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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 05.08.2003
Aktenzeichen: 2 Ws 465/03
Rechtsgebiete: JGG, StGB, StPO


Vorschriften:

JGG § 85 Abs. 6
JGG § 85 Abs. 6 Satz 1
JGG § 85 Abs. 6 Satz 2
JGG § 88
JGG § 88 Abs. 1
JGG § 88 Abs. 2
JGG § 92 Abs. 2
JGG § 110 Abs. 1
StGB § 57
StGB § 57 Abs. 2
StPO § 454
StPO § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
StPO § 454 Abs. 3 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
- 2 Ws 465/03 - 91 VRs 9/02 StA Köln

OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

In der Strafvollstreckungssache

gegen

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln

auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bonn vom 24.06.2003 - 52 StVK 398/03 - unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin am Oberlandesgericht Doleisch von Dolsperg, der Richterin am Oberlandesgericht Dr. Ahn-Roth und des Richters am Oberlandesgericht Scheiter

am 5. August 2003

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Verurteilte zu tragen.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Landgerichts Köln vom 27. Oktober 1999, rechtskräftig seit 15. Juni 2000, wegen gemeinschaftlich begangenen Heimtücke- und Verdeckungsmordes zu einer Jugendstrafe von neun Jahren verurteilt. Nach den Feststellungen der Jugendkammer des Landgerichts konsumierte er seit seinem 18. Lebensjahr Haschisch und Amphetamine. 1998 entwickelte sich mit dem 1960 geborenen späteren Mittäter T. eine Drogengeschäftsverbindung. Auch den weiteren Mittäter, den 1957 geborenen I., und das Tatopfer O. kannte der Verurteilte aus dem Drogenmilieu. Nach einem gemeinsam verübten Wohnungseinbruch im Februar 1998, bei dem Kokain gesucht und ein Beutel mit Pulver gefunden wurde, den O. erhielt, planten T., I. und T., den O. als Mitwisser des Einbruchs und der Drogengeschäfte zu beseitigen. Ende März 1998 lockten sie O. unter dem Vorwand, man wolle Kokain aus einem Erdversteck ausgraben, zu einem Feld in der Nähe von R... Nachdem die vier Männer abwechselnd ein Loch ausgehoben hatten, schlugen T., I. und T. gemeinsam auf den in dem Erdloch stehenden O. mit Schaufel, Spaten und einem Beil ein. Nachdem O. zusammengesackt war, schaufelten alle drei die Grube mit dem Opfer zu und machten sie unkenntlich. Der Tod des Opfers trat wahrscheinlich aufgrund eines Kombination des ihm zugefügten Schädel-Hirn-Traumas mit Sauerstoffmangel infolge der Aspiration von Erdreich ein.

Der Verurteilte T. befand sich in dieser Sache seit dem 7. November 1998 in Untersuchungshaft in der JVA Köln und wurde später in die JVA Rheinbach verlegt, wo er in der Schlosserei arbeitete. Am 16. August 2001 erfolgte die Verlegung in die zuständige Jugendstrafanstalt Siegburg. Auf seinen Antrag wurde T. durch Beschluss des Jugendrichters beim Amtsgericht Siegburg vom 31. August 2001 aus dem Jugendstrafvollzug herausgenommen. Mit Beschluss vom 27. Februar 2002 wurde die Vollstreckungsleitung gemäß § 85 Abs. 6 JGG an die Staatsanwaltschaft Köln abgegeben. Am 27. September 2001 erfolgte die Rückverlegung in die JVA Rheinbach. Am 29. Januar 2002 wurde der Verurteilte zum Einweisungsverfahren in die JVA Hagen , am 18. April 2002 wieder in die JVA Rheinbach verlegt, wo er sich seither befindet. Unter Anrechnung der Untersuchungshaft war die Hälfte der Jugendstrafe am 5. Mai 2003 verbüßt. Zwei Drittel der Strafe werden am 4. November 2004 abgelaufen sein; das Strafende ist auf den 5. November 2007 vorgemerkt.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer einen am 31. März 2003 gestellten Antrag des Verurteilten abgelehnt, die Vollstreckung des Strafrestes gemäß § 57 Abs. 2 StGB bereits nach Verbüßung der Hälfte der Strafe zur Bewährung auszusetzen.

Gegen diese, ihm am 11. Juli 2003 zugestellte Entscheidung hat der Verurteilte mit eigenem Schreiben vom selben Tag, zugegangen beim Landgericht Bonn am 15. Juli 2003, sofortige Beschwerde eingelegt. Er hält die Befassung mit seinem Fall angesichts der nur kurzen Begründung des Beschlusses für unzureichend.

II.

Die gemäß § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthafte, form- und fristgerecht (§ 311 Abs.2 StPO) eingelegte sofortige Beschwerde ist nicht begründet.

Mit der Abgabe der Vollstreckungsleitung gemäß § 85 Abs.6 Satz 1 JGG ist nach Satz 2 dieser Bestimmung in Verb. mit §§ 462 a, 454 StPO die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Restaussetzung der Vollstreckung auf die Strafvollstreckungskammer übergegangen. Die Prüfung, ob die Aussetzung einer Reststrafe zur Bewährung in Betracht kommt, ist damit aber nicht nach § 57 StGB , sondern nach der speziellen Regelung des § 88 JGG für die Jugendstrafe vorzunehmen, die nach § 110 Abs. 1 JGG auch für die gegen einen Heranwachsenden verhängte Jugendstrafe gilt. Der Senat vermag die Auffassung, nach der mit der Zuständigkeitsänderung auch die Änderung des anzuwenden materiellen Rechts verbunden sein soll (so aber OLG Düsseldorf NStZ 1995, 520 mit ablehnender Anm. Rzepka StVert 1998, 349; Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl., § 57 Rn.4; Heinrich, NStZ 2002,182), nicht zu teilen. Die mit einer Anwendbarkeit des Erwachsenenstrafrechts verbundene Schlechterstellung des Verurteilten hätte der Gesetzgeber ausdrücklich anordnen müssen. Eine solche legislatorische Entscheidung kann nicht allein wegen der Regelung in § 85 Abs. 6 JGG über die Abgabe der Vollstreckung an die Staatsanwaltschaft unterstellt werden. Mit der ganz überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum (vgl. OLG Hamm StV 1996, 277, NStZ-RR 2000, 93; Frankfurt a.M. NStZ-1999, 91; OLG Dresden NStZ-RR 2000, 381; OLG Schleswig SchlHA 00,149; OLG Zweibrücken NStE, StPO § 454 b Nr.16 ; OLG Düsseldorf JMBl NRW 2003, 179; Ostendorf, JGG 4.Aufl., § 88 Rn. 1; Brunner/Dölling, JGG 10. Aufl., § 85 Rn. 14; Eisenberg, JGG 9. Aufl., § 85 Rn. 17a u. § 88 Rn. 9; Böhm in NStZ-RR 1999, 289,293) sind deshalb die Voraussetzungen für die Aussetzung des Restes der Jugendstrafe den Regelungen in § 88 JGG zu entnehmen, auch wenn die Jugendstrafe nach den Vorschriften des Strafvollzugs für Erwachsene vollzogen wird.

Das wird im übrigen auch durch die abweichende gesetzliche Regelung in § 92 Abs. 2 JGG für den Strafvollzug bestätigt, wie das OLG Düsseldorf aaO zu Recht hervorhebt. Danach kann bzw. soll Jugendstrafe nach den Vorschriften des Strafvollzugs für Erwachsene vollzogen werden, während es an einer entsprechenden Gesetzesbestimmung für den Bereich der Strafvollstreckung fehlt.

Die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Strafrestes liegen im Falle des Verurteilten T. jedoch zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vor. Dies kann der Senat nach Aktenlage feststellen, auch wenn die Strafvollstreckungskammer in Verkennung der Rechtslage die maßgeblichen Kriterien nicht ausreichend und auch nicht abschließend geprüft hat.

Zwar kann nach § 88 Abs. 1, 2 JGG bei einer Jugendstrafe von mehr als einem Jahr bereits nach Verbüßung von einem Drittel die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt werden. Dabei gilt (entgegen LG Bonn StV 1984, 255) keine Einschränkung unter dem Gesichtspunkt der Schuldschwere. Voraussetzung ist aber, dass die Aussetzung der Reststrafe im Hinblick auf die Entwicklung des Verurteilten, auch unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit, verantwortet werden kann, d.h. dass aufgrund bestimmter Tatsachen eine nicht unbegründete Erwartung künftigen "rechtschaffenen Lebenswandels (§ 21 Abs. 1 JGG) besteht. Allerdings kann dieser Prognosemaßstab zu relativisieren sein, wenn - wie hier - aufgrund des Alters des Verurteilten der das Jugendstrafrecht beherrschende Erziehungsgedanke an Bedeutung verliert. Für die Erwartung straffreien Lebens sind dann erhöhte Anforderungen zu stellen. Die Wahrscheinlichkeit künftigen straffreien Verhaltens darf jedenfalls nicht erheblich geringer sein als diejenige neuer Straftaten.

Ein solche (positive) Prognose kann dem nunmehr 25 1/2 Jahre alten Beschwerdeführer derzeit nicht gestellt werden.

Von einer Aufarbeitung der Tat, die für eine positive Persönlichkeitsentwicklung sprechen würde, kann nicht ausgegangen werden. Der Verurteilte hat seine eigentliche Tatbeteiligung im Strafverfahren abgestritten. Das Tatopfer soll zwar sein bester Freund gewesen sein, er sei jedoch weggelaufen, als er gesehen habe, wie T. dem in der ausgehobenen Grube stehenden O. mit der Schaufel ( Urteil S. 94, 116) bzw. mit dem Beil (S. 115) auf den Kopf geschlagen habe . Es ist auch nicht erkennbar , dass der Verurteilte sich mit der Tat später ernsthaft auseinandergesetzt hat. Er sieht seine Schuld nur in unterlassener Hilfeleistung und will ein Wiederaufnahmeverfahren betreiben. Wenn in der Stellungnahme des Sozialdienstes der JVA Rheinbach zu seinen Gunsten angeführt wird, er habe sich von der Haft beeindrucken lassen, sich "von seinen Straftaten" distanziert und diese für sich reflektiert, kann dies demnach nicht auf die Anlaßtat, sondern (allenfalls) auf früher begangene Taten mit vergleichsweise geringem Gewicht oder die eingeräumte unterlassene Hilfeleistung bezogen werden. Zu der Einsicht, dass der Kontakt zum Drogenmilieu und der Umgang mit charakterschwachen Menschen bei ihm selbst aufgrund seiner defizitären Sozialisation die Hemmschwelle zum Mord beseitigt hat, ist er offenbar nicht gelangt. Dass keine ausreichende Schuldverarbeitung erfolgt ist, kann in Fällen, in denen wie hier Persönlichkeitsdefizite zur Anlasstat geführt haben, nachteilig berücksichtigt werden, auch wenn das Leugnen der rechtskräftig festgestellten Taten der Aussetzung des Strafrestes nicht generell entgegensteht ( vgl. Senat 06.09.2002 - 2 Ws 419/02- ) .

Anzeichen für eine hinreichend fortgeschrittene günstige Persönlichkeitsentwicklung sind bislang bei dem Verurteilten nicht erkennbar. Sein Verhalten während des Vollzugs ist keineswegs vorbildlich gewesen. In der Untersuchungshaft hatte er "zum Zwecke der Desinfizierung" Toilettenpapier in seiner Zelle angezündet (Urteil S. 97). Noch im Einweisungsverfahren bestand das Bild einer hochgradig auffälligen Persönlichkeit. Seine Leistungen am Arbeitsplatz sind abhängig von seiner jeweiligen Tagesverfassung, sein Verhalten sehr sprunghaft. Der Sozialdienst sieht bei dem aus einer geschiedenen Ehe stammenden, auch durch häufige Umzüge u.a. ins Ausland in der Entwicklung innerer Bindungen beeinträchtigten Verurteilten einen Mangel an gesundem Selbstbewusstsein, den er mit gleichgültigem und unbedarftem Auftreten und Launenhaftigkeit zu überspielen versuche. Dass der Verurteilte Erstverbüsser ist, dass er sich im Vollzug gewaltfrei geführt und auch keine Drogen mehr konsumiert hat, dass er voraussichtlich als Schlosser Arbeit finden kann, dass die Familie seines Bruders zu ihm hält und weitere wenn auch geringe Außenkontakte bestehen, rechtfertigt keine positive Prognose nach den oben genannten Kriterien. Es wird dazu einer weiteren Reifung , vor allem auch der Bewährung in Lockerungen bedürfen, die in absehbarer Zeit anzustreben sind. Eine Entlassung zum jetzigen Zeitpunkt erscheint verfrüht.

Bei einer vorzeitigen Entlassung wird es angesichts der Schwere der Tat ermessensgerecht sein, jedenfalls den psychologischen Dienst zu beteiligen, ggfs auch ein Sachverständigengutachten einzuholen. Allerdings findet nach der Auffassung des Senats die Bestimmung des § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO - die die Begutachtung zwingend vorsieht, sofern das Gericht die Reststrafenaussetzung erwägt - keine Anwendung.

Der Senat ist der Auffassung, dass die Verweisung auf die Vorschriften der Strafprozessordnung über die Strafvollstreckung in § 85 Abs. 6 Satz 2 JGG insoweit nicht gilt. § 454 StPO regelt das Verfahren bei der Aussetzung der Reststrafe nach den §§ 57 bis 58 StGB, die hier jedoch - wie ausgeführt - für die Prüfung der Aussetzung des Restes einer Jugendstrafe nicht maßgeblich sind. Es fehlt - anders als beim psychiatrischen Maßregelvollzug, für den § 83 Abs. 1 JGG ausdrücklich auf § 463 StPO verweist, nach dessen Abs. 3 Satz 4 zur Vorbereitung der Entscheidung nach § 67 d Abs. 3 StGB eine Begutachtung zwingend vorgeschrieben ist - an einer entsprechenden Klarstellung des Gesetzgebers; dazu wäre aber bei der durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 gleichzeitig erfolgten Änderung der §§ 57 StGB, 454 StPO und 88 JGG Anlaß gegeben gewesen. Die in § 88 Abs. 4 JGG angeordneten Anhörungspflichten sind mithin bei der Entscheidung über die Aussetzung des Restes einer Jugendstrafe als abschließende verfahrensrechtliche Regelung anzusehen.

(ebenso OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 1999, 91; Eisenberg, aaO § 88 Rn.12; Dessecker, StV 1999,682; Ostendorf, NJW 2000,1090; aA : Erdmann-Degenhardt, SchlHA 1999,296).

Die Beschwerde war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO zu verwerfen.

Ende der Entscheidung

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