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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 10.09.2003
Aktenzeichen: 2 W 87/03
Rechtsgebiete: GG, ZPO, InsO


Vorschriften:

GG Art. 103 Abs. 1
ZPO § 572 Abs. 1
InsO § 130
InsO § 131
InsO § 139
1. Ein zurückgenommener Insolverzantrag kann ebenso wenig wie ein wirksam für erledigt erklärter Insolvenzantrag Grundlage für eine Anfechtung gemäß den §§ 130 ff. InsO sein.

2. Die Nichtberücksichtigung eines Schriftsatzes, der nach der Unterschriftsleistung der Richter, der und vor der Herausgabe der Entscheidung aus den inneren Gerichtsbetrieb bei Gericht eingegangen ist, verletzt Art. 103 Abs. 1 GG.


Oberlandesgericht Köln Beschluss

2 W 87/03

Verkündet am: 10.09.2003

Tenor:

Der Nichtabhilfebeschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 22. August 2003 - 4 O 111/03 - wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über die Frage der Abhilfe an das Landgericht zurückverwiesen.

Gerichtskosten des Verfahrens der Beschwerde werden nicht erhoben.

Gründe:

1. Die gemäß § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO statthafte, in rechter Frist (§§ 127 Abs. 2 S. 3 ZPO, 569 Abs. 1 S. 1 ZPO) eingelegte sofortige Beschwerde des Antragstellers führt zur Aufhebung der Nichtabhilfeentscheidung und zur Zurückverweisung an das Landgericht zur erneuten Entscheidung über die Frage der Abhilfe. Das Verfahren des Landgerichts nach Einlegung der sofortigen Beschwerde leidet an einem wesentlichen Mangel.

a) Der verfassungsrechtlich verbürgte Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Ab. 1 GG) verpflichtet die Gerichte, das Vorbringen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Entscheidung in Erwägung zu ziehen. § 572 Abs. 1 S. 1 ZPO verpflichtet das Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, nach Eingang der Beschwerde zu prüfen, ob sie begründet ist. Wird dies bejaht, so hat das Gericht I. Instanz ihr abzuhelfen. Daraus folgt zugleich, dass dann, wenn die Beschwerde neues Vorbringen, insbesondere zu den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung enthält, das Gericht den Nichtabhilfebeschluss begründen muss (vgl. OLG Köln, FamRZ 1986, 447; OLG Hamm, FamRZ 1986, 1127 (1128); OLG Hamm MDR 1988, 871; Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl. 2002, § 572 Rn. 7).

b) Gegen diese Grundsätze hat das Landgericht bei Erlass der Nichtabhilfeentscheidung vom 22. August 2003 verstoßen, indem es sich auf den Hinweis beschränkt hat, dass auch das Beschwerdevorbringen ein Abänderung des angefochtenen Beschlusses nicht gebiete.

aa) Das Landgericht hat die fehlende Erfolgsaussicht (§ 114 ZPO) der von dem Antragsteller beabsichtigten Klage in dem angefochtenen, Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss vom 22. Mai 2003 damit begründet, dass eine Anfechtung gemäß den § 130, 131 InsO ausscheide, weil die angefochtenen Zahlungen vom 12. Dezember sowie 27. Dezember 2001 an die Antragsgegnerin nicht drei Monate vor dem nach § 139 InsO maßgeblichen Eröffnungsantrag erfolgt seien. Diesen Ausführungen ist zuzustimmen. Insbesondere entspricht die Auffassung des Landgerichts, dass der Eröffnungsantrag der AOK vom 21. Februar 2002 aufgrund der erfolgten Rücknahme des Antrags bei der Fristberechnung außer Betracht zu bleiben hat, der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, ZIP 1999, 1977 zu § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO; siehe auch BGHZ 149, 178 ff.), der der Senat folgt. Ein zurückgenommener Insolvenzantrag kann ebenso wenig wie ein wirksam für erledigt erklärter Insolvenzantrag Grundlage für eine Anfechtung gemäß den §§ 130 ff. InsO sein (vgl. BGHZ 149, 178 ff.; siehe auch OLG Hamm, ZIP 2000, 2214 zu § 30 KO). Deshalb kann die Anfechtung auch nicht darauf gestützt werden, dass die Zahlungen nach dem von der Antragsgegnerin selbst gestellten Eröffnungsantrag vom 10. Oktober 2001 erfolgt sind. Auch dieser Antrag bleibt unberücksichtigt, weil er von der Antragsgegnerin für erledigt erklärt worden ist und deshalb von sich aus nicht zu einer Verfahrenseröffnung führen konnte. Maßgeblich für die Fristberechung gemäß den §§ 130, 131, 139 Abs. 2 InsO ist deshalb der Eröffnungsantrag der BEK vom 14. Mai 2002; dieser liegt jedoch außerhalb des Drei-Monats-Zeitraumes.

Die von dem Antragsteller befürchteten Missbrauchsmöglichkeiten gebieten keine abweichende Beurteilung. Ihnen kann auf der Grundlage der §§ 133 ff. InsO sowie des § 826 BGB begegnet werden (vgl. BGHZ 149, 178 sowie auch bereits BGH, ZIP 1999, 1977).

bb) Der Antragsteller hat sich mit seiner sofortigen Beschwerde jedoch nicht lediglich mit den Ausführungen des Landgerichts zu dem Fehlen der Anfechtungsvoraussetzungen der §§ 130, 131 InsO auseinandergesetzt. Vielmehr hat er in seinem ergänzenden Schriftsatz vom 20. August 2003 die Anfechtung der hier in Rede stehenden Zahlungen vom 12. Dezember und 27. Dezember 2001 zusätzlich auf die Vorschrift des § 133 Abs. 1 InsO gestützt und zu den Voraussetzungen dieser Vorschrift näher vorgetragen, wobei er teilweise hinsichtlich der Vermögenssituation der Schuldnerin und der Kenntnisse der Antragsgegnerin hiervon auf frühere Ausführungen Bezug genommen hat. Darüber hinaus hat der Antragsteller auf verschiedene Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (u. a. Urteile vom 27.05.2003, ZIP 2003, 1506 ff. sowie vom 9. Januar 2003, IX ZR 175/02 - veröffentlicht u. a. in ZInsO 2003, 180 ff. -) verwiesen. Da die in § 133 InsO normierte 10-Jahres-Frist auf jeden Fall eingehalten war, hätte sich das Landgericht jedenfalls mit diesen neuen Ausführungen im Rahmen seiner Nichtabhilfeentscheidung auseinandersetzen müssen, da die Ausführungen zur Fristproblematik in dem die Prozesskostenhilfe verweigernden Beschluss vom 22. Mai 2003 die Verneinung eines Anfechtungsanspruches gemäß § 133 InsO nicht tragen. Statt dessen hat das Landgericht in der Nichtabhilfeentscheidung lediglich darauf hingewiesen, dass auch das Beschwerdevorbringen einer Abänderung des angefochtenen Beschlusses nicht gebiete. Eine nähere Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Antragstellers zu der Vorschrift des § 133 InsO war auch nicht ausnahmsweise deshalb entbehrlich, weil ein Anfechtungsanspruch nach dieser Vorschrift von vornherein nicht in Betracht kommt. Vielmehr bedarf dies unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einer eingehenden Prüfung, wobei das Landgericht den gesamten Vortrag des Antragstellers zu der Vermögenssituation der Schuldnerin und zu den subjektiven Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO in seine Überlegungen mit einzubeziehen hat. Insoweit ist auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Antragsgegnerin selbst unter dem 10. Oktober 2001 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit der Begründung gestellt hat, dass eine Zahlungsunfähigkeit vorliege. Eine einmal eingetretene Zahlungseinstellung wirkt grundsätzlich fort und kann nur dadurch wieder beseitigt werden, dass die Zahlungen im allgemeinen wieder aufgenommen werden. Die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt grundsätzlich derjenige, der sich auf dem nachträglichen Wegfall einer zuvor eingetretenen Zahlungseinstellung beruft (vgl. BGHZ 149, 178). Allein die Tilgung der eigenen Forderung des Gläubigers schließt die Kenntnis einer einmal eingetretenen Zahlungsunfähigkeit regelmäßig nicht aus (vgl. auch hierzu BGHZ 149, 178).

cc) Allerdings ist der ergänzende Schriftsatz des Antragstellers vom 20. August 2003 erst zu einem Zeitpunkt beim Landgericht eingegangen zu dem der Nichtabhilfebeschluss vom 22. August 2003 bereits mit drei Unterschriften versehen war. Dies berechtigte das Landgericht jedoch nicht dazu, den Schriftsatz völlig unberücksichtigt zu lassen. Im Zeitpunkt des Eingangs des Schriftsatzes war nämlich der Nichtabhilfebeschluss der Kammer noch nicht erlassen, da der Beschluss noch nicht aus dem inneren Gerichtsbetrieb herausgegeben worden war. Dies ist bei einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren - wie hier - regelmäßig erst dann der Fall, wenn der Urkundsbeamte die Ausfertigung zur Zustellung oder zur formlosen Übersendung an die Parteien in das Rechtsanwalts- oder Abtragefach der Geschäftsstelle eingelegt hat (vgl. nur BVerfG, NJW 1993, 51; Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl. 2003, § 329 Rn. 5). Die Nichtberücksichtigung von vor Erlass einer Entscheidung vorgelegten Schriftsätzen verletzt Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG a.a.O.; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1988, 319; vgl. auch Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl. 2002, § 329 Rn. 10). Vorliegend wurde ausweislich der Verfügung der Geschäftsstelle vom 27. August 2003 der Schriftsatz noch vor der Absendung des Beschlusses dem Vorsitzenden zur Kenntnisnahme vorgelegt, ohne dass indessen sich die Kammer mit dem neuen Vorbringen auseinandergesetzt hätte.

dd) Der Senat hält es für angezeigt, dass das Landgericht die Prüfung der Erfolgsaussichten (§ 114 ZPO) der beabsichtigten Klage im Hinblick auf eine Anfechtung gemäß § 133 Abs. 1 InsO nachholt und verweist die Sache daher an das Landgericht zurück.

2. Die Feststellung, dass das Landgericht die Sache dem Beschwerdesenat vorgelegt hat, ohne sich mit dem gesamten Beschwerdevorbringen bei der Entscheidung über die Abhilfe auseinander zu setzen, ist gleichbedeutend mit der Bejahung einer unrichtigen Sachbehandlung im Sinne von § 8 Abs. 1 S. 1 GKG. Etwaige Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens sind deshalb nicht zu erheben. Im übrigen ist eine Kostenentscheidung im Hinblick auf Regelung des § 127 Abs. 4 ZPO nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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