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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 25.05.2009
Aktenzeichen: 2 Ws 243/09
Rechtsgebiete: StPO, FreizügG, AufenthG, StGB


Vorschriften:

StPO § 454 Abs. 3 Satz 1
StPO § 456 a
StPO § 467 Abs. 1 Satz 1
FreizügG § 2
FreizügG § 6 Abs. 1
FreizügG § 7 Abs. 1 S. 1
AufenthG §§ 53 ff
StGB § 56 c Abs. 1 Satz 2
StGB § 56 c Abs. 2 Nr. 1
StGB § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
StGB § 57 Abs. 3 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

I. In Abänderung der angefochtenen Entscheidung wird die weitere Vollstreckung Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Köln vom 06.09.2007 (Az 103-25/07) zur Bewährung ausgesetzt mit Wirkung zum 15. Juni 2009 mit folgenden Auflagen und Weisungen:

1. Die Bewährungszeit beträgt fünf Jahre.

2. Der Verurteilte hat sich innerhalb der Bewährungszeit straffrei zu führen.

3. Der Verurteilte wird angewiesen, unverzüglich nach der Entlassung aus der Strafhaft in vorliegender Sache in sein Heimatland Rumänien auszureisen und während der Bewährungszeit nicht wieder in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen.

4. Der Verurteilte hat der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Köln zum Aktenzeichen StVK 1133/08

a) bis zum 30. Juni 2009 einen Nachweis über die Ausreise nach Rumänien zu erbringen;

b) bis zum 15. Juli 2009 seine Wohnanschrift in Rumänien mitzuteilen;

c) jeden Wohnsitzwechsel mitzuteilen.

II. Die Belehrung über die Bedeutung der Strafaussetzung ( § 268 a Abs. 3 StPO) wird dem Leiter der Justizvollzugsanstalt Köln übertragen.

III. Verurteilten hierin entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:

I.

Durch Urteil des Landgerichts Köln vom 06.09.2007 (Az 103-25/07) wurde gegen den Beschwerdeführer wegen Beihilfe zur gewerbs- und bandenmäßigen Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion in Tateinheit mit Ausspähen von Daten in sechs Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verhängt. Zwei Drittel der Strafe waren am 25.02.2009 verbüßt. Das Strafende ist für den 26.02.2010 notiert.

Mit Beschluß vom 06.04.2009 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Köln die Reststrafenaussetzung zum 2/3-Termin abgelehnt. Gegen diese ihm am 15.04.2009 zugestellte Entscheidung hat der Verurteilte mit Verteidigerschriftsatz vom 15.04.2009, per Fax am selben Tage bei dem Landgericht Köln eingegangen, sofortige Beschwerde eingelegt.

II.

Die gemäß § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthafte und auch sonst zulässige sofortige Beschwerde hat Erfolg.

1. Der Senat bemerkt zunächst folgendes : Nach dem Inhalt der Akten ist davon auszugehen, dass - als Bestandteil einer Urteilsabsprache - die Staatsanwaltschaft gem. § 456 a StPO bereits zum Halbstrafenzeitpunkt von der weiteren Vollstreckung der Strafe abgesehen hätte, sich hieran aber gehindert gesehen hat, weil gegen den Verurteilten keine Ausweisungsverfügung vorliegt und nach Auffassung der Ausländerbehörden auch nicht ergehen kann. Als EU-Bürger fällt der Verfolgte unter die Bestimmungen des als Teil des Zuwanderungsgesetzes am 01.01.2005 in Kraft getretenen FreizügG/EU und genießt gem. § 2 FreizügG das Recht auf Freizügigkeit. Die Ausländerbehörde der Stadt Düsseldorf steht gemäß Schreiben vom 18.02.2008 auf dem Standpunkt, dass weder die Verurteilung durch das Landgericht noch sonstige Umstände eine ausreichende Grundlage dafür bieten, gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG den Verlust des Rechts der Freizügigkeit, der nach § 7 Abs. 1 S.1 FreizügG zur Ausreisepflicht des Verurteilten führen würde, festzustellen. Die Staatsanwaltschaft Köln hat daraufhin mit Schreiben vom 16.06.2008 dem Verurteilten mitgeteilt, dass nicht gemäß § 456 a StPO verfahren werden könne.

Eine Benachteiligung gegenüber Ausländern aus Nicht-EU-Staaten, für die die strengeren Ausweisungstatbestände der §§ 53 ff AufenthG gelten, liegt darin nicht. Die Rechtsstellung von EU-Bürgern wird durch das FreizügG vielmehr deutschen Staatsangehörigen angeglichen, die ebenso wenig Maßnahmen nach § 456 a StPO erreichen können. § 456a StPO kann nach der Änderung von Art. 16 Abs. 2 GG zwar grundsätzlich auch auf Deutsche Anwendung finden (vgl BVerfG NJW 2004, 356), jedoch nur bei einer Verpflichtung, Deutschland zu verlassen, etwa in Auslieferungsfällen. Die Bereitschaft, Deutschland freiwillig zu verlassen, wie sie der Verurteilte erklärt hat, genügt als Grundlage für Maßnahmen nach § 456 a StPO weder bei einem Deutschen noch bei einem EU-Bürger.

2. Die Strafvollstreckungskammer hat allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Sach-und Rechtslage die für die Reststrafenaussetzung erforderliche günstige Sozialprognose nicht zu ersetzen vermag. Eine solche Prognose - die nicht die Gewissheit künftiger Straffreiheit, sondern nur eine naheliegende Chance für ein positives Ergebnis voraussetzt - ist hier bereits gerechtfertigt.

Es kann gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB verantwortet werden, die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen. Die Staatsanwaltschaft hat mit Verfügung vom 01.12.2008 auf die Ablehnung eines Antrags des Verurteilten gemäß § 456 a StPO verwiesen und der Entlassung zum 2/3-Zeitpunkt nicht widersprochen.

a) Der Verurteilte hat inzwischen deutlich mehr als 2/3 der Strafe verbüßt. Er ist zwar nicht Erstverbüßer, gleichwohl nimmt die Bedeutung der Tat mit zunehmender Dauer für die Prognoseentscheidung ab, wobei das Gewicht der Tat schon nach den Urteilsgründen nicht besonders schwer wiegt. Das Landgericht hat einen minderschweren Fall angenommen und im übrigen auch die Vorstrafen des Verurteilten als "nicht von nennenswerter Bedeutung" eingestuft.

b) Das Verhalten im Vollzug fällt uneingeschränkt positiv ins Gewicht.

Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Köln hat in seiner Stellungnahme vom 13.11.2008 dem Verurteilten eine einwandfreie Führung bescheinigt, besonders seine Arbeitsleistung im Kantinenbetrieb der Anstalt als vorbildlich hervorgehoben und eine vorzeitige Entlassung - wenn auch unter Zurückstellung von Bedenken - aufgrund der guten vollzuglichen Führung für noch vertretbar gehalten. Dabei beziehen sich die Bedenken auf ein (fragliches) Alkoholproblem des Verurteilten, der im übrigen der deutschen Sprache nicht mächtig ist und in Deutschland keine wirtschaftliche Perspektive hat.

c) Der Verurteilte hat bei seiner Anhörung durch die Strafvollstreckungskammer erklärt, er wolle nach der Entlassung aus der Haft zu seiner Ehefrau nach Rumänien zurückkehren und dort zusammen mit seinem Bruder eine Existenz im Gastronomiebereich aufbauen. Diese Angaben erscheinen dem Senat nicht von vorneherein als unglaubwürdig, auch wenn der Verurteilte in früheren Jahren nach illegaler Einreise bereits mehrfach nach Rumänien abgeschoben worden ist. Mangels einer tragfähigen Lebensgrundlage in Deutschland und nach Verbüßung mehrjähriger Haft stellt sich die Situation für den Verurteilten nunmehr deutlich anders dar. Er hat im Vollzug erfahren und unter Beweis stellen können, dass er über berufliche Fähigkeiten verfügt, die er für eine straffreie Lebensführung auch in seinem Heimatland einsetzen kann.

d) Das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit steht nicht durchgreifend entgegen. Das Restrisiko erneuter Straffälligkeit erscheint dem Senat vertretbar. Es ist sichergestellt, dass der Verurteilte im Falle der Wiedereinreise während der Bewährungszeit mit dem Widerruf der nunmehr bewilligten Reststrafenaussetzung zur Bewährung rechnen muß und so eine Wiedereinreise vermieden wird.

e) Die dem Verurteilten gemäß § 56 c Abs. 2 Nr. 1 in Verb. mit § 57 Abs. 3 Satz 1 StGB erteilten Weisung, die Bundesrepublik zu verlassen und während der auf fünf Jahre festgesetzten Bewährungszeit ( § 56a Abs. 1 S. 2 StGB) nicht wieder zu betreten, Weisung ist entgegen verbreiteter Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum (OLG Koblenz NStZ 87,24; OLG Schleswig SchlHA 91,118; OLG Stuttgart Justiz 88, 104; S/S-Stree, StGB, 27. Aufl, § 56 c Randnr.17; SK-Horn, § 56 c Randnr. 5; MK-Groß, StGB 2005, § 56 c Randnr. 20) zulässig. Der Senat hat eine solche Weisung bereits in einer früheren Entscheidung selbst erteilt (SenE vom 28.01.2000 - 2 Ws 49/00 -) und hält an der Zulässigkeit einer solchen Weisung bei dem hier gegebenen Sachverhalt fest (ebenso LG Berlin NStZ 05, 100).

Weisungen müssen von dem Ziel geprägt sein, der Resozialisierung des Täters zu dienen, indem sie ihm auf dem Weg in eine straffreie Lebensführung helfen. Bei der Auswahl der Weisungen ist der Hebel dort anzusetzen, wo die kriminogenen Faktoren sitzen.

Unzulässig sind Weisungen, denen jegliche Beziehung zum Resozialisierungsziel fehlt. (OLG Koblenz a.a.O., LG Berlin a.a.O., S/S-Stree a.a.O.).

So liegt es hier indes nicht : Zwar kann auch die Erwartung neuer Straftaten im Ausland einer günstigen Prognose entgegenstehen. Die Gefahrenquelle, von der die Begehung weiterer Straftaten ausgeht, ist hier aber maßgeblich der weitere Aufenthalt des Verurteilten in Deutschland. Seine Straftaten stehen zum einen mit den mehrfachen illegalen Einreiseversuchen in Zusammenhang und haben vor allem in ihre maßgebliche Ursache in der Perspektivlosigkeit seines Aufenthaltes in Deutschland, wo er sich stets nur vorübergehend aufgehalten hat und nie einer geregelten Arbeit nachgegangen ist. Solange mit einer erneuten Einreise zu rechnen ist, sind auch weitere Straftaten zu erwarten. Ein straffreies Leben wird der Verurteilte prognostisch betrachtet nur in seinem Heimatland durchstehen. Über Straffälligkeit des Verurteilten in Rumänien liegen dem Senat keine entgegenstehenden Erkenntnisse vor.

f) Durch die Weisung werden an den Verurteilten auch keine unzumutbaren Anforderungen im Sinne von § 56 c Abs. 1 Satz 2 StGB gestellt, da er nach seinen Erklärungen nicht mehr in Deutschland bleiben will und zur freiwilligen Ausreise bereit ist. Der Verurteilte spricht nicht Deutsch und hat in Deutschland keinerlei Bindungen; seine Ehefrau und sein Bruder leben in Rumänien. Die Weisung liegt mithin in seinem eigenen Interesse.

Die Erfüllung der Weisung wird durch die Auflage, der Strafvollstreckungskammer einen Nachweis über die Ausreise zu erbringen und die Wohnanschrift sowie jeden Wohnsitzwechsel mitzuteilen, gesichert.

g) Von weiteren Weisungen - etwa der vom Leiter der Justizvollzugsanstalt Köln befürworteten Teilnahme an einer Alkoholtherapie - hat der Senat abgesehen, weil eine effektive Überwachung in Rumänien insoweit nicht möglich und deswegen unzweckmäßig erscheint.

Die Kostenentscheidung beruht entsprechender Anwendung von § 467 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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