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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 09.09.2008
Aktenzeichen: 3 U 71/06 BSch
Rechtsgebiete: BinSchG, BGB, BinSchStrO


Vorschriften:

BinSchG § 3
BinSchG § 7
BinSchG §§ 92 ff.
BinSchG § 114
BGB § 823
BinSchStrO § 6.03 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 27. März 2007 verkündete Urteil des Amtsgerichts Duisburg - Ruhrort - Schifffahrtsgericht - 5 C 15/04 BSch - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe:

I.

Die Klägerin macht als Versicherer von MS H. 89,50 m breit, ca. 85 m lang, 955 Kw, Tragfähigkeit 1.422 to) Schadensersatz aus einem Zusammenstoß des Schiffes mit dem Koppelverband I. II (9,0 m breit, ca. 151 m lang, 598 Kw, Tragfähigkeit 2.889 to) auf dem Elbe-Seiten-Kanal am frühen Morgen des 01.10.2003 geltend. Die Beklagte zu 1. ist Eigentümerin des Koppelverbandes, der Beklagte zu 2. war zum Unfallzeitpunkt verantwortlicher Schiffsführer.

Der Koppelverband befuhr den Elbe-Seiten-Kanal beladen in der Bergfahrt. Entgegen kam leer auf der Talfahrt MS H.. Die Schiffe kollidierten bei Kilometer 39,7, wobei der Koppelverband gegen das Backbord-Vorschiff von MS H. stieß und dieses erheblich beschädigte. Zum Unfallzeitpunkt war es sehr neblig, beide Schiffe fuhren mit Radar. Beide Schiffsführer hatten sich zuvor über Funk gemeldet und sich wechselseitig auf dem Radar beobachten können. An der Unfallstelle wäre eine Backbord/Backbord-Begegnung ohne Weiteres möglich gewesen.

Die Klägerin hat behauptet, der Koppelverband sei schräg auf den Kopf von MS H. zugelaufen, der Schiffer W. habe deshalb einen Signalton gegeben, die Maschine gestoppt und das Schiff nach Steuerbord gehalten, und zwar bis ins Land hinein, wo MS H. dann von dem Koppelverband "erwischt" worden sei.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 79.001,40 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.04.2004 zu zahlen, und zwar die Beklagte zu 1. außer dinglich haftend mit dem Koppelverband I. II im Rahmen des BinSchG auch persönlich haftend.

Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt und behauptet, der Koppelverband sei ca. 9 Meter (gemessen von der Steuerbordseite) bzw. ca. 18 m (gemessen von der Backbordseite) vom linken Ufer entfernt gefahren, eine weitere Annäherung an das Ufer sei wegen des Bootsanlegers des Rudervereins in Höhe von Kilometer 39,7 nicht möglich gewesen. MS H. sei in das Fahrwasser des Koppelverbandes geraten, durch die Kollision nach Steuerbord gedrückt worden, gegen die Uferböschung gelaufen und so zum Stillstand gekommen.

Das Schifffahrtsgericht hat nach Vernehmung des Beklagten zu 2. in dem Parallelprozess mit umgekehrtem Rubrum sowie der Zeugen W. und L. in diesem Prozess und Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. F. die Klage abgewiesen, weil ein Verschulden des Beklagten zu 2. an dem Zusammenstoß nicht bewiesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen.

Mit ihrer Berufung wendet sich die Klägerin maßgeblich gegen die Beweiswürdigung des Schifffahrtsgerichts. Sie rügt eine unvollständige Würdigung der Zeugenaussagen. Die Aussage des Zeugen X. sei nicht glaubhaft, der Zeuge unglaubwürdig, er habe nichts Konkretes bekundet und sich bei seiner polizeilichen Vernehmung korrigieren müssen. Demgegenüber entsprächen die Aussagen der Zeugen W. und L. den Feststellungen der Wasserschutzpolizei. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens habe es nach den Zeugenaussagen gar nicht bedurft. Nachdem aber ein Gutachten eingeholt worden sei, habe das Schifffahrtsgericht dieses kritiklos übernommen. Die Klägerin bestreitet die Sachkunde des Sachverständigen Dr. F., da dieser weder Nautiker noch Physiker sei, sondern Sachverständiger für Schiffs- und Maschinenschäden. Entsprechend ihrem erstinstanzlich gestellten Antrag habe ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach ihren im ersten Rechtszug zuletzt gestellten Anträgen zu erkennen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil und wiederholen und vertiefen ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. C., das dieser unter dem 16.08.2007 erstattet, unter dem 05.05.2008 ergänzt und in der mündlichen Verhandlung am 25.07.2008 erläutert hat.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Die Akte OWi 19603-19703 Wasser- und Schifffahrtsdirektion Mitte und die Akte 5 C 19/04 BSch AG Duisburg-Ruhrort lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Schifffahrtsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Auf die Klägerin übergegangene Schadensersatzansprüche des Eigners von MS H. gemäß §§ 3, 7, 92 ff., 114 BinSchG, 823 BGB sind nicht begründet, da sich eine schuldhafte Verursachung der Schiffskollision durch den Beklagten zu 2. nicht feststellen lässt. Ohne Verschulden haften die Beklagten für die Folgen der Schiffskollision jedoch nicht (vgl. BGH VersR 1982, 1047).

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahmen in erster und zweiter Instanz ist nicht bewiesen, dass der Beklagte zu 2. vor der Kollision den Kurs des Koppelverbandes geändert und dadurch gegen § 6.03 Nr. 3 BinSchStrO verstoßen hat.

Im Unfallbereich war eine Backbord/Backbord-Begegnung üblich und unstreitig für beide Fahrzeuge ohne Weiteres möglich, so dass es einer Absprache oder Kursweisung des Bergfahrers nicht bedurfte. Beide Fahrzeuge näherten sich zunächst auf parallelem ungefährlichem Kurs. Der Beklagte zu 2. durfte diesen gefahrlosen Kurs gemäß § 6.03 Nr. 3 BinSchStrO vor der Vorbeifahrt nicht in einer Weise ändern, die die Gefahr eines Zusammenstoßes herbeiführen konnte.

Eine verbotene Kursänderung nach Backbord in Richtung des entgegenkommenden MS H. haben zwar dessen Schiffsführer, der Zeuge W., und der Zeuge L. bestätigt. Nach der Aussage des Schiffsführers von MS H. ist er mit einem Seitenabstand zum Ufer von nur 1 Meter gefahren, weil er gehört hatte, dass sich ein anderes Schiff näherte. Als der Koppelverband ca. 500 m entfernt gewesen sei, habe er auf dem Radarschirm gesehen, dass er langsam auf seine Seite hinübergekommen sei. Er habe darauf hin die Maschinen langsamer gemacht (ca. 650 Umdrehungen, etwa 5 km/h) und sei so weit wie möglich auf seine Seite gefahren, habe dann noch ein langes Achtung-Signal gegeben und über Funk gefragt: "Kollege, was hast du vor? Wenn du so weiter fährst, fährst du mich um!" Kurz vor der Kollision habe er noch den Bug seines Schiffes in Richtung Land gedreht. Der Kopf seines Schiffes sei bereits im Land gewesen. Nach der Kollision sei er hinten wieder beigeklappt, so dass das Schiff wieder gestreckt im Kanal gelegen habe und der Koppel-Verband an der Backbordseite habe vorbeifahren können. Durch den Aufprall habe der Koppel-Verband ihn noch auf das Land geschoben. Nach der Aussage des Steuermanns L. ist MS H. zunächst etwa 1/3 aus dem Ufer auf der Steuerbordseite gefahren. Der Koppel-Verband sei auf seiner Steuerbordseite einen ähnlichen Kurs gefahren, vielleicht etwas mehr zur Mitte hin. Als dann der Koppel-Verband in der Mitte des Kanals in Richtung MS H. gegangen sei, sei dieses sehr dicht am Ufer gegangen und mit dem Heck bereits über die Steine gefahren. Es sei dann auf den Steinen zum Stehen gekommen.

Der Senat vermag diesen Aussagen nicht zu folgen. Denn sie sind durch das überzeugende Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. C. widerlegt.

Der Sachverständige hat anhand des Schadensbildes auf der Steuerbordseite von MS H. den Berührungspunkt mit der Böschung festgestellt und den Winkel, mit dem das Schiff die Böschung getroffen hat, mit 16,4 ° ermittelt. Anhand des Schadensbildes an der Backbordseite am Vorschiff von MS H., das einen nahezu parallelen Abdruck zeigt, und des Schadensbildes auf der Backbordseite des Leichters vom Koppelverband I. II hat der Sachverständige ermittelt, dass die Kollisionsstellen an beiden Schiffen - wenn MS H. mit einem Winkel von 16,4 ° gegen das Ufer lag - nur dann zusammenpassen, wenn der relative Kollisionswinkel etwa 9 ° betrug. Welche Kursführungen tatsächlich von den beiden Schiffen eingehalten wurden, konnte nicht eindeutig aus der Analyse der Fotos und der weiteren Auswertung festgestellt werden. Allerdings konnte ein Grenzbereich ermittelt werden, innerhalb dessen der Kurs von MS H. nach Backbord in den Kurs des Koppelverbandes lag. Die Grenzbetrachtung zeigt, dass der Koppelverband entweder vollständig auf seiner, der linken Fahrwasserseite mit Kurs nach Backbord oder in der Fahrwasserseite von MS H. mit hartem Kurs nach Steuerbord fuhr. Demgegenüber ist MS H. mit seinem Bug mit Backbordkurs gefahren und wurde erst nach der Kollision zum Ufer gestoßen. Nach den Schadstellen ist weder eine parallele Berührung der beiden Fahrzeuge möglich, noch kann der Koppelverband schräg mit backbordseitiger Tendenz im Kanal gelegen haben, wie die Zeugen W. und L. angegeben haben. Denn dann hätte sich eine streifende Berührung mit mehrfachen Anstoßpunkten ergeben müssen. Aus der einmaligen Anstoßstelle folgt, dass MS H. abgewiesen worden ist und der Koppelverband seine Fahrlinie durch den Anprall nicht geändert hat, was er aufgrund seiner Masse und Länge auch nicht konnte. Die Lage von MS H. muss zuvor also so gewesen sein, dass der Masseschwerpunkt außerhalb der Fahrlinie des Koppelverbandes lag, nicht aber der backbordseitige Bugbereich.

An diesem Ergebnis ändert sich auch dann nichts, wenn entgegen der zeichnerischen Auswertung des Sachverständigen C. unterstellt wird, dass die Anprallstelle an der Steuerbordseite von MS H. nicht vier Meter, sondern sechs Meter vom Bug und 0,53 Meter von der Außenhaut entfernt lag. Dann würde sich, wie der Sachverständige C. dargelegt hat, der Anstoßwinkel mit der Böschung auf 12,9 ° reduzieren. Auf die Lage des Kollisionswinkels hätte die Änderung keine Auswirkung, so dass die Lage der beiden Fahrzeuge um 1,2 Meter näher an das rechte Ufer herankommen würde.

Die Behauptung der Klägerin und ihres Privatgutachters J., der Anstoßwinkel mit der Böschung habe nur 6 ° betragen, ist von dem Sachverständigen C. in der mündlichen Verhandlung vom 25.07.2008 widerlegt worden. Der Privatgutachter J. hat in seiner Darstellung des Winkels im Schreiben vom 04.07.2008 den im Verhältnis zur Außenhaut zurückversetzten Abstand der Schadstelle unberücksichtigt gelassen, der jedenfalls mindestens 530 mm betragen hat. Die fotografische Auswertung ergab ein Maß von 620 mm, das der Sachverständige C. aus Sicherheitsgründen zu Gunsten der Klägerin auf 530 mm verkürzt hat.

Der Sachverständige C. hat auch die weitere Behauptung der Klägerin und ihres Privatgutachters widerlegt, dass die Treffstelle an I. im Bereich der sich verjüngenden Schubbühnenecke liege. Die zur Begründung von dem Privatgutachter in Bezug genommene Abbildung 10 des Gutachtens C. vom 16.08.2007 zeigt eine Knickfalte in dem eingebuchteten Bereich; dies ist aber nicht die Treffstelle, die davor im Eckbereich liegt. Dies folgert der Sachverständige C. überzeugend zum einen daraus, dass die Einfaltung keinerlei Farbabrieb aufweist, zum anderen aus der Schadstelle bei MS H.. Die Einbuchtung ist vielmehr die Folge des Anstoßes an dem vorgelagerten verstärkten Bereich im Übergang von der Bergplatte zur Schubbühne.

Schließlich wird durch das Gutachten des Sachverständigen C. die von dem Privatgutachter J. geäußerte Vermutung widerlegt, der Koppelverband sei zu dicht an das rechte Kanalufer gesteuert worden, habe sich unmittelbar vor der Begegnung der Fahrzeuge mit dem Heck dort "festgesaugt" und sei mit dem Bug in Richtung MS H. ausgebrochen. Sowohl der Sachverständige C. als auch der Sachverständige Dr. F., dessen Feststellungen auch im Übrigen mit denen des Sachverständigen C. in Einklang stehen, haben aufgrund Gewicht, Länge und Motorisierung des Koppelverbandes ein derartiges Phänomen für dieses Fahrzeug ausgeschlossen.

Somit lässt sich nicht feststellen, dass der Koppelverband mit Backbordkurs schräg auf den Bug von MS H. gelaufen ist. Vielmehr wäre die Kollision vermieden worden, wenn MS H. in seiner Fahrwasserseite einen geraden Kurs gefahren wäre. Der Koppelverband brauchte einen Raum von rund 15 Metern (9 Meter Schiffsbreite plus 6 Meter Zusatzbreite, weil das Fahrzeug nicht spurgeführt fährt, sondern hin und her pendelt) und damit von der Kanalbreite von 52 m bezogen auf die ruhende Wasserlinie unter Berücksichtigung des sich durch den Begegnungsverkehr absenkenden Wasserspiegels jedenfalls 25 Meter. Unter Berücksichtigung der Kanalbreite und der Schiffsgröße wäre eine Begegnung im Abstand von 6 Metern zwischen den Schiffen möglich gewesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO sind nicht erfüllt.

Berufungsstreitwert: 79.001,40 €.

Ende der Entscheidung

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