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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 14.01.2008
Aktenzeichen: 5 U 119/07
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 167
BGB § 280
BGB § 278
ZPO § 301 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten zu 2) und 3) wird das Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 02.05.2007 - 25 O 250/03 - teilweise dahingehend abgeändert, dass die Klage gegen die Beklagten zu 2) und 3) abgewiesen wird.

Die Berufung der Kläger zu 1. bis 3. wird zurückgewiesen, soweit mit ihr eine Abänderung des vorbezeichneten Urteils zum Nachteil der Beklagten zu 2. und 3. erstrebt wird.

Die Kläger haben die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) und 3) zu tragen. Im Übrigen bleibt die Kostenentscheidung dem Endurteil vorbehalten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Klägern bleibt vorbehalten, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten zu 2) und 3) vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin ist die Ehefrau, die Kläger zu 2. und 3. sind die Söhne des am 22.11.2000 verstorbenen C E. Die Kläger machen gegen die Beklagten zu 1. und 3. Schadensersatzansprüche wegen des Todes, des Herrn E geltend, den sie auf deren fehlerhafte ärztliche Behandlung zurückführen.

Der Verstorbene litt in der Nacht zum 06.08.2000 nach vorherigem Genuss von gegrilltem Fleisch, vier Flaschen Bier und einem Schnaps unter starken Schmerzen im Oberkörper. Die Klägerin versuchte deshalb am Morgen des 06.08.2000 gegen 3.13 Uhr den Beklagten zu 2), der mit dem Beklagten zu 3) in einer Gemeinschaftspraxis niedergelassen ist, als Hausarzt des Patienten telefonisch zu erreichen. Durch den Anruf wurde in der Praxis eine automatische Beantwortung ausgelöst, durch die sie an den Notdienstarzt des Evangelischen Krankenhauses L-M verwiesen wurde. Den Notdienst verrichtete dort in dieser Nacht der Beklagte zu 1), den die Klägerin daraufhin anrief und um einen Hausbesuch bat. Der Beklagte zu 1) traf sodann gegen 3.50 Uhr in der Wohnung der Familie ein und untersuchte den Patienten, wobei er seine Untersuchung auf einem sogenannten Leistungsblatt dokumentierte, das später auch die Grundlage der Abrechnung der Leistungen durch die Beklagten zu 2) und 3) gegenüber der Kasse bildete. Nach einem möglichen Nikotinabusus des Patienten erkundigte sich der Beklagte zu 1) unstreitig nicht, ebenso wenig nach einer familiären Disposition für Herzkrankheiten; tatsächlich war der Patient Raucher und sein Vater hatte kurze Zeit zuvor einen Vorderwandinfarkt erlitten. Streitig unter den Parteien ist, ob der Patient auch über weitere als vom Beklagten zu 1) dokumentierte Beschwerden klagte. Jedenfalls diagnostizierte der Beklagte zu 1) eine Gastroenteritis und verabreichte zwei Milliliter MCP und zwei Millimeter Buscopan, woraufhin sich der Zustand des Patienten zunächst besserte. Ferner dokumentierte er die Anweisung, dass der Patient sich am nächsten Morgen ärztlich untersuchen lassen sollte. Da die Beschwerden zunächst nachließen, konnte der Patient schlafen und wachte am Morgen gegen 10.00 Uhr auf. Er stand sodann auf, frühstückte und spielte mit seinen Kindern. Gegen 13.30 Uhr legte er sich auf die Couch im Wohnzimmer, wo gegen 14.00 Uhr die Klägerin zu 1) ein lautes Stöhnen wahrnahm und feststellte, dass ihr Ehemann den Kopf bewegte, aber nicht mehr ansprechbar war. Der Patient wurde daraufhin im Rettungswagen ins Krankenhaus N gebracht, wo er bewusstlos auf der Intensivstation aufgenommen wurde. Dort wurde ein schwerer Hinter- und Vorderwandinfarkt diagnostiziert. Am 22.09.2000 wurde der Patient in die Abteilung Reha-Noval des Krankenhauses N verlegt, wo er am 22.11.2000 verstarb, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.

Die Kläger halten die Behandlung des Patienten für fehlerhaft, weil eine unzureichende Anamnese erhoben und infolge dessen eine Fehldiagnose getroffen worden sei; insbesondere sei fehlerhaft keine anamnestische Ausschlussdiagnostik betrieben worden. Tatsächlich habe der Patient selbst auf typische Beschwerden eines Infarktes hingewiesen, nämlich Schmerzen im Brustkorb mit Ausstrahlung in die Kieferregion. Entgegen der Dokumentation sei nach solchen Beschwerden vom Beklagten zu 1) nicht gefragt worden. Auch eine Untersuchung für den nächsten Morgen sei nicht empfohlen worden. Tatsächlich hätte der Patient sofort stationär eingewiesen und dort kardiologische überwacht und behandelt werden müssen. Dann hätte der Patient überlebt.

Die Kläger haben die Ansicht vertreten, auch die Beklagten zu 2) und 3) hafteten für das Fehlverhalten des Beklagten zu 1), weil der Beklagte zu 1) den Notdienst für die Beklagten zu 2) und 3) verrichtet habe, was auch daraus folge, dass diese die Leistung des Beklagten abgerechnet hätten. Die Kläger haben beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 40.000,- € nebst 8 % Zinsen seit dem 01.05.2002,

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) weitere 9.862,66 € nebst 8 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, den Klägern sämtliche weiteren materiellen Schäden, die ihnen aus der fehlerhaften Behandlung entstanden sind, derzeit entstehen und in Zukunft entstehen werden zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie haben Behandlungsfehler verneint, wobei die Beklagten zu 2) und 3) zusätzlich darauf hingewiesen haben, der Beklagte zu 1) sei nicht als ihr Vertreter tätig geworden.

Durch Urteil vom 02.05.2007, auf das wegen aller Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, ein Schmerzensgeld in Höhe von 7.500,00 € nebst Zinsen zu zahlen sowie ferner weiteren materiellen Schaden; ferner hat es der Feststellungsklage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Beklagte zu 1) hafte jedenfalls unter dem Gesichtspunkt einer zumindest unvollständigen Befunderhebung mit daraus resultierender Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Schadensursächlichkeit. Angesichts der nur kurzen Leidenszeit des Patienten sei jedoch ein Schmerzensgeld in Höhe von 7.500,00 € angemessen. Der Befunderhebungsmangel bestehe darin, dass der Beklagte zu 1) unstreitig nicht danach gefragt habe, ob der Patient Raucher sei und ob familiäre Vorbelastungen in kardialer Hinsicht bestünden. Die Haftung der Beklagten zu 2) und 3) für das Fehlverhalten des Beklagten zu 1) folge aus §§ 280, 278 BGB, weil zwischen ihnen und dem Patienten eine vertragliche Verbindung zustande gekommen sei.

Gegen dieses Urteil haben die Beklagten Berufung eingelegt, mit der sie die Klageabweisung erstreben. Auch die Kläger haben Berufung eingelegt, mit der sie ein höheres Schmerzensgeld und weitere materielle Schäden geltend machen.

Der Beklagte zu 1) vertritt nach wie vor die Ansicht, es liege kein Befunderhebungsfehler vor; vielmehr habe er ausweislich des Leistungsblattes die mögliche kardiale Problematik ausreichend abgeklärt und im Übrigen die Anweisung erteilt, am nächsten Tag den Hausarzt aufzusuchen bzw. ihn bei auftretenden Beschwerden noch einmal telefonisch zu kontaktieren.

Die Beklagten zu 2) und 3) vertreten die Ansicht, eine vertragliche oder deliktische Haftung komme nicht in Betracht, da unter keinem denkbaren Gesichtspunkt der Beklagte zu 1) im Rahmen des Bereitschaftsdienstes als ihr Vertreter oder Verrichtungsgehilfe tätig geworden sei und auch der Patient hiervon nicht habe ausgehen können bzw. ausgegangen sei. Im Übrigen vertreten sie die Ansicht, dem Beklagten zu 1) sei auch kein Befunderhebungsfehler oder sonstiger Behandlungsfehler anzulasten.

Wegen aller Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Parteien, wegen der Anträge wird auf das Sitzungsprotokoll vom 5.12.07 verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten zu 2. und 3. ist auch in der Sache gerechtfertigt. Das Landgericht hat diese Beklagten zu Unrecht verurteilt, denn den Klägern stehen insoweit keine Schadensersatzansprüche zu. Da es sich dabei um selbständige prozessuale Ansprüche handelt, die endentscheidungsreif sind, und nicht die Gefahr besteht, dass die Entscheidung hierüber im Widerspruch zur Schlussentscheidung ( Ansprüche gegen den Beklagten zu 1. ) stehen könnte, hat der Senat über die Berufung der Beklagten zu 2. und 3. gemäß § 301 Abs. 1 ZPO durch Teilurteil zu befinden.

1.

Die Kläger können ihre Ansprüche gegen die Beklagten zu 2. und 3. nicht mit Erfolg auf eine Verletzung vertraglich übernommener Behandlungspflichten stützen ( §§ 611, 280 BGB ), wobei offen bleiben kann, ob es sich um eine persönliche Verpflichtung oder um eine Akzessorietätshaftung für eine Schuld der Gesellschaft ( Gemeinschaftspraxis ) handeln würde. Es kann nicht festgestellt werden, dass zwischen dem verstorbenen Patienten E einerseits und den Beklagten zu 2. und 3. oder der von ihnen betriebenen Gesellschaft bürgerlichen Rechts andererseits ein Behandlungsvertrag zustande gekommen ist.

Es mag sein, dass die Klägerin durch ihren Anruf am Morgen des 6. 8. 2000 als Vertreterin des Patienten ( §§ 164, 167 BGGB ) den Beklagten zu 2. und / oder 3. oder der Gesellschaft ein Angebot auf Abschluss eines Behandlungsvertrags unterbreitet hat; ein solches Angebot ist von den Beklagten indessen nicht angenommen worden, und zwar weder konkludent durch persönliche Aufnahme der Behandlung noch ausdrücklich durch Erklärung eines entsprechenden Willens. Sie haben vielmehr die Anrufende mittels automatischen Anrufbeantworters ausdrücklich an einen bestimmten anderweitigen ärztlichen Notdienst verwiesen, der dann auch in der Person des Beklagten zu 1. die Behandlung übernommen hat. Damit haben sie klar zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht in eine vertragliche Behandlungsbeziehung zum Anrufer treten wollten.

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass die Beklagten zu 2. und 3. für den betreffenden Tag als ärztlicher Notfalldienst eingeteilt waren. Die Einteilung zum Notfalldienst beruht auf einer dem öffentlichem Recht zuzuordnenden Notfalldienstordnung der Ärztekammer Nordrhein und der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein und begründet zu Lasten des Arztes eine öffentlich-rechtliche Pflicht. Die bloße Einteilung führt aber noch nicht schon zu einem zivilrechtlichen Vertrag mit jedwedem anrufenden und um Behandlung nachsuchenden Patienten. Es muss dem eingeteilten Arzt überlassen bleiben, ob und mit wem er im Rahmen des Notdienstes einen Behandlungsvertrag schließt, was nicht ausschließt, dass er sich im Einzelfall schadensersatzpflichtig machen kann, wenn er eine Behandlung unberechtigt ablehnt oder keine Vorsorge für den Fall einer Nichtwahrnehmung des Notfalldienstes trifft, worum es im Streitfall aber nicht geht.

An diesem Ergebnis ändert sich nichts, wenn - wie im Streitfall - statt des zum Notfalldienst eingeteilten Arztes ein Vertreter im Sinne von § 1 ( 2 ) der Notfalldienstordnung tätig wird. Die Pflicht, einen Vertreter zu stellen ( besser : zu benennen ), ist eine öffentlich-rechtliche Pflicht. In der Erfüllung dieser Pflicht liegt nicht zugleich eine Vollmachtserteilung im Sinne von § 167 BGB an den Vertreter, mit Wirkung für den eingeteilten Arzt Behandlungsverträge zu schließen. Dafür gibt es keine zureichenden Anhaltspunkte. Dass sich der einen Vertreter benennende Arzt zu vergewissern hat, dass die persönlichen und fachlichen Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Vertretung in der Person des Vertreters erfüllt sind ( § 1 ( 3 ) der Notfalldienstordnung ), gibt für eine zivilrechtliche Vollmachtserteilung ebenso wenig her wie der Umstand, dass dessen Kosten vom eingeteilten Arzt zu tragen sind, wobei jener die Kosten wiederum gegenüber der Kasse abrechnen kann. Zum einen soll sichergestellt werden, dass nur qualifizierte Ärzte tätig werden; zum anderen geht es um die Abrechnungsmodalitäten im Verhältnis zum Kostenträger, die den Patienten ohnehin nicht unmittelbar betreffen ( Sachleistungsprinzip ). Im Übrigen hätte es dieser Regelung gar nicht bedurft, wenn der Begriff des Vertreters im zivilrechtlichen Sinne zu verstehen wäre.

Schließlich ist darauf zu verweisen, dass auch aus der Sicht des Patienten keine andere Betrachtungsweise geboten ist. Jener wird in der Regel gar nicht wissen, dass der im Notfall herbeigerufene Arzt als Vertreter eines anderen eingeteilten Arztes tätig wird, und falls ihm das gesagt wird, besteht für ihn kein Grund zur Annahme, ein Behandlungsvertrag werde mit dem eingeteilten Arzt geschlossen. Letzteres mag anders sein, wenn der Behandler erklärt, er komme für ein Krankenhaus ( § 164 Abs. 1 Satz 1 BGB ). Darum geht es hier aber nicht.

2.

Eine Haftung der Beklagten zu 2. und 3. lässt sich auch nicht deliktisch begründen ( § 831 BGB ). Zwar kann der bei vorübergehender Abwesenheit des Arztes bestellte ärztliche Vertreter oder der Arzt, der anstelle z.B. des Belegarztes absprachegemäß die Geburt betreut, Verrichtungsgehilfe sein ( vgl. BGH NJW 56, 1834; OLG Stuttgart VersR 2002, 235 ). Hier liegt der Fall aber anders, weil der Beklagte zu 1. nicht im zivilrechtlichen Sinne als Vertreter der Beklagten zu 2. und 3. tätig geworden ist, sondern an deren Stelle Kraft öffentlichen Rechts den Notdienst übernommen hat, freilich nicht mit der Folge, dass damit auch das Behandlungsverhältnis hoheitlich zu qualifizieren wäre, wie es bei dem Notfallarzt im Rettungsdiensteinsatz in Nordrhein - Westfalen der Fall ist ( vgl. BGH NJW 2003, 1184 ), denn hier geht es um die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung zu sprechstundenfreien Zeiten durch einen Notfalldienst (vgl. Steffen/ Pauge, Arzthaftungsrecht,10. Aufl., Rz.6a).

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich ohne weiteres, dass die Berufung der Kläger, mit der sie eine über das erstinstanzliche Erkenntnis hinausgehende Verurteilung der Beklagten zu 2) und 3) erstreben, nicht begründet ist, was ebenfalls durch Teilurteil auszusprechen war.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision ( § 543 Abs. 2 ZPO ) liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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