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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 29.12.2005
Aktenzeichen: 40 HEs 38/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 121
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

40 HEs 37/05 40 HEs 38/05 40 HEs 39/05 40 HEs 40/05 40 HEs 41/05

In der Strafsache

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln im Haftprüfungsverfahren gemäß §§ 121, 122 StPO durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Doleisch von Dolsperg sowie die Richter am Oberlandesgericht Scheiter und Dr. Schmidt

am 29.12.2005

beschlossen:

Tenor:

Die Fortdauer der Untersuchungshaft über 6 Monate hinaus wird mit der Maßgabe angeordnet, dass

- der Haftbefehl gegen den Angeklagten P. nicht mehr auf Fall 15 der Anklage gestützt wird und es sich um insgesamt 28 Fälle handelt

- gegen den Angeklagten J. dringender Tatverdacht der Steuerhehlerei (nur) in 26 Fällen besteht, wobei es sich bei dem letzten Fall um Fall 39 der Anklage handelt.

Die weitere Haftprüfung wird für die Dauer von drei Monaten dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:

I.

Die am 30.05.2005 festgenommenen Angeklagten befinden sich derzeit aufgrund folgender Haftbefehle in Untersuchungshaft:

- die Angeklagten P. und J. auf Grund des Haftbefehls des Amtsgerichts Aachen vom 27.05.2005 (41 Gs 2014/05 b),

- die Angeklagten K. und S. auf Grund der Haftbefehle des Amtsgerichts Aachen vom selben Tage (41 Gs 2140/05 e) und f))

- und der Angeklagte B. aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Aachen vom 05.08.2005 (41 Gs 2966/05 ), durch den der Haftbefehl des Amtsgerichts Aachen vom 31.05.2005 (41 Gs 2140/05 h)) ersetzt wurde.

Durch Beschluss der 1. großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Aachen vom 10.11.2005 - 86 KLs 28/05 - sind die o.a. Haftbefehle des Amtsgerichts Aachen aufgehoben und durch den Haftbefehl der Kammer vom selben Tage ersetzt worden.

Darin wird den Angeklagten P. und J. gewerbsmäßige Steuerhehlerei, den Angeschuldigten K., S. und B. gewerbsmäßige Steuerhinterziehung zur Last gelegt, Verbrechen und Vergehen strafbar gemäß §§ 369, 370 Abs. 1 Nr. 2, 370a Nr. 1, 372, 373, 374 AO, 25 Abs. 2, 53, 74 StGB.

Die Staatsanwaltschaft Aachen hat deswegen unter dem 31.08.2005 Anklage erhoben. Hinsichtlich der Tatvorwürfe im Einzelnen wird auf die Anklageschrift sowie auf den Haftbefehl vom 10.11.2005 Bezug genommen. Die Anklage wurde mit Beschluss vom 22.12.2005 zur Hauptverhandlung zugelassen, die zugleich auf den 03.02.2006 und weitere Tage terminiert wurde.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Akten dem Senat mit dem Antrag vorgelegt, die Fortdauer der Untersuchungshaft anzuordnen.

II.

Gemäß §§ 121, 122 StPO ist die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus anzuordnen.

1.

Die allgemeinen Haftvoraussetzungen (§§ 112 ff StPO) liegen vor.

a)

Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus den in der Anklageschrift benannten Beweismitteln. Lediglich bezüglich des Angeklagten P. ist weder aus dem Haftbefehl, noch aus der Anklageschrift oder dem Schlussbericht der Zollfahndung eine Tatbeteiligung im Fall 15 der Anklage zu entnehmen. Es wird hier jeweils nur auf den Angeklagten J. abgestellt.

Darüber hinaus dürfte die Zahl der im Haftbefehl den Angeklagten P. und J. angelasteten Fälle auf einem Versehen beruhen. Es ergeben sich für den Angeklagten P. - unter Berücksichtigung des fehlenden dringenden Tatverdachts in Fall 15 der Anklage - lediglich 28 und für den Angeklagten J. lediglich 26 Fälle.

Soweit der Angeklagte B. meint, dass gegen ihn ein dringender Tatverdacht nicht bestehe, kann dem nicht gefolgt werden. In der Gesamtschau ergibt sich gerade auch im Hinblick auf die ersten beiden ihm vorgeworfenen Fälle aus den gegen ihn bestehenden Indizien - Zuordnung einer abgehörten Handy-Nummer, Wiedererkennen seiner Stimme durch den Dolmetscher - ein dringender Tatverdacht im Sinne des § 112 Abs. 1 StPO. Diese objektiven Indizien wiegen nach derzeitiger Einschätzung so schwer, dass der dringende Tatverdacht auch durch die eidesstattlichen Versicherungen von Familienmitgliedern bzw. Bekannten, er sei in der fraglichen Zeit in Polen gewesen, nicht erschüttert wird; ob diesen Angaben Glauben geschenkt werden kann, kann erst das Tatgericht bei persönlicher Würdigung im Zusammenhang mit allen weiteren Beweismitteln entscheiden. Seine Einlassung im Hinblick auf den dritten Fall, er habe nicht gewusst, dass man - wohlgemerkt mit seinem Auto - nach Elsdorf fahre, er selbst habe lediglich Autos in Hannover (im Rahmen einer vorherigen Anhörung gab er hier abweichend Aachen an) kaufen wollen, ist nach allgemeiner Lebenserfahrung als reine Schutzbehauptung zu werten. Gleiches gilt für die Einlassung, das bei ihm im Rahmen der anschließenden Festnahme gefundene Handy, das mit einigen der Taten in Verbindung gebracht werden konnte, gehöre nicht ihm, sondern er habe es lediglich an sich genommen, als er in Elsdorf das Auto aufräumen wollte.

b)

Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr, im Hinblick auf den Angeklagten P. zusätzlich der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr. Insofern wird auf die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft Bezug genommen, die den Angeklagten und ihren Verteidigern mitgeteilt worden sind. Die Voraussetzungen des § 116 StPO für eine Haftverschonung liegen nicht vor.

c)

Im Hinblick auf die Schwere des Tatvorwurfs erweist sich die Untersuchungshaft als verhältnismäßig.

2.

Auch die besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor. Das Beschleunigungsgebot wurde nicht verletzt. Nach Abschluss der umfangreichen Ermittlungen Mitte August 2005 erhob die Staatsanwaltschaft noch unter dem 31.08.2005 Anklage, deren Zustellung an die Angeklagten - nach teilweiser Fertigung von Übersetzungen - im September bzw. Oktober 2005 durch das Landgericht erfolgte.

Entgegen der vom Verteidiger des Angeklagten P. vertretenen Auffassung ist es auch nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer erst am 22.12.2005 über die Zulassung der Anklage und den Termin zur Hauptverhandlung entschieden hat. Vor dieser Entscheidung musste die Kammer sich zunächst in das sehr umfangreiche Verfahren mit einer Vielzahl von Einzeltaten und wechselseitigen Verknüpfungen einarbeiten. Dies erforderte ohne weiteres die Zeit bis zum Erlass des abgeänderten Haftbefehls.

Die am 22.12.2005 erfolgte Terminierung dieser umfangreichen Sache auf Anfang Februar 2006, nach der Verhandlung einer Parallelsache, ist auch unter Berücksichtigung des in Haftsachen geltenden Beschleunigungsgebotes nicht zu beanstanden. Es war dem Landgericht weder möglich, noch war es erforderlich, den Termin früher zu bestimmen. Die Angeklagten haben aufgrund des besonderen Beschleunigungsgebotes in Haftsachen einen Anspruch darauf, dass die Hauptverhandlung möglichst bald durchgeführt wird. Insoweit hat sogar das Bundesverfassungsgericht unlängst im Regelfall einen Zeitraum von längsten drei Monaten zwischen der Eröffnungsentscheidung und dem Beginn der Hauptverhandlung als dem Beschleunigungsgebot noch entsprechend bezeichnet (Beschluss vom 05.12.2005 - 2 BvR 1964/05, Rdnr. 75). Diese Frist ist selbst dann eingehalten, wenn man nicht auf die tatsächlich erst am 22.12.2005 erfolgte Zulassung der Anklage, sondern bereits auf den Zeitpunkt des Erlasses des Haftbefehls abstellt. Die Angeklagten haben jedoch keinen Anspruch darauf, dass das Gericht zu einem besonders frühen Zeitpunkt die Termine zur Hauptverhandlung bestimmt, damit ihre Verteidiger eventuelle Terminskollisionen verhindern können. Das würde zu dem mit einer geordneten Strafrechtspflege nicht zu vereinbarenden Ergebnis führen, dass kurzfristig freiwerdende Termine nicht mehr aufgefüllt werden könnten, weil diese den Verteidigern nicht langfristig genug vorher mitgeteilt werden konnten.

Eine enger zusammenhängende Terminierung, die wünschenswert gewesen wäre, ist nach den Darlegungen des Kammervorsitzenden in dem der Terminierung vorausgehenden Vermerk allein an der Verhinderung von Verteidigern gescheitert. Im Hinblick auf das berechtigte Interesse der Angeklagten, in der Hauptverhandlung von ihren bisherigen Verteidigern vertreten zu werden, war es noch vertretbar, diesem Umstand durch eine etwas weiträumigere Terminierung Rechnung zu tragen. Es wäre jedoch - anders als der Verteidiger des Angeklagten P. meint - verfehlt, bei der Terminierung jede Verhinderung eines Verteidigers zu berücksichtigen. Dies hätte ausweislich der vom Kammervorsitzenden gefertigten Terminsübersicht dazu geführt, dass bis Ostern (16.04.2006) nur an vier Tagen (06. und 13.02, 13.03 sowie 03.04.2006) hätte verhandelt werden können, obwohl die Kammer an einer Vielzahl weiterer Tage zur Verhandlung in der Lage ist. Das Recht des Angeklagten, in der Hauptverhandlung von dem Verteidiger seines Vertrauens vertreten zu werden, kollidiert insoweit mit seinem Recht, dass der Vollzug der Untersuchungshaft nicht länger als unbedingt nötig andauert. Dieser Konflikt lässt sich nach Auffassung des Senats nur dadurch auflösen, dass die Terminslage der Verteidiger nur insoweit berücksichtigt wird, wie dies nicht zu einer erheblichen Verzögerung des Verfahrens führt. Die Alternative, den Beginn der Hauptverhandlung so weit hinauszuschieben, bis die Verteidiger uneingeschränkt zur Verfügung stehen, ist mit dem Beschleunigungsgebot ersichtlich nicht vereinbar (so bereits OLG Köln, Beschluss vom 30. Oktober 1990 - HEs 146/90 (227 - 232/90) -, MDR 1991, 662 = NStE Nr 23 zu § 121 StPO). Es würde zu der absurden Konsequenz führen, dass Angeklagte aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssten, weil die von ihnen gewählten Verteidiger keine Zeit für die Hauptverhandlung haben.

III.

Die Übertragung der Haftprüfung auf das nach den allgemeinen Vorschriften zuständige Gericht beruht auf § 122 Abs. 3 S. 3 StPO.

Ende der Entscheidung

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