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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 29.10.2003
Aktenzeichen: 26 UF 161/03
Rechtsgebiete: FGG, ZPO


Vorschriften:

FGG § 50 b Abs. 1
FGG § 50 a Abs. 3
ZPO § 538
ZPO § 621 e
ZPO § 621e III S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

26 UF 161/03

In der Familiensache

hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln als Senat für Familiensachen am 29.10.2003

beschlossen:

Tenor:

1. Dem Antragsgegner wird zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Gummersbach vom 1.8.2003 ( 3 F 62/03) ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt G in E zu den Bedingungen eines ortsansässigen Anwalts gewährt.

2. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Gummersbach vom 1.8.2003 ( 3 F 62/03) aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Gummersbach zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen wird.

Gründe:

Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss die elterliche Sorge über die gemeinsamen Kinder der Antragstellerin und des Antragsgegners mit Ausnahme der Entscheidung über die Religionszugehörigkeit und -ausübung auf die Kindesmutter übertragen.

Die dagegen erhobene Beschwerde des Antragsgegners ist gemäß § 621 e ZPO statthaft und auch im übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt.

In der Sache hat sie einen jedenfalls vorläufigen Erfolg.

Das amtsgerichtliche Verfahren, auf dem der angefochtene Beschluss beruht, leidet unter einem schweren Verfahrensmangel. Das Amtsgericht hat die nach § 50 b Abs. 1 FGG in Sorgerechtsverfahren vorgeschriebene persönliche Anhörung der betroffenen Kinder nicht durchgeführt. Die Anhörungspflicht ist Ausfluss des verfassungsrechtlichen Gebotes, bei Sorgerechtsentscheidungen den Willen des Kindes zu berücksichtigen, soweit dies mit dessen Wohl vereinbar ist. Sie dient sowohl der Tatsachenaufklärung, zu der das Gericht in den Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit von Amts wegen verpflichtet ist, als auch der Gewährung des rechtlichen Gehörs, auf dessen Einhaltung auch das betroffene Kind einen verfassungsrechtlich geschützten Anspruch hat ( Art 103 I GG). In der Regel kann daher eine Entscheidung, die den Belangen des Kindes gerecht werden will, nur ergehen, wenn das Kind die Möglichkeit hatte, seine persönlichen Beziehungen zu den übrigen Familienmitgliedern erkennbar werden zu lassen ( Bundesverfassungsgericht NJW 1981, 217). Lediglich aus schwerwiegenden Gründen, die vorliegend weder vom Amtsgericht für die Nichtbeachtung der Anhörungspflicht angeführt wurden, noch dem Senat aus dem Akteninhalt erkennbar sind, kann gemäß § 50 a Abs. 3 FGG von der Anhörung eines Kindes im Sorgerechtsverfahren abgesehen werden.

Beide Kinder hatten auch im Zeitpunkt des Erörterungstermins vor dem Amtsgericht am 1.8.2003 mit 8 bzw. 9 Jahren ein Alter erreicht, in dem sie normalerweise ihre Neigungen und Beziehungen zu den einzelnen Elternteilen bereits gut artikulieren können. Eine Entscheidung über das Sorgerecht für diese beiden Kinder ohne deren Anhörung ist daher ohne ausreichende tatsächliche Grundlage erfolgt.

Die so gewonnene verfahrensfehlerhafte Entscheidung ist aufzuheben, ohne dass die Verfahrensbeteiligten in dem Beschwerdeverfahren den Verfahrensfehler gerügt oder gar einen Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung gestellt haben müssen. Diese in dem Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit nicht besonders geregelte Verfahrensweise beruht auf allgemeinen prozessualen Grundsätzen und entspricht der bisher ständig geübten Praxis der Gerichte in den Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit bei Vorliegen eines schweren Verfahrensmangels ( vgl. nur BGH FamRZ 1982, 12).

Entgegen der von Philippi (in: Zöller ZPO, 23.A., § 621e Rn 77) vertretenen Auffassung hat sich hieran durch die Novellierung des § 538 ZPO mit der zum 1.1.2002 in Kraft getretenen Reform der Zivilprozessordnung nichts geändert. Zwar darf nach Absatz 2 Satz 1 dieser Vorschrift nach der Neuregelung auch bei wesentlichen Mängeln des erstinstanzlichen Verfahrens nunmehr nur noch dann eine Zurückverweisung erfolgen, wenn eine Partei dies beantragt. Abgesehen davon, dass die Beteiligten in FGG-Verfahren keine Sachanträge und erst recht keine Verfahrensanträge stellen müssen, und in bestimmten Bereichen nicht einmal über den Verfahrensgegenstand durch einen gerichtlich nicht genehmigten Vergleich verfügen dürfen, verweist § 621e III S. 2 ZPO bei der Aufzählung der im Beschwerdeverfahren entsprechend anzuwendenden Vorschriften gerade nicht auf § 538 ZPO. Damit ist angesichts der enumerativen Aufzählung im übrigen auch hinreichend klargestellt, dass eine Gesetzeslücke nicht vorliegt und demzufolge eine analoge Anwendung der verschärften Zurückverweisungsvoraussetzungen nicht zulässig ist (OLG Brandenburg, FamRZ 2003, 624, MDR 2003, 271; Thomas Putzo, ZPO, 25. A., § 621e Rn 15). Es verbleibt daher in den Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit auch nach der ZPO-Novelle bei der bisherigen Praxis, wonach in Fällen schwerer Verfahrensfahler die Aufhebung und Zurückverweisung nach dem freien Ermessen des Beschwerdegerichts auch ohne besonderen Antrag eines Beteiligten zulässig ist ( Musielak-Borth, ZPO, 3. A., § 621e Rn 26).

Wert des Beschwerdeverfahrens: 3.000,-- €

Ende der Entscheidung

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