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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 05.09.2006
Aktenzeichen: 3 U 201/05
Rechtsgebiete: BGB, StGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 2
StGB § 263
ZPO § 139
ZPO § 283
ZPO § 538 Abs. 2 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufungen der Beklagten wird das am 06.12.2005 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Aachen (4 O 190/04) einschließlich des zugrunde liegenden Verfahrens aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Aachen zurück verwiesen.

Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Berufungsverfahren wird abgesehen; die Kostenentscheidung im Übrigen, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, bleibt dem Landgericht vorbehalten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt von den Beklagten Schadensersatz. Die Beklagten waren Gesellschafter und Geschäftsführer der Fa. U. Bau GmbH und Gesellschafter der U. Bau GmbH & Co. KG. Die U. Bau GmbH & Co. KG führte für die Fa. N. GmbH & Co. KG Arbeiten im Rahmen des Ausbaus des Q.-Baumarktes in W. im Jahre 2003 aus. Unter dem 19.11.2003 beauftragte die Fa. U. Bau GmbH & Co. KG die Klägerin als Subunternehmerin mit der Durchführung von Bauarbeiten am Q.-Baumarkt in W. in einem Umfang von 21.551,72 Euro netto / 25.000 Euro brutto. Ansprüche der U. Bau GmbH & Co. KG gegen die N. GmbH & Co. KG wurden unter dem 27.11.2003 an die Klägerin abgetreten. Die Schlussrechnung der Klägerin vom 17.12.2003 lautete ursprünglich über 53.088,92 Euro, wurde später aber auf 43.441,87 Euro (brutto) gekürzt. Die Rechnung wurde weder von der U. Bau GmbH & Co. KG noch von der N. GmbH & Co. KG gegenüber der Klägerin beglichen. Mit notariellem Vertrag vom 29.12.2003 veräußerten die Beklagten ihre Gesellschaftsanteile; 2004 wurde das Insolvenzverfahren über die U. Bau GmbH & Co. KG eröffnet, auch die N. GmbH & Co. KG ist insolvent.

Die Klägerin hat behauptet, die U. Bau GmbH & Co. KG sei bereits am 19.11.2003 zahlungsunfähig gewesen, was die Beklagten auch gewusst hätten. Ihre Schlussrechnung gebe die auf der Grundlage des Auftrags vom 19.11.2003 in Verbindung mit vor Ort erteilten Auftragserweiterungen erbrachten Leistungen zutreffend wieder, so dass ihr ein von den Beklagten zu ersetzender Schaden in entsprechender Höhe entstanden sei.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 43.441,07 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9. März 2004 zu zahlen.

Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt.

Die Beklagten haben die Zahlungsunfähigkeit der U. Bau GmbH & Co. KG im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestritten. Zur Höhe der Klageforderung haben sie Zusatzaufträge bestritten und die Vereinbarung eines Pauschalpreises unter Einschluss bereits besprochener Änderungen behauptet.

Das Landgericht hat die Klageforderung in vollem Umfang zugesprochen. Es hat die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs gem. § 823 Abs.2 BGB i.V.m. § 263 StGB bejaht. Die Fa. U. Bau GmbH & Co. KG sei bei Abschluss des Vertrages mit der Klägerin am 19.11.2003 bereits zahlungsunfähig gewesen, wie sich aus den Angaben des im Termin vom 15.11.2005 vernommenen Zeugen Dr. E. ergebe, der sich insoweit auf ein Gutachten der L. habe stützen können. Die gegen dieses Gutachten erhobenen Einwendungen der Beklagten seien unsubstantiiert und daher unbeachtlich. Die Zahlungsunfähigkeit der Fa. U. Bau GmbH & Co. KG ergebe sich zudem auch aus einem Gutachten des Sonderinsolvenzverwalters K. vom 20.09.2005. Indiziell für eine Zahlungsunfähigkeit der Klägerin spreche auch, dass die Veräußerung schließlich an einen bekannten "Abwickler" erfolgt sei. Davon, dass beide Beklagte Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit hatten, könne angesichts ihrer Geschäftsführertätigkeit ausgegangen werden; dafür spreche auch die Veräußerung an einen "Abwickler". Der Höhe nach sei die Klageforderung schlüssig dargelegt, die Klägerin könne den Wert der ausgeführten Arbeiten einschließlich ihres Gewinnanteils erstattet verlangen. Soweit die Beklagten in diesem Zusammenhang u.a. die Richtigkeit der Massen- und Kostenermittlung bestritten hätten, sei ihr Bestreiten pauschal und daher unbeachtlich.

Mit ihrer Berufung wenden sich die Beklagten zunächst dagegen, dass das Landgericht einen Betrugsvorsatz der Beklagten bejaht hat. Dagegen spreche schon die Abtretung der Ansprüche der Fa. U. Bau GmbH & Co. KG gegen die Fa. N. an die Klägerin. Tatsächlich sei die Fa. U. Bau GmbH & Co. KG zum maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses auch weder überschuldet noch zahlungsunfähig gewesen. Die diesbezüglichen Feststellungen des Landgerichts beruhten auf nicht tragfähigen Ausführungen in dem erst im Termin vom 15.11.2005 vom Zeugen Dr. E. vorgelegten Gutachten der L.. Die diesbezüglich schon in erster Instanz erhobenen Einwendungen der Beklagten habe das Landgericht übergangen und insoweit zu den tatsächlichen Grundlagen angebotene Beweise nicht erhoben. Damit sei der Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt worden, zumal auch über den Vertagungsantrag der Beklagten zu 1. nicht entschieden worden sei.

Die Beklagten beantragen,

unter Aufhebung des landgerichtlichen Urteils die Klage abzuweisen,

sowie hilfsweise,

unter Aufhebung der Entscheidung das Verfahren an das Landgericht Aachen zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten hat in der Sache vorläufig Erfolg. Das landgerichtliche Urteil wird wegen eines wesentlichen Mangels im Verfahren, der eine umfangreiche und gegebenenfalls auch aufwändige Beweisaufnahme notwendig macht, aufgehoben und der Rechtsstreit an das Landgericht Aachen zurückverwiesen, § 538 Abs.2 Nr.1 ZPO.

1.

Das Landgericht hat in seinem Urteil vom 06.12.2005 festgestellt, dass die Beklagten der Klägerin gem. §§ 823 Abs.2 BGB, 263 StGB auf Schadensersatz haften, weil die von ihnen vertretene U. Bau GmbH & Co. KG bei Erteilung des Auftrages an die Klägerin bereits im Zeitpunkt der Auftragserteilung zahlungsunfähig und dies den Beklagten auch bekannt gewesen sei. Diese Feststellung beruht auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beklagten. Dies führt zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung, denn das erstinstanzliche Verfahren stellt danach insgesamt keine ordnungsgemäße Grundlage für eine instanzbeendende Entscheidung dar.

a.

Wird der Vertagungsantrag einer Partei, die Anspruch auf Vertagung hat, grundlos übergangen, so stellt dies eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar (BGH GRUR 2004, 354 ff.). Eine Vertagung ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung immer dann notwendig, wenn nach dem für das Gericht ersichtlichen Sachstand durch die Ablehnung einer Vertagung der eine solche beantragenden Partei die Möglichkeit entzogen wäre, sich in der betreffenden Instanz sachgemäß und erschöpfend über alle Tatsachen, Beweisergebnisse oder sonstigen verhandelten Fragen zu erklären, die Grundlage der zu treffenden Entscheidung sind. Ein solcher Fall ist beispielsweise gegeben, wenn die Vertagung beantragende Partei im Termin von dem Gericht oder der Gegenseite mit einer Tatsachenfrage konfrontiert wird, mit der sie sich nicht "aus dem Stand" auseinander zu setzen vermag, zu der sie sachlich fundiert vielmehr nur dann Stellung nehmen kann, wenn sie angemessene Zeit für Überlegung und Vorbereitung hat, und die anders, etwa durch eine Unterbrechung der mündlichen Verhandlung, nicht in ausreichender Weise zur Verfügung gestellt werden kann (BGH aaO.).

So liegt der Fall hier. Erstmals im Termin vom 15.11.2005 ist den Beklagten das Gutachten der L. zugänglich gemacht worden, auf das sich der Zeuge Dr. E. für seine Aussage zur Zahlungsunfähigkeit der U. GmbH & Co. KG maßgeblich gestützt hat. Dieses Gutachten umfasste 12 Seiten, beigefügt waren 58 Seiten Anlagen, weitere zugehörige Anlagen fehlten noch. Dass sich die Beklagten hierzu nicht aus dem Stand heraus äußern konnten, liegt auf der Hand. Entsprechendes gilt auch für den vom Landgericht weiter herangezogenen Bericht des Sonderinsolvenzverwalters K. vom 20.09.2005; auch dieser ist - unabhängig von der Frage seiner inhaltlichen Ergiebigkeit - erstmals im Termin vom 15.11.2005 überreicht worden. Dem in der Verhandlung vom 15.11.2005 gestellten Vertagungsantrag der Beklagten zu 1. hätte daher stattgegeben werden müssen.

b.

Diese Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beklagten ist nicht geheilt. Das Landgericht hat sich mit den - nach unterlassenem Hinweis auf die Möglichkeit eines Schriftsatznachlasses (dazu vgl. BGH NJW 1985, 1540) nicht einmal gem. § 283 ZPO nachgelassenen - Stellungnahmen der Beklagten vom 17.11.2005 bzw. 01.12.2005 inhaltlich nicht näher auseinander gesetzt, sondern diese pauschal als unsubstantiiert außer Betracht gelassen, obwohl konkret sowohl zu den im Gutachten angesprochenen Verbindlichkeiten der U. GmbH & Co. KG am 19.11.2003 als auch zu weiteren Aktiva - insoweit auch unter Beweisantritt - vorgetragen worden ist. Auf aus seiner Sicht mangelnde Substantiierung dieses Vorbringens hätte das Landgericht im Übrigen vor Zurückweisung desselben gem. § 139 ZPO hinweisen müssen (vgl. BGH NJW-RR 1993, 569 f.).

c.

Auf der danach gegebenen Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht das Urteil des Landgerichts. Die streitige Frage der Zahlungsunfähigkeit der U. GmbH & Co. KG am 19.11.2003 ist unabhängig davon, ob man den Anspruch der Klägerin auf §§ 823 Abs.2 BGB, 263 StGB oder auf §§ 823 Abs.2 BGB, 64 GmbHG stützt, offensichtlich entscheidungserheblich. Auf andere Beweismittel als die sich ihrerseits ausdrücklich und maßgeblich auf das Gutachten der L. und den Bericht des Sonderinsolvenzverwalters K. beziehende Aussage des Zeugen Dr. E. hat das Landgericht seine Feststellung nicht stützen können. Allein die Angaben des Zeugen Dr. E. in der Verhandlung vom 15.11.2005 tragen ohne die entsprechenden Bezugnahmen auf das Gutachten der L. und den Bericht des Sonderinsolvenzverwalters K. die Annahme einer Zahlungsunfähigkeit der U. GmbH & Co. KG am 19.11.2003 nicht; sie sind insoweit zu den Grundlagen der vom Zeugen im Anschluss an das Gutachten der L. und den Bericht des Sonderinsolvenzverwalters K. bestätigten Zahlungsunfähigkeit der U. GmbH & Co. KG am 19.11.2003 ersichtlich nicht hinreichend ergiebig. Soweit sich das Landgericht indiziell zum Nachweis der Zahlungsunfähigkeit der U. GmbH & Co. KG am 19.11.2003 weiter auf den Umstand stützt, dass die U. GmbH & Co. KG kurze Zeit später an einen bekannten "Abwickler" veräußert worden sei, genügt dieser Umstand weder für sich genommen noch in Verbindung mit den Angaben des Zeugen Dr. E., die sich nicht auf die erst im Termin vom 15.11.2005 vorgelegten Unterlagen stützen, um die Zahlungsunfähigkeit der U. GmbH & Co. KG nachzuweisen.

d.

Die weitere Beweiserhebung ist voraussichtlich aufwändig, weil es zur Frage der Zahlungsunfähigkeit der U. GmbH & Co. KG zum Stichtag zumindest einer Ergänzung des vorliegenden Gutachtens der L. und gegebenenfalls auch der Vernehmung von Zeugen zur Klärung des Bestehens weiterer Aktiva bedarf. Darüber hinaus erscheint es derzeit auch möglich, dass es auch zur Höhe der geltend gemachten Forderung weiterer Klärung bedarf. Die Klägerin hat unter Beweisantritt behauptet, es sei Abrechnung nach Einheitspreisen vereinbart worden, wohingegen die Beklagten die Vereinbarung eines Pauschalpreises behauptet haben. Hier wird zu prüfen sein, ob es sich bei der Auftragsbestätigung vom 19.11.2003 um ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben handelt mit der Folge, dass gegebenenfalls vom Abschluss eines sogenannten "Detail-Pauschalvertrages" auszugehen wäre, bei dem von der Klägerin behauptete zusätzliche Leistungen gegebenenfalls nur unter engeren Voraussetzungen und nicht zwingend nach den ursprünglich vorgesehenen Einheitspreisen vergütet verlangt werden können (vgl. Werner/Pastor, Der Bauprozess, Rn1189, 1203, 1205). Zudem dürften die Beklagten den Umfang der ausgeführten Arbeiten angesichts des Umstandes, dass sie unstreitig nicht selbst unmittelbar Kenntnis vom Umfang der schließlich durchgeführten Baumaßnahmen hatten, auch zulässigerweise mit Nichtwissen bestritten haben. Da sie zum Zeitpunkt des Schreibens der U. GmbH & Co. KG vom 13.01.2004, mit dem der Umfang der Bauarbeiten seitens der U. GmbH & Co. KG in bestimmtem Umfang anerkannt worden sein dürfte, nicht mehr Geschäftsführer der U. waren, dürfte ihnen insoweit widersprüchliches Verhalten nicht anzulasten sein (dazu vgl. OLG Brandenburg, OLGR 2005, 222 ff.). Auch dass die Beklagten ohne weiteres in der Lage wären, die entsprechenden Informationen von Personen zu erlangen, die (seinerzeit) unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig waren (dazu vgl. BGH NJW-RR 2002, 612 ff.; NJW 1999, 53 f.), ist jedenfalls bislang nicht ersichtlich.

e.

Ohne ausreichende Klärung der zentralen Frage der Zahlungsunfähigkeit der U. GmbH & Co. KG am 19.11.2003 fehlt es an einer ordnungsgemäßen Grundlage für eine instanzbeendende Entscheidung (vgl. BGH NJW-RR 2003, 131 f.). Im Rahmen des ihm danach gem. § 538 Abs.2 Nr.1 ZPO eingeräumten Ermessens hält der Senat es für sachdienlich, die anstehende weitere Klärung entsprechend dem Antrag der Beklagten dem erstinstanzlichen Verfahren vorzubehalten; nur so ist gewährleistet, dass den Parteien für die Entscheidung in der Sache keine Tatsacheninstanz verloren geht.

2.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst; die ausgesprochene Niederschlagung von Kosten findet ihre Grundlage in § 21 GKG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in § 708 Nr. 10 ZPO. Obwohl das Urteil keinen vollstreckungsfähigen Inhalt hat, ist die vorläufige Vollstreckbarkeit im Hinblick auf § 775 Nr.1 ZPO auszusprechen (vgl. BGH JZ 1977, 232; OLG München NJW-RR 2001, 66).

Ein Anlass, die Revision zuzulassen (§ 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO) besteht nicht. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern Belange der Rechtsfortbildung oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs; die im vorliegenden Fall zu entscheidenden Fragen sind bereits höchstrichterlich entschieden und werfen im Übrigen auch keine rechtsgrundsätzlichen Fragen auf.

Streitwert: 43.441,07 Euro

Ende der Entscheidung

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