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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 19.06.2007
Aktenzeichen: 3 U 172/06
Rechtsgebiete: BGB, HGB


Vorschriften:

BGB § 278
BGB § 280 Abs. 1
HGB § 425 Abs. 1
HGB § 428
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Schlussurteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 22.9.2006 (16 O 689/04) abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte zu 1. wird verurteilt, als Gesamtschuldner neben dem Beklagten zu 2. an die Klägerin 6.148,76 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 9.12.2004 zu zahlen.

Die Gerichtskosten der ersten Instanz tragen die Beklagten als Gesamtschuldner. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in erster Instanz tragen die Beklagten zu 73 % als Gesamtschuldner und im Übrigen der Beklagte zu 1.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte zu 1.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Klägerin ist Spediteurin und betreibt ein Umschlaglager für Transportgüter, wobei sie verschiedene Transportunternehmer damit beauftragt, die Transporte im Nahverkehr vom Lager zum Endempfänger auszuführen.

Hierbei werden die für einen Transportunternehmer bestimmten Waren auf einen diesem zugewiesenen frei zugänglichen Relationsplatz abgestellt, der durch ein Deckenschild bezeichnet wird. Aus Platzgründen kann es dazu kommen, dass einzelne Waren aus einem Relationsplatzbereich heraus- und in den benachbarten Relationsplatz eines anderen Nahverkehrsunternehmers hineinragen. Unbeschadet dessen ist es den Transportunternehmern verboten, Waren zu verladen, die auf fremden Relationsplätzen lagern. Das Umschlaglager ist videoüberwacht, eine Kontrolle der Verladevorgänge durch Mitarbeiter der Klägerin erfolgt nur lückenhaft.

Am 3.12.2003 wurde der Beklagte zu 1. im Rahmen der ständigen Geschäftsbeziehung mit der Klägerin von dieser mit Transporten im Nahverkehr beauftragt. Er setzte den ihm seit längerem bekannten und als Fahrer für ihn tätigen Beklagten zu 2. ein. An diesem Tag waren auf einem benachbarten Relationsplatz fünf Paletten zur Abholung für ein anderes Unternehmen abgestellt, darunter eine Palette mit Camcordern. In der Absicht, sich diese Geräte rechtswidrig zuzueignen, verlud der Beklagte zu 2. die Palette auf sein Fahrzeug. Die Polizei konnte 23 Camcorder sowie 1220,00 EUR Veräußerungserlös sicherstellen und an die Klägerin auskehren.

Die Klägerin hat behauptet, auf der entwendeten Palette hätten sich insgesamt 43 Camcorder befunden. Ihr Auftraggeber habe ihr, der Klägerin 7.368,73 EUR als Schaden berechnet und in dieser Höhe gegen Frachtforderungen der Klägerin aufgerechnet.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin den nach Abzug des Auskehrungsbetrages von 1220,00 EUR verbleibenden Betrag von 6148,73 EUR gegen beide Beklagte gesamtschuldnerisch geltend gemacht. Gegen den Beklagten zu 2. wurde mit rechtskräftig gewordenem Teilversäumnisurteil vom 27.1.2006 entschieden.

Der Beklagte zu 1. hat den Schadensumfang bestritten und Mängel der Kontrolle seitens der Mitarbeiter der Klägerin bei Verladearbeiten behauptet, weswegen er die Ansicht vertreten hat, diese treffe ein Mitverschulden.

Das Landgericht hat mit dem angegriffenen Schlussurteil die gegen den Beklagten zu 1. gerichtete Klage abgewiesen. Die für einen Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB maßgebliche Zurechnungsnorm des § 278 BGB sei vorliegend unanwendbar, weil der Diebstahl lediglich gelegentlich der Erfüllung begangen worden sei und ein innerer sachlicher Zusammenhang zu den der Hilfsperson übertragenen Aufgaben fehle.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Zahlungsbegehren gegen den Beklagten zu 1. weiter.

Von der Darstellung weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird abgesehen (§§ 540 Abs. 3, 313 a Abs. 1 ZPO).

II.

Die formell einwandfreie, insgesamt zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

Die gegen den Beklagten zu 1. gerichtete Klage ist begründet.

Hierfür kann dahinstehen, ob bereits ein Anspruch aus § 425 Abs. 1 HGB besteht, und ob die vorsätzliche Inbesitznahme von Sendungen, die für andere Touren bestimmt sind, durch den Beklagten zu 2. mit Wirkung für den Beklagten zu 1. als Übernahme von Transportgut gewertet werden kann.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten zu 1. aufgrund der vom Beklagten zu 2. am 3.12.2003 im Lager der Klägerin in Diebstahlsabsicht erfolgten Mitnahme einer Palette mit Camcordern einen Anspruch auf Schadensersatz aus vertraglicher Nebenpflichtverletzung gemäß § 280 Abs. 1 BGB. Der Diebstahl stellt sich bezogen auf das Vertragsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 1. als Verletzung der aus dem Transportvertrag sich ergebenden Nebenpflicht des Beklagten zu 1. dar, aus dem Lager der Klägerin keine Güter außer denjenigen zu verladen, für die ein Transportauftrag besteht. Ob dem Beklagten zu 1. das Verhalten des Beklagten zu 2. bereits nach § 428 HGB zuzurechnen ist, kann dahinstehen, da der Beklagte zu 1. jedenfalls nach § 278 BGB für das Verhalten des Beklagten zu 1. einzustehen hat.

Der Beklagte zu 2. war Erfüllungsgehilfe des Beklagten zu 1. im Sinne des § 278 BGB, weil er unselbständig für den Beklagten zu 1. nach dessen Weisungen als Kraftfahrer tätig war.

Auch handelte er vorliegend in Erfüllung der Verbindlichkeiten des Beklagten zu 1.

Für die Frage, ob eine bestimmte Tätigkeit dem von § 278 BGB erfassten Bereich der Erfüllung der Verbindlichkeiten zuzuordnen ist, ist voneinander abzugrenzen, ob das schadensursächliche Verhalten in einem inneren sachlichen Zusammenhang mit der Erfüllung der dem Schuldner aufgrund des Schuldverhältnisses obliegenden Pflichten stand oder ob es nur gelegentlich der Erfüllung begangen wurde (BGH NJW 2001, 3190). Ein innerer Zusammenhang ist auch bei vorsätzlichem Handeln und bei Handeln gegen ausdrückliche Weisungen des Schuldners bejaht worden (BGH NJW 1993, 1704, 1705; NJW 2001, 3190). In der Literatur wird demgegenüber teilweise zwischen vertragsspezifischen und allgemeinen Schutzpflichten differenziert (Larenz, Schuldrecht - Allgemeiner Teil, 14. Auflage, § 20 VIII), oder dahin abgegrenzt, dass Verstöße gegen die allgemeine Nichtschädigungspflicht außerhalb der Aufgabe, zu deren Erfüllung sich der Unternehmer der Hilfsperson bedient habe, nicht nach § 278 BGB zugerechnet werden können (Münchener Kommentar zum BGB/Grundmann, 4. Auflage, § 278, Rn. 47).

Im Bereich des Transportrechts ist für den Fall eines Diebstahls von fremden Transportgut ein innerer sachlicher Zusammenhang zu den dem Schuldner nach dem Schuldverhältnis obliegenden Pflichten in der Konstellation bejaht worden, dass es die Aufgabe der Mitarbeiter war, die Frachtsendung anhand von Rollkarten oder Frachtbriefen selbst zusammenzustellen (OLG Hamburg, Urteil vom 9.7.1981, 6 U 111/80, VersR 1983,352; LG Köln, Urteil vom 3.9.2004, 16 O 433/03).

Der Senat ist der Ansicht, dass vorliegend ein innerer sachlicher Zusammenhang zwischen der Entwendung der fremden Güter von dem benachbarten Relationsplatz und der übertragenen Tätigkeit, die auf dem zugewiesenen Relationsplatz lagernden Güter zu verladen, gegeben ist. Dieser Zusammenhang wird bereits dadurch begründet, dass der Fahrer im Rahmen des Transportauftrages Zugang zur Lagerhalle der Klägerin erlangt. Befinden sich nämlich in diesem Lager unverschlossene Relationsplätze, zu denen er insgesamt ungehinderte Zugangs- und Zugriffsmöglichkeit erhält, ergeben sich aus diesen Umständen vertragliche Schutz- und Rücksichtnahmepflichten im Hinblick auf den gesamten zugänglichen Lagerbestand. Aufgrund dieser Schutzpflichten ist für jegliche Verladung von Transportgütern aus dem Lager ein innerer sachlicher Zusammenhang zu den dem Schuldner aufgrund des Schuldverhältnisses obliegenden Pflichten zu bejahen. Der so begangene Diebstahl stellt neben der Verletzung der allgemeinen Nichtschädigungspflicht auch einen Verstoß gegen vertragsspezifische Pflichten dar.

Durch die Absprachen zwischen den Parteien über den Zugang zu dem Lager der Klägerin und die Zuweisung eines bestimmten Relationsplatzes zur Verladung von Gütern wurde es zu einer vertragsspezifischen Pflicht des Fahrers, Waren außerhalb des Relationsplatzes unangetastet zu lassen und an dem zugewiesenen Relationsplatz die für den Transport durch den Schuldner bestimmten Güter von denjenigen abzugrenzen, die für andere Fahrer bestimmt waren. Diese Aufgabe der Abgrenzung gilt insbesondere gegenüber den auf benachbarten Relationsplätzen lagernden Waren. Denn diesbezüglich ist die Gefahr einer Verwechslung naheliegend, weil es bei größeren Warenmengen vorkommt, dass die Fläche nicht ausreicht und deshalb die Flächen benachbarter Relationsplätze mitbenutzt werden.

Diese vertragsspezifische Pflicht wurde durch den Diebstahl des Beklagten zu 2. verletzt, indem er eine Palette mit Camcordern von einem benachbarten Relationsplatz verlud.

Ein Schaden ist in der geltend gemachten Höhe von 6.148,73 EUR entstanden. Hierbei ist aufgrund der klägerseits vorgelegten Kommissionierungslisten (Anl. K 8, Bl. 61-65, Anl. K 12, Bl. 92) und Lieferscheine (Anl. K 9-11, Bl. 87- 91) sowie den handschriftlichen Eintragungen des N M I über das festgestellte Fehlen einer Palette auf der Rechnung der T Deutschland GmbH ((Anl. K 1, Bl. 9, 10; Anl. K 13, 14, Bl. 93-95 d.A.) davon auszugehen, dass der Beklagte eine Palette mit 43 Camcordern entwendete, wobei 23 Camcorder sichergestellt wurden und die auf der Anlage K4 (Bl. 17 d.A.) aufgelisteten 20 Camcorder mit den dort genannten Werten verschwunden blieben. Hierbei handelt es sich um fünf DSC-P72/T Cybershot zum Nettowert von jeweils 236,81 EUR, sechs DSC-P 92/T Cybershot zum Nettowert von jeweils 323,59 EUR, ein DSC-P52/T Cybershot zum Nettowert von 208,43 EUR, ein DSC-TRV19E/ T Digital Handycam zum Nettowert von 560,40 EUR und sieben DCR-TRV14E/T Digital Handycam zum Nettowert von 496,33 EUR. Von der sich ergebenden Summe in Höhe von 7.368,73 EUR war der sichergestellte Erlös von 1.220,- EUR in Abzug zu bringen, woraus sich der zugesprochene Betrag von 6.148,73 EUR errechnet.

Dem Bestreiten des Beklagten zu 1. zur Schadenshöhe kommt demgegenüber Erheblichkeit nicht zu. Durch Vorlage der vorgenannten Unterlagen ist der Klägervortrag in einer Weise substantiiert worden, die es dem Beklagten zu 1. geboten hätte, auch seinerseits konkret anzugeben, den Verlust welcher Gegenstände er bestreiten will. Dies gilt hier vor allem deshalb, weil es unstreitig ist, dass der Beklagte zu 2. eine Palette mit Geräten der Fa. T entwendete, von denen nur 23 Geräte sichergestellt werden konnten. Der Beklagte zu 1. hätte angesichts dessen genauere Angaben dazu machen müssen, von welchen Geräten er behaupten will, diese seien entgegen den vorgelegten Listen nicht auf der Palette gewesen, nicht verschwunden oder hätten einen geringeren Wert als angesetzt.

Zweifel an der Plausibilität der Angaben der Klägerin ergeben sich auch nicht aus der vom Zeugen U zur Akte gereichten Stellungnahme (Bl. 105-115 d.A.), auf die der Beklagte zu 1. Bezug nimmt. Hierbei wies der Zeuge darauf hin, die auf dem Speditionsauftrag vermerkten Fehlmengen würden mit denen der ursprünglichen Schadensmeldung der Klägerin sowie den eingetragenen Fehlmengen auf der Rechnung der T Deutschland GmbH an den N M I nicht übereinstimmen (Bl. 106). Soweit hiermit darauf hingewiesen werden sollte, dass unmittelbar nach Entdecken des Fehlens eines Teils der Ware auch Waren von anderen Paletten als fehlend angezeigt worden sind, mag dies dahinstehen. Jedenfalls bezogen auf die Geräte, für die mit der Klage Ersatz geltend gemacht wird, lassen sich derartige Unstimmigkeiten nicht feststellen.

Die über die Bestückung der Paletten erstellte Liste (Bl. 112 = Anl. K 12, Bl. 92) weist zu der Palette 02 Artikelbezeichnungen auf, die mit den Fehlangaben auf der T-Rechnung (Anl. K1, Bl. 9 f.) exakt übereinstimmen. Lediglich werden zusätzlich zu den 43 übereinstimmenden Geräten auf der T-Rechnung zwei weitere DSCP8S.CEE1 als fehlend gekennzeichnet. Das mag aber dahinstehen, weil diese auf der der Berechnung der Klageforderung zugrundeliegenden Aufstellung (Anl. K4, Bl. 17 d.A.) nicht mehr genannt werden und für diese mit der Klage kein Ersatz verlangt wird.

Auch aus den handschriftlichen Eintragungen auf dem Speditionsauftrag (Anl. K 13, Bl. 93) lassen sich die 43 nach Maßgabe der Packliste (Bl. 112) auf der Palette befindlichen Geräte identifizieren. Zusätzlich werden hier zwei DSCP 8 R und zwei MDR E 818 LP als fehlend angegeben. Auch diese tauchen aber auf der für die Schadensberechnung maßgeblichen Aufstellung (Anl. K 4, Bl. 17) nicht mehr auf, weswegen auch diese Eintragung keine Zweifel daran weckt, dass die Geräte, für die Ersatz verlangt wird, solche sind, die sich auf der entwendeten Palette befanden.

Ein anspruchsminderndes Mitverschulden nach § 254 BGB muss sich die Klägerin nicht entgegenhalten lassen. Das ergibt sich daraus, dass im Rahmen der nach § 254 BGB vorzunehmenden Abwägung ein fahrlässiges Mitverschulden des Geschädigten regelmäßig hinter dem vorsätzlichen Verursachungsbeitrag des Schädigers zurückzutreten hat (BGH NJW 1984, 921; NJW 1986, 2941, 2943; NJW 2002, 1643, 1646). Da andererseits der Vorsatz des Schädigers nicht als Freibrief für jeglichen Leichtsinn des Geschädigten herangezogen werden kann, werden freilich auch Konstellationen für möglich erachtet, in denen ausnahmsweise nach den Gegebenheiten des konkreten Einzelfalles nach Treu und Glauben eine Schadensteilung geboten ist (vgl. BGH a.a.O.). Vorliegend ist indes eine solche Konstellation nicht gegeben. Auf der einen Seite steht die dem Beklagten zu 1. zuzurechnende Vorsatztat des Diebstahls durch den Beklagten zu 2. Demgegenüber kann der Klägerin lediglich das Fehlen einer effektiven Kontrolle der Warenein- und -ausgänge vorgeworfen werden. Dass sie sich stattdessen auf die einerseits abschreckende und andererseits die Aufklärung erleichternde Wirkung ihrer Videoüberwachung verließ, führt sicherlich nicht zum Entfallen des Fahrlässigkeitsvorwurfs, gebietet es aber, ihn zumindest nicht als so schwerwiegend zu bewerten, als dass er eine Ausnahme vom Regelfall des Zurücktretens gegenüber dem vorsätzlichen Verschulden des Schädigers rechtfertigen könnte.

Der zugesprochene Zinsanspruch ergibt sich als Rechtshängigkeitszins aus den §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 Abs.1 , 97 Abs. 1, 100 Abs. 2 und 4, 708 Nr.10, 711, 713 ZPO.

Ein Anlass, gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen, besteht nicht. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern Belange der Rechtsfortbildung oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 6.148,73 €

Ende der Entscheidung

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