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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 29.06.2007
Aktenzeichen: 2 Ws 308/07
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 115
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

2 Ws 308/07

In der Strafsache

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die Beschwerde des Angeschuldigten vom 5.6.2007 gegen den Haftbefehl der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Köln vom 18.5.2007, Kr. 102-11/07,

am 29.6.2007

beschlossen:

Tenor:

1. Unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen wird der Haftbefehl unter folgenden Auflagen und Weisungen außer Vollzug gesetzt:

Der Angeschuldigte hat sich für die Dauer des Strafverfahrens jeglichen Kontakts zu den Zeuginnen O N und K N zu enthalten. Er darf insbesondere weder persönlich noch telefonisch oder schriftlich mit den Zeuginnen in Kontakt treten.

Der Angeschuldigte hat allen Ladungen in dieser Sache pünktlich Folge zu leisten.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Angeschuldigte. Die Gebühr wird um die Hälfte ermäßigt. Die Staatskasse trägt die Hälfte der dem Angeschuldigten in diesem Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe:

I.

Der Angeschuldigte befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Landgerichts Köln vom 18.5.2007 seit dem 29.5.2007 in Untersuchungshaft. In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Köln vom 13.4.2007 wird er beschuldigt, im Zeitraum September 2003 bis Mai 2006 zu Lasten seiner am 6.9.1993 geborenen Stieftochter O N sexuelle Handlungen vorgenommen zu haben. Er soll die Geschädigte aufgefordert haben, sich auszuziehen. Auch der Angeschuldigte habe sich ausgezogen und sich auf das Bett der Zeugin gesetzt, während diese stehen geblieben sei. Die Zeugin habe den Penis des Angeschuldigten in den Mund nehmen und ihn oral befriedigen müssen. Ein Oralverkehr soll in zwei Fällen stattgefunden haben, wobei die Zeugin das Ejakulat in einem Falle ausgespuckt und im anderen Falle heruntergeschluckt habe. Darüber hinaus wird dem Angeschuldigten vorgeworfen, wiederholt vor der Zeugin masturbiert zu haben. Hierbei soll er einmal seinen Finger in die Scheide der Zeugin eingeführt haben, ein andermal die Zeugin an den Brüsten gestreichelt haben. In vier weiteren Fällen habe die Zeugin die Hand an den Penis des Angeschuldigten führen und mit diesem "spielen" müssen. Zur Ejakulation sei es dabei nicht gekommen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Tatvorwürfe wird auf die Anklageschrift vom 13.4.2007 (Bl. 165 ff. d. A.) und den angefochtenen Haftbefehl verwiesen.

Das Landgericht hat den Haftbefehl am 30.5.2007 durch ein Mitglied der Kammer als beauftragte Richterin verkündet und durch Kammerbeschluss vom selben Tage eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls abgelehnt. Der Angeschuldigte hat mit Verteidigerschriftsatz vom 5.6.2007 Haftbeschwerde eingelegt, der das Landgericht mit Beschluss vom 6.6.2007 nicht abgeholfen hat. Der Verteidiger hat die Beschwerde durch Schriftsatz vom 13.6.2007 weiter begründet.

II.

Das nach § 304 Abs. 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel hat insoweit Erfolg, als es zur Aussetzung des Haftbefehls führt.

Die Beschwerde führt nicht schon deshalb zur Aufhebung des Haftbefehls, weil die Strafkammer diesen durch eine beauftragte Richterin verkündet hat. Nach § 115 StPO muss der Angeschuldigte nach Ergreifen dem zuständigen Richter vorgeführt werden. Der Haftrichter hat den Angeschuldigten zu vernehmen und zu entscheiden, ob die Haft aufrechterhalten wird. Zuständiger Haftrichter ist nach Anklageerhebung das mit der Sache befasste Gericht (§ 126 Abs. 2 S. 1 StPO). Die Vorführung und Anhörung dient hierbei der Gewährleistung rechtlichen Gehörs. Der Angeschuldigte soll sich zu den Tatvorwürfen und der Untersuchungshaft äußern können. Dieser Zweck wird auch dann erreicht, wenn das für die Haftfrage zuständige Gericht eines seiner Mitglieder mit der Verkündung des Haftbefehls beauftragt und nach dessen Vortrag dann als Kollegialgericht entscheidet, ob es die Untersuchungshaft aufrecht erhält. Der Verkündungstermin dient insoweit der Vorbereitung der vom Kollegialgericht zu treffenden Entscheidung. Zwar sieht § 115 StPO die Verkündung des Haftbefehls durch einen beauftragten Richter ausdrücklich nicht vor, die Tätigkeit eines beauftragten Richters zur Vorbereitung von Entscheidungen ist in der StPO aber in anderen Bereichen durchaus üblich (vgl. §§ 173 Abs. 3, 223 Abs. 1, 233 Abs. 2, 369 Abs. 1 StPO). Der Senat entnimmt aus diesen Vorschriften den Grundsatz, dass die StPO die Vorbereitung von Entscheidungen durch einen beauftragten Richter grundsätzlich zulässt (LR-Hilger § 126 StPO Rdnr. 23; vgl. auch OLG Stuttgart B.v. 14.7.2005, 4 HEs 59/2005, 4 HEs 59/05, Rdnr. 4, zit. nach Juris). Damit werden die Rechte des Angeschuldigten nicht in erheblicher Weise eingeschränkt. Es ist nicht ersichtlich, dass der beauftragte Richter das Ergebnis der Vernehmung den weiteren Kammermitgliedern nicht in ausreichender Weise vermitteln kann. Dies gilt insbesondere in den Fällen, wozu auch der vorliegende zählt, wo sich der Angeschuldigte selbst in keiner Weise zur Tat oder zu den weiteren für die Anordnung der Untersuchungshaft maßgeblichen Umständen äußert. Gerade hier wäre die Befassung der gesamten Kammer mit der Verkündung des Haftbefehls eine bloße Förmelei, die gerade in Anbetracht der hohen Geschäftsbelastungen der Spruchkörper sowie der gebotenen zweckmäßigen und beschleunigten Bearbeitung von Haftsachen nicht mehr angemessen wäre.

Der Senat sieht auch die Voraussetzungen für eine Anordnung der Untersuchungshaft in Übereinstimmung mit dem Landgericht als gegeben an. Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus den in der Anklageschrift genannten Beweismitteln, insbesondere der Aussage der Zeugin O N. Diese Aussage wird sowohl von der Sachverständigen, Diplom-Psychologin I, als auch von weiteren Zeugen aus dem näheren Umfeld der Zeugin N, welche die Zeugin gut kennen, als glaubhaft angesehen. Zu nennen sind insbesondere die Lehrerin der Zeugin N, die Zeugin S, und die Betreuerin der Tagesgruppe, in welcher sich die Zeugin N aufgehalten hat, die Zeugin T. Diese Aussagen genügen für die Annahme eines dringenden Tatverdachts. Soweit die Verteidigung die Aussagen der Zeugin O N vor allem deshalb in Frage stellt, weil diese Angaben zu einem Termin ihrer Mutter bei einem Elternsprechtag gemacht hat, den es nach Darstellung der Verteidigung zu diesem Zeitpunkt gar nicht gegeben haben kann, mag dem im Rahmen der Hauptverhandlung nachgegangen werden. Den aufgrund der derzeitigen Beweislage bestehenden dringenden Tatverdacht erschüttert dieses Vorbringen jedenfalls nicht. Mit dem Landgericht geht der Senat auch von einer Wiederholungsgefahr (§ 112 a Abs. 1 Nr. 1 StPO) aus. Der Angeschuldigte ist aufgrund des Urteils des Landgerichts Köln vom 29.4.1992, Az. 102-16/92, einschlägig vorbestraft. Bei dieser Verurteilung ging es um den Missbrauch zweier 6-jähriger Mädchen, die der Angeschuldigte zum Oralverkehr gezwungen hat. Der Angeschuldigte ist schließlich durch Urteil des Landgerichts Köln vom 18.11.1977, Az. 38 KLs 61 Js 352/77, zu einer Haftstrafe u.a. wegen sexueller Nötigung eines Mannes verurteilt worden. Der Senat verkennt hierbei nicht, dass es sich um lange zurückliegende Straftaten handelt. Die im Jahre 1992 abgeurteilte Tat war bereits im Jahre 1984 begangen worden. Gleichwohl ergibt sich unter Berücksichtigung auch dieser lange zurückliegenden Verhaltensweisen in Verbindung mit den dem Angeschuldigten nunmehr zur Last gelegten Taten, dass er über schwere Persönlichkeitsmängel in Bezug auf sein Sexualverhalten verfügt. Da diese nach den Anklagevorwürfen in den letzten Jahren - nach langer Zeit - erneut zum Ausbruch gekommen sind, muss zu Lasten des Angeschuldigten von der Gefahr ausgegangen werden, dass die Persönlichkeitsmängel sich auch in näherer Zukunft in Straftaten äußern.

Anders als das Landgericht ist es aus Sicht des Senats jedoch vertretbar, die bestehende Wiederholungsgefahr durch Auflagen und Weisungen im Sinne § 116 Abs. 1 StPO auszuschließen. Hierzu trägt insbesondere das Kontaktverbot zu den beiden Stieftöchtern, den Zeuginnen K und O N, bei. Diese sind derzeit ohnehin anderweitig untergebracht. Das Kontaktverbot trägt zusätzlich Sorge dafür, dass der Angeschuldigte seinen Stieftöchtern zunächst nicht mehr begegnet und von daher keine Situation geschaffen wird, die erneute Straftaten befürchten lassen könnte. Auch wenn nach dem Ergebnis der Ermittlungen derzeit kein Ansatz für einen Missbrauch der Zeugin K N besteht, hält der Senat eine Ausdehnung des Kontaktverbotes auf diese Zeugin für geboten. Es handelt sich bei ihr um ein Mädchen im vergleichbaren Alter zur Zeugin O N, die für den Fall, dass sie zum Angeschuldigten zurückkehren sollte, gefährdet sein kann. Demgegenüber hat der Senat keine Anhaltspunkte dafür, dass der weiterhin in der früheren Wohnung des Angeschuldigten und seiner Ehefrau wohnende 16-jährige Zeuge U M Opfer eines sexuellen Missbrauchs werden könnte. Zu berücksichtigen ist, dass der letzte Übergriff auf einen Mann nunmehr 30 Jahre zurückliegt und keine durchgreifenden Erkenntnisse in Bezug auf einen Missbrauch des Zeugen U M in den letzten Jahren bestehen. Eine Gefährdung dritter Personen, die sich nicht im Haushalt des Angeschuldigten aufhalten, sieht der Senat derzeit ebenfalls nicht. Bei der Entscheidung über die Haftverschonung des Angeschuldigten ist schließlich zu berücksichtigen, dass für die Zeit zwischen Bekanntwerden der Tatvorwürfe (Mai 2006) und der Inhaftierung keine weiteren Missbrauchsfälle bekannt geworden sind.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO.

Ende der Entscheidung

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