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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 11.10.2002
Aktenzeichen: 3 U 26/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 434
BGB § 571
BGB § 854
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 26/02

Verkündet am 11.10.02

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 10. September 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Lampenscherf, die Richterin am Oberlandesgericht Caesar und den Richter am Landgericht Paltzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Kläger gegen das am 18. Dezember 2001 verkündete Grundurteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 1 0 512/99 - wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung der Beklagten wird das genannte Urteil teilweise abgeändert: Unter Abweisung der weitergehenden Klage werden die Klageansprüche dem Grunde nach zu 20 % für gerechtfertigt erklärt.

Im übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem landgerichtlichen Schlussurteil vorbehalten.

Tatbestand:

Die Klägerin zu 1) ist die Witwe und Alleinerbin, die Kläger zu 2) und 3) sind die Kinder des am 26.11.1996 bei einem Verkehrsunfall auf der L XXX zwischen N. und B. tödlich verunglückten Sanitär- und Heizungsbaumeisters H. S.. Die Kläger nehmen die Beklagte zu 1) als Fahrerin und die Beklagte zu 2) als Haftpflichtversicherer des gegnerischen PKWs auf Schadensersatz in Anspruch.

Am 26.11.1996 gegen 17.30 Uhr befuhr der Ehemann der Klägerin zu 1) mit seinem PKW Nissan Micra die L XXX in Richtung B.. Vor ihm fuhr der Zeuge C. mit seinem PKW VW Sharan. Hinter der Ortschaft N. überholte der Ehemann der Klägerin zu 1) den Zeugen C., stoppte ihn, stieg aus und ging auf das Fahrzeug des Zeugen C. zu. Zur gleichen Zeit befuhr die Beklagte zu 1) mit dem PKW VW Polo ihres Ehemannes die regennasse L XXX (Fahrbahnbreite 6,4 m) in entgegengesetzter Richtung mit einer Geschwindigkeit von unter 100 km/h. Sie kollidierte ungebremst mit dem sich auf der Fahrbahn als Fußgänger befindlichen Ehemann der Klägerin zu 1). Dieser blieb 38 Meter hinter der Anstoßstelle liegen. Noch am Unfalltag verstarb er an den Unfallfolgen. In dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren - 49 Js 23/97 StA Aachen - erstattete der Sachverständige W. ein Gutachten zum Unfallhergang, in dem er zu dem Ergebnis kam, dass der Unfall für die Beklagte zu 1) nur bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von maximal 45 km/h, bei der ihr ein Anhalten innerhalb ihrer Sichtweite möglich gewesen wäre, und bei erhöhter Aufmerksamkeit auf den linken Fahrstreifen vermeidbar gewesen wäre. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten des Sachverständigen W. vom 23.12.1996 (Bl. 28 ff. der Beiakte 94 Js 23/97 StA Aachen) Bezug genommen.

Mit ihrer Klage nehmen die Kläger die Beklagten auf Schadensersatz wegen der Bestattungskosten und ihrer Unterhaltsschäden in Anspruch.

Sie haben behauptet, der Ehemann der Klägerin zu 1) habe sein Fahrzeug am rechten Fahrbahnrand angehalten und beim Aussteigen eine orangefarbene Jacke getragen. Er habe sich nicht auf der Fahrbahnhälfte der Beklagten zu 1) befunden. Die Beklagte zu 1) habe offensichtlich die vor ihr liegende Fahrbahn nicht beobachtet, obwohl der Ehemann der Klägerin zu 1) für sie im Scheinwerferlicht des Zeugen C. wahrnehmbar gewesen sei. Sie habe auch nicht reagiert, als er sich in ihrem eigenen Scheinwerferlicht befunden habe. Sie hätte den Unfall vermeiden können, wenn sie mit angemessener Geschwindigkeit und unter Beachtung des Rechtsfahrgebots gefahren wäre.

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,

1. an die Klägerin zu 1) 22.902,82 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 11.12.1996 zu zahlen,

2. an die Klägerin zu 1)

a) 180.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 15.06.1998 (Mitteldatum) und

b) ab 1.12.1999 eine monatlich im voraus zahlbare Unterhaltsrente von 5.000,00 DM zu zahlen,

3. an die Klägerin zu 2)

a) 119.039,40 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 15.06.1998 (Mitteldatum) und

b) ab 1. 12. 1999 eine monatlich im voraus zahlbare Unterhaltsrente von 3.306,65 DM zu zahlen,

4. an den Kläger zu 3)

a) 78.377,40 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 15.06.1998 (Mitteldatum)

b) ab 1.12.1999 eine monatlich im voraus zahlbare Unterhaltsrente

von 2.177,15 DM zu zahlen.

Die Beklagten haben

Klageabweisung beantragt.

Sie haben behauptet, der Ehemann der Klägerin zu 1) habe durch scharfes Abbremsen den Zeugen C. zum Anhalten genötigt und sein eigenes Fahrzeug in einer Entfernung von 40 cm zum Mittelstreifen angehalten. Nachdem der Ehemann der Klägerin zu 1) ausgestiegen sei, sei er in dunkler Kleidung wild gestikulierend auf den PKW des Zeugen C. zugekommen, ohne auf den aus Richtung B. nahenden Verkehr zu achten. Er habe sich hierbei mindestens einen halben Meter auf der Gegenfahrbahn befunden. Für die Beklagte zu 1) sei der Unfall unvermeidbar gewesen. Sie haben die Ansicht vertreten, die Beklagte zu 1) treffe kein Verschulden. Dagegen habe der Ehemann der Klägerin zu 1) grob schuldhaft gehandelt. Ihn treffe in jedem Fall ein überwiegendes Verschulden. Darüber hinaus haben die Beklagten auch teilweise den geltend gemachten Schaden bestritten.

Nach Beweisaufnahme hat das Landgericht durch Grundurteil vom 18.12.01 (Bl. 253 ff. d. A.), auf das voll inhaltlich Bezug genommen wird, die Klageansprüche dem Grunde nach zu 1/3 für gerechtfertigt erklärt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Verkehrsunfall sei von beiden Beteiligten schuldhaft herbeigeführt worden. Der Beklagten zu 1) sei ein Verstoß gegen das Sichtfahrgebot gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO vorzuwerfen. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. M. hätte sie den Unfall bei Einhaltung einer Ausgangsgeschwindigkeit von 38 km/h vermeiden können. Jeder Kraftfahrer müsse stets mit Hindernissen auf dem von ihm nicht einsehbaren Teil der vor ihm liegenden Fahrbahn rechnen und daher grundsätzlich seine Fahrgeschwindigkeit so einrichten, dass er innerhalb der überschaubaren Strecke anhalten könne. Fahre er bei Dunkelheit auf ein unbeleuchtetes Hindernis auf, so spreche in der Regel der Beweis des ersten Anscheins für eine schuldhaft verkehrswidrige Fahrweise. Zum Unfallzeitpunkt habe Dunkelheit und Nebel geherrscht, darüber hinaus sei die Straße nass gewesen. Nach den übereinstimmenden Feststellungen der Sachverständigen Dr. M. und W. sei die Beklagte zu 1) mit einer deutlich überhöhten Geschwindigkeit von 70 km/h gefahren. Der Umstand, dass auch bei idealen Sichtbedingungen eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h einzuhalten sei, schließe nicht aus, dass bei den hier gegebenen ungünstigen Sichtbedingungen eine deutlich geringere Geschwindigkeit eingehalten werden müsse, um den Anforderungen des § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO zu genügen. Auch der Umstand, dass auf Landstraßen üblicherweise mit Fußgängerverkehr nicht zu rechnen sei, entlaste die Beklagte zu 1) nicht. Hingegen sei nicht bewiesen, dass der verstorbene Ehemann der Klägerin zu 1) zum Unfallzeitpunkt eine orangefarbene Jacke getragen habe und deshalb von der Beklagten zu 1) besonders gut hätte gesehen werden können. Einen zusätzlichen Verstoß der Beklagten zu 1) gegen das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 1, 2 StVO hätten die Kläger ebenfalls nicht bewiesen.

Demgegenüber treffe den Ehemann der Klägerin zu 1) ein erhebliches Mitverschulden an dem Unfall. Dadurch, dass er sich auf der Fahrbahn bewegt habe, ohne auf den Fahrverkehr Rücksicht zu nehmen und diesem Vorrang einzuräumen, habe er einen groben Verstoß gegen §§ 1, 25 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 StVO begangen. Darüber hinaus sei bereits das Anhalten auf der Landstraße grob verkehrswidrig gewesen. Der getötete Ehemann der Klägerin zu 1) hätte zudem berücksichtigen müssen, dass er als Fußgänger für den entgegen kommenden Fahrverkehr nur schwer zu sehen war, während er selbst herannahende Fahrzeuge aufgrund der wegen der Dunkelheit eingeschalteten Scheinwerfer wesentlich besser habe erkennen können.

Eine Schadensquotierung im Verhältnis 2/3 zu Lasten der Kläger und 1/3 zu Lasten der Beklagten erscheine angemessen. Der Verstoß der Beklagten zu 1) gegen das Sichtfahrgebot wiege weniger schwer als das Verschulden des Ehemanns der Klägerin zu 1), der beim Betreten der Fahrbahn in ungewöhnlich großem Maße die Sorgfalt außer Acht gelassen habe, die ein ordentlicher und verständiger Mensch unter den gegebenen Umständen beachtet hätte, um Schaden von sich abzuwenden.

Gegen dieses beiden Parteien am 25.01.2002 zugestellte Urteil haben die Kläger am 25.02.2002 Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Fristverlängerung am 25.04.2002 begründet. Die Beklagten haben am 14.02.2002 Berufung eingelegt und diese am 12.03.2002 begründet.

Die Kläger machen geltend, die Beklagte zu 1) habe sowohl gegen das Sichtfahrgebot als auch gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen. Der Verstorbene habe die Gegenfahrbahn nicht betreten. Er habe die auffällige helle Jacke getragen, so dass er schon aus einer Entfernung von mindestens 30 Metern hätte wahrgenommen werden können. Mit Fußgängern müsse auch auf einer Landstraße stets gerechnet werden, z. B. bei einer Pannensituation. Der Ehemann der Klägerin zu 1) habe sich nicht verkehrswidrig verhalten. Aufgrund der Fahrweise des Zeugen C. habe er den Eindruck gehabt, dass dessen Fahrtüchtigkeit erheblich eingeschränkt gewesen sei, und habe ihn deswegen angehalten. Er habe die Beklagte zu 1) vor dem Aussteigen wahrgenommen.

Die Kläger beantragen,

1. unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Klageansprüche dem Grunde nach in voller Höhe für gerechtfertigt zu erklären,

2. die Berufung der Beklagten zurückzuweisen,

hilfsweise den Klägern zu gestatten, etwaige Sicherheit durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, Raiffeisenbank, Volksbank, Genossenschaftsbank oder öffentlich-rechtlichen Sparkasse zu leisten.

Die Beklagten beantragen,

1. das angefochtene Grundurteil abzuändern und die Klage abzuweisen,

2. die Berufung der Kläger zurückzuweisen.

Sie meinen, ein Verstoß der Beklagten zu 1) gegen das Sichtfahrgebot liege nicht vor, da sich der später getötete Fußgänger von der Seite her in ihre Fahrbahnhälfte begeben habe. Damit habe sie nicht zu rechnen brauchen. Erst 25 Meter vor der Kollision hätte sie ihn wahrnehmen können. Vorher habe kein Anlass bestanden, ihre Geschwindigkeit zu reduzieren. Es sei lebensfremd, beim Befahren einer Landstraße bei Dunkelheit die Einhaltung einer Geschwindigkeit von 38 km/h zu fordern.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst den überreichten Urkunden Bezug genommen. Die Beiakten 94 Js 23/97 StA Aachen und 9 C 108/99 AG Jülich sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die in formeller Hinsicht nicht zu beanstandende Berufung der Kläger ist unbegründet. Hingegen hat die zulässige Berufung der Beklagten im erkannten Umfang Erfolg.

Die Kläger können von den Beklagten gemäß §§ 823, 844 BGB, 18, 10 StVG, 3 PflVersG Schadensersatz wegen der ihnen durch die Tötung des Ehemanns der Klägerin zu 1) entstandenen Bestattungskosten und Unterhaltsschäden nur in Höhe von 20 % beanspruchen. Im übrigen war die Klage abzuweisen (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 23. Auflage, § 304 Rnr. 18). Nach Auffassung des Senats hat der verstorbene Ehemann der Klägerin zu 1) den Unfall durch sein grob verkehrswidriges und außergewöhnlich leichtsinniges Verhalten ganz überwiegend verursacht, so dass eine Herabsetzung der vom Landgericht zu Lasten der Beklagten angenommenen Quote von 1/3 auf 20 % gerechtfertigt erscheint.

Zum Nachteil der Kläger kann allerdings nicht berücksichtigt werden, dass der später Verstorbene den Zeugen C. im Sinne von § 240 StGB genötigt hat anzuhalten. Zwar durfte er den Zeugen nicht zwangsweise stoppen, selbst wenn dieser nicht nur langsam und vorsichtig gefahren sein sollte, wie er es bekundet hat, sondern entsprechend der Behauptung der Kläger durch ein auffälliges Fahrverhalten wie Schlangenlinien-Fahren und unmotiviertes Bremsen den Eindruck erweckt hatte, alkoholisiert zu sein oder das nachfolgende Fahrzeug behindern zu wollen; denn nur die Polizei darf den sich verkehrswidrig Verhaltenden sistieren. Dritte Verkehrsteilnehmer werden von dem Schutzzweck des § 240 StGB aber nicht erfasst. Die Beklagten können den Klägern daher eine von dem Ehemann der Klägerin zu 1) gegenüber dem Zeugen C. begangene Nötigung nicht entgegenhalten.

Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der später Verstorbene unter Verstoß gegen § 12 Abs. 4 StVO nicht am rechten Fahrbahnrand, sondern ausweislich der Verkehrsunfallskizze (Bl. 5 der Beiakte 94 Js 23/97 StA Aachen) in einer Entfernung von 40 cm zur Mittellinie angehalten hat; denn das Gebot, zum Parken auf den rechten Seitenstreifen, jedenfalls aber an den rechten Fahrbahnrand heranzufahren, dient dem Schutz des Fahrverkehrs vor Behinderungen. Ferner hatte der Ehemann der Klägerin zu 1) entgegen § 15 StVO nicht die Warnblinkanlage eingeschaltet, wie der Zeuge C. und auch die Klägerin zu 1) selbst im Strafverfahren ausgesagt haben (Bl. 141, 149 R der Strafakte). Es liegt auf der Hand, dass die Beklagte zu 1) die auf dem Gegenfahrstreifen befindlichen Fahrzeuge wesentlich früher als stehend hätte erkennen können, wenn die Warnanlage geblinkt hätte. Sie hätte dann mit einer Pannensituation und möglichen Fußgängern auf der Fahrbahn rechnen müssen, und es wäre ihr dann ohne weiteres möglich gewesen, rechtzeitig ihre Geschwindigkeit zu reduzieren und weiter nach rechts zum Fahrbahnrand hin auszuweichen. Ohne eingeschaltetes Warnblinklicht wurde dagegen der Umstand, dass die beiden Fahrzeuge standen, für den Gegenverkehr erst aus einer Entfernung ab ca. 50 Meter erkennbar, wie sich aus den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. M. aufgrund der von ihm durchgeführten Versuchsfahrten ergibt.

Des weiteren hat der Ehemann der Klägerin zu 1) grob fahrlässig gegen § 25 Abs. 1 und Abs. 3 StVO verstoßen, indem er mitten auf der Straße ausgestiegen und dort zum Fahrzeug des Zeugen C. gelaufen ist, obwohl er nach dem eigenen Vortrag der Kläger im Schriftsatz vom 25.04.02 das Fahrzeug der Beklagten zu 1) vorher wahrgenommen hatte. Der Senat ist davon überzeugt, dass er sich dabei über die Mittellinie hinaus auf die Gegenfahrbahn bewegt hat. Sein Fahrzeug war nur 40 cm von der Mittellinie entfernt abgestellt. Ausweislich der polizeilichen Unfallskizze stand der Wagen des Zeugen C. noch etwas näher zur Mitte hin. Der Zeuge hat zwar keine genauen Angaben dazu machen können, wo sich der Ehemann der Klägerin zu 1) genau zum Unfallzeitpunkt befand. Wenn man bedenkt, dass ein erwachsener Mann eine Schulterbreite von mindestens 40 cm bis 50 cm haben dürfte, muss er aber zumindest mit seiner rechten Körperhälfte in die Gegenfahrbahn hineingeragt haben. Dafür, dass er nicht dicht an den stehenden Fahrzeugen entlang gegangen ist, sondern einen gewissen Abstand zu ihnen eingehalten hat, spricht auch, dass diese durch die Kollision zwischen dem von der Beklagten zu 1) gefahrenen PKW und dem Ehemann der Klägerin zu 1) keinerlei Beschädigungen davon getragen haben.

Angesichts dessen, dass die herannahende Beklagte zu 1) nur mit Abblendlicht fuhr, hätte dem Ehemann der Klägerin zu 1) - insbesondere auch mit Rücksicht auf die nasse Fahrbahn - klar sein müssen, dass er als Fußgänger nur sehr schlecht und spät erkennbar werden würde. Es war daher außerordentlich leichtsinnig, sich mitten auf der Straße aufzuhalten. Auf jeden Fall hätte er das herannahende Fahrzeug der Beklagten zu 1) ständig im Auge behalten müssen, um sich rechtzeitig nach links in den Zwischenraum zwischen seinem und dem Fahrzeug des Zeugen C. in Sicherheit bringen zu können. Hätte er nur ein wenig Aufmerksamkeit walten lassen, wäre der Unfall vermieden worden.

Das Landgericht hat zu Recht einen Verstoß der Beklagten zu 1) gegen das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO verneint. Nach herrschender Meinung schützt das Rechtsfahrgebot nur den erlaubten Gegen- und Überholverkehr, nicht aber Abbieger- und Kreuzungsverkehr, insbesondere auch nicht überquerende Fußgänger (vgl. Jagusch, Straßenverkehrsrecht, 35. Auflage, § 2 StVO Rnr. 33; BGH VRS 6, 200 (202); OLG Hamm VRS 51, 29 (31); OLG Düsseldorf VersR 74, 37). Zudem ist das Rechtsfahrgebot nicht starr, sondern gewährt dem Kraftfahrer einen gewissen Beurteilungsspielraum, solange er sich soweit rechts hält, wie es im konkreten Fall im Straßenverkehr "vernünftig" ist. Ein Abstand von 50 cm zur Mittellinie ist grundsätzlich als ausreichend zu erachten, weil dann zum Passieren zweier sich begegnender Fahrzeuge immer noch ein genügender Sicherheitsabstand von 1 Meter verbleibt. Bei Dunkelheit kann es insbesondere geboten erscheinen, zum rechten Fahrbahnrand einen größeren Sicherheitsabstand einzuhalten, weil dort mit Fußgängerverkehr gerechnet werden muss (vgl. Jagusch a. a. O. Rnr. 33, 35; BGH VersR 96, 1249 f.; BGH NZV 90, 229; BGH VRS 27, 335 ff.; OLG Karlsruhe VRS 47, 18; OLG Düsseldorf VRS 48, 133 f.).

Die Beweisaufnahme hat nichts dafür ergeben, dass die Beklagte zu 1) etwa über die Mittellinie hinaus auf die Gegenfahrbahn geraten wäre oder auch nur auf ihrer Fahrspur näher als 50 cm neben der Mittellinie gefahren wäre. Wie bereits ausgeführt, muss sich der Ehemann der Klägerin zu 1) zumindest teilweise auf dem Fahrstreifen der Beklagten zu 1) aufgehalten haben. Angesichts der wenig konkreten Angaben des Zeugen Dr. C. zur genauen Unfallstelle und des Fehlens von Bremsspuren lässt sich zu Lasten der Beklagten zu 1) nicht feststellen, dass diese näher als 50 cm zur Mittellinie gefahren wäre. Anlass, das Fahrzeug mehr nach rechts zu lenken, bestand erst, als aus einer Entfernung von ca. 50 Meter erkennbar wurde, dass die auf der Gegenfahrspur befindlichen Fahrzeuge standen; denn dann hätte die Beklagte zu 1) - wie bereits ausgeführt - mit Personen oder auch etwaigen Gegenständen auf der Fahrbahn rechnen müssen. Nach den Berechnungen des Sachverständigen Dr. M. legte die Beklagte zu 1) bei 70 km/h innerhalb der mit 1,5 sek anzunehmenden Reaktions- und Schwelldauer eine Strecke von ca. 29 Meter zurück. Hätte sie aus einer Entfernung von 50 Meter von der Unfallstelle ihr Fahrzeug etwas weiter nach rechts gesteuert, so hätte sich diese Lenkbewegung auf den letzten 20 Metern vor dem Kollisionspunkt dahin auswirken müssen, dass sie den Ehemann der Klägerin zu 1) nicht mehr erfasst hätte. Ausweislich der von dem Sachverständigen W. von dem Unfallfahrzeug angefertigten Lichtbilder (Bl. 39 ff. der Strafakte) stieß der PKW nämlich nur mit der linken vorderen Kotflügelecke im Bereich des Scheinwerfers gegen den Fußgänger. Die Kollision wäre also vermieden worden, wenn die Beklagte zu 1) zu dem Zeitpunkt, als sie die beiden Fahrzeuge als stehend erkennen konnte, ihr Fahrzeug durch eine geringfügige Lenkbewegung etwa 1/2 bis 1 Meter weiter nach rechts gezogen hätte.

Das Landgericht hat einen Verstoß der Beklagten zu 1) gegen das Sichtfahrgebot nach § 3 Abs. 1 StVO zu Recht bejaht. Nach den übereinstimmenden Feststellungen der Sachverständigen W. und Dr. M. steht fest, dass sie vor der Kollision rund 70 km/h gefahren ist. Der Sachverständige Dr. M. hat des weiteren ermittelt, dass die Beklagte zu 1) den Zusammenstoß mit dem Ehemann der Klägerin zu 1) nur bei Einhaltung einer Ausgangsgeschwindigkeit von 38 km/h hätte vermeiden können. Bei den von dem Sachverständigen durchgeführten Versuchen zeigte sich, dass ein Fußgänger bei den zur Unfallzeit herrschenden Sichtverhältnissen - Dunkelheit, nasse Fahrbahn - erst aus einer Entfernung von 20 m bis 35 m wahrnehmbar wurde, und auch dies nur im Unterschenkelbereich; denn das asymmetrische Abblendlicht geht flach nach unten und reicht auf der linken Seite nur rund 25 m weit. Dass der Ehemann der Klägerin zu 1) zur Unfallzeit die orangefarbene Jacke (Lichtbilder Hülle Bl. 143 der Beiakte 9 C 108/99 AG Jülich) getragen und deshalb schon aus größerer Entfernung sichtbar gewesen wäre, ist nicht nachgewiesen. Der Zeuge C. hat dies nicht bestätigen können. Offenbar ist die Jacke dem Unfallopfer nur nachträglich unter den Kopf gelegt worden, wie aus den entsprechenden Vermerken der Polizeibeamten T., K. und I. (Bl. 112, 116, 118 der Strafakte) hervorgeht. Der Sachverständige Dr. M. hat an der Jacke keine Unfallspuren festgestellt. Im übrigen wäre die Jacke, die ausweislich der Lichtbilder keine reflektierende Streifen aufwies, nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen auch erst in einer noch späteren Annäherungsphase von dem Scheinwerferlicht erfasst worden.

Nach herrschender Meinung beinhaltet das Sichtfahrgebot, dass ein Kraftfahrer seine Geschwindigkeit so einrichten muss, dass er jederzeit vor einem in seiner Fahrbahn befindlichen Hindernis anhalten kann, es sei denn, dass dieses völlig unvermittelt in seine Fahrbahn gelangt und so den vorausberechenbaren Anhalteweg verkürzt. Mit Hindernissen wie Personen, Wild, liegengebliebenen Fahrzeugen, Fahrzeugteilen wie z.B. Reserverädern oder herabgefallenem Lagegut muss stets gerechnet werden, selbst wenn sie durch Verschulden anderer in den nicht einsehbaren Raum hineingelangt sind. Der Kraftfahrer braucht seine Geschwindigkeit nur nicht auf solche Hindernisse einzurichten, die wegen ihrer Beschaffenheit ungewöhnlich schwer erkennbar sind. Dies hat der Bundesgerichtshof nicht einmal bezüglich eines mit einem Tarnanstrich versehenen Panzers bejaht (NJW - RR 87, 1235 f.). Der Kraftfahrer braucht auch nicht damit zu rechnen, dass am Fahrbahnrand gehende Fußgänger plötzlich auf die Fahrbahn laufen; insoweit gilt der Vertrauensgrundsatz (vgl. zu allem: BGH VersR 72, 258 f.; 74, 39 f. und 83, 1037 (1039); BGH NJW 84, 2412, NJW - RR 87, 1235 f. und r + s 2000, 280 f.; OLG Hamm VersR 51, 29 f. und 2000, 375 ff.; OLG Celle VersR 74, 1087; OLG Bamberg VersR 76, 889 f.; OLG Düsseldorf VersR 78, 142; OLG Braunschweig VersR 83, 157 f.; OLG Frankfurt NZV 90, 154; OLG Schleswig VersR 95, 476; KG VM 96, 20; OLG Hamm r + s 2000, 281 mit Anmerkung Lemcke; Jagusch a. a. O. § 3 StVO Rnr. 14, 32 ff. Janiszewski/Jagow/Burmann, StVO, 16. Auflage, § 3 ff. Geigel, Der Haftpflichtprozess, 23. Auflage, Kapitel 27 Rnr. 94 f., 99 f. und 102 jeweils m. w. N.); - siehe auch zum Vertrauensgrundsatz BGH VersR 61, 592 f. und 98, 1128 f.; OLG Köln OLGR 96, 245).

Seit Jahrzehnten stellt die Rechtsprechung demnach hinsichtlich der Einhaltung des Sichtfahrgebotes hohe Anforderungen an den Kraftfahrer. In der Praxis des Straßenverkehrs wird es dagegen häufig nicht beachtet.

Der Senat hält an der herrschenden Meinung fest. Nur durch die strikte Einhaltung des Sichtfahrgebots kann verhindert werden, dass es zu schwerwiegenden Unfällen - wie hier sogar mit Todesfolge - kommt. Es ist zwar nicht zu verkennen, dass die Einhaltung einer Geschwindigkeit von unter 40 km/h durch einen bei Dunkelheit und unbeleuchteter, nasser Straße mit Abblendlicht fahrenden Fahrer bei dichtem Verkehr zu Behinderungen des Verkehrsflusses führen und Unfälle durch unvorsichtiges Überholen der sich hinter dem langsamen Fahrer stauenden Fahrzeuge provozieren kann. Diesen Problemen kann aber dadurch begegnet werden, dass der Kraftfahrer bei entsprechenden Sicht- und Witterungsverhältnissen, soweit eine Blendung der Fahrer entgegenkommender und vorausfahrender Fahrzeuge ausgeschlossen ist, mit Fernlicht fährt, das eine weitaus größere Strecke als das Abblendlicht ausleuchtet und daher eine höhere Geschwindigkeit erlaubt.

Die Beklagte zu 1) mag zwar, indem sie bei Dunkelheit und nasser Straße mit Abblendlicht ca. 70 km/h gefahren ist, die heutzutage übliche Sorgfalt eingehalten haben. Sie muss sich jedoch vorwerfen lassen, dass sie nicht die erforderliche Sorgfalt beachtet hat. Allerdings bewertet der Senat das Ausmaß ihres Verschuldens als gering. Zu ihren Gunsten ist zu berücksichtigen, dass ein Kraftfahrer während der Fahrt den stets wechselnden Anhalteweg kaum berechnen kann. Letztlich kann ihm nur das Fahrgefühl sagen, ob es ihm möglich ist, innerhalb der überschaubaren Strecke anzuhalten (vgl. Geigel a. a. O. Rnr. 95). Auch die Sachverständigen W. und Dr. M. haben die Sichtgeschwindigkeit erst nach Durchführung mehrer Fahrversuche ermittelt. Zudem werden in Rechtsprechung und Literatur unterschiedliche Auffassungen dazu vertreten, wie schnell bei Dunkelheit mit Abblendlicht gefahren werden kann (vgl. OLG Frankfurt NZV 90, 154 : 60 km/h zu hoch; BGH r + s 2000, 280 f. : höchstens 55 km/h; OLG Hamm r + s 2000, 281 f.: unter 70 km/h; Geigel a. a. O. Rnr. 102: nicht schneller als 80 km/h; Janiszewski/Jagow/Burmann a. a. O. Rnr. 12: über 60 km/h zu schnell). Die genannten Geschwindigkeitswerte dürften allerdings das Fahren auf trockener Straße betreffen. Dass die Sachverständigen W. und Dr. M. im vorliegenden Fall die einzuhaltende Sichtgeschwindigkeit mit lediglich 35 bis 45 km/h bzw. 38 km/h ermittelt haben, erscheint einleuchtend, da das Licht durch die Nässe der Fahrbahn teilweise absorbiert wird. Andererseits mag der Fahrer bei derartigen Witterungsverhältnissen im Hinblick auf die Reflexion des Scheinwerferlichts entgegenkommender Fahrzeuge den Eindruck haben, die vor ihm liegende Fahrbahn sei ausreichend beleuchtet.

Im vorliegenden Fall befuhr die Beklagte zu 1) die L XXX, bei der es sich nach den Feststellungen des Sachverständigen W. um eine viel befahrene Landstraße handelt, die über mehrere 100 Meter gradlinig verläuft (Bl. 33 der Strafakte). Zu der Unfallzeit gegen 17.40 Uhr, also der Zeit des üblichen abendlichen Rückflutverkehrs, war kaum mit einem Fußgänger mitten auf der Fahrbahn zu rechnen. Dass die Fahrzeuge auf der Gegenfahrbahn standen, war angesichts der freien Strecke vor ihnen und nicht eingeschalteter Warnblinkanlage wenig wahrscheinlich. Unter diesen Umständen trifft die Beklagte zu 1) im Hinblick auf den Verstoß gegen das Sichtfahrgebot nur ein geringes Verschulden. Wie bereits ausgeführt, hätte sie aber, als sie in einer Entfernung von ca. 50 Meter die auf der Gegenfahrbahn befindlichen beiden Fahrzeuge als stehend erkennen konnte, mit einer Pannensituation und auf der Straße umherlaufenden Personen rechnen müssen. Insofern ist ihr vorzuwerfen, dass sie den Stillstand der Fahrzeuge entweder infolge von Unaufmerksamkeit nicht bzw. zu spät bemerkt oder auf diese Situation nicht angemessen - durch Ausweichen nach rechts - reagiert hat. Angesichts der unklaren Verkehrslage hätte es auch nahegelegen kurz aufzublenden, um sich einen Überblick zu verschaffen. Dann hätte die Beklagte zu 1) den Ehemann der Klägerin zu 1) auf jeden Fall sehen, zur Warnung hupen und zumindest ausweichen können.

Nach alledem hat die Beklagte zu 1) den Unfall schuldhaft verursacht; ihr Verhalten ist nach Auffassung des Senats aber nur als leicht fahrlässig zu bewerten. Demgegenüber ist dem Ehemann der Klägerin zu 1) ein ungewöhnlich grobes Verschulden anzulasten. In vergleichbaren Fällen hat die Rechtsprechung bei Verstößen gegen das Sichtfahrgebot Haftungsquoten von 20 % bis 25 % angenommen (vgl. OLG Bamberg, VersR 76, 889 : 25 %; OLG Braunschweig VersR 83, 157 und OLG Schleswig VersR 95, 476 f.: jeweils 20 %). Unter Abwägung aller Umstände erscheint dem Senat im vorliegenden Fall eine Haftungsverteilung im Verhältnis 80 % zu 20 % zu Lasten der Kläger als angemessen.

Die Kostenentscheidung war dem landgerichtlichen Schlussurteil vorzubehalten.

Von der Zulassung der Revision sieht der Senat ab, da die Rechtssache weder von grundsätzlicher Bedeutung ist noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, § 543 Abs. 2 ZPO. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung von der zum Sichtfahrgebot ergangenen höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung nicht ab.

Streitwert für das Berufungsverfahren: Berufung der Kläger 350.864,68 € Berufung der Beklagten 175.432,35 € insgesamt 526.297,03 €

Ende der Entscheidung

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