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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 12.12.2006
Aktenzeichen: 3 U 48/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
Keine Haftung für psychischen Gesundheitsschaden mangels Vorhersehbarkeit.
Tenor:

Die Berufung des klagenden Landes gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 23. Februar 2006 (10 O 257/04) wird zurückgewiesen.

Das klagende Land trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das klagende Land kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe:

I.

Das klagende Land verlangt von der Beklagten Schadensersatz nach einem Angriff der Beklagten auf die in Diensten des klagenden Landes stehende Lehrerin K. I.. Die Beklagte griff am 03.12.2002 in der Gemeinschaftshauptschule F. Stadtmitte die Lehrerin K. I. tätlich an; die Einzelheiten dieses Angriffs sind streitig. Frau I. begab sich in der Folge in ärztliche und psychotherapeutische Behandlung. Ihr wurden eine posttraumatische Belastungsstörung und dauernde Dienstunfähigkeit attestiert; seit Oktober 2003 ist sie dauerhaft dienstunfähig. Die Parteien streiten darum, ob eine etwaige Erkrankung der Frau I. auf den Vorfall vom 03.12.2002 zurückzuführen ist und die Beklagte für die Folgen einzustehen hat. Zur Frage der Kausalität des Angriffs der Beklagten vom 03.12.2002 für die Dienstunfähigkeit der Frau I. hat das Landgericht Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erhoben. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Das Landgericht hat die auf Erstattung der vom klagenden Land an Frau I. gezahlten Dienst- und Versorgungsbezüge sowie erstatteter Heilbehandlungskosten gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der notwendige Ursachenzusammenhang zwischen dem Angriff der Beklagten und der - anderweitig bereits bindend festgestellten - Dienstunfähigkeit der Lehrerin habe sich nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts feststellen lassen, nachdem die hierzu angehörte Sachverständige lediglich von einem wahrscheinlichen Ursachenzusammenhang ausgegangen sei und ihre Ausführungen auch auf Vorhalt der "conditio-sine-qua-non"-Formel nicht habe präzisieren können.

Mit seiner Berufung wendet sich das klagende Land dagegen, dass das Landgericht einen Ursachenzusammenhang nicht festzustellen vermocht hat. Das Landgericht habe insoweit die an die richterliche Überzeugungsbildung zu stellenden Anforderungen überspannt; die Ausführungen der Sachverständigen, die keinen Hinweis auf andere Ursachen der Dienstunfähigkeit gefunden und den Ursachenzusammenhang ausdrücklich als plausibel und wahrscheinlich bezeichnet habe, hätten ausreichen müssen, um die Überzeugung von dem erforderlichen Ursachenzusammenhang zu vermitteln.

Das klagende Land beantragt,

das Urteil des Landgerichts Aachen - 10 O 257/04 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an das klagende Land 74.596,91 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die auf das klagende Land auf Grund des Vorfalls vom 03.Dezember 2002 ab 01.Oktober 2004 übergegangenen Ansprüche der am 11.August 1943 geborenen K. I. zu erfüllen und auf die vom klagenden Land an K. I. gezahlten Beträge ab dem Tag der Auszahlung Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Der Senat hat Beweis erhoben über die Frage der Vorhersehbarkeit der bei Frau K. I. diagnostizierten Anpassungsstörung mit depressiver Verstimmung durch mündliche Anhörung der Sachverständigen Dr. L.-S.. Wegen des Ergebnisses dieser Anhörung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 07. November 2006 Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht begründet; im Ergebnis hat das Landgericht einen Schadensersatzanspruch des klagenden Landes mit Recht verneint.

Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch des klagenden Landes kann sich hier nur aus gem. § 99 LBG NW übergeleitetem Recht der Frau I. ergeben. Ein entsprechender Schadensersatzanspruch der Frau I. ist jedoch nicht gegeben, weil sich ein Verschulden der Beklagten in Bezug auf die zur Dienstunfähigkeit führende psychische Erkrankung der Frau I. nicht feststellen lässt.

1.

Der Senat geht auf der Grundlage des in erster Instanz erstatteten Sachverständigengutachtens allerdings abweichend von den Feststellungen des Landgerichts davon aus, dass die bei Frau K. I. diagnostizierte Anpassungsstörung Folge des Angriffs der Beklagten vom 03. Dezember 2002 ist, so dass insoweit von einer von der Beklagten adäquat kausal verursachten Körperverletzung im Sinne der §§ 823 Abs.1 BGB, 823 Abs.2 BGB, 229 StGB auszugehen ist.

Die bei Frau I. diagnostizierte Anpassungsstörung steht in einem eindeutigen zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang mit dem Angriff der Beklagten vom 03.12.2002; Frau I. war vor dem Vorfall nicht erkrankt und wies auch keine depressiven Symptome auf. Die Sachverständige hat keine Hinweise auf andere Ursachen als gerade den hier in Rede stehenden Übergriff finden können, insbesondere nicht auf Begehrenshaltungen, die darauf schließen lassen könnten, der vorliegende Vorfall habe Frau I. nur als willkommener Anlass gedient, um vorzeitig aus dem Dienst scheiden zu können. Dies reicht nach Einschätzung des Senats zur Bildung der erforderlichen Überzeugung von der Ursächlichkeit des Angriffs der Beklagten vom 03.12.2002 für die Anpassungsstörung aus, denn diese Überzeugung erfordert lediglich die Beseitigung vernünftiger Zweifel, nicht aber - wovon das Landgericht unter Heranziehung der conditio-sine-qua-non-Formel ausgegangen zu sein scheint - naturwissenschaftlich exakt festgestellte Kausalität (vgl. nur BGH, Urt. v. 19.04.2005, NJW-RR 2005, 897 ff.).

2.

Weitere Voraussetzung des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs ist aber gem. §§ 823 Abs.1 BGB, 823 Abs.2 BGB, 229 StGB ein Verschulden der Beklagten in Bezug auf die Körperverletzung; daran fehlt es hier.

Verschulden setzt Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit des Erfolges voraus. Geht es wie hier um einen haftungsbegründenden Gesundheitsschaden, so ist ein psychisch vermittelter Gesundheitsschaden haftungsrechtlich nur zurechenbar, wenn er vorhersehbar ist; ein nicht vorhersehbarer Gesundheitsschaden kann hingegen nur zugerechnet werden, wenn er sich als schadensausfüllende Folgewirkung einer anderweitigen, ihrerseits verschuldeten Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung darstellt (BGH, Urt. v. 30.04.1996, BGHZ 132, 341 ff.).

a.

Hier stellt sich die psychisch vermittelte Verletzungsfolge "Anpassungsstörung mit depressiver Verstimmung" als unmittelbare Folge des Angriffs vom 03.12.2002 insgesamt und nicht als weitere Folge einer aufgrund des Angriffs erlittenen anderweitigen Primärverletzung dar.

Die Sachverständige L.-S. hat, gestützt auf Angaben der Frau I. ihr gegenüber, im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Senat eindeutig erklärt, dass die Anpassungsstörung nichts mit den bei dem Angriff der Beklagten erlittenen körperlichen Verletzungen zu tun habe. Frau I. habe es so dargestellt, dass die eingetretenen psychischen Folgen auf den Übergriff der Beklagten insgesamt, insbesondere auch die sie besonders treffende Beleidigung, zurückzuführen seien; die körperlichen Verletzungen hatte sie der Sachverständigen gegenüber nach dem Inhalt der protokollierten Angaben der Sachverständigen in erster Instanz nicht einmal von sich aus erwähnt, sondern nur auf Nachfrage als Prellungen benannt, ohne ihnen im vorliegenden Zusammenhang Gewicht beizumessen. Tatsächlich beruhe die Anpassungsstörung vielmehr auf dem Verlauf der Auseinandersetzung im Ganzen, die gekennzeichnet gewesen sei durch Autoritätsverlust, Kränkung und unterdrückte aggressive Impulse. Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich der Senat an.

b.

An der Vorhersehbarkeit des psychisch vermittelten Gesundheitsschadens der Lehrerin fehlt es hier.

Vorhersehbarkeit ist nach einem objektiven Maßstab zu beurteilen (BGH, Urt. v. 23.10.1952, LM Nr.1 zu § 828 BGB; Urt. v. 23.12.1953, LM Nr.2 zu § 276 BGB), der sich an der Erfahrung des täglichen Lebens orientiert (RG, Urt. v. 16.11.1896, RGSt 29, 218, 220). Ausreichend ist, dass eine Schädigung überhaupt vorhersehbar ist, während es der Vorhersehbarkeit des konkreten Kausalverlaufs und der konkret eingetretenen Verletzungsfolge nicht bedarf (vgl. schon RG, Urt. v. 11.01.1901, RGSt 34, 91, 92; BGH, Urt. v. 05.02.1985, BGHZ 93, 351, 357). Die Möglichkeit einer entsprechenden Schädigung darf nicht ganz fern liegen (BGH, Urt. v. 13.03.1979, BGHZ 74, 9, 19); beruht hingegen der Eintritt der Folge auf einer ganz außergewöhnlichen, dem Schädiger unbekannten Disposition des Geschädigten, fehlt es an der Zurechenbarkeit (BGH, Urt. v. 03.02.1976, VersR 1976, 639 ff.).

Von diesen Grundsätzen ausgehend war vorliegend nach Einschätzung des Senats weder die konkrete Verletzung noch überhaupt die Entwicklung einer psychischen Störung von Krankheitswert aufgrund des Angriffs der Beklagten vorhersehbar.

Wie die Anhörung der Sachverständigen L.-S. ergeben hat, ist die Entwicklung einer derartigen Anpassungsstörung weder im Einzelfall sicher prognostizierbar noch auch nur in ihrer statistischen Häufigkeit belegbar. Allein aufgrund ihrer beruflichen Vertrautheit mit dem Thema hat die Sachverständige eine vorsichtige Schätzung dahin abgeben können, dass die Entwicklung einer derartigen Störung in Einzelfällen auch dann möglich und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, wenn der zugrunde liegende Übergriff wie hier objektiv allenfalls als mittelschwer einzuordnen ist. Entsprechendes Sonderwissen kann bei der Beklagten, der auch die von der Sachverständigen erörterte spezifische Vulnerabilität in Form möglicherweise gesteigerter Kränkbarkeit der Frau I. nicht bekannt gewesen ist, jedoch nicht unterstellt werden. Während es ohne weiteres als allgemein bekannt angesehen werden kann, dass objektiv schwerwiegende Bedrohungen, wie etwa Geiselnahmen ebenso wie die Konfrontation mit objektiv und subjektiv schwerwiegenden Unglücksfällen zu psychischen Störungen von Krankheitswert führen können, ist dies in Fällen objektiv erheblich geringeren Schweregrades wie hier nach Einschätzung des Senats nicht der Fall. Dass jemand aufgrund einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf es zu Beleidigungen, einem Stoß vor die Brust und am Oberarm erlittenen Kratzern und Prellungen kommt, eine psychische Störung von Krankheitswert entwickelt, liegt vielmehr außerhalb der Erfahrung des täglichen Lebens.

c.

Nur wenn die Körperverletzung weitere Folge einer verschuldeten Erstschädigung wäre, müsste sich die Vorhersehbarkeit nicht mehr auf die Verletzungsfolge Anpassungsstörung erstrecken (BGH, Urt. v. 30.04.1996, BGHZ 132, 341 ff.; Urt. v. 03.02.1976, VersR 1976, 639 f.). Dann bestünde eine Haftung auch für psychische Schäden, selbst wenn diese auf einer besonderen Veranlagung des oder einer Fehlverarbeitung durch den Geschädigten beruhen, es sei denn, es handelte sich um einen "Bagatellfall" oder es läge auf Seiten des Geschädigten eine sog. Rentenneurose vor (BGH, Urt. v. 11.11.1997, BGHZ 137, 142 ff.). Darum geht es aber vorliegend, wie bereits unter a. ausgeführt, nicht, denn die Körperverletzung in Form der Anpassungsstörung ist hier unmittelbare Folge des Geschehens vom 03.12.2002 und nicht etwa mittelbare Folge einer anderweitigen Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

4.

Gründe, die eine Zulassung der Revision rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Alle im vorliegenden Fall maßgeblichen Fragen sind durch die zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs bereits ausreichend höchstrichterlich geklärt, so dass insoweit weder eine grundsätzliche Bedeutung der Sache noch eine Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Zulassung der Revision erfordern (§ 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO). Die Problemstellung des vorliegenden Falles liegt auf tatsächlichem Gebiet und betrifft lediglich die Beurteilung der Frage der Vorhersehbarkeit einer Verletzung im Einzelfall; sie kann die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht rechtfertigen (BGH, Beschl. v. 11.02.2003, BGHR ZPO nF § 543 Abs.2 S.1 Nr.1 Bedeutung, grundsätzliche 2; Beschl. v. 25.11.2003, FamRZ 2004, 265 f.).

Streitwert: 84.596,91 Euro

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