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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 07.09.2004
Aktenzeichen: 2 Ws 410/04
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 112 a Abs. 1 Nr. 2
StPO § 154
StPO § 270
StPO § 304 Abs. 1
StPO § 473 Abs. 1
StGB § 21
StGB § 63
StGB § 224 Abs. 1
StGB § 224 Abs. 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.

Gründe: I. Der Angeklagte befand sich in dem Strafverfahren Staatsanwaltschaft Köln 72 Js 646/03 aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Köln vom 25.11.2003 - 505 Gs 5555/03 - vom 25.11. bis zum 12.12.2003 in Untersuchungshaft. Nach der Aufhebung dieses Haftbefehls am 12.12.2003 (in den dem Senat vorgelegten Akten findet sich allerdings lediglich ein Haftverschonungsbeschluss vom 12.12.2003) befindet sich der Angeklagte zur Verbüßung einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Verstoß gegen das Waffengesetz, wegen Bedrohung sowie wegen Nötigung in 3 Fällen aus dem Urteil des Amtsgerichts vom 21.05.2003 Köln ( Az 532 Ds 428/03) seither - nach Widerruf der ursprünglich bewilligten Strafaussetzung zur Bewährung durch Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 03.12.2003 - in Strafhaft. Strafende ist auf den 11.10.2004 notiert, einer vorzeitigen Entlassung hat der Angeklagte widersprochen. Am 16.01.2004 erhob die Staatsanwaltschaft Köln in dem Verfahren 72 Js 646/03 Anklage zum Amtsgericht - Schöffengericht - Köln, in der dem Angeklagten gefährliche Körperverletzung, Hausfriedensbruch, Beleidigung und Sachbeschädigung vorgeworfen wird. Er soll - wie er im wesentlichen einräumt - am 21.11.2003 zu nächtlicher Stunde in Köln in die Wohnung seiner ehemaligen Lebensgefährtin - der Zeugin I. A. - eingedrungen sein, indem er das Schlafzimmerfenster mitsamt dem Rahmen eintrat. Der Angeklagte zog die Zeugin, die sich mit dem Zeugen G. im Bett befand, unter Schlägen und Tritten aus dem Bett, wobei er ihr mehrfach mit dem beschuhten Fuß ins Gesicht trat und sie gleichzeitig als Hure und Schlampe beschimpfte. Als der Zeuge G. der Geschädigten zu Hilfe eilen wollte, wurde er von dem Angeklagten niedergerungen und ebenfalls mit dem beschuhten Fuß mehrmals ins Gesicht getreten. Wegen dieser Vorwürfe erließ das Amtsgericht Köln am 26.01.2004 einen (neuen), auf Wiederholungsgefahr gestützten Haftbefehl (Az 613 Ls 7/04), der dem Angeklagten am 30.01.2004 verkündet wurde, und aufgrund dessen Überhaft notiert ist. Zur Begründung der Wiederholungsgefahr wird in dem Haftbefehl auf den Bewährungswiderruf in dem Verfahren 532 Ds 428/03 sowie auf eine weitere bei dem Schöffengericht anhängige Anklage vom 04.11.2003 - 72 Js 511/03 = 613 Ls 617/03 - Bezug genommen, mit der dem Angeklagten Zuwiderhandlungen gegen eine Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz, Körperverletzung, Beleidigung und Sachbeschädigung in insgesamt 83 Fällen zum Nachteil der Zeugin A. zur Last gelegt werden. In der Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht am 28.04.2004 wurden die beiden Verfahren 72 Js 646/03 und 72 Js 511/03 sowie zwei weitere Anklagen vom 14.10.2003 (Az 86 Js 900/03, Vorwurf : Nötigung und Bedrohung der Zeugin Althoff) und vom 22.10.2003 (Az 86 Js 986/03, Vorwurf : Diebstahl eines Fahrrades) miteinander verbunden, wobei das zuletzt erwähnte Verfahren nach § 154 StPO eingestellt wurde. In der Hauptverhandlung vom 28.04.2004 beschloss das Schöffengericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft gem. § 270 StPO die Verweisung des Verfahrens an eine große Strafkammer des Landgerichts, da nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung - insbesondere den Ausführungen der Sachverständigen Dr. J., die am 17.03.2004 ein schriftliches Gutachten erstattet hatte - die Unterbringung des Angeklagten nach § 63 StGB in Betracht komme. Der Vorsitzende der 3. gr. Strafkammer, dem die Akten soweit ersichtlich seit dem 10.05.2004 vorlagen, bestimmte - nach dem die Verteidigung mit Schriftsatz vom 19.07.2004 eine Überprüfung des Haftbefehls angeregt hatte - am 23.07.2004 Termin zur Hauptverhandlung auf den 13.08.2004. Die Hauptverhandlung wurde ausgesetzt, weil die Strafkammer angesichts der Einlassung des Angeklagten insbesondere hinsichtlich der Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 63 StGB weiteren Klärungsbedarf sieht. Zugleich beschloss die Strafkammer die Aufrechterhaltung des Haftbefehls vom 26.01.2004. Inzwischen ist neuer Termin zur Hauptverhandlung auf den 28.09.2004 und Folgetage in Aussicht genommen worden. Gegen den Haftfortdauerbeschluss vom 13.08.2004 richtet sich die mit Schriftsätzen vom 20.08., 31.08. und 06.09.2004 näher begründete Beschwerde des Angeklagten vom 13.08.2004, der die Strafkammer mit Beschluss vom 17.08.2004 nicht abgeholfen hat. II. Das Rechtsmittel ist gem. § 304 Abs. 1 StPO zulässig, denn die Haftbeschwerde findet auch gegen solche Haftbefehle statt, die wegen Überhaft nicht vollzogen werden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 47.A., § 117 Rn 8). Die Haftbeschwerde ist jedoch nicht begründet. Die Voraussetzungen für die weitere Anordnung der Untersuchungshaft sind gegeben. Der dringende Tatverdacht wegen der Strafvorwürfe, die Gegenstand des Haftbefehls vom 26.01.2004 sind, ergibt sich aus den (jedenfalls teil-) geständigen Angaben des Angeklagten vor dem Haftrichter am 27.11.2003 sowie vor dem Schöffengericht in der Hauptverhandlung am 28.04.2004, im übrigen aus den Zeugenaussagen der Geschädigten A. und G. und den sonstigen in der Anklage vom 16.01.2004 niedergelegten Ermittlungsergebnissen. Das Schöffengericht und die Strafkammer haben des weiteren zu Recht den Haftgrund der Wiederholungsgefahr, § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO, angenommen. Die dem Angeklagten u.a. vorgeworfene gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB stellt eine Katalogtat gem. § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO dar. Der Senat hat keine Bedenken, die rohe, mit erheblicher Gewaltanwendung und nicht unerheblichen Verletzungsfolgen für die Zeugin A. verbundene Tat als eine solche zu qualifizieren, die die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigt. Es handelt sich um eine im Unrechtsgehalt und im Schweregrad überdurchschnittliche Tat, die - insbesondere wegen des nächtlichen gewaltsamen Eindringens in die Wohnung des Opfers - geeignet ist, bei der Bevölkerung das Gefühl der Geborgenheit im Recht zu beeinträchtigen. Auch das Merkmal der "wiederholten und fortgesetzten" Begehung der Katalogtat als Voraussetzung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr ist erfüllt. Wie der Senat in einer früheren Entscheidung ausführlich dargelegt hat, genügt, dass das Verfahren, in dem der Haftgrund zu prüfen ist, nur eine Tat zum Gegenstand hat und der Beschuldigte wegen der anderen schon vorher verfolgt (und verurteilt) worden ist, dass mit anderen Worten bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr auch bereits rechtskräftig abgeurteilte Taten zu berücksichtigen sind. Der Senat folgt insoweit der in Rechtsprechung und Schrifttum vorherrschenden Auffassung (vgl. Senat 12.01.99 - HEs 278/98 - mit ausführlichen Nachweisen, auch zur Gegenansicht ). Das Verteidigungsvorbringen gibt dem Senat keinen Anlaß, seine Rechtsprechung zu überprüfen. Es ist des weiteren die Besorgnis begründet, dass der Angeklagte weitere einschlägige Straftaten noch vor Verurteilung wegen der Anlasstat begeht. Er hat in einem Zeitraum von rund 1 1/2 Jahren die Zeugin A. in massiver Weise durch eine Vielzahl von Straftaten geschädigt; auch die derzeit verbüßte Freiheitsstrafe beruht auf Straftaten - mehrfache Nötigung und Bedrohung - zum Nachteil der Zeugin. Zur Anlaßtat hat er vor dem Haftrichter erklärt, er habe sie so wie im Haftbefehl vorgeworfen begangen, habe jedoch anzumerken, dass er unter einem Borderline-Syndrom oder einer anderen Persönlichkeitsstörung leide. Diese Diagnose trifft nach dem Sachverständigengutachten von Dr. J. vom 17.03.2004 zu. Danach ist in der Tat davon auszugehen, dass bei dem Angeklagten eine schwere Persönlichkeitsstörung im Sinne eines Borderline-Syndroms gegeben ist, von der die Gefahr ausgeht, dass der Angeklagte seine Aggressionen gegenüber der Zeugin A. auch weiterhin nicht genügend kontrollieren kann und es erneut zu erheblichen strafbaren Übergriffen im Sinne der Anlaßtat kommt. Dafür spricht auch, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung vor der Strafkammer am 13.08.2004 der Zeugin A. die Hauptverantwortung für die Beendigung der Beziehung gegeben und zum Ausdruck gebracht hat, sich von ihr persönlich verletzt zu fühlen. Eine psychiatrische Behandlung des Angeklagten, die zu einer Verringerung der Gefahr erneuter Straftaten führen könnte, hat bisher nicht stattgefunden. Die nach § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO vorausgesetzte Straferwartung von mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bejaht der Senat ebenfalls. Maßgeblich hierfür ist vor allem die einschlägige Vorstrafe in dem Verfahren AG Köln 532 Ds 428/03; für die dort abgeurteilte gefährliche Körperverletzung war auf eine Einsatzstrafe von 7 Monaten erkannt worden. Die jetzige Tat ist nur ein halbes Jahr nach der Verurteilung während laufender Bewährung begangen worden, so dass der Angeklagte nunmehr mit einer deutlich höheren, nicht mehr am unteren Rand des Strafrahmens - der gem. § 224 Abs. 1 StGB von 6 Monaten bis zu 10 Jahren reicht - liegenden Strafe rechnen muß. Sofern dem Angeklagten verminderte Schuldfähigkeit gem. § 21 StGB zugebilligt werden sollte, was nach dem Gutachten der Sachverständigen Dr. J. nicht auszuschließen ist, führt dies gegenwärtig zu keiner geringeren Straferwartung, weil die abschließende Beurteilung - in die auch schulderhöhende, einer Strafmilderung entgegenstehende Tatumstände einfließen können - der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben muß. Die Fortdauer der Untersuchungshaft ist auch nicht unverhältnismäßig. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 120 StPO), der auch bei einem nicht vollzogenen Haftbefehl zu beachten ist (vgl. Senat 13.02.92 StV 92,384; 29.01.04 - 2 Ws 40/04), ist vorliegend noch gewahrt. Die mehrfache Verschiebung der Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht war durch die verzögerte Erstattung des Sachverständigengutachtens bedingt, die durch die Schwierigkeit des Sachverhalts gerechtfertigt war, wie sich aus dem Schreiben der Sachverständigen vom 07.02.2004 ergibt, wonach u.a. 3 Termine zur Exploration des Angeklagten erforderlich waren. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass das Schöffengericht die Verweisung des Verfahrens an das Landgericht erst aufgrund der Hauptverhandlung am 28.04.2004 beschlossen hat. Das erwähnte Schreiben sowie ein weiteres Schreiben der Sachverständigen vom 25.02.2004 waren als Grundlage für eine Verweisung völlig unzureichend. Es war - auch nachdem das vollständige Gutachten seit Mitte März vorlag - in jeder Hinsicht sachgerecht, über die Frage einer evtl. Verweisung erst aufgrund der Hauptverhandlung, in der sich das Schöffengericht einen persönlichen Eindruck von dem Angeklagten verschaffen und sich das Gutachten erläutern lassen konnte, zu entscheiden. Vor dem Landgericht ist das Verfahren bisher ebenfalls noch ohne unvertretbare zeitliche Verzögerung betrieben worden. Die mit mehreren Haftsachen stark belastete Strafkammer hat die Sache - in Ansprache mit der Verteidigung - am 13.08.2004 während der Unterbrechung eines anderen umfangreichen Verfahrens trotz ihres Umfangs verhandelt mit dem Ziel der Abklärung der Möglichkeit einer Verfahrensabkürzung, wobei nach der vom Senat eingeholten Stellungnahme des Vorsitzenden für die Verfahrensbeteiligten Klarheit bestand, dass das Verfahren aufgrund der Terminslage der Strafkammer nach dem 13.08.2004 nicht würde fortgesetzt werden können, falls die Sache sich nicht zum Abschluß bringen ließ. Nachdem sich ein derartiger Verfahrensablauf nicht hat realisieren lassen, hat die Strafkammer - wiederum in Absprache mit der Verteidigung - als Termin für die neue Hauptverhandlung die Zeit ab dem 28.09.2004 ins Auge gefasst und die hierfür nunmehr nötig gewordenen Vorbereitungen getroffen. Das ist eine für den Angeklagten im Hinblick auf die Bedeutung der Sache und die im Raume stehende Rechtsfolgenerwartung - neben der Bestrafung die Unterbringung nach § 63 StGB - noch hinnehmbare Verzögerung, die um so mehr zumutbar ist, als ihm die Teilnahme an dem Vorstellungsgespräch vom 27.08.2004 in der Westfälischen Klinik Warstein ermöglicht worden ist. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

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