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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 05.09.2006
Aktenzeichen: 4 UF 88/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1603
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 UF 88/06

Anlage zum Protokoll vom 05.09.2006

Verkündet am 05.09.2006

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln als Familiensenat auf die mündliche Verhandlung vom 08.08.2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Schrübbers sowie die Richterin am Oberlandesgericht Bourmer-Schwellenbach und den Richter am Oberlandesgericht Blank

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 06.04.2006 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Bonn - 46 F 159/05 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

Die zulässige - insbesondere frist- und formgerecht eingelegte - Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Familiengericht der Abänderungsklage der Klägerin dahin stattgegeben, dass diese ab Rechtshängigkeit der Abänderungsklage (15.08.2005, Bl. 14 GA) keinen Kindesunterhalt mehr an die Beklagte zu zahlen hat.

Die hiergegen gerichteten Angriffe der Berufung greifen im Ergebnis nicht durch. Die Klägerin ist nämlich unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sie am 13.04.2005 ein weiteres Kind geboren hat und der Vater der Beklagten gemäß § 1603 Abs. 1 BGB leistungsfähig ist, der Beklagten im Hinblick auf ihr, der Klägerin, eigenes Einkommen gemäß § 1603 Abs. 2 S. 3 BGB nicht mehr barunterhaltspflichtig.

Die Klägerin trifft keine gesteigerte Erwerbsobliegenheit gegenüber der minderjährigen Beklagten, obwohl diese beim Kindesvater lebt und von diesem betreut wird.

Die Verpflichtung gemäß § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB, zum Unterhalt minderjähriger unverheirateter Kinder auch Mittel zu verwenden, die der Elternteil für den eigenen angemessenen Unterhalt benötigen würde, tritt nach § 1603 Abs. 2 S. 3 BGB nicht ein, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist. Das kann auch der andere Elternteil sein, sofern er gemäß § 1603 Abs. 1 BGB leistungsfähig ist. Zwar erfüllt der Elternteil, der - wie hier der Vater der Beklagten - minderjährige Kinder betreut, durch deren Pflege und Erziehung seine Unterhaltspflicht regelmäßig in vollem Umfang (§ 1606 Abs. 3 S. 2 BGB), und er ist, wenn er über eigenes Einkommen verfügt, daneben grundsätzlich nicht zum Barunterhalt verpflichtet. Hat indessen der andere Elternteil nur wesentlich geringere Einkünfte, so dass seine Inanspruchnahme zu einem erheblichen finanziellen Ungleichgewicht zwischen den Eltern führen würde, kann eine andere Regelung in Betracht kommen (so BGH FamRZ 1991, 182 m. w. N.). Unter diesem Gesichtspunkt entfällt vorliegend eine Unterhaltspflicht der Klägerin, da der Vater der Beklagten neben deren Pflege und Erziehung auch deren Barbedarf ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts tragen kann.

Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass die Klägerin nach der Geburt ihres weiteren Kindes keine Erwerbsobliegenheit trifft. Denn grundsätzlich trifft die Kindesmutter während des Bezuges von Erziehungsgeld keine Erwerbsobliegenheit. Das gilt auch gegenüber anderen gleichrangig unterhaltsberechtigten minderjährigen Kindern aus einer früheren Verbindung dann, wenn die Rollenwahl in einer neuen Beziehung, in der die Mutter weit gehend Hausfrau ist und die Erziehung und Betreuung des Kindes übernommen hat, unterhaltsrechtlich hinzunehmen ist. Dabei ist in jedem Fall der notwendige Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen zu wahren (vgl. BGH FamRZ 2006, 1010).

Die Klägerin darf das von ihr bezogene Erziehungsgeld vorrangig zur Deckung ihres eigenen notwendigen Selbstbehaltes verwenden. Das Erziehungsgeld hat keine Lohnersatzfunktion, sondern wird auch an Eltern gezahlt, die zuvor nicht erwerbstätig waren. Somit dient es sozialpolitischen Zielen und soll zugleich einen finanziellen Anreiz für die Kindererziehung schaffen. Lediglich in besonderen Ausnahmefällen, wie z. B. im Rahmen der gesteigerten Unterhaltspflicht gegenüber Minderjährigen oder ihnen nach § 1603 Abs. 2 gleichgestellten Kindern, ist das Erziehungsgeld als Einkommen des Unterhaltspflichtigen zu berücksichtigen. Diese unterhaltsrechtliche Berücksichtigung der Einkünfte aus Erziehungsgeld ändert aber nichts daran, dass die Einkünfte dem Elternteil zur Verfügung stehen, um ihm die Pflege und Erziehung des Kindes zu ermöglichen (so BGH, a. a. O., m. w. N.).

Kann aber das Erziehungsgeld vorrangig zur Deckung des notwendigen eigenen Selbstbehaltes verwendet werden, entfällt eine Unterhaltspflicht des an sich barunterhaltspflichtigen Elternteils, soweit dieser infolge seiner Unterhaltsleistungen selbst sozialhilfebedürftig würde. Die finanzielle Leistungsfähigkeit endet dort, wo der Unterhaltspflichtige nicht mehr in der Lage ist, seine eigene Existenz zu sichern.

Auch unter Berücksichtigung ihres Erziehungsgeldes sowie ihres Unterhaltsanspruchs nach § 1615 l BGB gegen den Vater ihres jüngsten Kindes (Lebensgefährte der Klägerin) und ihrer Einkünfte aus einer Nebentätigkeit ist die Klägerin nicht leistungsfähig.

Ein fiktives Einkommen aus einer weiteren teilzeitigen oder gar vollzeitigen Erwerbstätigkeit kann der Beklagten nicht zugerechnet werden. Die Rollenwahl als Hausfrau und Mutter in der neuen Beziehung ist unterhaltsrechtlich nicht zu beanstanden. Deswegen ist sie an einer ( vollschichtigen ) Erwerbstätigkeit gehindert.

Der Senat ist zunächst der Auffassung, dass die Klägerin einer neu verheirateten Mutter gleich zu stellen ist. Dies folgt bereits aus dem Gesichtspunkt, dass der Bundesgerichtshof in seiner neueren Rechtsprechung Unterhaltsansprüche der Kindesmutter gegen eheliche und nichteheliche Väter weitgehend gleichgestellt hat. Dies resultiert aus dem Grundsatz, dass eheliche und nichteheliche Kinder weit gehend gleich zu behandeln sind. Dieser Gleichbehandlungsgrundsatz erfordert im Interesse des Kindeswohls auch eine weit gehende unterhaltsrechtliche Gleichstellung von ehelicher und nichtehelicher Mutter.

Unter Berücksichtigung der Grundgedanken, die der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 12. April 2006 - XII ZR 31/04 - (FamRZ 2006, a. a. O.) entwickelt hat, ist auch im Falle des Bestehens einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft davon auszugehen, dass zwar eine unterhaltsrechtliche Verpflichtung zur Aufnahme einer zumutbaren Erwerbstätigkeit gegenüber minderjährigen unverheirateten Kindern nicht ohne Weiteres dadurch entfällt, dass der Unterhaltspflichtige eine neue Verbindung eingegangen ist und darin im Einvernehmen mit seinem Partner allein die Haushaltsführung übernommen hat. Jedoch können die neuen Partner - auch wenn § 1356 Abs. 1 BGB nicht einschlägig ist - die Haushaltsführung im gegenseitigen Einvernehmen regeln und sie einem von ihnen allein überlassen. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass sich der unterhaltspflichtige Ehegatte nicht ohne Weiteres auf die Sorge für die Mitglieder der neuen Beziehung beschränken darf. Denn zu beachten ist, dass die Unterhaltsansprüche der minderjährigen unverheirateten Kinder aus den verschiedenen Beziehungen gleichrangig sind und der Unterhaltspflichtige seine Arbeitskraft zum Unterhalt aller Kinder einsetzen muss. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Mutter - wie hier die Klägerin - dem Grunde nach barunterhaltspflichtig gegenüber ihrem Kind aus der alten Beziehung - hier der Beklagten - ist und in der neuen Beziehung die Kindererziehung übernommen hat. Dabei müssen die Kinder aus der Ehe eine Einbuße ihrer Unterhaltsansprüche nur dann hinnehmen, wenn das Interesse des Unterhaltspflichtigen an der Aufgabenverteilung in der neuen Beziehung ihr eigenes Interesse an der Beibehaltung ihrer bisherigen Unterhaltssicherung deutlich überwiegt (vgl. BGH a. a. O.).

Dies ist vorliegend der Fall. Die Klägerin war auch während des Bestehens ihrer früheren Ehe nicht vollzeiterwerbstätig. Vielmehr hat stets der Vater der Beklagten hauptsächlich zum Erwerbseinkommen der Familie beigetragen. Die Klägerin hatte nur hinzuverdient. Von daher liegt mit der Wahl der Beklagten, betreuende Mutter und Hausfrau zu sein, kein echter Rollentausch vor. Vielmehr hat die Klägerin auch in der neuen Beziehung die eheprägende Rollenverteilung aufrecht erhalten. Lediglich in geringfügigem Maße verdient sie im Umfang ihrer Möglichkeiten hinzu. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass die Klägerin, würde sie ihr neues Kind allein erziehen, ebenfalls keiner Erwerbstätigkeit nachzugehen brauchte. Auch in diesem Fall hätte sie sich mit dem Erziehungsgeld und ihrem Unterhaltsanspruch gegenüber dem nichtehelichen Vater begnügen und die Beklagte hierauf verweisen dürfen. Von entscheidender Bedeutung ist, dass grundsätzlich das Einkommen der Klägerin immer nur geringfügig zur Bedarfsdeckung der Familie beigetragen hatte. Nach Auffassung des Senates kann es aus unterhaltsrechtlicher Sicht keinen Unterschied machen, wenn die Klägerin nunmehr mit dem nichtehelichen Vater ihres weiteren Kindes eine Lebensgemeinschaft eingegangen ist, statt alleine zu wohnen oder ihn zu heiraten. Der Umfang ihrer Erwerbsobliegenheit wird von dieser Wahl nicht berührt.

Ist aber die Klägerin nicht zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit verpflichtet, entfällt bei einer Gegenüberstellung der beiderseitigen Einkommensverhältnisse des Vaters der Beklagten und ihres eigenen Einkommens eine Unterhaltspflicht der Klägerin.

Auf der Grundlage der somit von der Beklagten unterhaltsrechtlich hin zu nehmenden Rollenwahl in der neuen Beziehung - der nichteheliche Vater verdient deutlich mehr als die Klägerin verdienen könnte - sind ihr auch keine fiktiven Einkünfte zurechenbar.

Danach ergeben sich folgende Einkommensverhältnisse auf Seiten der Klägerin:

I. Einkommen der Klägerin

1. Unterhaltsanspruch der Klägerin nach § 1615 l BGB

Der Unterhaltsanspruch der Klägerin gegenüber dem nichtehelichen Vater ihres weiteren Kindes beläuft sich auf 112,50 €.

Dieser Unterhaltsanspruch ergibt sich daraus, a. dass nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme zu seiner Überzeugung feststeht, dass der nichteheliche Vater und Lebensgefährte der Klägerin über ein Nettoeinkommen von 1.400,00 € verfügt.

b. Aus einer Nebentätigkeit erhält er gemäß seiner Aussage weitere 100,00 €, so dass ihm

c. insgesamt 1.500,00 € zur Verfügung stehen.

d. Darüber hinaus wohnt der Lebensgefährte gemeinsam mit der Klägerin mietfrei. Ihm ist aufgrund des Zuschnitts der Wohnung ein hälftiger Wohnvorteil in Höhe von 375,00 € einkommenserhöhend zuzurechnen, so dass sich sein Einkommen insgesamt auf 1.875,00 € beläuft.

e. Hiervon abzuziehen sind Unterhaltsleistungen in Höhe von insgesamt 400,00 € monatlich, die der Lebensgefährte der Klägerin entsprechend seiner Aussage vor dem Senat an seine geschiedene Ehefrau sowie die aus der geschiedenen Ehe hervorgegangene vierzehnjährige Tochter zahlt. Es verbleiben somit 1.475,00 €.

f. Dieses Nettoeinkommen ist nochmals um berufsbedingte Fahrtkosten in Höhe von 250,00 € monatlich zu mindern, die der Lebensgefährte der Klägerin glaubhaft vor dem Senat dargestellt hat.

g. Für Unterhaltszwecke verbleibt damit ein Einkommen von 1.225,00 €. h. Dem Lebensgefährten der Klägerin ist ein Selbstbehalt in Höhe von 1.000,00 € zu belassen ( vgl. BGH FamRZ 2005, 354 ff. und 357 f. ).

i. Damit verbleibt - wie oben angegeben - für die Klägerin und das nichteheliche Kind des Lebensgefährten der Klägerin ein Unterhaltsbetrag von jeweils 112,50 €, nämlich ( 1.225,00 € - 1.000,00 € ) / 2.

2. Hinzuzurechnen ist das Erziehungsgeld der Klägerin in Höhe von 300,00 €.

3. Des Weiteren erzielt die Klägerin Einkünfte aus einer Nebentätigkeit im Monatsdurchschnitt von 100,00 €.

4. Schließlich ist der Klägerin noch ein hälftiger Wohnvorteil zuzurechnen in Höhe von 375,00 €.

5. Das verfügbare Gesamteinkommen der Klägerin beläuft sich somit auf 888,00 €.

Unter Berücksichtigung des notwendigen Selbstbehaltes von 770,00 € verbleiben der Klägerin damit maximal 118,00€, die für den Kindesunterhalt zur Verfügung stehen. Der Senat sieht davon ab, den Mindestselbstbehalt wegen des Bestehens einer sozio-ökonomischen Gemeinschaft mit dem neuen Lebensgefährten der Klägerin herabzusetzen, da dies dadurch kompensiert wird, dass die Klägerin einer ( überobligatorischen ) Teilerwerbstätigkeit nachgeht.

II. Gegen dieses relativ geringfügige Einkommen der Klägerin steht das verfügbare Einkommen des Vaters der Beklagten, welches sich nach Abzug aller Belastungen einschließlich der zu zahlenden Kindesunterhalte auf bereinigte ( rd. ) 1.782,00 € beläuft. Dieses bereinigte Einkommen errechnet sich wie folgt:

1. Nettoeinkommen des Vaters der Beklagten 2.082,00 €

2. Abzüglich berufsbedingter Fahrtkosten 242,00 €

3. zuzüglich Nettowohnvorteil wie im Verhandlungstermin erörtert 500,00 €

4. Mieteinnahmen gemäß Seite 2 des Schriftsatzes vom 26.01.06 und Anlage 2 hierzu 250,00 €

5. Gesamteinkommen des Vaters der Beklagten 2.590,00 €

6. Aufgrund dieser Einkommensverhältnisse schuldet der Vater der Beklagten für seine weiteren zwei Kinder gemäß der 8. Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle folgenden Barunterhalt:: 437,00 € + 371,00 € = 808,00 €

7. Resteinkommen des Vaters der Beklagten 1.782,00 €

Damit verbleibt diesem mehr als doppelt soviel Einkommen als der Klägerin, so dass die Voraussetzungen des § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB gegeben sind.

8. Auch unter Berücksichtigung des für die Beklagte aufzubringenden Barunterhalts von 437,00 € verbleiben dem Vater der Beklagten noch 1.345,00 € und damit deutlich mehr als der ihm zu belassende angemessene Selbstbehalt von 1.100,00 €.

Dies rechtfertigt es nach Auffassung des Senates, dem Vater der Beklagten gemäß § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB die volle Barunterhaltslast auch bezüglich der Beklagten aufzuerlegen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist begründet aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens beläuft sich auf 12 x 284,00 € = 3.408,00 €.

Ende der Entscheidung

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