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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 26.09.2006
Aktenzeichen: 4 UF 70/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1603 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels und Klageabweisung im Übrigen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Brühl vom 14.03.2006 - 31 F 225/05 - teilweise wie folgt abgeändert:

Der Kläger wird in Abänderung der Urkunde des Jugendamtes I vom 26.06.2003 - UR xxx/2003 - verurteilt, an die Beklagte ab November 2005 bis einschließlich April 2006 Kindesunterhalt von 191,00 € monatlich und ab Mai 2006 von 221,00 € monatlich zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreites erster und zweiter Instanz tragen der Kläger zu 9/10 und die Beklagte zu 1/10.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

Die zulässige - insbesondere frist- und formgerecht eingelegte - Berufung des Klägers hat nur teilweise Erfolg, nämlich soweit er sich dagegen wehrt, höheren monatlichen Kindesunterhalt von November 2005 bis einschließlich April 2006 als 185,00 € und ab Mai 2006 als 213,00 € zu zahlen. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.

Der Kläger ist gemäß Jugendamtsurkunde des Jugendamtes I verpflichtet, für die Beklagte ab dem 01.06.2003 100 % des jeweiligen Regelbetrages der jeweiligen Altersstufe unter Anrechnung des hälftigen Kindergeldes, soweit dieses zusammen mit dem Unterhalt 135 % des Regelbetrages übersteigt, als monatlichen Kindesunterhalt zu zahlen. Der Kläger verlangt die Abänderung dieser Jugendamtsurkunde mit der Begründung, er sei nicht mehr leistungsfähig, nachdem er arbeitslos geworden sei. Dies gelte um so mehr, als er wieder verheiratet und aus dieser neuen Ehe ein weiteres Kind hervorgegangen sei. Bei einem Bedarf seiner neuen Familie von 1.670,94 € monatlich müsse er insgesamt 1.900,00 € monatlich netto verdienen, um seiner Unterhaltspflicht nachkommen zu können. Hierzu sei er selbst dann nicht in der Lage, wenn er wieder eine neue Arbeit finden würde. Der Arbeitsmarkt gebe bei seiner Vorbildung eine Beschäftigungsmöglichkeit mit diesen Verdienstaussichten nicht her. Im Übrigen habe er sich umfassend um eine neue Anstellung beworben.

Das Berufungsvorbringen des Klägers rechtfertigt eine Abänderung der Jugendamtsurkunde des Jugendamtes I vom 26.03.2003 - UR-Nr. xxx/2003 - nur in geringem Umfang. Für seine fehlende bzw. eingeschränkte Leistungsfähigkeit ist der Kläger darlegungs- und beweispflichtig. Eine verminderte Leistungsfähigkeit konnte der Kläger aber erst ab November 2005 - und nicht schon wie begehrt ab Mai 2005 - belegen. Ab diesem Zeitpunkt war auf die Abänderungsklage des Klägers der titulierte Unterhaltsanspruch der Beklagten wie tenoriert zu reduzieren.

Der Kläger hat nicht nachweisen können, dass er auch bei den von ihm zu fordernden umfassenden Bemühungen zur Suche nach einer neuen Arbeitsstelle erfolglos geblieben wäre, seine behauptete fehlende Leistungsfähigkeit ihm aus unterhaltsrechtlicher Sicht also nicht vorwerfbar ist.

Den Kläger trifft gegenüber seinen minderjährigen Kindern eine gesteigerte Unterhaltspflicht. Gemäß § 1603 Abs. 2 BGB hat der Kläger daher die Obliegenheit zur gesteigerten Ausnutzung seiner Arbeitskraft. Die gesteigerte Unterhaltspflicht nötigt den Unterhaltsverpflichteten zur Übernahme jeder ihm zumutbaren Arbeit, wobei zur Sicherung des Unterhaltes minderjähriger Kinder auch Aushilfs- und Gelegenheitsarbeiten zumutbar sind und ein Orts- und Berufswechsel verlangt werden kann.

Ausreichende Bemühungen, eine neue Arbeitsstelle zu finden, sind nicht einmal ansatzweise dargelegt. Allein der Umstand, dass sich der Kläger beim Arbeitsamt als arbeitslos gemeldet hat, reicht für eine ausreichende Arbeitsplatzsuche nicht aus. Erwartet wird vielmehr eine intensive und konkrete Eigenbemühung in Form der regelmäßigen Lektüre der örtlichen Zeitungen und sonstiger Werbeträger sowie die Bewerbung auf alle Annoncen, die für Stellensuchende in Betracht kommen und einen für den Erwerber zumutbaren Tätigkeitsbereich haben. Konkrete Darlegungen dazu, was der Kläger im Einzelnen unternommen hat und wie intensiv seine Arbeitsplatzsuche war, sind nicht erkennbar. Ohne konkret feststellbare ausreichende Arbeitsplatzbemühungen kann auch nicht festgestellt werden, dass der Kläger nicht vermittelbar wäre. Auch bei einer Arbeitslosenquote von knapp fünf Millionen Arbeitslosen kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass der Kläger, der über eine dreijährige Ausbildung zum Maschinenschlosser verfügt und heute erst 32 Jahre alt ist, unvermittelbar ist. Die Praxis beweist das Gegenteil. Der Senat weiß aus einer ganzen Reihe von Verfahren, dass selbst ungelernte Arbeiter durchaus in der Lage sind, eine Arbeitsstelle zu finden, die es ihnen ermöglicht, jedenfalls annähernd 100 % des Regelbetrages nach der Regelbetragsverordnung zu zahlen.

Der Einwand des Klägers, er sei jedenfalls nicht in der Lage, eine Arbeitsstelle zu finden, die es ihm ermöglichen würde, allen Unterhaltsberechtigten Unterhalt zu zahlen, ist ebenfalls nicht geeignet, seiner Klage und damit der Berufung zum auch nur überwiegenden Teil Erfolg zu verhelfen. Zunächst ist der Ausgangspunkt seiner Berechnungen in der Berufungsbegründung vom 22.05.2006 (Bl. 85, 86 GA) zur Bedarfsberechnung nicht zutreffend. Der Kläger kann in vorliegendem Unterhaltsverfahren nicht ohne Weiteres von dem für seine neue Familie ermittelten sozialhilferechtlichen Unterhaltsbedarf ausgehen. Vielmehr ist bei der unterhaltsrechtlichen Bedarfsberechnung von den einschlägigen Bedarfs- und Selbstbehaltssätzen auszugehen, wie sie von der Rechtsprechung entwickelt und in den unterhaltsrechtlichen Leitlinien Eingang gefunden haben.

Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass für Mai und Juni 2005 ein Unterhaltsbedarf für die Beklagte und die zweite Ehefrau des Klägers von 734,00 € monatlich ( 199,00 € titulierter Regelbetrag für die Beklagte und 535,00 € für die zweite Ehefrau des Klägers ) und von Juli 2005 bis Ende Oktober 2005 ein monatlicher Unterhaltsbedarf für die Beklagte und die zweite Ehefrau des Klägers von 764,00 € monatlich ( 204,00 € titulierter Regelbetrag für die Beklagte und 560,00 € für die zweite Ehefrau des Klägers ) bestand, den der Kläger voll decken konnte. Mit der Geburt des weiteren Kindes Ende Oktober 2005 war der Kläger ab November 2005 der Beklagten sowie seiner zweiten Ehefrau und seinem weiteren Kind aus zweiter Ehe gleichrangig unterhaltspflichtig und nicht mehr voll leistungsfähig, so dass eine Mangelfallberechnung zu erfolgen hat.

Der Senat meint, dass es dem Kläger möglich sein muss, bei Ausnutzung seiner vollen Arbeitskraft einen Monatsnettoverdienst von rund 1.259,00 € zu erzielen. Dabei hält es der Senat für zumutbar, dass der Kläger neben einer vollschichtigen Tätigkeit einer weiteren Nebentätigkeit im Rahmen einer Geringverdienertätigkeit nachgehen kann und somit weitere 400,00 € hinzuverdienen könnte. Der Senat folgt nicht der Auffassung des Klägers, die Ausübung einer Nebentätigkeit sei ihm unter keinen Umständen zumutbar. Soweit er sich zur Untermauerung seiner Auffassung auf das Urteil des OLG Frankfurt/M. vom 08.06.2006 - 1 UF 335/04 - stützt, vermag dies den Senat nicht zu überzeugen. Ob eine Nebentätigkeit zumutbar ist, ist Frage des Einzelfalles. Generell kann die Zumutbarkeit nicht verneint werden. Daher kann der vom OLG Frankfurt/M ( a.a.O. ) entschiedene anders gelagerte Einzelfall nicht zur Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes herangezogen werden. Das OLG Frankfurt/M. ( a.a.O. ) hatte die Kindesmutter wegen ihres eigenen Verdienstes für anteilig barunterhaltspflichtig gehalten, so dass mehr als das Existenzminimum des minderjährigen Kindes gesichert war. Das ist hier anders. Die Mutter der Beklagten hat kein eigenes Einkommen. Sie braucht auch wegen des Alters der Beklagten, die sie betreut, nicht zu arbeiten.

Der Senat bleibt daher bei seiner Auffassung, dass es eine Abwägungsfrage im Einzelfall ist, ob die Verpflichtung zur Ausübung einer Nebentätigkeit für den Unterhaltspflichtigen besteht. Zu beachten sind dabei insbesondere die zwingenden Vorschriften nach dem Arbeitszeitgesetz. Auch kann es dem Unterhaltspflichtigen nur zugemutet werden, in einem solchen Ausmaße eine Nebentätigkeit auszuführen, dass seine Gesundheit nicht beeinträchtigt wird. Nach Auffassung des Senates kann dem Kläger zugemutet werden, bis zu 48 Stunden die Woche zu arbeiten.

Der Senat geht davon aus, dass der Kläger in einer vollschichtigen Tätigkeit jedenfalls einen Bruttolohn von rund 1.572,00 € verdienen könnte. Dieses zu erzielende Einkommen leitet der Senat von dem Arbeitslosengeldbescheid vom 28.04.2005 (Bl. 8 GA) ab, in welchem das tägliche Bemessungsentgelt, wonach das Arbeitslosengeld für den Kläger festgesetzt worden ist, mit 52,40 € beziffert wird. Dies ergibt einen monatlichen Bruttolohn von rund 1.594,00 € (52,40 € x 365 Tage : 12 Monate). Danach errechnet sich ein Monatsnettolohn von rund 1.259,00 €. Bei der Errechnung des Nettolohnes hat der Senat die Steuerklasse 3; 1,5 zu Grunde gelegt. Da der Kläger wieder verheiratet ist, unterfällt er der Steuerklasse 3. Da die minderjährigen Kinder ihren Bedarf von der Lebensstellung der Eltern ableiten, kommen auch der Beklagten die Steuervorteile des Klägers zugute, die er dadurch erzielt, dass er wieder verheiratet ist. Bei Steuerklasse 3 und 1,5 Kinderfreibeträgen fällt keine Lohnsteuer an; es findet lediglich ein Abzug von 21 % an Sozialversicherungsbeiträgen statt.

Zuzüglich des Erwerbseinkommens aus einer Geringverdienertätigkeit von 400,00 € ergibt sich damit ein mögliches Gesamtnettoeinkommen des Klägers von rund 1.659,00 €.

Soweit der Kläger einwendet, die Zurechnung eines fiktiven Einkommens aus einer Nebentätigkeit verbiete sich in concreto aber jedenfalls deswegen, weil gar nicht feststehe, wie hoch sein Arbeitsaufwand bei einer ihm fiktiv zuzuschreibenden vollschichtigen Arbeitsstelle wäre, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Der Senat geht bei seiner Fiktion davon aus, dass der Antragsteller eine seiner alten Arbeitsstelle gleichwertige finden kann. Da der Kläger nichts Beachtliches zu seiner Nichtvermittelbarkeit zu den üblichen Bedingungen vorträgt, ist zu unterstellen, dass er bei gehöriger Anstrengung eine Anstellung entsprechend seinen beruflichen Fähigkeiten gefunden hätte. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Tätigkeit nunmehr eine zeitlich deutlich höhere Beanspruchung erfordern würde, sind nicht ersichtlich. Schließlich ist der Kläger für seine mangelnde Leistungsfähigkeit darlegungs- und beweispflichtig. Die fiktive Berechnung des Senates konnte der Kläger unter Beachtung dieser Vorgaben nicht entkräften.

Bei einem möglichen ( fiktiven ) monatlichen Gesamtnettoeinkommen des Klägers von rund 1.659,00 € und einem ihm zu belassenden monatlichen Mindestselbstbehalt von 840,00 € bis Juni 2005 bzw. von 890,00 € danach, beläuft sich das für Unterhaltszwecke verfügbare monatliche Erwerbseinkommen des Klägers auf rund 819,00 € bis Juni 2005 und auf 769,00 € danach. Wie oben aufgezeigt besteht für Mai/Juni 2005 ein monatlicher Unterhaltsbedarf für die zweite Ehefrau des Klägers und die Beklagte von 734,00 € und bis einschließlich Oktober 2005 von 764,00 €.

Ab November 2005 ist eine Mangelfallberechnung anzustellen.

A. November 2005 bis April 2006

I. Der gesamte Unterhaltsbedarf der gleichrangig Unterhaltsberechtigten ergibt sich wie folgt:

1. Beklagte (erste Altersstufe) 276,00 €

2. Kind aus zweiter Ehe (erste Alterstufe) 276,00 €

3. Ehefrau des Klägers 560,00 €

4. Gesamtbedarf 1.112,00 €.

II. Verteilungsmasse 769,00 €

III. Mangelquote:

769,00 € / 1.112,00 € = rund 69,00 %

IV. Unterhaltsanspruch der Beklagten (0,69 x 276,00 €) rund 191,00 €.

B. Ab Mai 2006

I. Ab Mai 2006 kommt die Beklagte in die zweite Altersstufe. Der Gesamtbedarf im Mangelfall errechnet sich danach wie folgt:

1. Beklagte ( 2. Altersstufe ) 334,00 €

2. Kind aus zweiter Ehe 276,00 €

3. Ehefrau des Klägers 560,00 €

4. Gesamtbedarf 1.170,00 €

II. Verteilungsmasse 769,00 €

III. Mangelquote: 769,00 € / 1.170,00 € = rund 66 %

IV. Unterhaltsanspruch der Beklagten (0,66 x 334,00 € ) rund 221,00 €.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO,

Streitwert:

I. Rückstände

2 * 192,- € + 199,- € = 583,00 €

II. Laufender Unterhalt

9 * 199,00 € = 1.791,00 €

3 * 247,00 € = 741,00 €

III. Gesamtstreitwert 3.115,00 €

Ende der Entscheidung

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