19.07.2002

Verkündet am 19.07.2002

In dem Rechtsstreit

hat der 19. Zivilsenat des Oberlandesgericht Köln auf die mündliche Verhandlung vom 21.06.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Jaeger und die Richterinnen am Oberlandesgericht Göhler-Schlicht und Caliebe

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 29.11.2001 verkündete Urteil des Landgerichts Bonn - 12 O 93/01 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleitung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit wechselseitig ausgesprochener fristloser Kündigungen vom Mai 2001, wobei zunächst die Beklagte am 10.05.2001 eine fristlose Kündigung ausgesprochen hat, worauf der Kläger seinerseits mit fristloser Kündigung vom 16.05.2001 reagiert hat.

Zwischen den Parteien bestehen seit ca. 20 Jahren vertragliche Beziehung in der Gestalt, dass der Kläger anfangs nebenberuflich, alsbald aber Hauptberuflich für die Beklagte als Handelsvertreter tätig war. Im Jahre 1982 wurde er zum Generalagenturleiter ernannt, in den folgenden Jahren baute er unwidersprochen die Geschäftsstellen der Beklagte in M. und in W./O. auf, 1990 wechselte er nach D. und baute dort die Direktion der Beklagten auf, deren dortiger Direktionsleiter er viele Jahre war. Gravierende Differenzen ergaben sich zwischen den Parteien, jedenfalls, als die Direktion D. gegen den Willen des Klägers aufgeteilt wurde, woraus sich eine Verschlechterung der finanziellen Situation des Klägers ergab.

Nach dem im wesentlichen ebenfalls unwidersprochenen Vortrag des Klägers hat der Kläger für die Beklagte in der Zeit seiner Tätigkeit einen ungewöhnlich hohen Umsatz abgerechnet und allein in D. und Umgebung mehr als 20.000 Kundenverbindungen jedenfalls mitursächlich zustande gebracht.

Mehrjähriger Vorstandsvorsitzender der Beklagten war ein Herr M., der inzwischen eine Firma F. Finanz AG als Wettbewerberin der Beklagten führt und der mit dem Kläger freundschaftlich verbunden war und ist. Im Frühjahr 2001 wollte diese F. Finanz AG in D. eine Niederlassung aufbauen, weshalb sie in der S. Zeitung Anfang April 2001 eine Anzeige schaltete, auf die der Kläger Mitarbeiter seiner Direktion schon vor deren Erscheinen hinwies. Ob der Kläger Mitarbeiter der Beklagten zu einem Wechsel der Firma F. Finanz AG drängte, ist zwischen den Parteien ebenso streitig wie die Frage, ob der Kläger insoweit Konstruktionen aufzeigte, durch Einschalten einer Maklerorganisation - etwa über seine Ehefrau - es zu ermöglichen, dass ein Bestand bei einem Wechsel "mitgenommen" werden könne. Ebenfalls ist streitig, ob der Kläger gegenüber der F. Finanz AG, für die er inzwischen zu einem nicht mir mitgeteilten Datum selbst tätig ist, interner der Beklagten mitgeteilt hat.

Mit Schreiben vom 10.05.2001 (GA 16, 17) kündigte die Beklagte die Vertragsbeziehung zum Kläger "fristlos aus wichtigem Grund sofort, hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt" (dies ist unstreitig der 30.11.2001), worauf der Kläger seinerseits mit Anwaltsschreiben vom 16.05.2001 (GA 18 ff.) fristlos kündigte, da "...keiner der - in der Tat erheblichen - Vorwürfe auch nur im Ansatz begründet..." sei, weshalb die fristlose Kündigung der Beklagten unwirksam und Grund für die nunmehr von ihm erklärte fristlose Kündigung sei.

Nach Durchführung einer Beweisaufnahme hat das Landgericht mit Urteil vom 29.11.2001, auf dessen Inhalt wegen sämtlicher Einzelheiten Bezug genommen wird, festgestellt, dass die Kündigung der Beklagten nicht gerechtfertigt, die Kündigung des Klägers berechtigt sei.

Hiergegen wendet sich die Beklagte unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens mit ihrer Berufung. Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst allen Anlagen ergänzend Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat unter zutreffender Würdigung der erhobenen Beweise mit einer äußerst eingehenden und abgewogenen Begründung zutreffend entschieden. Die hiergegen in der Berufungsinstanz vorgebrachten Einwendungen der Beklagten rechtfertigen keine abweichende Entscheidung.

1. Das Verhalten des Klägers berechtigte die Beklagte nicht, diesen gegenüber ohne vorheriger Abmahnung die fristlose Kündigung des Handelsvertretervertrages auszusprechen. Zur Begründung wird zunächst Zwecks Vermeidung von Wiederholungen voll inhaltlich auf die zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Ergänzend ist folgendes auszuführen:

Ob eine fristlose Kündigung seitens des Unternehmers gerechtfertigt ist, ist wegen der weitreichenden finanziellen Folgen für den Handelsvertreter stets unter Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu bewerten. Zutreffend hat das Landgericht als Ergebnis der Beweisaufnahme zwar u. a. festgestellt, dass der Kläger sich nicht uneingeschränkt korrekt verhalten hat. Angesicht der Gesamtumstände des Falles rechtfertigte dieses Verhalten des Klägers es aber nicht, eine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung auszusprechen. Dabei ist nicht nur, wie das Landgericht dies zutreffend getan hat, darauf abzustellen, dass der Kläger - unstreitig - in einem ungewöhnlichen Ausmaß über 20 Jahre erfolgreich für die Beklagte tätig war. Abzustellen ist vielmehr auch darauf, dass es hier letztendlich die Beklagte war, die den Kläger durch ihr Vorgehen in eine Situation gebracht hat, in der es zumindest menschlich verständlich ist, dass er sich nicht völlig korrekt verhalten hat. Unwidersprochen hat z. B. der Kläger vorgetragen (GA 5), dass das Vertragsverhältnis ihm gegenüber durch die Beklagte bereits im Mai 1999 mündlich gekündigt worden sei und in der Folgezeit diese Kündigung mit Rücksicht auf die hohen Umsätze, die der Kläger gebracht hat, zurückgenommen worden ist. Ebenso unstreitig ist, wie es auch dem Vorstand der Beklagten bekannt, dass er ganz erhebliche Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit dem Zeugen K. hatte. Hierzu hat der Kläger unwidersprochen vorgetragen (GA 57), dass noch im März 2001 anlässlich einer Führungsrunde das Vorstandsmitglied S. ihm zugesagt habe, dass er von dem Zeugen K. in Ruhe gelassen werde und damit unabhängiger solle arbeiten können. Von diesem Zeitpunkt an habe der Zeuge K. die von dem Kläger geleitete Direktion in D. und den Kläger selbst benachteiligt. Ebenso ist nicht zu verkennen, dass die Beklagte den Kläger - trotz unstreitiger Ausgleichszahlung - durch die Aufteilung der Direktion in D. in eine für diesen schwierige finanzielle Situation gebracht hatte.

In dieser spannungsgeladenen Situation hat die Beklagte bereits im April 2001, spätestens am 30.04.2001, durch Führungskräfte aus D. von allen für sie wichtigen Einzelheiten über die aus ihrer Sicht durchaus bedrohlich erscheinende Situation in der Direktion in D. Kenntnis erhalten. Dies hat den Zeugen K. veranlasst, nach D. zu fahren und dort mit den Führungskräften Gespräche zu führen - bezeichnender Weise aber nicht mit dem Kläger. Im Zeitpunkt dieser Gespräche musste der Zeuge K. aufgrund des Inhalts der Schreiben (GA 90 ff.) und der Aussagen der Zeugen, dass keiner der Mitarbeiter der D. Direktion zu F. Finanz AG wechseln wollte, die Situation in D. also tatsächlich für die Beklagte nicht bedrohlich war. Mit diesem Wissen hat dann Herr S. am 10.05.2001 mit dem Kläger ein Gespräch geführt, welches aus Sicht des Klägers dazu dienen sollte, für ihn die Grundlagen für eine weitere Mitarbeit bei der Beklagten zu sichern. Die Beklagte ist statt dessen mit einem bereits vorgefertigten schriftlichen Kündigungsschreiben in dieses Gespräch gegangen. Zusätzlich hat der Kläger unwidersprochen vorgetragen, dass der Zeuge K. nicht nur die Zeugin K. bereits vor dem Gespräch vom 10.05.2001 nach B. zitiert hatte, um mit ihr über die neue Büroorganisation in D. nach dem Ausscheiden des Klägers zu sprechen und er zusätzlich sogar die Zeugin G. angewiesen hatte, das Büro des Klägers in D. während dessen Abwesenheit bis auf den letzten Zettel auszuräumen (GA 56, 57). Vor diesem Hintergrund erscheint es dem Senat nicht überzeugend, wenn die Beklagte nunmehr in der Berufungsinstanz vorträgt, was der Vorstandsmitglied S. bei seiner Anhörung vor dem Senat jedenfalls teilweise bestätigt hat, dass dann, wenn der Kläger in dem Gespräch mit Herrn S. seine Abwerbungsversuche eingeräumt hätte, die Beklagte die fristlose Kündigung nicht ausgesprochen hätte. Zudem hatte der Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme überhaupt keine Veranlassung, die ihm gegenüber erhobenen Vorwürfe der Beklagten, er habe Mitarbeiter "gedrängt" bzw. fast genötigt, mit ihm zur F. Finanz AG zu wechseln, in dem Gespräch vom 10.05.2001 einzuräumen.

Wäre der Beklagten, wie sie nunmehr behauptet, in einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Kläger gelegen gewesen, so hätte nichts näher gelegen, als dem Kläger anlässlich des Gesprächs vom 10.05.2001 ihren Wissensstand über die Situation in D. zu eröffnen und ihn zu ermahnen, in Zukunft keinerlei weiteren Einfluss auf die berufliche Entwicklung seiner Mitarbeiter zu nehmen, und in der Gestalt abzumahnen, dass jede weitere wie auch immer geartete Einflussnahme des Klägers die Beklagte ggfls. zum Ausspruch einer Kündigung veranlassen werde. Angesichts des tatsächlichen gezeigten Verhaltens der Beklagten ist das Landgericht nach Ansicht des Senats zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte die für sie objektiv nicht bedrohliche Situation in D. zum Anlass genommen hat, sich durch eine außerordentliche Kündigung von dem aus Sicht der Beklagten schwierig gewordenen Kläger zu trennen, ohne ihm einen Ausgleich gemäß § 89 b HGB zahlen zu müssen.

2. Die fristlose Kündigung des Klägers hingegen gemessen an den Maßstäben des § 89 a HGB berechtigt. Ihm war es aufgrund des Verhaltens der Beklagten nicht zuzumuten, weiterhin mit ihr zusammenzuarbeiten. Das von der Beklagten gezeigte Verhalten hat dazu geführt, dass dem Kläger ein Abraten der Frist zur ordentlichen Kündigung unzumutbar geworden war. Dies folgt zum einen bereits aus der unberechtigten fristlosen Kündigung der Beklagten, durch die das ohnehin schon durch das Verhalten der Beklagten in der Zeit seit Ausspruch der ersten - zurückgenommenen - Kündigung sehr stark beeinträchtigte Vertrauensverhältnis endgültig zerstört würde. Die Berechtigung des Klägers zur fristlosen Kündigung folgt darüber hinaus aber auch aus den - nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme - unberechtigten Vorwürfe der Beklagten, der Kläger habe Mitarbeiter in D. abwerben wollen, und nicht zuletzt daraus, dass die Beklagte den Kläger in dem Glauben gelassen hat, sei wolle am 10.05.2001 mit ihm ein Gespräch zur Klärung der weiteren Zusammenarbeit der Situation führen, statt dessen aber - unwidersprochen - bereits vorher durch den Zeugen K. hinter dem Rücken des Klägers die Büroorganisation in D. nach dem "Ausscheiden" des Klägers geregelt hat und zudem in der Zeit der Abwesenheit des Klägers dessen Büro in D. bereits hat leerräumen lassen. Durch dieses Verhalten hat die Beklagte dem Kläger jede weitere Zusammenarbeit mit ihr unzumutbar gemacht.

III.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 97, 108, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 546 ZPO n.F. nicht erfüllt sind.

Streitwert für das Berufungsverfahren und zugleich Wert der Beschwer für die Beklagte: 51.129,19 € (=100.000,00 DM).

Ende der Entscheidung

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