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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 15.08.2006
Aktenzeichen: 4 U 7/06
Rechtsgebiete: StVG


Vorschriften:

StVG § 7 Abs. 1
StVG § 17 Abs. 3
StVG § 18 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 20.01.2006 - 5 O 475/04 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Nebenintervention tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Bezüglich des Tatbestandes wird auf die tatrichterlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Mit der Berufung rügen die Beklagten in erster Linie, dass das Landgericht den Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt habe. Es sei nämlich dem Antrag der Beklagten auf ergänzende Anhörung des Sachverständigen dazu, ob dem Sachverständigen angesichts der von ihm festgestellten Geschwindigkeiten zum jeweiligen Kollisionszeitpunkt, der "glimpflichen" Unfallfolgen der Kollision zwischen dem Kläger- und dem Beklagtenfahrzeug sowie insbesondere der Tatsache, dass das Beklagtenfahrzeug nicht bereits durch den heftigeren ersten, sondern erst durch den leichteren zweiten Anstoß auf das Klägerfahrzeug aufgeschoben worden sei, Feststellungen dazu möglich seien, ob der Beklagte zu 2.) sein Fahrzeug ohne die Anstöße durch das Fahrzeug, welches bei der Streithelferin des Klägers haftpflichtversichert ist, zum Stillstand hätte abbremsen können, ohne mit dem Klägerfahrzeug zu kollidieren, nicht nachgekommen. Unzutreffend hielte das erstinstanzliche Gericht diese Frage für nicht erheblich und sei dadurch zu der falschen rechtlichen Wertung gekommen, dass schon allein durch die Tatsache, dass das Fahrzeug der Beklagten auf das klägerische Fahrzeug aufgefahren sei, der Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Beklagten zu 2.) spreche. Vielmehr hätte eine durchgeführte Anhörung des Sachverständigen ergeben, dass der LKW der Beklagten aufgeschoben worden sei und der Unfall für den Beklagten zu 2.) daher ein unabwendbares Ereignis gewesen sei und eine Haftung der Beklagten somit ausscheide. Die Anhörung sei deswegen nachzuholen.

Die Beklagten beantragen,

das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 20.01.2006 - 5 O 475/04 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Streithelferin des Klägers schließt sich seinem Antrag an.

Der Kläger und seine Streithelferin verteidigen das erstinstanzliche Urteil.

II.

Die zulässige - insbesondere frist- und formgerecht eingelegte - Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht die Beklagten als Gesamtschuldner wegen des streitgegenständlichen Unfalls auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von insgesamt 7.589,65 € verurteilt.

Die Haftung des Beklagten zu 1.) ergibt sich aus § 7 Abs. 1 StVG, 3 PflVG. Die Haftung des Beklagten zu 2.) folgt aus § 18 Abs. 1 StVG. Gesamtschuldnerisch haften die Beklagten zu 1.) und 2.) gemäß § 840 Abs. 1 BGB.

Zu Recht rügen zwar die Beklagten, dass das Landgericht ihren Anträgen auf Anhörung des Sachverständigen zur Erläuterung seines erstinstanzlich erstatteten Gutachtens vom 25.10.2005 (Bl. 69-85 GA) nicht nachgekommen sei. Denn aus dem Gutachten ergibt sich, dass vor der Kollision zwischen dem klägerischen Fahrzeug und dem Lkw, welcher von dem Beklagten zu 2.) gesteuert wurde, der Lkw, welcher bei der Streithelferin des Klägers haftpflichtversichert ist, auf den vom Beklagten zu 2.) gesteuerten Lkw zweimal aufgefahren ist und somit ein Aufschiebeunfall vorliegen konnte. Damit war aber zunächst der Anscheinsbeweis für ein Verschulden des auffahrenden Beklagten zu 2.) erschüttert (vgl. dazu OLG Frankfurt NZV 1989, 73). Zwar spricht beim Auffahren grundsätzlich ein Anscheinsbeweis gegen den auffahrenden Hintermann. Der Auffahrende ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung entweder mit zu geringem Sicherheitsabstand oder unaufmerksam gefahren. Dieser Beweis des ersten Anscheins wird aber dann erschüttert, wenn erwiesen ist, dass ein anderes Fahrzeug auf den Auffahrenden von hinten ebenfalls aufgefahren ist (vgl. OLG Frankfurt a.a.O. m.w.N.). Denn dann ist dieser Erfahrungssatz erschüttert, da ebenso die Möglichkeit eines Aufschiebeunfalls besteht.

Damit scheidet eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 1 BGB aus, da der insoweit beweisführungsbelastete Kläger nicht nachweisen konnte, dass der Beklagte zu 2.) die Kollision zwischen dem klägerischen Fahrzeug und dem von ihm gesteuerten Lkw schuldhaft verursacht hat.

Die Beklagten haften aber aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 3 PflVG (Beklagter zu 1.) bzw. 18 Abs. 1 Satz 1 StVG (Beklagter zu 2.) auf Schadensersatz aus dem streitgegenständlichen Unfall, da die insoweit darlegungs- und beweisführungsbelasteten Beklagten nicht nachweisen konnten, dass das Unfallereignis für den Beklagten zu 2.) ein unabwendbares Ereignis war bzw. ihn hieran kein Verschulden traf.

Die vom Senat durchgeführte Beweisaufnahme durch Anhörung des Sachverständigen Diplom-Ingenieur B I zur Erläuterung seines Gutachtens vom 25.10.2005 im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 04.07.2006 (Bl. 223-229 GA) hat nicht ergeben, dass das vom Beklagten zu 2.) geführte Fahrzeug ohne die beiden Anstöße von hinten durch den Lkw, welcher bei der Streithelferin des Klägers haftpflichtversichert ist, nicht auf das stehende Fahrzeug des Klägers aufgefahren wäre, dass also der Lkw der Beklagten ansonsten noch rechtzeitig zum Stehen gekommen wäre, eine Kollision also vermieden worden wäre.

Der Sachverständige Diplom-Ingenieur I hat nochmals im Einzelnen sein Gutachten erläutert. Wegen der näheren Einzelheiten verweist der Senat zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die Sitzungsniederschrift vom 04.07.2006 ( Bl. 223-228R GA) und den Inhalt des erstinstanzlich erstatteten Gutachtens vom 25.10.2005 (Bl. 69-85 GA).

Auf die entscheidende Frage, ob mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne, dass ohne das Hinzutreten der beiden Anstöße von hinten auf das Beklagtenfahrzeug die Kollision des Beklagten-Lkw mit dem klägerischen Fahrzeug erfolgt wäre, konnte der Sachverständige keine sichere Antwort geben.

Zwar hat der Sachverständige zunächst nach Erläuterung seines Gutachtens festgestellt, dass er keine Zweifel daran habe, dass der Aufschiebeunfall nur dadurch verursacht worden sei, dass der Lkw, welcher bei der Streithelferin der Klägerin haftpflichtversichert ist, auf das Beklagtenfahrzeug aufgefahren sei und hierdurch dieses auf das Fahrzeug des Klägers aufgeschoben habe.

Diese Ausführung musste der Sachverständige dann aber im Folgenden relativieren. Er hat klargestellt, dass diese Beurteilung zur Voraussetzung habe, dass der Beklagte zu 2.) zuvor die Situation - insbesondere den Abstand zum Stauende - richtig eingeschätzt habe, so dass dann bei normalem Verkehrsverlauf ohne die beiden Anstöße von hinten bei der von ihm eingeleiteten normalen Verzögerung der Beklagten-LKW ohne Anstoß vor dem Fahrzeug des Klägers zum Stehen gekommen wäre. Mangels objetivierbarer konkreter Unfallspuren könne aber die genaue Verkehrssituation vor dem eigentlichen Unfallgeschehen nicht sicher rekonstruiert werden. Er, der Sachverständige, sei daher mangels dem entgegenstehender anderweitiger Erkenntnisse von einem richtigen Verhalten des Beklagten zu 2.) und daher der Unvermeidbarkeit des Aufschiebens ausgegangen. Andererseits könne aber ebenso wenig ausgeschlossen werden, dass der Beklagte zu 2.) die Unfallsituation falsch eingeschätzt habe.

So hätte nämlich der Beklagte zu 2.), wenn er, als er sich dem Stauende näherte, den Verkehr nach hinten beobachtet und den Lkw, welcher bei der Streithelferin der Klägerin haftpflichtversichert ist, von hinten heran nahen gesehen hätte, sofort eine Vollbremsung einleiten können, wodurch die Kollision mit dem klägerischen Fahrzeug verhindert worden wäre.

Anders sei die Sachlage auch dann zu beurteilen, wenn man davon ausginge, dass der Beklagte zu 2.) beim Herannahen an das Stauende zunächst beabsichtigt hatte, nach links auf die Fahrspur Richtung L-Zentrum zu wechseln und dieses Vorhaben, aus welchen Gründen auch immer nicht durchführte oder wegen der Verkehrslage nicht ausführen konnte, etwa weil diese Fahrspur nicht frei war. Auch dann wäre zunächst eine Vollbremsung, auch wenn sich der Abstand zum klägerischen Fahrzeug dadurch dramatisch verringerte, aus Sicht des Beklagten zu 2.) nicht unbedingt nötig gewesen, da man ja am Stauende vorbeifahren wollte. Hätte man dieses Vorhaben dann abgebrochen, wäre es für eine erfolgreiche Vollbremsung zu spät gewesen.

Da die Beklagten ein verkehrsgerechtes Verhalten des Beklagten zu 2.) nicht beweisen konnten und der Sachverständige zur Überzeugung des Senates nicht feststellen konnte, dass unter keinen Umständen der Unfall für den Beklagten vermeidbar war, vielmehr die nicht gänzlich unwahrscheinliche Möglichkeit eines Fehlverhaltens des Beklagten zu 2.) besteht, haften die Beklagten dem Kläger als Gesamtschuldner, da sie sich nicht entlasten konnten.

Denn es ergibt sich aufgrund der Beweisaufnahme gerade nicht, dass der Unfall, aus dem die Beklagten in Anspruch genommen werden für sie ein unabwendbaren Ereignis (§ 17 Abs. 3 StVG) war. Dies konnten die Beklagten nicht nachweisen. Nach der Legaldefinition (§ 17 Abs. 3 Satz 2 StVG) gilt ein Ereignis nur dann als unabwendbar, wenn sowohl der Halter als auch der Fahrer des Fahrzeugs jeder nach den Umständen des Falles die gebotene Sorgfalt beachtet haben. Dies kann vorliegend gerade nicht festgestellt werden. Die Beklagten konnten nämlich nicht nachweisen, dass der Beklagte zu 2.) in gehörigem Abstand zu dem klägerischen Fahrzeug gefahren ist und die von ihm eingeleitete normale Bremsverzögerung ohne das Hinzutreten weiterer Umstände ausgereicht hätte, um rechtzeitig vor dem klägerischen Fahrzeug zum Stehen zu kommen.

Zum Einen hätte der Beklagte zu 2.) die Verkehrssituation auch nach hinten beobachten müssen. Zum Anderen ist aufgrund der besonderen Umstände der Verkehrssituation kurz vor dem eigentlichen Unfallereignis nicht auszuschließen, dass der Beklagte zu 2.) nach links auf die Fahrspur Richtung L-Zentrum ausweichen wollte und deswegen die Notwendigkeit einer sofortigen Vollbremsung zu diesem Zeitpunkt nicht erkannte.

Aus dem gleichen Grunde konnte sich auch der Beklagte zu 2.) nicht gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG entlasten. Es kann gerade nicht festgestellt werden, dass er auch bei Anwendung der verkehrsüblichen Sorgfalt das Unfallereignis nicht hätte verhindern können.

Andererseits haftet der Kläger nicht - auch nicht aus dem Gesichtspunkt der Betriebsgefahr - gemäß § 7 Abs. 1, 17 StVG anteilig für den eingetretenen Schaden. Der Kläger hat alles richtig gemacht. Er ist rechtzeitig vor dem vor ihm befindlichen Stau zum Stehen gekommen. Für ihn bestand keine Möglichkeit, dem Unfallgeschehen auszuweichen. Das steht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senates aufgrund der Sachverständigenfeststellungen, auf die zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen verwiesen wird, fest. Für den Kläger stellt das Unfallereignis ein unabwendbares Ereignis dar (§ 17 Abs. 3 StVG).

Die Beklagten trifft auch die volle Einstandspflicht. § 17 Abs. 1 StVG streitet nicht zugunsten der Beklagten. Voraussetzung für eine (anteilige) Ausgleichspflicht nach § 17 Abs. 1 StVG ist, dass ein Ersatzanspruch des Klägers gegen den Halter bzw. Fahrer des Lkw, der bei der Streithelferin des Klägers haftpflichtversichert ist, bestünde. Der Kläger könnte diese aber nicht aus § 7 Abs. 1 StVG in Anspruch nehmen, weil er nicht den Nachweis führen kann, dass sich der Unfall "beim Betrieb" dieses Fahrzeugs ereignet hat. Das bloße Vorhanden sein eines in Betrieb befindlichen Kfz bei einem ungeklärten Unfall begründet nämlich kein Beteiligtsein im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG (vgl. OLG Frankfurt a.a.O.). Der Betrieb des nachfahrenden Fahrzeuges wäre nur ursächlich für die Schäden des Klägers, wenn das Fahrzeug der Beklagten von diesem Fahrzeug auf das klägerische Fahrzeug aufgeschoben worden wäre. Dies kann aber gerade nach dem Obengesagten nicht nachgewiesen werden. Vielmehr ist der Sachverhalt zur Vermeidbarkeit des Unfallgeschehens nicht aufklärbar.

Auch eine analoge Anwendung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB im Rahmen des § 7 StVG mit der Folge, dass die Halter der beiden dem klägerischen Fahrzeug nachfolgenden Fahrzeuge für den entstandenen Schaden ( anteilig ) haften, kommt nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift ist jeder für den Schaden verantwortlich, wenn sich nicht ermitteln lässt, wer von mehreren Beteiligten zu welchen Anteilen den Schaden durch seine Haftung verursacht hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. BGHZ 67, 14; 72, 355) greift jedoch bei einer Unfallkette die Vorschrift des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB dann nicht ein, wenn einer von zwei möglichen Verursachern dem Geschädigten in voller Höhe haftet. Die Vorschrift des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB hat nämlich nur den Zweck, dem Geschädigten beim Vorhandensein aller übrigen Anspruchsvoraussetzungen über einen Beweisnotstand bzgl. des Schadensverursachers oder des auf den Verursacher entfallenden Schadensanteils hinweg zu helfen. Ein solcher Beweisnotstand besteht aber im Falle einer vollen Haftung des einen Verursachers nicht. Wie ausgeführt haften die Beklagten dem Kläger auf vollen Schadensersatz nach §§ 7 Abs. 1 StVG, 3 PflVG bzw. 18 Abs. 1 StVG (so auch OLG Frankfurt a.a.O.; vgl. zur Haftungsfrage bei Auffahrunfällen auch Greger, Aufgeschoben ist nicht Aufgefahren - Haftungsfragen beim Serienunfall, NZV 1989, 58, 60 f.).

Die Höhe des Schadens ist im Berufungsverfahren nicht im Streit.

Die Zinsentscheidung folgt aus §§ 286, 288 BGB

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 4, 101 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist begründet aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Streitwert der Berufung: 7.589,65 € (vgl. Senatsbeschluss vom 21. April 2006, Bl. 197 GA).

Ende der Entscheidung

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