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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 23.11.2007
Aktenzeichen: 24 W 52/07
Rechtsgebiete: KapMuG, ZPO


Vorschriften:

KapMuG §§ 1 ff.
KapMuG § 1 Abs. 1
KapMuG § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
KapMuG § 1 Abs. 1 S. 1 Ziff. 1
KapMuG § 1 Abs. 2 S. 3
KapMuG § 7 Abs. 1
ZPO § 32 b
ZPO § 32 b Abs. 1
ZPO § 32 b Abs. 1 S. 1 Nr. 1
ZPO § 567 Abs. 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 13. Juli 2007 - 2 O 679/06 - in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 3. August 2007 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt der Kläger die Beklagte wegen einer ihm vermittelten Gesellschaftsbeteiligung an dem Immobilienfonds O-Straße 3 GbR in C auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung in Anspruch. Im Verlauf des Verfahrens hat der Kläger mit Schriftsatz vom 25.5.2007, auf den Bezug genommen wird, einen Musterfeststellungsantrag gem. §§ 1 ff. KapMuG gestellt. Das Landgericht hat diesen Antrag durch den angefochtenen Beschluss vom 13.7.2007 (Bl. 399 ff.) als unzulässig zurückgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, es fehle i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KapMuG an einer hinreichenden kausalen Verknüpfung des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs mit dem Emissionsprospekt als einer öffentlichen Kapitalmarktinformation. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH (NJW 2007, 1364) hat das Landgericht darauf verwiesen, § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KapMuG sei ebenso wenig wie die Gerichtsstandsregelung des § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO anwendbar, wenn die Schadensersatzklage sich gegen einen Beklagten richte, mit dem ein Auskunfts-, Anlagevermittlungs- oder Anlageberatungsvertrag bestehe. Ein solcher Beklagter werde nämlich wegen unterlassener individueller Aufklärung bzw. falscher oder unzureichender Beratung in Anspruch genommen und gerade nicht aufgrund falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen, wie dies für die Anwendbarkeit des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KapMuG vorausgesetzt werde.

Nichts anderes gelte insoweit, als der Kläger sein Schadensersatzbegehren auf eine "uneigentliche Prospekthaftung" oder eine Prospektverantwortlichkeit "im weiteren Sinne" stütze. Auch in solchen Verfahren beruhe ein vertraglicher Schadensersatzanspruch nicht auf Unzulänglichkeiten des Prospekts, sondern auf einer fehlenden Überprüfung der Richtigkeit des Prospekts oder auf pflichtwidrig unterlassenen oder falschen Angaben, die losgelöst vom Prospekt im Einzelfall geboten waren. Schließlich spreche auch Sinn und Zweck der Regelungen gegen eine Einbeziehung von Schadensersatzansprüchen aufgrund individueller Beratungsfehler.

Gegen den ihm am 17.7.2007 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 31.7.2007 sofortige Beschwerde eingelegt, auf deren Begründung (Bl. 409 ff.) Bezug genommen wird. Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde des Klägers gemäß Beschluss vom 3.8.2007 nicht abgeholfen.

Die gem. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte sofortige Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. In der Sache hat die Beschwerde keinen Erfolg.

Das Landgericht hat den Musterfeststellungsantrag zu Recht und mit zutreffender Begründung als unzulässig zurückgewiesen. Der Musterfeststellungsantrag des Klägers wird nicht vom gesetzlichen Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KapMuG erfasst.

Der Bundesgerichtshof hat hinsichtlich der Gerichtsstandsregelung des § 32 b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO entschieden (NJW 2007, 1364; NJW 2007, 1365), dass der ausschließliche Gerichtsstand, der nach dem Wortlaut der Bestimmung für Klagen gilt, mit denen der Ersatz eines auf Grund falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen verursachten Schadens geltend gemacht wird, nicht anzuwenden ist auf vertragliche Schadensersatzansprüche gegenüber einer Bank oder einem anderen Vermittler, der den Anspruchsteller über Kapitalanlagen beraten und ihm die Anlage, über die öffentlich fehlerhaft informiert worden ist, empfohlen hat. Denn eine hierauf gestützte Klage - so die Begründung des Bundesgerichtshofs - ist nicht auf den Ersatz eines auf Grund fehlerhafter öffentlicher Kapitalmarktinformationen verursachten Schadens gerichtet, sondern auf den Ersatz eines Schadens aufgrund fehlerhafter Beratung, mag sich diese auch auf eine öffentliche Kapitalmarktinformation gestützt haben. Der Senat hat keinen Zweifel, dass diese Grundsätze uneingeschränkt zu übertragen sind auf den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KapMuG. Beide Vorschriften haben denselben Geltungsbereich (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 65. Aufl. § 32 b Rz. 3; Stöber NJW 2006, 3725, Vollkommer NJW 2007, 3096). Dies ergibt sich schon deswegen, weil § 32 b ZPO gem. Art. 2 Ziff. 2 des Gesetzes zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren vom 16.8.2005 (BGBl 2437) in die Zivilprozessordnung eingefügt wurde und gemäß Art. 1 des Gesetzes zur Einführung von Kapital-Musterverfahren zugleich mit dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) in Kraft getreten ist. Nach den Gesetzgebungsmaterialien (RegE, BT-Dr 15/5091, S. 33f.) zu § 32 b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO gilt der ausschließliche Gerichtsstand ausdrücklich nur für außervertragliche Schadensersatzklagen. Diese Einschränkung des Anwendungsbereichs der Vorschrift ist ungeschmälert auf § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KapMuG zu übertragen. Nicht zu folgen ist der Auffassung des Klägers, § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KapMuG erfasse jedweden Schadensersatzanspruch, weil die kausale Verknüpfung zwischen dem Schadensersatzbegehren und der öffentlichen Kapitalmarktinformation durch die Formulierung "wegen" wesentlich umfassender sei als der Gesetzeswortlaut des § 32 b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO, in dem stattdessen die Worte "auf Grund" verwendet werden. Beide Formulierungen werden im üblichen Sprachgebrauch weitgehend synonym verwendet. Die unterschiedliche Wortwahl rechtfertigt nicht den Rückschluss auf einen abweichenden Geltungsbereich der beiden Vorschriften. Dieses Verständnis der gesetzlichen Regelungen wird durch die Gesetzesmaterialien eindeutig bestätigt. So heißt es dort im Zusammenhang mit Ausführungen zur ausschließlichen Zuständigkeit: "Der Gesetzentwurf sieht eine örtliche ausschließliche Zuständigkeit bei Klagen gegen inländische Emittenten vor, mit denen entweder Schadensersatzansprüche wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen oder... geltend gemacht werden (§ 32 b ZPO - E)" (RegE, BT-Dr 15/5091, S. 17). In den Erläuterungen der Voraussetzungen des Musterfeststellungsantrags gem. § 1 KapMuG-E wird ausgeführt: " Der Musterfeststellungsantrag ist in Verfahren statthaft, in denen ein Schadensersatzanspruch auf Grund falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen oder ... geltend gemacht wird (RegE, BT-Dr 15,5091, S. 18). Es zeigt sich, dass der Gesetzgeber die unterschiedlichen Formulierungen der gesetzlichen Regelungen als austauschbar und somit als synonym verwendet angesehen hat.

Erfolglos macht der Kläger geltend, ein Musterfeststellungsverfahren müsse möglich sein, wenn eine öffentliche Kapitalmarktinformation nicht nur fehlerhaft war, sondern gänzlich unterlassen wurde. Nach der Rechtsprechung des BGH (NJW 2007, 1364) sind Schadensersatzansprüche wegen falscher oder unzureichender Beratung im Rahmen eines Anlageberatungsvertrags vom Anwendungsbereich des § 32 b Abs. 1 ZPO - und damit auch von dem des § 1 Abs. 1 KapMuG - ausgenommen, weil sie nicht auf falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation beruhen. Demzufolge schließt die Geltendmachung vertraglicher Schadensersatzansprüche wegen fehlerhafter Anlageberatung die Anwendung des § 1 Abs. 1 KapMuG insgesamt aus.

Zu Unrecht beanstandet der Kläger die Auffassung des Landgerichts, der Anlageberater schulde "von vorneherein" keine öffentliche Kapitalmarktinformation. Die vom Kläger zitierte Rechtsprechung (Bl. 574), die den Anlageberater verpflichtet, dem Anlageinteressenten rechtzeitig den Emissionsprospekt zu Verfügung zu stellen, betrifft Beratungs- und Informationspflichten im Rahmen des Anlageberatungsvertrags, der nicht schon dann öffentliche Kapitalmarktinformationen zum Gegenstand hat, wenn in die Beratung Emissionsprospekte, also öffentliche Kapitalmarktinformationen einbezogen werden (BGH NJW 2007, 1364). Für Fehler und unvollständige Informationen des Prospekts kommt eine Haftung des Anlageberaters - wie das Landgericht richtig ausgeführt hat - auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Prospekthaftung im "weiteren Sinne" (bzw. der "uneigentlichen Prospekthaftung") in Betracht, wenn der Anlageberater pflichtwidrig den Prospekt nicht auf seine Richtigkeit überprüft hat oder erforderliche ergänzende Angaben unterlassen hat. Entgegen der Auffassung des Klägers handelt es sich insoweit nicht um eine außervertragliche Anspruchsgrundlage, rechtlicher Anknüpfungspunkt ist für Anlageberatungen, die - wie hier - vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes stattgefunden haben, eine Haftung aus culpa in contrahendo, die den (vor)vertraglichen Anspruchsgrundlagen zuzurechnen ist.

Der vom Kläger vorgelegten Entscheidung des Kammergerichts vom 15.2.2007 - 4 SCH 1/06KapMuG - ist nicht zu entnehmen, dass das KapMuG gerade auch für Fälle gilt, in denen sich ein Anlageberater einer falschen und irreführenden Kapitalmarktinformation zur Erfüllung seiner Auskunftspflichten bedient hat. Hierauf hat das Landgericht bereits mit zutreffender Begründung hingewiesen.

Die Beklagte trifft keine Verantwortlichkeit für den Inhalt des Prospekts als öffentliche Erklärung, weil sie nicht dem Kreis der Herausgeber, Initiatoren oder Hintermänner angehört. Eine andere Sichtweise ergibt sich auch nicht deswegen, weil die Beklagte den Exklusivvertrieb für den streitbefangenen Immobilienfonds übernommen hat und die Titelseite des Emissionsprospekts einen entsprechenden Aufdruck aufweist. Allein diese Umstände geben nicht zu erkennen, dass die Beklagte den Inhalt des Prospekts mitgestaltet hätte. Hieraus folgt zugleich, dass die Beklagte nicht Anbieterin der Fondsbeteiligungen im Sinne des § 32 b ZPO bzw. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KapMuG war. Anbieter ist nur derjenige, der für das öffentliche Angebot von Vermögensanlagen verantwortlich ist und so auch den Anlegern gegenübertritt (BGH NJW 2007, 1364). Dies war hier nicht der Fall. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte im Vorfeld der Anlageentscheidung des Klägers den üblichen Tätigkeitsbereich eines Anlageberaters überschritten hätte.

Erfolglos verweist der Klägerin zur Begründung seines Musterfeststellungsantrags auf § 1 Abs. 2 S. 3 KapMuG und bringt hierzu vor, der Entscheidung über den Antrag komme hier eine Bedeutung für andere gleich gelagerte Rechtsstreitigkeiten zu, weil ein Teil der geschädigten Kapitalanleger bereits Klage vor dem Landgericht Köln erhoben hätte und den Prozessbevollmächtigten des Klägers Klageaufträge weiterer Gesellschafter des streitbefangenen Immobilienfonds vorlägen. Der Kläger lässt außer Acht, dass es für die Zulässigkeit des Musterfeststellungsantrags nicht entscheidend darauf ankommt, ob eine größere Anzahl gleich gelagerter Schadensersatzklagen wegen fehlerhafter Anlageberatung anhängig ist oder künftig anhängig sein wird. Aus den bereits dargestellten Gründen sind derartige vertragliche Schadensersatzbegehren vom Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 S. 1 Ziff. 1 KapMuG ausgenommen.

Erfolglos macht der Kläger in diesem Zusammenhang geltend, der Vertrieb der Anlagen sei aufgrund einer entsprechenden Schulung der Mitarbeiter der Beklagten nach einem allgemein gültigen Muster erfolgt. Beratungs- und Vermittlungsgespräche mit einzelnen Anlegern verlaufen nie völlig identisch, das Maß der geschuldeten Beratung und Aufklärung hängt regelmäßig von den persönlichen Verhältnissen des jeweiligen Anlegers ab. Eine einheitliche Feststellung durch einen für alle betroffenen Gerichte verbindlichen Musterentscheid ist hier von vorneherein nicht denkbar (Stöber NJW 2006, 3724, 3725).

Stellt sich die Richtigkeit einer öffentlichen Kapitalmarktinformation als Vorfrage der Haftung des Anlageberaters oder Anlagevermittlers, so kommt gegebenenfalls unter den Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 KapMuG eine Verfahrensaussetzung in Betracht; der Anlageberater oder Anlagevermittler wird in diesem Fall Beigeladener des Musterverfahrens auf Seiten des Musterbeklagten (vgl. Zöller-Vollkommer ZPO 26. Aufl. § 32 b Rz. 6). Eine derartige Beteiligung an einem Musterverfahren setzt allerdings voraus, dass ein Musterfeststellungsverfahren entsprechend den gesetzlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KapMuG in zulässiger Weise von einem Dritten eingeleitet worden ist. Die angesprochene Verfahrenssituation ist hier nicht ersichtlich.

Die Rechtsbeschwerde wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Beschwerdewert: 27.443,40 €.

Ende der Entscheidung

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