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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 01.02.2005
Aktenzeichen: 4 UF 138/04
Rechtsgebiete: ZPO, FGG


Vorschriften:

ZPO § 313 Abs. 1. Nr. 5
ZPO § 313 Abs. 1. Nr. 6
ZPO § 629 Abs. 1
ZPO § 629 a Abs. 2
ZPO § 621 e
FGG § 53 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

4 UF 138/04

In der Familiensache

pp.

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln als Familiensenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Schrübbers sowie die Richter am Oberlandesgericht Schlemm und Blank

am 1. Februar 2005

beschlossen:

Tenor:

1. Der Antragsgegnerin wird zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und zur Wahrnehmung ihrer Rechte Rechtsanwalt X in L beigeordnet.

2. Auf die als befristete Beschwerde zu wertende Berufung der Antragsgegnerin gegen die in Ziffer 2. des Urteils des Amtsgerichts - Familiengericht - Bonn vom 18.05.2004 - 45 F 15/04 - zum Versorgungsausgleich getroffene Entscheidung wird das vorgenannte Urteil aufgehoben und die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über den Versorgungsausgleich an das Amtsgericht - Familiengericht - Bonn zurückverwiesen.

3. Die Kostenentscheidung über das Beschwerdeverfahren bleibt dem Amtsgericht - Familiengericht - vorbehalten.

Gründe:

Die gemäß §§ 629 a Abs. 2, 621 e ZPO zulässige - insbesondere frist- und formgerecht eingelegte - als befristete Beschwerde zu wertende "Berufung" der Antragsgegnerin hat auch in der Sache insoweit Erfolg, als die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über den Versorgungsausgleich an das Familiengericht zurückzuverweisen war, da das amtsgerichtliche Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet.

Die Entscheidung zum Versorgungsausgleich ist nicht begründet. Für die von Amts wegen zu treffende Entscheidung zum Versorgungsausgleich als Folgesache ergibt sich die Begründungspflicht bereits aus §§ 629 Abs. 1, 313 Abs. 1 Nr. 5, 6 ZPO in Verbindung mit § 53 b Abs. 3 FGG (vgl. auch Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 629 Rn. 2). Danach sind die tragenden Gründe nachvollziehbar darzustellen. Die Parteien haben einen verfassungsrechtlich begründeten Anspruch darauf, über die den Spruch des Richters tragenden Gründe in einer Weise unterrichtet zu werden, die es ihnen ermöglicht, die maßgebenden Erwägungen zu verstehen und nachvollziehen zu können (so auch OLG Saarbrücken, FamRZ 1993, 1098 m. w. N.; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 313 Rn. 19). Unbeschadet des aus § 313 Abs. 3 ZPO abzuleitenden Gebots der "bündigen Kürze" müssen die Entscheidungsgründe zumindest so präzise und ausführlich sein, dass den am Verfahren Beteiligten und auch dem Rechtsmittelgericht auf ihrer Grundlage eine Überprüfung des Richterspruchs möglich ist. Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Sie lässt nämlich in keiner Weise erkennen auf welchen Erwägungen die getroffene Entscheidung des Familiengerichts zum Versorgungsausgleich beruht. Bereits in der mündlichen Verhandlung vom 6.05.2004 (vgl. Sitzungsprotokoll vom 6.05.2004, Bl. 26 GA) hat die damals nicht anwaltlich vertretene Antragsgegnerin bei ihrer Anhörung zum Ausdruck gebracht, dass sie im Hinblick auf die neue Rechtsprechung zum Versorgungsausgleich die Durchführung desselben wünsche. Hierauf hat die Familienrichterin im Termin am 6.05.2004 darauf hingewiesen, dass Erklärungen in diesem Verfahren von ihr, der Antragsgegnerin, nur über einen Anwalt abgegeben werden könnten und dass das Gericht unabhängig davon zu der Auffassung neige, dass der Ausschluss des Versorgungsausgleichs wirksam sei, da keine besonderen Umstände erkennbar seien, die die Unwirksamkeit der Vereinbarung begründen könnten. Entsprechend ist dann unter Ziffer II der Entscheidungsgründe zum Versorgungsausgleich ausgeführt, dass die Parteien wirksam in notarieller Urkunde gemäß § 1408 Abs. 2 BGB auf die Durchführung verzichtet hätten. Zweifel an der Wirksamkeit des Ehevertrages bestünden nicht (Bl. 37 GA).

Im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Wirksamkeit von Eheverträgen über Scheidungsfolgen, auf die sich die Antragsgegnerin berufen hat, genügen diese Anmerkungen der das Familiengericht treffenden Begründungspflicht nicht. Sie lassen in keiner Weise erkennen, inwieweit sich die Familienrichterin mit der Rechtsprechung des BGH auseinandergesetzt hat. Insbesondere ist die Familienrichterin ihrer Aufklärungspflicht nicht nachgekommen. Entscheidungen zum Versorgungsausgleich unterliegen den Regeln der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Hier gilt gemäß § 12 FGG der Amtsermittlungsgrundsatz. Von Amts wegen hatte das Familiengericht daher aufzuklären, ob die Voraussetzungen für einen wirksamen Ausschluss des Versorgungsausgleichs vorliegen. Dieser Pflicht zur Sachverhaltsermittlung ist die Familienrichterin nicht nachgekommen.

Nach der neueren Rechtsprechung des BGH zur Wirksamkeit von Eheverträgen dürfen diese den Schutzzweck der gesetzlichen Scheidungsfolgen nicht beliebig unterlaufen. Das wäre dann der Fall, wenn durch den Ehevertrag eine evident einseitige und von der individuellen Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigte Lastenverteilung entstünde, die hinzunehmen für den belasteten Ehegatten unter angemessener Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe unzumutbar erscheint (vgl. hierzu BGH FuR 2004, 545 ff. m. w. N.; FamRZ 2005, 185 ff. sowie jüngst Urteil vom 12. Januar 2005, BGH-Pressemitteilung 6/2005). Die Belastungen des einen Ehegatten werden dabei um so schwerer wiegen und die Belange des anderen Ehegatten um so genauerer Prüfung bedürfen, je unmittelbarer die Vereinbarung der Ehegatten über die Abbedingung gesetzlicher Scheidungsfolgen in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreift. Dabei hat der Tatrichter zunächst im Rahmen einer Wirksamkeitskontrolle zu prüfen, ob der Ehevertrag schon im Zeitpunkt seines Zustandekommens offenkundig zu einer derart einseitigen Lastenverteilung für den Scheidungsfall führt, dass ihm - lösgelöst von der künftigen Entwicklung der Lebensverhältnisse - wegen Verstoßes gegen die guten Sitten die Anerkennung mit der Folge zu versagen ist, dass an seine Stelle die gesetzlichen Regelungen treten.

Schon insoweit bedurfte es einer abwägenden Beurteilung des Familiengerichts im Hinblick auf die ehevertraglichen Ausschlussregelungen zum Versorgungsausgleich, zum nachehelichen Unterhalt und zum Zugewinnausgleich. Zum einen wurde die Durchführung des Versorgungsausgleichs und des Zugewinnausgleichs ausgeschlossen, zum anderen vereinbarten die Parteien für den Fall der Scheidung der künftigen Ehe ab dem Tage der Rechtskraft des Scheidungsurteils den gegenseitigen und vollständigen Verzicht auf Gewährung nachehelichen Unterhalts einschließlich des Notunterhalts. Der Fall eines möglichen Betreuungsunterhaltsanspruches wurde nicht geregelt, so dass der Unterhaltsverzicht umfassend war.

Ob diese umfassende Regelung bereits gegen die guten Sitten verstößt, bedarf weiterer Sachaufklärung. Insbesondere ist zu klären, ob bei Abschluss des Vertrags die getroffene Vereinbarung zum Versorgungsausgleich allein oder im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen des Ehevertrages schon im Zeitpunkt ihres Zustandekommens offenkundig zu einer derart einseitigen Lastenverteilung für den Scheidungsfall geführt hat, dass ihr - und zwar losgelöst von der künftigen Entwicklung der Lebensverhältnisse - wegen Verstoßes gegen die guten Sitten die Anerkennung der Rechtsordnung ganz oder teilweise mit der Folge zu versagen ist, dass an ihre Stelle die gesetzlichen Regelungen treten (§ 138 Abs. 1 BGB). Erforderlich ist dabei eine Gesamtwürdigung, die auf die individuellen Verhältnisse beim Vertragsschluss abstellt, insbesondere also auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse, den geplanten oder bereits verwirklichten Zuschnitt der Ehe sowie auf die Auswirkungen für die Ehegatten und die Kinder. Subjektiv sind die von den Ehegatten mit der Abrede verfolgten Zwecke sowie die sonstigen Beweggründe zu berücksichtigen, die den begünstigten Ehegatten zu seinem Verlangen nach der ehevertraglichen Gestaltung veranlasst und den benachteiligten Ehegatten bewogen haben, diesem Verlangen zu entsprechen. Ergibt die umfassende Würdigung dieser Gesichtspunkte, dass der vereinbarte Ausschluss des Versorgungsausgleichs sich bereits im Zeitpunkt der Vereinbarung als eine gravierende Verletzung des dem Versorgungsausgleich zugrunde liegenden Gedankens ehelicher Solidarität darstellt, so hat diese Vereinbarung nach § 138 Abs. 1 BGB keinen Bestand (vgl. BGH FuR 2004 a. a. O.).

Hierzu hat das Familiengericht keinerlei Feststellungen getroffen. Diese Feststellungen werden nachzuholen sein.

Sollte das Familiengericht nach weiterer Sachverhaltsaufklärung zu der Entscheidung kommen, dass die ehevertragliche Regelung einer Wirksamkeitskontrolle Stand hält, wird es weiter zu prüfen haben, ob unter Berücksichtigung der späteren Entwicklung der ehelichen Lebensverhältnisse die Berufung auf die getroffene Regelung unter dem Blickwinkel des § 242 BGB rechtsmissbräuchlich erscheint (sog. Ausübungskontrolle).

In diesem Zusammenhang wird auch von Bedeutung sein, welche Vermögensverhältnisse bei den Parteien vorherrschen und welche Versorgungsanwartschaften die Parteien insgesamt erworben haben. Schon von daher ist es geboten, auch Auskünfte der Versorgungsträger hierzu einzuholen.

Erst dann können alle Umstände des Einzelfalles umfassend bewertet und einer unter Billigkeitsgesichtspunkten zutreffende Entscheidung zugeführt werden.

Der oben festgestellte wesentliche Verfahrensmangel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache. Entgegen der von Philippi (in : Zöller ZPO, 25. Auflage § 621 e) Rnr. 77, 78) vertretenen Auffassung bedarf es hierzu keines besonderen Antrages einer Partei. Die verfahrensfehlerhafte Entscheidung ist aufzuheben, ohne dass die Verfahrensbeteiligten in dem Beschwerdeverfahren den Verfahrensfehler gerügt oder gar einen Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung gestellt haben müssen. Diese in dem Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit nicht besonders geregelte Verfahrensweise beruht auf allgemeinen prozessualen Grundsätzen und entspricht der bisher ständig geübten Praxis der Gerichte in den Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit bei Vorliegen eines wesentlichen Verfahrensmangels (vgl. OLGR Köln 2004, 52, 53 m. w. N.). Hieran hat sich auch nach der Novellierung des § 538 ZPO mit der zum 1.01.2002 in Kraft getretenen Reform der Zivilprozessordnung nichts geändert. Zwar darf nach Absatz 2 Satz 1 dieser Vorschrift nach der Neuregelung auch bei wesentlichen Mängeln des erstinstanzlichen Verfahrens nunmehr nur noch dann eine Zurückverweisung erfolgen, wenn eine Partei dies beantragt. Abgesehen davon, dass die Beteiligten in FGG-Verfahren keine Sachanträge und erst recht keine Verfahrensanträge stellen müssen, und in bestimmten Bereichen nicht einmal über den Verfahrensgegenstand durch einen gerichtlich nicht genehmigten Vergleich verfügen dürfen, verweist § 621 e Abs. 3 Satz 2 ZPO bei der Aufzählung der im Beschwerdeverfahren entsprechend anzuwendenden Vorschriften der ZPO gerade nicht auf § 538 ZPO. Damit ist angesichts der enumerativen Aufzählung im Übrigen auch hinreichend klargestellt, dass eine Gesetzeslücke nicht vorliegt und demzufolge eine Anwendung der verschärften Zurückverweisungsvoraussetzungen nicht zulässig ist (so OLG Köln, a. a. O., m. w. N.). Es verbleibt daher in dem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit auch nach der ZPO-Novelle bei der bisherigen Praxis, wonach in Fällen wesentlicher Verfahrensfehler die Aufhebung und Zurückverweisung nach dem Ermessen des Beschwerdegerichts auch ohne besonderen Antrag eines Beteiligten zulässig ist.

Da die Sache noch in keiner Weise aufgeklärt ist und umfangreiche weitere Ermittlungen anzustellen sind, hält es der Senat für sachdienlich, die Sache zur erneuten Entscheidung auch bezüglich der Entscheidung über die Kosten an das Familiengericht zurückzuverweisen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Entscheidung von dem wesentlichen Verfahrensfehler betroffen ist. Dies gilt insbesondere deswegen, weil eine abschließende Beurteilung der Sache und Rechtslage erst nach weiterer Aufklärung von Umständen, die mangels Sachaufklärung von dem Familiengericht nicht beachtet werden konnten, getroffen werden kann.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 1.000,00 €

Ende der Entscheidung

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