Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 09.11.2007
Aktenzeichen: 20 W 67/07
Rechtsgebiete: VVG


Vorschriften:

VVG § 6 Abs. 1
VVG §§ 23 ff.
VVG § 24 Abs. 1
VVG § 25 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss der 24. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 31.07.2007 - 24 O 104/07 - aufgehoben. Die Sache wird mit der Maßgabe an das Landgericht zurückverwiesen, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht mit der Begründung versagt werden darf, die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Gründe:

I.

Zwischen dem Antragsteller und der Antragsgegnerin, einem Versicherungsunternehmen, bestand auf der Grundlage eines Versicherungsscheins vom 03.08.2006 (erster Nachtrag zum Versicherungsschein Kompaktfirmenversicherung) ein Versicherungsverhältnis. Dem Versicherungsverhältnis lagen u.a. die besonderen Bedingungen zur Kompaktfirmenversicherung - Sachwerte/Erträge - und die allgemeinen Bedingungen für die verbundene Firmenversicherung (###1) zu Grunde. Versichert war das Firmengebäude des Antragstellers. Es handelte sich um einen Büro-/Verkaufsraumtrakt mit daran angebauter Lagerhalle. Am 16.10.2006 wurde die Lagerhalle und sämtlicher Inhalt dieser Lagerhalle durch einen Brand komplett vernichtet. Im Lager befanden sich Restbestände von Feuerwerkskörpern der Klassen I und II, eingepackt in Verkaufsverpackungen. Im Übrigen waren beim Antragsteller nur Kinderfeuerwerke gelagert, die ganzjährig verkauft werden dürfen. Mit Schreiben vom 13.11.2006 kündigte die Antragsgegnerin den Vertrag, unter Hinweis auf die Lagerung größerer Mengen pyrotechnischen Materials, fristlos. Hilfsweise kündigte die Antragsgegnerin in dem genannten Schreiben auch wegen Gefahrerhöhung gem. §§ 23 ff. VVG. Mit Schreiben vom 06.03.2007 berief sich die Antragsgegnerin auf eine weitere Obliegenheitsverletzung; der Antragsteller habe die im "Zusatzbaustein vertraglich vereinbarte Sicherheitsvorschriften zur Brandverhütung" vorgesehene jährliche Überprüfung seiner elektrischen Anlagen durch eine vom Verband der Schadensversicherer e.V. anerkannte Überwachungsstelle nicht durchführen lassen.

Der Antragsteller beabsichtigt die Erhebung einer Klage mit den Anträgen

1. festzustellen, dass die zwischen den Parteien bestehende Kompaktfirmenversicherung entsprechend dem Versicherungsschein vom 03.08.2006 nicht durch die fristlose Kündigung der Antragsgegnerin vom 13.11.2006 beendet wurde,

2. festzustellen, dass die Antragsgegnerin wegen des Brandfalls der Klägerin vom 16.10.2006 aus der bestehenden Kompaktfirmenversicherung leistungspflichtig ist.

Das Landgericht hat dem Antragsteller im angefochtenen Beschluss die nachgesuchte Prozesskostenhilfe versagt. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.

Die Antragsgegnerin hat im vorliegenden Verfahren noch nicht Stellung genommen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und mit der Maßgabe begründet, dass die Sache an das Landgericht zur Prüfung und Entscheidung über die Bedürftigkeit des Antragstellers zurückzuverweisen ist. Die Prozesskostenhilfe kann nicht mit der Begründung versagt werden, die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO). Es kann nicht mit der für eine Verneinung der hinreichenden Erfolgsaussichten ausreichenden Sicherheit davon ausgegangen werden, die Antragsgegnerin habe den Versicherungsvertrag wirksam gekündigt und sei leistungsfrei geworden.

1.) Ein möglicher Verstoß des Antragstellers gegen die im "Zusatzbaustein vertraglich vereinbarte Sicherheitsvorschriften zur Brandverhütung" enthaltene Verpflichtung, elektrische Anlagen jährlich auf eigene Kosten durch eine vom Verband der Schadenversicherer e. V. anerkannte Überwachungsstelle zu prüfen und sich ein Zeugnis darüber ausstellen zu lassen, rechtfertigt die Kündigung gem. § 2 Ziff. 1 ###1 nicht.

Die Klausel setzt - ebenso wie § 6 Abs.1 VVG - eine Obliegenheitsverletzung voraus. Obliegenheiten des Versicherungsnehmers müssen klar und ausdrücklich vereinbart sein (Römer in: Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 6 Rd. 16; Prölss in: Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 6 Rdn. 2). Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt. Der Zusatzbaustein ist nach der im Prozesskostenhilfeverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage (Zöller/Philippi, ZPO,26. Aufl. §114 Rd. 19) nicht Vertragsbestandteil geworden.

Der Versicherungsschein vom 03.08.2006 enthält keine Verweisung auf "Zusatzbausteine". Eine ausdrückliche, individuelle Vereinbarung im Versicherungsvertrag fehlt.

Die besonderen Bedingungen zur Kompaktfirmenversicherung, auf die im Versicherungsschein verwiesen wird, sind, was die Einbeziehung von "Zusatzbausteinen" angeht, unklar. Sie enthalten zunächst einen "Grundbaustein Sachwerte und Erträge/Mehrgefahren", der mit "Begriffsbestimmungen" endet. Das ergibt sich aus dem Inhaltsverzeichnis auf der ersten Seite. Daran schließen sich (Bl. 6 ff. der besonderen Bedingungen) zwei "Zusatzbausteine" an. Einer davon ist der hier in Rede stehende Zuatzbaustein. Für den verständigen, unvoreingenommenen Leser bleibt offen, in welchem Verhältnis Grundbaustein und Zusatzbausteine zueinander stehen. Es ist unklar, wie das vom Versicherer offensichtlich angewandte "Bausteinprinzip" vertragsrechtlich umgesetzt sein soll. Denkbar sind zwei Möglichkeiten: (1) Der Versicherer fasst sämtliche, für das Versicherungsverhältnis geltenden Bedingungen, d. h. Grundbaustein und Zusatzbausteine, in einem einheitlichen Regelwerk (besondere Bedingungen) zusammen. Alle im Regelwerk enthaltenen Bestimmungen gelten gleichermaßen. (2) Der Versicherer sieht in den besonderen Bedingungen ein abgestuftes System vor, welches sich aus einem Grundbaustein und Zusatzbausteinen zusammengesetzt und aus dem die Vertragsparteien den Inhalt der Versicherungsbedingungen individuell auswählen können. Den Versicherungsbedingungen lässt sich nicht eindeutig entnehmen, welches der Modelle der Versicherer wählen wollte. Für Variante (1) spricht, dass es keinen Sinn macht, Vertragsbedingungen (Zusatzbausteine), die für den konkreten Vertrag nicht gelten sollen, in ein Regelwerk aufzunehmen. Für Variante (2) spricht hingegen, dass es sinnlos ist, in einem Klauselwerk, welches aus einheitlich geltenden Regelungen zusammengesetzt ist, überhaupt mit Begriffen wie "Grundbaustein" und "Zusatzbaustein" zu arbeiten, die auf Abstufung und individuelle Auswahl hindeuten. Mit anderen Worten, die Differenzierung in Grundbaustein und Zusatzbausteine ist nur vor Vertragsschluss, bei der Wahl des individuellen Versicherungsschutzes, verständlich. Die begriffliche Differenzierung innerhalb einheitlich und gleichrangig geltender Versicherungsbedingungen leuchtet hingegen nicht ein.

Der Versicherungsnehmer kann folglich das Regelwerk durchaus im Sinne der zweiten Variante verstehen: Der Grundbaustein wird immer Vertragsbestandteil. Die Zusatzbausteine stellen ein zusätzliches Angebot des Versicherers dar, über welches verhandelt wird und das gegebenenfalls individuell in den Vertrag aufgenommen werden kann. Allein die Möglichkeit dieser Sichtweise gebietet es - jedenfalls im Rahmen der im Prozesskostenhilfeverfahren gebotenen summarischen Prüfung - von der zweiten, dem Antragsteller günstigen Vertragslage auszugehen.

2.) Die wirksame Einbeziehung des Zusatzbausteins unterstellt, konnte die Antragsgegnerin gleichwohl nicht wegen der Verletzung der dort enthaltenen Obliegenheit kündigen.

Die Klausel regelt die Pflicht zur jährlichen Prüfung. Nicht bestimmt ist, wann das in Bezug genommene Jahr beginnen bzw. enden soll. Jedenfalls ist anzunehmen, dass die Sicherheitsbestimmung noch nicht verletzt ist, so lange das Jahr noch nicht vollständig abgelaufen ist, eine den Sicherheitsvorschriften entsprechende Prüfung also noch in Betracht kommt. Der früheste Beginn des Jahres ist vorliegend der 01.11.2005. Das ist ausweislich des Versicherungsscheins vom 03.08.2006 der Beginn der Versicherung. (Nicht ausgeschlossen ist allerdings ein Schreibfehler, da der Vorläufervertrag ausweislich des Versicherungsscheins vom 17.02.2003 am 01.01.2005 ablief. Hierüber liegen allerdings keine gesicherten Erkenntnisse vor, sodass jedenfalls für die Beurteilung der Erfolgsaussichten im PKH-Verfahren vom Beginn per 01.11.2005 auszugehen ist). Der Versicherungsfall (Brandschaden) ist am 16.10.2006 eingetreten. Das ist weniger als ein Jahr nach dem 01.11.2005. Die Pflicht zur jährlichen Prüfung war folglich - noch - nicht verletzt. Nach Eintritt des Versicherungsfalles konnte die Pflicht nicht mehr erfüllt werden, da die Lagerhalle abgebrannt war.

3.) Die Lagerung pyrotechnischen Materials kommt als Obliegenheitsverletzung nicht in Betracht. Die Parteien haben im Hinblick auf die Lagerung von pyrotechnischem Material keine Vereinbarungen getroffen. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass und gegebenenfalls gegen welche konkreten, gesetzlichen und behördlichen Sicherheitsvorschriften (§ 13 Ziff. 1.1 der besonderen Bedingungen) der Antragsteller verstoßen haben soll.

4.) Die Antragsgegnerin konnte auch nicht gem. § 24 Abs. 1 VVG kündigen und ist nicht gem. § 25 Abs. 1 VVG leistungsfrei geworden.

Eine Gefahrerhöhung im Sinne der genannten Bestimmungen setzt eine vom status quo bei Antragstellung abweichende, auf eine gewisse Dauer angelegte Änderung der tatsächlichen gefahrerheblichen Umstände, die eine Erhöhung der Möglichkeit einer Risikoverwirklichung in bezug auf den Schadeneintritt, die Vergrößerung des Schadens und/oder eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme des Versicherers darstellt, voraus (Langheid a.a.O., §§ 23-25 Rdn. 5). Nach dem bislang nicht bestrittenen Vorbringen des Antragstellers lagerten Restbestände von Feuerwerkskörpern der Klassen I und II sowie Kinderfeuerwerke im Lagerraum. Ferner hat der Antragsteller vorgetragen und unter Zeugenbeweis gestellt - ebenso bislang unbestritten -, dass das gesamte Sortiment, einschließlich Silvesterartikel, der Beklagten über ihren Mitarbeiter M bekannt war. Auch aus dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 13.11.2006 ergibt sich zwar die Lagerung von pyrotechnischem Material, dass hierin ein vom Zustand bei Antragstellung abweichender, gefahrerhöhender Zustand liegen soll, wird dort allerdings nicht ausgeführt und ist auch nicht ersichtlich.

5.) Da das Landgericht die Hilfsbedürftigkeit des Antragstellers nicht geprüft hat, hat das Beschwerdegericht von der Möglichkeit der Aufhebung und Zurückverweisung (§ 572 Abs. 3 ZPO) Gebrauch gemacht.

6.) Nebenentscheidungen sind nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

Zurück