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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 18.10.2005
Aktenzeichen: 2 Ws 488/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 230 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN Beschluss

2 Ws 488/05

In der Strafsache

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft Aachen gegen den Beschluss des Landgerichts Aachen vom 06.06.2005 (67 Qs 60/05) durch die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Ahn-Roth sowie die Richter am Oberlandesgericht Scheiter und Dr. Schmidt

am 18.10.2005

beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde wird verworfen. Die Kosten des Verfahrens sowie die darin entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.

Gründe:

I.

Am 18.10.2004 hat das Amtsgericht Schleiden einen Strafbefehl wegen Nötigung und Körperverletzung gegen den Angeklagten erlassen und eine Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 30,00 € gegen ihn verhängt. Hiergegen hat der Angeklagte fristgerecht Einspruch eingelegt. Im Termin zur Hauptverhandlung am 11.05.2005 erschien der Angeklagte nicht, sondern ließ sich durch Rechtsanwältin O vertreten. Im Hinblick auf die Beweissituation - es ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, ob die von Zeugen abgegebene Täterbeschreibung auf den Angeklagten zutrifft - bestimmte das Amtsgericht neuen Termin zur Hauptverhandlung auf den 01.06.2005 und ordnete das persönliche Erscheinen des Angeklagten zu diesem Termin an (§ 236 StPO). Der Angeklagte wurde zu diesem Termin unter seiner niederländischen Anschrift geladen, wobei ihm für den Fall der unentschuldigten Ausbleibens Verhaftung oder Vorführung angedroht wurde, gleichwohl erschien der Angeklagte nicht zur Hauptverhandlung. Das Amtsgericht Schleiden erließ daraufhin gegen ihn einen Haftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO.

Auf die Beschwerde des Angeklagten hob das Landgericht Aachen den Haftbefehl durch den angefochtenen Beschluss auf. Als nicht in Deutschland wohnhafter ausländischer Staatsangehöriger dürfe sein Erscheinen vor einem deutschen Gericht nicht erzwungen werden. Dies ergebe sich auch aus Nr. 116 RiVASt.

Die Staatsanwaltschaft Aachen wendet sich hiergegen mit ihrer weiteren Beschwerde, der die Generalstaatsanwaltschaft Köln beigetreten ist. Sie meint, die Regelungen der RiVASt hätten keine Außenwirkung.

II.

Die weitere Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

1. Voraussetzung für den Erlass eines Haftbefehls gemäß § 230 Abs. 2 StPO ist eine ordnungsgemäße Ladung gemäß §§ 216f. StPO. Diese kann nicht festgestellt werden. Zwar befindet sich bei der Akte eine Kopie des Ladungsschreibens, jedoch fehlt jeglicher Nachweis für den Zugang der Ladung, weil diese entgegen Nr. 117 Abs. 1 RiStBV nicht zugestellt wurde. Dies wäre per Einschreiben mit Rückschein (vgl. §§ 183 Nr. 1 ZPO, 37 StPO i. V. m. Art. 52 Abs. 1 SDÜ) ohne Weiteres möglich gewesen. Eine Zustellung der Ladung an den Verteidiger, von der die Staatsanwaltschaft in der Beschwerdebegründung ausgeht, lässt sich der Akte nicht entnehmen. Sie wäre im Übrigen unzulässig gewesen, da eine entsprechende ausdrückliche Vollmacht (§ 145a Abs. 2 StPO) nicht vorliegt.

2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Der gemäß § 230 Abs. 2 StPO erlassene Haftbefehl wäre auch dann aufzuheben gewesen, wenn die Ladung zum Termin am 01.06.2005 zugestellt worden wäre. Ein Haftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO kommt gegen eine Person - unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit - mit dauerndem Wohnsitz im Ausland nur ganz ausnahmsweise in Betracht. Voraussetzung ist eine ordnungsgemäße Ladung gemäß § 216 StPO (OLG Frankfurt NStZ-RR 1999, 18 m. w. N.; OLG Oldenburg StV 2005, 432). Die darin vorgesehene Androhung von Zwangsmitteln für den Fall des unentschuldigten Ausbleibens darf jedoch nur im Inland erfolgen und nicht Inhalt einer in einen anderen Staat gerichteten Ladung sein. Dies ergibt sich aus dem allgemeinen Grundsatz des Völkerrechts (Art. 25 GG), dass die Ausübung hoheitlicher Gewalt auf dem Gebiet eines fremden Staates unzulässig ist. Die Ausübung hoheitlicher Gewalt liegt aber bereits in der Androhung von Zwangsmitteln (OLG Frankfurt NStZ-RR1999, 18, 19) und nicht erst in deren Festsetzung oder Vollzug.

Der Umstand, dass das Amtsgericht Schleiden gleichwohl den Angeklagten in den Niederlanden unter Androhung von Zwangsmitteln geladen hat, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Wahrung der allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts gebietet es, aus diesem Verstoß keine nachteiligen Folgen für den Angeklagten herzuleiten.

Eine Ladung gemäß § 216 StPO mit Androhung von Zwangsmitteln kann auch nicht im Wege der internationalen Rechtshilfe zugestellt werden (vgl. Hackner/Lagodny/ Schomburg/Wolf, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 2003, Rdnr. 185). Die Beschreitung dieses Weges ändert nichts daran, dass die Androhung von Zwangsmitteln eine Ausübung hoheitlicher Gewalt darstellt, die im Ausland unzulässig ist.

Soweit in Rechtsprechung (vgl. OLG Karlsruhe StV 2004, 325, 326; 2005, 33, 35; OLG Oldenburg StV 2005, 432) und Schrifttum (Lagodny, StV 1999, 36; Hilger, StV 2005, 36, 38) teilweise der Erlass eines Haftbefehls gemäß § 230 Abs. 2 StPO befürwortet bzw. zumindest für möglich gehalten wird, fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der Frage, wie eine ordnungsgemäße Ladung gemäß § 216 StPO im Ausland erfolgen soll. In Betracht kommt diese Möglichkeit aufgrund des Verbots der Ladung im Ausland unter Androhung von Zwangsmitteln nur, wenn es gelingt, dem Angeklagten im Inland, etwa bei einem Besuch, eine ordnungsgemäße Ladung i. S. des § 216 StPO zuzustellen.

b) Grundsätzlich besteht in derartigen Fällen die Möglichkeit des Erlasses eines Untersuchungshaftbefehls gemäß § 112 StPO wegen Fluchtgefahr. Der Senat hat bereits früher die Auffassung vertreten, dass ein Vorgehen gemäß § 230 Abs. 2 StPO in diesen Fällen jedenfalls unzweckmäßig ist, aber Fluchtgefahr i. S. des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO besteht, wenn sich aus dem gesamten Verhalten des Beschuldigten ergibt, dass er nicht bereit ist, am Strafverfahren soweit mitzuwirken, wie er hierzu verpflichtet ist (OLG Köln NStZ 2003, 219; dazu Dahs/Riedel, StV 2003, 416). Dies entspricht auch der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte (vgl. OLG Stuttgart NStZ 1998, 427, 428; OLG Hamm NStZ-RR 2004, 278 = StV 2005, 35; OLG Karlsruhe StV 2005, 33 m. krit. Anm. Hilger).

Eine Mitwirkungspflicht besteht- auch für Personen mit Wohnsitz im Ausland - hinsichtlich der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung (OLG Stuttgart NStZ 1998, 427, 428). Die in § 230 Abs. 2 StPO grundsätzlich eröffnete Möglichkeit, das Erscheinen des Angeklagten in der Hauptverhandlung auch mit Zwangsmitteln durchzusetzen, lässt nämlich den Schluss auf eine Mitwirkungspflicht zu. Dies gilt auch für eine Hauptverhandlung nach Einspruch gegen einen Strafbefehl, wenn - wie hier - gemäß § 236 StPO das persönliche Erscheinen des Angeklagten angeordnet wurde. Die Möglichkeit des Angeklagten, sich in der Hauptverhandlung durch einen Verteidiger vertreten zu lassen (§ 411 Abs. 2 S. 1 StPO), schließt die sich aus § 236 StPO ergebende Befugnis des Gerichts nicht aus, sein persönliches Erscheinen anzuordnen (vgl. OLG Düsseldorf NStZ-RR 1998, 180 m. w. N.).

Eine Ersetzung des Haftbefehls gemäß § 230 Abs. 2 StPO durch einen Untersuchungshaftbefehl ist dem Senat im Beschwerdeverfahren nicht möglich (Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., 2005, § 230 Rdnr. 25 m. w. N.). Im konkreten Fall bedarf der Erlass eines Untersuchungshaftbefehls unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit besonders sorgfältiger Prüfung, erscheint allerdings nicht von vorneherein ausgeschlossen. Bevor es hierzu kommt, dürfte das Amtsgericht jedoch den von der Staatsanwaltschaft Aachen bereits aufgezeigten Weg der erkennungsdienstlichen Behandlung im Wege der internationalen Rechtshilfe zu beschreiten haben. Je nach dem Ergebnis, erübrigt sich möglicherweise das Bedürfnis nach einem persönlichen Erscheinen des Angeklagten in der Hauptverhandlung.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 467 StPO.

Ende der Entscheidung

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