Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 20.05.2003
Aktenzeichen: 2 Ws 309/03
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 140 Abs. 2
StPO § 142 Abs. 1 S. 1
StPO § 147 Abs. 1
StPO § 309 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

2 Ws 309/03 99 Js 546/00 StA Aachen

In der Strafsache

hat der 2.Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Aachen vom 4. April 2003 - 71 Ns 133/02 - unter Mitwirkung de Vorsitzenden Richterin am Oberlandesgericht Doleisch von Dolsperg, der Richterin am Oberlandesgericht Dr. Ahn-Roth und des Richters am Oberlandesgericht Dr. Schmidt

am 20. Mai 2003

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Vorsitzenden der 1. kleinen Strafkammer des Landgerichts Aachen vom 4. April 2003 aufgehoben.

Dem Angeklagten wird als Pflichtverteidiger Rechtsanwalt I, Q-Straße, ####1 F, beigeordnet.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschwerdeführer hierin entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I.

Mit Urteil des Amtsgericht Jülich vom 28.8.2002 ( 3 Ds 99 Js 546/00 ) ist der Angeklagte vom Vorwurf des Betrugs sowie der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung freigesprochen worden. Die Staatsanwaltschaft hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt und das Rechtsmittel auf den Freispruch wegen Betrugs beschränkt.

Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, am 23.7.1999 bei einer Fa. U ein gebrauchtes Fahrzeug zu einem Kaufpreis von 15.080, -DM erworben zu haben. Er habe dem Geschäftsführer vorgespiegelt, er wolle eine Probefahrt unternehmen und sich auf diese Weise das Fahrzeug verschafft, ohne den Kaufpreis zu entrichten. Das Amtsgericht hat den Freispruch darauf gestützt, dass dem Angeklagten weder Zahlungsunwilligkeit noch Zahlungsunfähigkeit nachzuweisen sei.

Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat am 17.02.2003 Hauptverhandlung vor der 1. kleinen Strafkammer des Landgerichts Aachen stattgefunden. Auf Antrag des Wahlverteidigers Rechtsanwalt I ist das Verfahren ausgesetzt worden, weil der Verteidiger zu schriftlichen Mitteilungen einzelner Gläubiger über deren Forderungen keine Stellungnahme abgeben konnte. Der Verteidiger hat sodann mit Schriftsatz vom 24.3.2003 beantragt, als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden. Mit Beschluss vom 4.4.2003 (71 Ns 133/02) hat der Vorsitzende der 1. kleinen Strafkammer diesen Antrag abgelehnt.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg.

1. Die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers nach § 140 Abs. 2 StPO sind gegeben.

Nach dieser Vorschrift ist ein Pflichtverteidiger u.a. zu bestellen, wenn die Mitwirkung eines Verteidigers wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage erforderlich erscheint. Ein solcher Fall liegt hier vor.

a) Im Falle der Berufung der Staatsanwaltschaft gegen ein freisprechendes Urteil ist dem Angeklagten im Regelfall ein Verteidiger beizuordnen, weil eine Beurteilung des Sachverhalts aufgrund einer abweichenden Beweiswürdigung oder sonstiger unterschiedlicher Beurteilung erstrebt wird. Damit ist die Schwierigkeit der Sachlage grundsätzlich zu bejahen. Diese Auslegung des § 140 Abs. 2 StPO entspricht der überwiegenden Meinung in der Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt (vgl. OLG Düsseldorf, Wistra 1990,323; OLG Düsseldorf, StV 00, 409; OLG Frankfurt, StV 1990, 12; OLG Hamburg, StV 93,66; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 140, Rdnr. 26 ).

Der vorliegende Fall ist nicht so gelagert, dass eine Ausnahme vom Regelfall anzunehmen wäre, weil der Angeklagte wegen der einfachen Sachlage keines juristischen Beistands bedürfte. Vielmehr hat hier die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel eingelegt, weil sie die erhobenen Beweise anders würdigt als die erste Instanz. Die Strafkammer hat nunmehr die Hauptverhandlung, zu der 13 Zeugen geladen sind, auf zwei Tage terminiert. In Anbetracht der divergierenden Beurteilung der Sachlage durch Amtsgericht und Staatsanwaltschaft in diesem inzwischen umfangreicheren Verfahren ist es aus rechtsstaatlichen Gründen geboten, dem Angeklagten als juristischem Laien einen rechtskundigen Beistand zu bestellen. Damit wird dem Interesse des Staates an einem prozeßordnungsgemäßen Verfahren und an einer wirksamen Verteidigung des Angeklagten Genüge getan. b) Im Übrigen ist auch deshalb eine notwendige Verteidigung zu bejahen, weil eine sachgerechte eigene Verteidigung nur bei Gewährung von Akteneinsicht möglich ist. Durch die weiteren Ermittlungen des Landgerichts bei Gäubigern des Angeklagten hat sich mit der Zahl der potentiellen Zeugen auch der Umfang der schriftlichen Unterlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung werden, deutlich vergrößert, da zu jedem Gläubiger/Zeugen Schriftwechsel vorliegt. Hierbei handelt es sich nicht nur um einige wenige Briefe, die dem Angeklagten u.U. noch als Fotokopie zugeleitet werden könnten. Vielmehr ist diese erst in 2. Instanz begonnene Korrespondenz so umfangreich, dass sie einen eigenen Sonderband bildet mit inzwischen 60 Seiten. Für die erneute Hauptverhandlung ist damit zu rechnen, dass diese Schreiben verlesen werden oder jedenfalls die dazu geladenen Zeugen sich darauf beziehen. Für eine wirksame Verteidigung ist deshalb zur Vorbereitung auf die Hauptverhandlung Akteneinsicht erforderlich, um sich Kenntnis von dem Inhalt dieser Schreiben zu verschaffen und die Möglichkeit zu erhalten, ggfs. Fragen dazu zu stellen und Vorhalte zu machen ( vgl. OLG Köln, StV 1986,238; OLG Koblenz, StV 93, 461; NStZ-RR 00, 176 m.w.N. ). Da der Angeklagte selbst keinen Anspruch auf Akteneinsicht hat ( § 147 Abs. 1 StPO ), ist in einem solchen Fall wegen Schwierigkeit der Sachlage die Notwendigkeit der Verteidigung zu bejahen.

2. Rechtsanwalt I war in erster Instanz und in zweiter Instanz in der Hauptverhandlung vom 17.2.2003 als Wahlverteidiger bereits tätig, er genießt mithin das Vertrauen des Angeklagten und er besitzt darüber hinaus eingehende Verfahrenskenntnisse. Somit beschränkt sich das Auswahlermessen auf die Bestellung seiner Person als Verteidiger, § 142 Abs. 1 S. 1 StPO. Der Senat kann daher nach § 309 Abs. 2 StPO im Beschwerdeverfahren selbst den Pflichtverteidiger bestellen, weil eine andere Entscheidung auch durch den Vorsitzenden der Strafkammer nicht in Betracht kommt ( vgl. OLG Düsseldorf, wistra 1990, 323 ).

Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

Zurück