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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 07.03.2008
Aktenzeichen: 2 Ws 106/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 46 Abs. 3
StPO § 329
StPO § 329 Abs. 3
Erscheint der Angeklagte zur Berufungshauptverhandlung nicht pünktlich, können weitergehende Anforderungen an die Wartepflicht gestellt werden, wenn dem Gericht bestimmte Verzögerungsgründe bekannt sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Angeklagte alsbald erscheinen wird.
Tenor:

Der angefochtenen Beschluss wird aufgehoben.

Dem Angeklagten wird gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung vom 17.1.2008 auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die im Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten und notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I.

Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts L. vom 5.11.2007 wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Diebstahl zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden. Auf die vom Angeklagten gegen das Urteil eingelegte Berufung ist Termin zur Hauptverhandlung auf den 17.1.2008, 9.30 Uhr bestimmt worden. Der Angeklagte war zur Terminsstunde nicht erschienen. Nachdem sein Verteidiger ausweislich Terminsprotokolls mitgeteilte hatte, der Angeklagte habe sich vor wenigen Minuten telefonisch gemeldet und erklärt, er befände sich am Parkhaus und werde in wenigen Minuten eintreffen, verwarf die Strafkammer um 9.47 Uhr die Berufung des Angeklagten. Um 9.50 Uhr erschien der Angeklagte und machte Ausführungen zu den Gründen seines verspäteten Erscheinens. Um 10 Uhr erschien der Bruder des Angeklagten und versicherte an Eides statt, er habe den Angeklagten um 8 Uhr oder 5 Minuten vor 8 Uhr abgeholt. Da auf der A3 ein Stau gewesen sei, seien sie in Köln Mülheim abgefahren und von dort bis zur Severinsbrücke gefahren. In der Innenstadt hätten sie sich verfahren und mehrfach nach dem Weg fragen müssen.

Den im Termin gestellten Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat die Strafkammer mit Beschluss vom 11.2.2008 verworfen. Der Angeklagte habe sein Ausbleiben nicht genügend entschuldigt. Er habe nicht genügend Zeit für die Anfahrt und Suche nach dem Gericht eingeplant, außerdem keinen Stadtplan oder eine sonstige Orientierungshilfe mitgenommen, nicht einmal die vollständige Adresse des Gerichtsgebäudes gewusst. Ein weiteres Zuwarten über die übliche Dauer von 15 Minuten sei dem Gericht nicht zuzumuten gewesen. Trotz des Telefonanrufs sei nicht klar gewesen, wann der Angeklagte tatsächlich erscheine und ob seine Verspätung genügend entschuldigt sei. Außerdem sei seine Auskunft, er befinde sich am Parkhaus unrichtig gewesen, da sein Bruder angegeben habe, ihn vor dem Gebäude abgesetzt zu haben.

Die Entscheidung ist dem Verteidiger des Angeklagten am 18.2.2008 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 22.2.2008, der am selben Tag beim Landgericht eingegangen ist, hat er für den Angeklagten sofortige Beschwerde eingelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde ist nach §§ 329 Abs. 3, 46 Abs. 3 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch in der Sache begründet.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Angeklagte eine ausreichend bemessene Zeit für die Fahrt nach K. eingeplant und sich genügend auf die Suche nach dem Gerichtsgebäude vorbereitet hat.

Zweck des § 329 StPO ist es, den Angeklagten zu hindern, die Entscheidung des Berufungsgerichts dadurch hinauszuzögern, dass er sich der Verhandlung entzieht (BGHSt 17, 188; Ruß in Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Auflage, § 329 Rdn. 1; Meyer-Goßner, StPO, 50. Auflage, § 329 Rdn. 2; Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 329 Rdn. 1). Die Ausnahme vom Grundsatz, dass gegen einen abwesenden Angeklagten kein Urteil erlassen werden darf, beruht auf der Unterstellung, dass der säumige Angeklagte an der Durchführung der Hauptverhandlung kein Interesse hat und auf das Rechtsmittel und damit eine sachliche Überprüfung des Urteils verzichtet (BGHSt 15, 287, 289; 24 143, 150; Meyer-Goßner a.a.O. OLG Hamm NStZ 1997, 368). Von einem Sich-Entziehen kann dann ausgegangen werden, wenn er auch nach Ablauf einer angemessenen Frist unentschuldigt nicht erscheint. Im Regelfall wird eine Wartezeit von etwa 15 Minuten ausreichen. Dieser Zeitraum stellt jedoch keine starre Grenze dar. Wie weit die Grenzen zu ziehen sind und die Frist zu bemessen ist, ist vielmehr eine Frage des Einzelfalles. Weitergehende Anforderungen an die Wartepflicht können dann zu stellen sein, wenn dem Gericht bestimmte Verzögerungsgründe bekannt sind (SenE vom 8.8.2000 2 Ws 391/00). Das gilt insbesondere, wenn Anhaltspunkt dafür bestehen, dass der Angeklagte alsbald erscheint, etwa bei telefonischer Verständigung über eine etwa Verspätung, selbst wenn diese eine Stunde beträgt (Gössel in Löwe-Rosenberg a.a.O. Rdn. 4; OLG Hamm NStZ-RR 1997, 368; OLG Frankfurt NStZ-RR 1998, 211; OLG Köln 1. Strafsenat SenE vom 13.1.2004 StraFo 2004, 143).

Vorliegend hatte der Angeklagte noch vor Ablauf der allgemein üblichen Wartefrist von 15 Minuten mitgeteilt, er sei am Parkhaus und werde in wenigen Minuten erscheinen. Damit war klar, dass er sich dem Verfahren nicht entziehen wollte, sondern sich nur verspätet hatte und an der Verhandlung auf jeden Fall teilnehmen wollte.

Wenn das Berufungsgericht daraufhin 17 Minuten nach der angesetzten Terminsstunde die Berufung verwarf, beruht das auf einer Verkennung des Zwecks der Vorschrift des § 329 StPO und einer Verletzung des Gebotes des fairen Verfahrens.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 7 StPO und § 467 StPO analog.

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