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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 20.04.2004
Aktenzeichen: 4 UF 229/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1610
BGB § 1611
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 UF 229/03

Anlage zum Protokoll vom 20. April 2004

Verkündet am 20. April 2004

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln als Familiensenat auf die mündliche Verhandlung vom 16. März 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Schrübbers sowie die Richterin am Oberlandesgericht Bourmer-Schwellenbach und den Richter am Oberlandesgericht Blank

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Bonn vom 12.09.2003 - 42 F 49/03 - unter Zurückweisung des Rechtsmittels und Klageabweisung im übrigen teilweise abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ab September 2003 laufenden Ausbildungsunterhalt in Höhe von monatlich 446,00 € zu zahlen und zwar rückständigen Unterhalt sofort und laufenden Unterhalt im Voraus bis zum jeweils 3. Werktag des laufenden Monats.

Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Bezüglich der tatsächlichen Feststellungen wird auf den Tatbestand des amtsgerichtlichen Urteils gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Auch im Berufungsverfahren streiten die Parteien im Wesentlichen darum, ob der Kläger seinen Unterhaltsanspruch zum einen dadurch verwirkt hat, dass er seine Ausbildung nach Auffassung des Beklagten nicht mit der notwendigen Zielstrebigkeit betreibe, wobei auch die Erfolgsaussicht der Berufsausbildung seiner Meinung nach wegen der fehlenden Geeignetheit des Klägers in Zweifel zu ziehen sei. Vor allem sei aber der Unterhaltsanspruch des Klägers deswegen verwirkt, weil dieser nach Abbruch seiner Schulausbildung im Januar 2000 noch ein Jahr lang bis zur Vollendung seines 21. Lebensjahres im Januar 2001 unberechtigterweise Unterhalt bezogen habe.

II.

Die zulässige - insbesondere frist- und formgerecht eingelegte - Berufung des Klägers hat in der Sache nur teilweise Erfolg. Nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 16. März 2004 seine Berufung insoweit zurückgenommen hat, als er mit dieser die Verurteilung des Beklagten zu Unterhaltszahlungen für den Zeitraum August 2002 bis August 2003 erstrebt hat, ist Gegenstand des Berufungsverfahrens nur noch der geltend gemachte Anspruch des Klägers auf Zahlung von laufendem Unterhalt ab September 2003 in Höhe von 468,00 € monatlich. Begründet ist dieser Anspruch allerdings nur in Höhe von 446,00 € monatlich. Im übrigen war die Berufung zurückzuweisen.

Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Zahlung von Ausbildungsunterhalt gemäß §§ 1601, 1602 Abs. 1, 1603, 1606, 1610, 1612, 1612 b BGB ab September 2003 in Höhe von 446,00 € monatlich zu.

Der Beklagte ist leistungsfähig. Er ist dem Vortrag des Klägers zu seinem Nettoeinkommen von ca. 4.500,00 € monatlich nicht ernsthaft entgegengetreten. Von diesem Einkommen ist auszugehen. Im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit schuldet der Beklagte dem Kläger nach § 1610 Abs. 2 BGB eine optimale begabungsbezogene Berufsausbildung. Die Ausbildung des Klägers muss also seiner Begabung und seinen Fähigkeiten sowie seinem Leistungswillen sowie seinen beachtenswerten, nicht nur vorübergehenden Neigungen am besten entsprechen (so u. a. OLG Frankfurt/M. FamRZ 1994, 1611 m. w. N.). Dieser Pflicht des Beklagten steht andererseits die Verpflichtung des Klägers gegenüber, seine Ausbildung mit dem gehörigen Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit zu betreiben, damit sie innerhalb angemessener und üblicher Dauer beendet ist. Bei wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit des Beklagten besteht somit solange ein Anspruch des Klägers auf Ausbildungsunterhalt, wie dieser zielstrebig einer solchen Ausbildung nachgeht.

Der Anspruch des Klägers auf Zahlung von Ausbildungsunterhalt entfällt nach Auffassung des Senates nicht deswegen, weil er gegen seine aus § 1610 Abs. 2 BGB folgende Verpflichtung gegenüber dem Beklagten verstoßen hat, seine Ausbildung zielstrebig anzufangen und abzuschließen. Dabei verkennt der Senat nicht, dass der bisherige Ausbildungsweg des Klägers nicht immer zielstrebig verfolgt worden ist. Vielmehr hat der Kläger nach Schulabbruch bis zur Aufnahme seiner jetzigen Ausbildung mehr als 2 1/2 Jahre weitgehend tatenlos verstreichen lassen. Eine solche "Ausbildungskarriere" stellt einen Grenzfall dar, bei dem die besonderen Umstände des konkreten Falles zu berücksichtigen sind und hier noch zu Gunsten des Klägers ins Gewicht fallen. § 1610 Abs. 2 BGB mutet den Eltern nicht zu, sich gegebenenfalls noch nach Jahren Ausbildungsansprüchen ausgesetzt zu sehen und sich noch wegen derartiger Unterhaltsansprüche wirtschaftlich einschränken zu müssen. Bei der gegebenen Sachlage ist also im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung zu prüfen, ob dem am 23.01.1980 geborenen Kläger gegenüber dem Beklagten ab Aufnahme der Ausbildung noch ein Unterhaltsanspruch gemäß § 1610 Abs. 2 BGB zusteht. Das ist unter den gegebenen Umständen zu bejahen. Dabei hat der Senat die Persönlichkeitsstruktur des Klägers besonders gewürdigt. Aufgrund des in der mündlichen Verhandlung vom Kläger gewonnenen Eindrucks ist der Senat zu der Überzeugung gelang, dass es sich bei dem Kläger um eine Persönlichkeit handelt, bei der die Persönlichkeitsbildung noch nicht abgeschlossen ist. Trotz seiner nunmehr 24 Jahre wirkte der Kläger noch unreif und wenig gefestigt. Seine Persönlichkeitsstruktur ähnelt dabei noch mehr der eines Jugendlichen als der eines Erwachsenen. Der Kläger hat auf Nachfragen des Gerichts nur zögerlich geantwortet. Dies war nach Auffassung des Senates nicht dadurch bedingt, dass er etwa nicht aufklärungswillig gewesen wäre. Vielmehr vermittelte der Kläger den Eindruck, dass er auch heute noch den Lebensalltag nur schwer bewältigen kann. Dabei spielt - wie der Senat erfahren konnte - auch die enge Bindung an die Mutter und deren persönliches Schicksal eine zentrale Rolle in der Persönlichkeitsentwicklung des Klägers. Von daher ist dem Kläger eine größere als die übliche Orientierungsphase bei der Selbst- und Berufsfindung zuzubilligen. Hinzu kommt eine etwas labile Gesundheit des Klägers, die gerade auch in den besonderen Lebensumständen des Klägers mit ihren seelischen und wirtschaftlichen Belastungen begründet sein mag. All dies führte dazu, dass der Kläger nur schwer seinen Weg finden konnte.

Der Senat ist aber nach Anhörung des Klägers davon überzeugt, dass dem von ihm nunmehr gewählten Ausbildungsweg nicht von vornherein eine Erfolgsaussicht abgesprochen werden kann. Zwar hat der Kläger die erste Ausbildungsklasse wiederholen müssen. Dies allein rechtfertigt aber noch nicht die Annahme, dass er endgültig auf dem von ihm gewählten Berufsweg scheitern wird. Vielmehr gibt das nunmehrige Halbjahreszeugnis doch Anlass zu einem gewissen Optimismus. Die dortigen Noten liegen durchweg im befriedigenden Bereich. Lediglich in Deutsch und Spracherziehung hat er nur ausreichende Leistungen erbracht. Dagegen steht ein "gut" im musisch-kreativen Bereich. Berücksichtigt man dann noch die durchaus belegten wirtschaftlichen Engpässe beim Kläger im ersten Ausbildungsjahr, die nunmehr geringer werden, wenn er vom Beklagten Unterhalt erhält, lässt sich nach Auffassung des Senates doch noch eine optimistische Zukunftsprognose stellen. Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Kläger nunmehr weiß, dass er bei einem erneuten, nicht unverschuldeten Schulversagen seinen Anspruch auf Ausbildungsunterhalt verliert.

Allerdings hat der Kläger seinen Ausbildungsunterhalt gemäß § 1611 Abs. 1 BGB teilweise dadurch verwirkt, dass er sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen dadurch schuldig gemacht hat, dass er im Januar 2000 seinen Schulabbruch dem Beklagten nicht mitteilte und ihn dadurch veranlasste, weiter aufgrund der Unterhaltsvereinbarung an ihn, den Kläger, Unterhalt zu zahlen, obwohl er hierzu nicht mehr verpflichtet war. Die schwere Verfehlung des Klägers gegenüber seinem Vater, dem Beklagten, liegt darin begründet, dass er diesem einen nicht unerheblichen Schaden durch diese schuldhafte Pflichtverletzung zugefügt hat. Bei pflichtgemäßer Aufklärung des Beklagten durch den Kläger über den Schulbruch hätte dieser nach Überzeugung des Senats sicherlich seine Unterhaltszahlungen eingestellt. Hiervon musste auch der Kläger ausgehen. Aus Ziffer 3 der Unterhaltsvereinbarung vom 26.02.1999 (vgl. Bl. 13, 14 GA) folgt eindeutig, dass der Unterhalt nur dann geschuldet sein sollte, wenn der Kläger bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres auch die Schule besuchte.

Diese schwere Verfehlung des Klägers führt unter Gesamtabwägung aller den Fall prägenden Umstände nicht zur vollständigen sondern nur zur teilweisen Verwirkung seines Unterhaltsanspruches. So hat der Senat zum einen die zuvor geschilderte Persönlichkeitsstruktur des Klägers berücksichtigt. Von daher erscheint das Verschulden des Klägers nicht so gravierend, dass die gegenüber dem Beklagten begangene schwerwiegende Verfehlung zu einer vollständigen Verwirkung seines Unterhaltsanspruches führen müsste. Dabei hat der Senat auch berücksichtigt, dass der Kläger wirtschaftlich in sehr beengten Verhältnissen lebt und eine qualifizierte Berufsausbildung wohl ohne die unterhaltsrechtliche Unterstützung durch den Beklagten kaum erreichen kann. Andererseits lebt der kinderlos verheiratete Beklagte in solch günstigen Verhältnissen, dass auch unter Berücksichtigung des jetzigen Alters des Klägers und seines schweren Fehlverhaltens es nicht grob unbillig erscheint, wenn der Beklagte ab September 2003 wieder zu Zahlungen von Ausbildungsunterhalt herangezogen wird. Dies gilt um so mehr, als damit der dem Beklagten durch unbegründete Unterhaltszahlungen entstandene Schaden weitgehend ausgeglichen sein dürfte.

Der Unterhaltsanspruch des Klägers besteht ab September 2003 in Höhe von 446,00 €. Nach den Unterhaltsleitlinien des OLG Köln (Stand 01.07.2003) beträgt der angemessene Bedarf eines volljährigen Kindes mit eigenem Hausstand in der Regel monatlich 600,00 € (darin sind enthalten Kosten für Unterkunft und Heizung bis zu 250,00 €) ohne Beiträge zu Kranken- und Pflegeversicherung. Dass vorliegend ein erhöhter Bedarf seitens des Klägers besteht, ist nicht dargetan. Der Senat folgt daher den Leitlinien des OLG Köln. Abzuziehen ist hiervon, wie der Kläger selbst nicht in Abrede stellt, das an die Mutter des Klägers gezahlte Kindergeld in Höhe von 154,00 €, so dass sich ein Unterhaltsanspruch des Beklagten in Höhe von 446,00 € monatlich ergibt.

Der neue Vortrag des Beklagten in seinem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 14. 4. 2004 gibt dem Senat keine Veranlassung zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung. Die dort vom Beklagten aufgeworfene Frage, ob mit der Beendigung der Schulausbildung seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kläger jedenfalls entfällt, kann aus heutiger Sicht nicht abschließend beantwortet werden. Im Streitfall muss dies in einem neuen Unterhaltsabänderungsverfahren nach § 323 ZPO geklärt werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO. Im Hinblick darauf, dass der Kläger mit seiner Berufung ab September 2003 weitgehend für die Zukunft obsiegt und ihm lediglich für die Vergangenheit im Zeitraum vom August 2002 bis August 2003 Unterhaltsansprüche abgesprochen werden, erscheint es gerechtfertigt, das teilweise Obsiegen und Unterliegen der Parteien in etwa gleich mit der Folge zu gewichten, dass die Kosten des Rechtsstreites erster und zweiter Instanz gegeneinander aufzuheben sind.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist begründet aus § 713 ZPO. Streitwert des Berufungsverfahrens:

1. Bis zum 16. März 2004 (teilweise Berufungsrücknahme in der mündlichen Verhandlung vom 16. März 2004)

a) Rückstände:

7 x 468,00 € = 3.276,00 €

b) Laufender Unterhalt:

12 x 468,00 € = 5.616,00 €

c) Gesamtstreitwert der Berufung bis zur teilweisen Berufungsrücknahme: 8.892,00 €

2. Streitwert danach

12 x 468,00 € = 5.616,00 €

Ende der Entscheidung

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