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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 04.09.2009
Aktenzeichen: 2 Ws 408/09
Rechtsgebiete: StPO, ZPO


Vorschriften:

StPO § 464a Abs. 2 Ziff. 2
ZPO § 91 Abs. 2 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

I.

Der früheren Angeklagten wurde mit Anklage vom 24.04.2008 Betrug in vier Fällen und Steuerhinterziehung in einem Fall zur Last gelegt. Für sie bestellte sich am 09.05.2008 Rechtsanwalt Prof. Dr. A. als Wahlverteidiger. Die frühere Angeklagte ist durch Urteil des Landgerichts Aachen vom 11.12.2008 (86 KLs 11/08) unter Freisprechung im übrigen wegen Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen à 20,-- € verurteilt worden. Im Umfang der Freisprechung sind die ihr erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt worden.

Unter dem 22.12.2008 beantragte Rechtsanwalt Prof. Dr. A. die Festsetzung der der früheren Angeklagten für die Wahlverteidigung erwachsenen Auslagen iHv 19.624,56 €; darin waren Reisekosten und Abwesenheitsgelder für insgesamt 16 Verhandlungstage enthalten. Diesen Antrag wies die Rechtspflegerin des Landgerichts Aachen mit dem angefochtenen Beschluss teilweise zurück: Erstattungsfähig seien lediglich die Kosten für 15 Informationsfahrten der Angeklagten von ihrem Wohnort H. zu einem ortsansässigen Verteidiger. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der früheren Angeklagten, der die Rechtspflegerin nicht abgeholfen hat.

II.

Die nach § 464 b S.3 StPO, §§ 104 Abs. 3 S. 1, 567 ZPO, §§ 21 Nr. 1, 11 Abs. 1 RPflG zulässige sofortige Beschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

1.

Über die sofortige Beschwerde hat, obwohl die angefochtene Entscheidung von der Rechtspflegerin erlassen worden ist, der Senat, nicht der Einzelrichter zu entscheiden. Die Vorschrift des § 568 S. 1 ZPO in der ab 01.01.2002 geltenden Fassung (Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27.07.2001, BGBl. I S. 1887), die im Zivilprozess für das Beschwerdeverfahren den originären Einzelrichter vorsieht, findet im strafprozessualen Beschwerdeverfahren nach Auffassung des Senats keine Anwendung (SenE v. 05.06.2003 - 2 Ws 317/03 - und SenE v. 23.06.2008 - 2 Ws 268/08).

2.

a)

Nach der Auslagenentscheidung des Urteils vom 11.12.2008 trägt die Staatskasse die notwendigen Auslagen der (früheren) Angeklagten und jetzigen Beschwerdeführerin, soweit diese freigesprochen worden ist. Nach der Rechtsprechung des Senats kann im Falle des teilweisen Freispruchs die Bestimmung der erstattungsfähigen notwendigen Auslagen im Wege der Quotenbildung erfolgen (SenE v. 02.02.2004 - 2 Ws 29/04 = JMBl. NW 2004, 251 = NStZ-RR 2004, 384). Diese Quote ist mit 75% angenommen worden; hiergegen wendet sich die Beschwerde ausdrücklich nicht.

b)

Gemäß §§ 464a Abs. 2 Ziff. 2 StPO, 91 Abs. 2 S. 1 ZPO sind Reisekosten (gleiches hat für die Abwesenheitsgelder zu gelten) eines Rechtsanwalts, der nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und dort auch nicht seinen Wohnsitz hat, nur insoweit von der Staatskasse zu erstatten, als die Zuziehung des Rechtsanwalts zur zweckentsprechende Rechtsverfolgung notwendig war.

aa)

Für die Fallgestaltung, dass der Angeklagte seinen Wohnort am Sitz des Prozessgerichts hat und sich eines auswärtigen Verteidigers bedient, hat der Senat in der Vergangenheit in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, dass die Zuziehung nur dann als notwendig anzuerkennen ist, wenn das Strafverfahren ein schwieriges und abgelegenes Rechtsgebiet betrifft, deshalb nur ein Anwalt mit besonderen Kenntnissen auf diesem Spezialgebiet zur ordnungsgemäßen Verteidigung in der Lage ist, oder der Beschuldigte, der sich gegen einen Vorwurf mit erheblichem Gewicht (beispielsweise vor dem Schwurgericht) verteidigen muss, zur Verteidigung einen Rechtsanwalts seines Vertrauens heranzieht, zu dem bereits ein gewachsenes Vertrauensverhältnis besteht (SenE v. 05.06.2003 - 2 Ws 317/03; Senat, NJW 1992, 586). Diese Konstellation ist diejenige, welche die Rechtsprechung regelmäßig beschäftigt; auch der Senatsentscheidung vom 05.06.2003 lag eine solche Sachgestaltung zugrunde (s. weiter die Nachweise bei Meyer-Goßner, StPO, 52. Auflage 2009, § 464a Rz. 12; Gieg in: Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 464a Rz. 12; Hilger in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage 2001, § 464a Rz. 46).

bb)

Seit Fortfall des sog. Lokalisierungsgrundsatzes durch das am 01.01.2000 in Kraft getretene Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 02.09.1994 (BGBl. I S. 2278) und dessen Änderungsgesetz vom 17.12.1999 (BGBl. I S. 2448) vertritt der Bundesgerichtshof zur Auslegung des § 91 Abs. 2 ZPO in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass die Zuziehung eines in der Nähe ihres Wohn- oder Geschäftsorts ansässigen Rechtsanwalts durch eine an einem auswärtigen Gericht klagende oder verklagte Partei im Regelfall eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung darstellt (BGH, NJW 2003, 898 = MDR 2003, 98 = JurBüro 2003, 202; BGH, BGHReport 2004, 639; BGH, NJW 2007, 2048 = MDR 2007, 802). Für das Strafverfahren ist diese Auffassung bereits früher jedenfalls für solche Fälle vertreten worden, in welchen der Angeklagte weit entfernt vom Gerichtsort wohnte (LG Flensburg, JurBüro 1984, 1537; zustimmend Hilger in: Löwe-Rosenberg, aaO, mit weit. Hinweisen in Fn. 137; anders aber AG Tiergarten, AnwBl. 1987, 289). Sie muss nach Auffassung des Senats erst Recht vor dem Hintergrund der geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Notwendigkeit der Zuziehung eines am Wohnort der Partei ansässigen Rechtsanwalts Geltung beanspruchen. Denn mit dem Verweis in § 464a Abs. 2 Ziff. 2 StPO auf § 91 Abs. 2 ZPO ist die zur Auslegung dieser Vorschrift maßgebliche zivilrechtliche Judikatur jedenfalls insoweit mit in Bezug genommen, als ihr spezifisch aus der Eigenart des Strafverfahrens erwachsende Gründe nicht entgegenstehen (zutr. LG Potsdam, B. v. 15.01.2004 - 24 Qs 14/03 - bei Juris, Rz. 25). Solche Gründe sind aber nicht zu sehen. Vielmehr wird - im Gegenteil - die für das Strafverfahren wesentliche mündliche Kommunikation zwischen (auf freiem Fuß befindlichem) Beschuldigtem und Verteidiger durch die Beauftragung eines Verteidigers am Wohnort des Beschuldigten eher erleichtert. Aus diesem Grunde kommt im übrigen ggf. auch die Bestellung eines am Wohnsitz des Beschuldigten ansässigen Pflichtverteidigers in Betracht (vgl. OLG München, StV 1993, 180). Aus diesen Gründen vermag sich der Senat der gegenteiligen Auffassung des LG Neuruppin (B. v. 16.09.2003 - 12 Qs 27/03 - bei Juris) nicht anzuschließen; vielmehr wird regelmäßig die Zuziehung eines am (auswärtigen) Wohnort des Beschuldigten ansässigen Verteidigers "notwendig" im Sinne der §§ 464a Abs. 2 Ziff. 2 StPO, 91 Abs. 2 ZPO sein.

cc)

Aus den vorstehend dargelegten Grundsätzen über die Möglichkeit der Zuziehung eines Verteidigers am (vom Gerichtsort verschiedenen) Wohnort des Angeklagten ergibt sich auch die Lösung für die hier vorliegende Konstellation der Reisekosten des "RA am dritten Ort" (Herget in; Zöller, ZPO, 27. Auflage 2009, § 91 Rz. 13): Da die Angeklagte sich - mangels ausnahmsweise entgegenstehender Gründe - eines im Bezirk ihres Wohnorts H. ansässigen Verteidigers hätte bedienen dürfen, sind die Kosten des aus München angereisten Rechtsanwalts Prof. Dr. A. bis zu der Höhe der Reisekosten (unter Einschluss der Abwesenheitsgelder) eines aus dem für H. zuständigen Landgerichtsbezirk anreisenden Verteidigers erstattungsfähig (vgl. BGH, MDR 2004, 838 = NJW-RR 2004, 858; OLG Köln, JurBüro 2004, 435; OLG Oldenburg, MDR 2008, 50 = NJW-RR 2008, 1305; AG Westerburg, JurBüro 2007, 311). Diese werden nunmehr zu ermitteln sein; zur Festsetzung der dann erstattungsfähigen Kosten hat der Senat die angefochtene Entscheidung aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

3.

Hinzuweisen bleibt darauf, dass Reisekosten für 16 (und nicht - wie von der Rechtspflegerin in Übereinstimmung mit dem Bezirksrevisor angenommen - 15) Fahrten anzusetzen sein dürften: Ausweislich des Vermerks vom 14.10.2008 (Bl. 2012 f. d. A.) waren zum Hauptverhandlungstermin vom 14.10.2008 alle Verteidiger bereits angereist, als sich um 13.30 Uhr herausstellte, dass der zu diesem Termin geladene Zeuge L. unentschuldigt nicht erschienen war. Der Termin ist erst daraufhin aufgehoben worden. Bei dieser Sachlage ist kein Grund ersichtlich, die Kosten für die - freilich vergebliche - Anreise des Verteidigers nicht zu erstatten.

III.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO. Zwar hat das Rechtsmittel insoweit keinen endgültigen Erfolg, als eine Neuberechnung der zu erstattenden Reisekosten anzustellen sein wird. Da jedoch bereits jetzt abzusehen ist, dass der Erstattungsbetrag deutlich über dem bislang festgesetzten liegen wird, erscheint es gerechtfertigt, das Rechtsmittel kostenmäßig so zu behandeln, als hätte es bereits im Beschwerderechtszug zu vollem Obsiegen der Beschwerdeführerin geführt.



Ende der Entscheidung

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