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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 27.02.2007
Aktenzeichen: 3 U 113/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 133
BGB § 157
BGB § 315
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 13. Juni 2006 verkündete Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Bonn - 10 O 564/04 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung in entsprechender Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger macht Schadensersatz in Höhe der angeblich unverbrauchten Guthaben (3.960,00 DM) von Telefonkarten der Beklagten geltend, die er in den Jahren 1992 bis 1994 erworben hat und die zum 01.01.2002 von der Beklagten gesperrt wurden. Ferner begehrt er Schadensersatz für angeblich verlorenen Sammlerwert dieser Karten in Höhe von 15.090,49 DM. Er sieht in der nachträglichen Sperre der Telefonkarten eine vertragliche Pflichtverletzung der Beklagten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Nach seiner Auffassung ergibt die Auslegung der vertraglichen Beziehung zwischen den Parteien keinen Rechtsbindungswillen der Beklagten für eine dauerhafte Telefoniermöglichkeit mit den erworbenen Telefonkarten. Dem Kläger stehe auch kein vertraglicher Anspruch auf Ersatz des Nominalwertes der nicht verbrauchten Guthaben aus einer ergänzenden Vertragsauslegung zu. Diese ergebe vielmehr, dass die Beklagte in Bezug auf den bei Vertragsschluss nicht geregelten Punkt der Gültigkeit der Telefonkarten ein Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 BGB habe, welches sie in zulässiger Weise ausgeübt habe, indem sie den Altkartenbesitzern anbot, ihre Karten unter Erhaltung des Restguthabens in neue Telefonkarten mit beschränkter Gültigkeit (3 Jahre, 3 Monate) einzutauschen. Mangels Pflichtverletzung habe der Kläger auch keinen Anspruch auf Ersatz des Sammlerwertes.

Der Kläger hat gegen das Urteil form- und fristgerecht Berufung eingelegt und diese begründet. Er rügt eine Rechtsverletzung insoweit, als das Landgericht § 796 BGB unberücksichtigt lasse, zu Unrecht von einer Kündigungsmöglichkeit aus wichtigem Grunde gemäß § 314 BGB für die Beklagte ausgehe, in fehlerhafter Weise im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung die Auffassung vertrete, dass der Beklagten ein Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 BGB zustehe, das sie dazu berechtigt habe, die Karten zum 01.01.2002 ungültig werden zu lassen. Ausführungen im Tatbestand des angefochtenen Urteils ließen Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung zu. Entgegen den Feststellungen im Tatbestand habe er anhand von Beispielen vorgetragen, auch in den Jahre 1992 bis 1994 durch die Werbung der Beklagten als Sammler angesprochen und angeworben worden zu sein, wie sich auch aus den Werbetexten auf den Telefonkarten ergebe. Die Beklagte habe einen Sammlermarkt bewusst geschaffen und forciert. Dazu gehöre auch das Anbieten von Telefonkartenlesegeräten zur Prüfung des Kartenguthabens. Für den Kläger habe sich daraus ein zusätzlicher Vertrauenstatbestand ergeben, der die Beklagte zum Fortbestand des Vertragsverhältnisses in der bisherigen Form verpflichte. Durch die Maßnahme der Beklagten werde nachträglich das Maß von Leistung und Gegenleistung gewaltig verzerrt. Der Schaden sei vor allem in Form des Wegfalls des Sammlerwertes entstanden.

Soweit das Landgericht die Annahme eines Rechtsbindungswillens der Beklagten bezogen auf die dauerhafte Telefoniermöglichkeit verneine, habe es ausschließlich Gesichtspunkte berücksichtigt, die im Interesse der Beklagten lägen. Deren Verhaltensweise, die einer vorzeitigen Kündigung gleichkomme, sei mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbar. Die von der Beklagten angegebenen Gründe lägen ausschließlich in ihrem Risikobereich. Die Ausführungen des Landgerichts zur ergänzenden Vertragsauslegung seien fehlerhaft, die Voraussetzungen des § 315 BGB zu verneinen, ebenso eine Störung der Vertragsgrundlagen gemäß § 313 BGB.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9.740,36 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung Zug um Zug gegen Rückgabe der Telefonkartensammlung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und weist darauf hin, dass - unstreitig - nach wie vor die in DM-Werten ausgegebenen Telefonkarten gegen befristete Karten im entsprechenden Euro-Wert umgetauscht werden. Falls diese in ihrem Wert nicht innerhalb der Frist aufgebraucht seien, könnten sie anschließend wiederum in befristete Karten eingetauscht werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht hat die Klage auf Ersatz des Nominalwertes und des Sammlerwertes der streitgegenständlichen Telefonkarten zu Recht abgewiesen. Die geltend gemachten Schadensersatzansprüche sind nicht begründet. Insoweit wird zunächst zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Unabhängig von der Rechtsnatur der Telefonkarte hat die Beklagte keine zum Schadensersatz führenden Pflichten in Bezug auf die vom Kläger in den Jahren 1992 bis 1994 erworbenen Karten verletzt.

Es mag dahin stehen, ob Telefonkarten als sog. kleine Inhaberpapiere im Sinne von § 807 BGB einzustufen sind (so OLG Köln, 6. Zivilsenat, ZIP 2000, 1836; Palandt/Sprau, § 807 BGB, Rdz. 3; ausdrücklich offengelassen von BGH NJW 2001, 2635, 2636). Denn auch nach §§ 807, 796 BGB kann entgegen der Auffassung des Klägers der Aussteller dem Inhaber gegenüber nicht nur Einwendungen entgegensetzen, die die Gültigkeit der Ausstellung betreffen oder sich aus der Urkunde selbst ergeben, sondern auch Einwendungen, die dem Aussteller unmittelbar gegen den Inhaber aus dem Rechtsverhältnis zwischen beiden zustehen. Maßgeblich für die Frage einer Pflichtverletzung der Beklagten ist daher in jedem Fall der Inhalt des von den Parteien geschlossenen Telefonkartenvertrages.

Bisher gibt es kein gesetzlich geregeltes Leitbild des Telefonkartenvertrages als eines erst durch die technische Entwicklung der letzten Jahrzehnte möglich gewordenen Vertragstyps. Es obliegt daher grundsätzlich dem kartenausgebenden Unternehmen, in eigener Verantwortung Art und Umfang der von ihm angebotenen Leistungen sowie die Bemessung des vom Kunden dafür zu entrichtenden Entgeltes zu bestimmen (BGH NJW 2001, a. a. O.).

Aufgrund des Telefonkartenvertrages war die Beklagte verpflichtet, für den Kläger ein funktionierendes Netz öffentlicher Fernsprecher vorzuhalten und ihm die Führung von Telefongesprächen im Rahmen des jeweiligen Guthabens zu ermöglichen. Beim Erwerb der Telefonkarten in den Jahren 1992 bis 1994 war kein Geltungszeitraum festgelegt. Die Karten enthielten also keine Befristung. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass dem Karteninhaber die Telefoniermöglichkeit mit gerade dieser Karte zeitlich unbegrenzt zu erhalten war. Eine ergänzende Auslegung des Telefonkartenvertrages ergibt vielmehr, dass die Beklagte die Gültigkeitsdauer der Karten nach angemessener Ankündigung zeitlich beschränken durfte (vgl. BGH NJW 2001, a. a. O.; OLG Köln, 11. Zivilsenat, Urteil vom 03.03.2004 - 11 U 193/02 -).

Die Regeln der ergänzenden Vertragsauslegung im Sinne der §§ 133, 157 BGB finden Anwendung. Sie haben Vorrang gegenüber der Bestimmung der Leistungspflicht nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB und gegenüber der Lehre von der fehlerhaften Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 BGB n. F. (vgl. BGH NJW 2006, 54).

Einer ergänzenden Vertragsauslegung steht nicht entgegen, dass sich die Leistungsversprechen der Beklagten im Zusammenhang mit den Telefonkartenverträgen typischerweise an eine Vielzahl von Adressaten richteten, so dass es sich bei der vertraglichen Regelung um allgemeine Geschäftsbedingungen handeln könnte. Denn auch im Bereich allgemeiner Geschäftsbedingungen kommt eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht (vgl. Palandt/Heinrichs, § 157 BGB Rdz. 2 a; § 305 c BGB, Rdz. 17). Die für eine ergänzende Vertragsauslegung erforderliche Lücke ist in diesem Fall unter Zugrundelegung eines objektiv generalisierenden Maßstabes zu schließen, der sich am Willen der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu orientieren hat (BGHZ 119, 305, 325).

Die ergänzende Vertragsauslegung richtet sich danach, was redliche und verständige Parteien bei Kenntnis der planwidrigen Regelungslücke nach dem Vertragszweck und sachgemäßer Abwägung ihrer beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben vereinbart hätten (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH NJW 2006, 54). Eine ergänzende Vertragsauslegung würde nur dann ausscheiden, wenn zur Ausfüllung einer vertraglichen Regelungslücke verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten in Betracht kommen und kein Anhaltspunkt dafür besteht, welche Regelung die Parteien getroffen hätten (vgl. BGH NJW 2000, 1110, 1114). Das ist hier aber nicht der Fall.

Die zu schließende Vertragslücke besteht im vorliegenden Fall darin, dass ein Ende der Geltungsdauer der Telefonkarten nicht geregelt war. Dem Kartenaufdruck war nicht zu entnehmen, dass sie ausdrücklich unbefristet gelten sollten. Einer Regelung der Gültigkeitsdauer bedurfte es aber, da kein redlicher und verständiger Kartenerwerber davon ausging, dass für 12,00 DM oder 50,00 DM erworbene Telefonkarten, deren bestimmungsgemäßer Gebrauch darin bestand, abtelefoniert zu werden, ewige Gültigkeit hatten. Das gilt unabhängig davon, ob sich im Laufe der Jahre für die Karten ein Sammlermarkt entwickelt hat, bestimmte Karten mit vollem Guthaben einen hohen Sammlerwert hatten und die Beklagte in dem Erwerbszeitraum 1992 bis 1994 durch entsprechende Werbung den Ankauf von Karten zu Sammelzwecken forciert hat. Denn auch jeder Sammler weiß, dass ein Sammlermarkt nicht ewig besteht und von schwankenden und sich ändernden Sammlerinteressen bestimmt wird.

Eine an den typischen Interessen der Telefonkartenerwerber einerseits und der Beklagten andererseits orientierte ergänzende Vertragsauslegung führt zu dem Ergebnis, dass die Beklagte gemäß § 315 BGB berechtigt war, die Gültigkeitsdauer der Telefonkarten nachträglich entsprechend der Billigkeit angemessen anzupassen. Die von der Beklagten vorgenommene und in angemessener Zeit angekündigte zeitliche Befristung bis 31.12.2001 mit Umtauschrecht und Erhalt des Guthabenwertes entspricht billigem Ermessen.

Ein anerkennenswertes Interesse der Beklagten an einer Gültigkeitsbefristung liegt auf der Hand (vgl. BGH NJW 2001, 2635, 2637). Die Beklagte beruft sich darauf, schon wegen der ständigen Fortentwicklung der Informationstechnologie immer wieder gezwungen zu sein, Veränderungen an ihren öffentlichen Fernsprechern und Telefonkarten vorzunehmen, was die unbegrenzte Weiterbenutzung vor Jahren ausgegebener Telefonkarten ausschlösse. Außerdem macht sie geltend, nur mit Hilfe der Befristung der Telefonkarten sei sie in der Lage, den um sich greifenden Fällen des Missbrauchs durch Manipulationen an den Karten, die ihr in der Vergangenheit hohe Verluste verursacht hätten, wirksam zu begegnen. Dem ist der Kläger nicht in erheblicher Weise entgegen getreten. Ihm ist das Urteil in dem Rechtsstreit 21 U 19/04 OLG Köln bekannt, in dem das Gericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens festgestellt hat, dass eine missbräuchliche Aufladung der bis Oktober 1998 ausgegebenen Telefonkarten möglich ist und es keine vergleichbar einfache technische Möglichkeit gibt, um der Missbrauchsgefahr zu begegnen. Die ausführlich begründeten tatsächlichen Feststellungen in dem genannten Urteil, die sich die Beklagte zu Eigen gemacht hat, hat der Kläger nicht substantiiert bestritten.

Den Interessen des durchschnittlichen Erwerbers von Telefonkarten ist dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass er bei Ablauf der Geltungsdauer die gesperrten, noch nicht abtelefonierten Karten unbefristet gegen aktuelle Telefonkarten mit gleichem Guthabenwert umtauschen kann - wie es die Beklagte jedenfalls seit dem Jahr 2000 angeboten hat und auch heute noch anbietet. Falls die nunmehr auf 3 Jahre 3 Monate befristeten Karten innerhalb der Frist nicht aufgebraucht waren, war bei Fristablauf und ist auch heute noch wiederum ein Eintausch möglich. Damit bleibt dem Kunden der Gegenwert noch nicht verbrauchter Gesprächseinheiten auf Dauer erhalten und stellt die nachträgliche Befristung keinen unzulässigen Eingriff in das vertragliche Äquivalenzverhältnis dar.

Ein weitergehendes Interesse von Kartensammlern an einer unbeschränkten Gültigkeitsdauer ist bei der ergänzenden Vertragsauslegung nicht zu berücksichtigen. Dieses Interesse erstreckt sich nicht darauf, die - häufig in großer Vielzahl - erworbenen Karten abzutelefonieren. Denn das mindert nach dem Vortrag des Klägers gerade den Sammlerwert. Ein Interesse daran, die Geltungsdauer der Karten nicht zu beschränken, um den Sammlerwert und den Sammlermarkt zu erhalten, ist hingegen nicht anerkennenswert. Das Risiko für die Art und Weise, wie sich ein Sammlermarkt und die Sammlerwerte entwickeln, trägt der Sammler. Da er den bestimmungsgemäßen Gebrauch der Karten zum Abtelefonieren kennt und nicht von einer ewigen Gültigkeit der Karten ausgehen kann, kann er nicht darauf vertrauen, dass die Beklagte ihm dieses Risiko abnimmt. Selbst wenn sie den Sammlermarkt durch ihre Werbeaussagen gefördert hat, so hat sie doch zum einen nicht aktiv an der Entwicklung dahin mitgewirkt, dass nur Karten mit vollem Guthaben einen hohen Sammlerwert hatten. Zum anderen war es nicht einmal eine zwangsläufige und vorhersehbare Folge der nachträglichen Befristung der Gültigkeit, dass die Karten soviel an Sammlerwert verloren, weil mit ihnen die Guthaben nicht mehr abtelefoniert werden konnten.

Da die von der Beklagten vorgenommene Befristung ihres Leistungsversprechens als Ausübung eines vertraglichen Bestimmungsrechts gemäß § 315 BGB demnach zulässig war, liegt keine Pflichtverletzung der Beklagten vor, so dass Schadensersatzansprüche des Klägers nicht begründet sind.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gegen dieses Urteil wird die Revision zugelassen, da die Frage, ob die nachträgliche Beschränkung der Gültigkeitsdauer von Telefonkarten mit erheblichem Sammlerwert, die ohne Befristung ausgegeben worden waren, ohne Einräumung eines Anspruchs auf Erstattung des Sammlerwertes zulässig war, von grundsätzlicher Bedeutung ist.

Berufungsstreitwert: 9.740,36 €

Ende der Entscheidung

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