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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 28.04.2008
Aktenzeichen: 5 U 192/07
Rechtsgebiete: BGB, EGBGB


Vorschriften:

BGB § 31
BGB § 288 a.F.
BGB § 288 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 847 a.F.
EGBGB Art. 229 § 1 Abs. 1 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 15. August 2007 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 25 O 326/01 - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen abgeändert.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin einen Schmerzensgeldbetrag von 25.000 € nebst 4 % Zinsen seit dem 1. März 2001 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin jeglichen materiellen sowie künftigen immateriellen Schaden - letzterer, soweit dieser nicht durch den Klageantrag zu 1) erfasst ist - aus der medizinischen Behandlung vom 11. Dezember 1998 vorbehaltlich eines Forderungsübergangs auf Dritte gesamtschuldnerisch zu ersetzen.

Wegen der Zinsmehrforderung wird die Klage abgewiesen

Die Kosten des Rechtsstreits werden den Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Hausarzt der am 27.7.1959 geborenen Klägerin fand bei ihr im Oktober 1998 anlässlich einer sonografischen Untersuchung eine gewebliche Veränderung im hinteren linken Bauchraum. Die computertomografische Untersuchung vom 6.11.1998 ergab eine 8 x 4 cm große retroperitoneale Raumforderung. Die kernspintomografische Untersuchung vom 15.11.1998 bestätigte den Befund einer Raumforderung im Eingang des Beckens links und zeigte eine auffällige Verbindung zum Neuroforamen L4 links.

Die Klägerin wandte sich daraufhin an den Beklagten zu 1), den leitenden Arzt der urologischen Klinik des Krankenhauses der Beklagten zu 2), der nach weiteren Untersuchungen eine chirurgische Exploration sowie gegebenenfalls eine Entfernung des Tumors empfahl. Am 10.12.1998 wurde die Klägerin stationär aufgenommen. Die Einverständniserklärung enthielt die Diagnose "Retroperitonealer Tumor" und führte als Risiken die Verletzung von Nachbarorganen, Blutungen und Infektionen an. Während der am 11.12.1998 vom Beklagten zu 1) durchgeführten Operation stellte sich heraus, dass der Tumor von einer festen Kapsel überzogen war, die vom fächerförmig aufgesplitterten Nervus femoralis bedeckt wurde. Der Beklagte zu 1) setzte die Entfernung des Tumors mit dem Ziel fort, den Nervus femoralis weitgehend zu schonen. Eine neurologische Konsiluntersuchung ergab am 15.12.1998 die Diagnose einer Läsion des Nervus femoralis links. Am 18.12.1998 wurde die Klägerin aus der stationären Behandlung entlassen. In der abschließenden histologischen Untersuchung stellte sich der Tumor als Neurofibrom dar.

Die Klägerin, die seit dem Eingriff in der Bewegungsfähigkeit und Stabilität des linken Beins, vor allem des Knies, beeinträchtigt ist, nimmt die Beklagten auf Schmerzensgeld in Anspruch und begehrt die Feststellung ihrer Ersatzpflicht. Sie hält ein Schmerzensgeld von 50.000 DM (25.565 €) für angemessen. Die Klägerin hat den Beklagten Behandlungsfehler und eine unzureichende Risikoaufklärung vorgeworfen. Vor dem Eingriff sei eine Nadelbiopsie erforderlich gewesen, die, da es sich nicht um einen bösartigen Tumor gehandelt habe, zu der Erkenntnis geführt hätte, dass eine Operation nicht indiziert gewesen sei. Ferner habe der Beklagte zu 1), weil aus den erhobenen Befunden eine Verbindung des Tumors zum Nerven erkennbar gewesen sei, einen Neurochirurgen schon zu Beginn der Operation hinzuziehen müssen. Jedenfalls sei die Hinzuziehung eines Neurochirurgen während der Operation veranlasst gewesen.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst 5 % Jahreszinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 1. März 2001 gesamtschuldnerisch zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin jeglichen materiellen sowie künftigen immateriellen Schaden - letzterer, soweit dieser nicht durch den Antrag zu 1) erfasst ist - aus der medizinischen Fehlbehandlung vom 11. Dezember 1998 vorbehaltlich eines Forderungsübergangs auf Dritte gesamtschuldnerisch zu ersetzen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben Behandlungsfehler bestritten, eine ordnungsgemäße Risikoaufklärung geltend gemacht und sich hilfsweise auf eine hypothetische Einwilligung der Klägerin berufen.

Das Landgericht hat das fachurologische Gutachten von Prof. Dr. B vom 17.5.2005 (Bl. 187 ff. d.A.) und dessen ergänzende Stellungnahme vom 6.2.2006 (Bl. 260 f. d.A.) eingeholt sowie den Sachverständigen angehört (Bl. 299 ff. d.A.). Ferner hat es das neurologische Zusatzgutachten von Dr. L vom 19.9.2003 (Bl. 142 ff. d.A.) eingeholt und die Klägerin persönlich angehört (Bl. 303 d.A.).

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B kein Behandlungsfehler festzustellen sei. Einen echten Entscheidungskonflikt, ob sie die Operation bei zutreffender Aufklärung hätte durchführen lassen, habe die Klägerin nicht plausibel dargelegt.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen Anträge weiter. Sie wiederholt und vertieft zum einen ihr Vorbringen zu den Behandlungsfehlern, die sie den Beklagten vorwirft. Sie habe zum anderen darüber aufgeklärt werden müssen, dass es bei der Operation zu einer Nervenverletzung kommen könne. Sie hätte sich dann nicht am 11.12.1998 von dem Beklagten als Urologen operieren lassen, sondern vorher in jedem Fall noch einen Neurochirurgen aufgesucht.

Die Beklagten treten der Berufung entgegen und verteidigen das angefochtene Urteil. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die Berufung ist, von einem Teil des mit der Klage geltend gemachten Zinsanspruchs abgesehen, begründet.

Die Klägerin kann von den Beklagten gemäß § 847 BGB a.F, §§ 823 Abs. 1, 31 BGB die Zahlung eines Schmerzensgeldbetrags von 25.000 € verlangen. Der Feststellungsantrag ist ebenfalls gerechtfertigt. Die Beklagten haften der Klägerin mangels wirksamer Operationseinwilligung aus dem Gesichtspunkt der eigenmächtigen Behandlung. Ob den behandelnden Ärzten darüber hinaus schadensursächliche Fehler unterlaufen sind, kann dahinstehen.

Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit stellen sich rechtlich als unerlaubte Handlung dar, wenn sie nicht von einer wirksamen Patienteneinwilligung gedeckt sind, die wiederum eine ordnungsgemäße Aufklärung über die mit der Behandlung verbundenen Risiken voraussetzt. Die Aufklärung als Grundlage des Selbstbestimmungsrechts soll dem Patienten aufzeigen, was der Eingriff für seine persönliche Situation bedeuten kann. Der Patient soll Art und Schwere des Eingriffs erkennen und ein allgemeines Bild von Schwere und Richtung des konkreten Risikospektrums gewinnen können (vgl. Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht 10. Aufl. Rdn. 329 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Risiken dürfen nicht dramatisiert, aber auch nicht verharmlost werden. Erforderlich ist eine klare, den konkreten Fall vollständig erfassende Risikobeschreibung.

Die Aufklärung der Klägerin entspricht nicht diesen Anforderungen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B bestand im vorliegenden Fall ein vor dem Eingriff vom 11.12.1998 erkennbares, besonderes Risiko einer Nervenverletzung. Im Rahmen der Kernspintomografie, deren Ergebnisse dem Beklagten zu 1) vorlagen, hatte sich der Verdacht ergeben, dass neurogene Strukturen in den Prozess liefen. In dem Befund ist eine Raumforderung im Eingang des Beckens links mit auffälliger Verbindung zum Neuroforamen L4 links, das heißt zu der Austrittsöffnung eines Nerven aus dem Wirbelkanal, beschrieben. Die demnach gebotene Aufklärung der Klägerin über das besondere Risiko einer Nervenverletzung ist, wie der Beklagte zu 1) in seiner Stellungnahme im Verfahren vor der Gutachterkommission (vgl. S. 6 der Anlage K 4, im Anlagenband) und die Beklagten im Schriftsatz vom 6.10.2005 (Bl. 212 d.A.) eingeräumt haben, nicht erfolgt.

Anders als das Landgericht angenommen hat, können sich die Beklagten nicht mit Erfolg auf eine hypothetische Einwilligung der Klägerin berufen. Es lässt sich nicht annehmen, dass die Klägerin eine wirksame Zustimmung zu dem konkreten, gerade durch den Beklagten zu 1) vorgenommenen Eingriff auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung erteilt hätte. Beruft sich der Arzt auf die hypothetische Einwilligung des Patienten, so kann dieser den ärztlichen Einwand dadurch entkräften, dass er nachvollziehbar geltend macht, er hätte sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung in einem echten Entscheidungskonflikt befunden. Dafür ist vom Patienten kein genauer Vortrag dahin gehend zu verlangen, wie er sich wirklich verhalten hätte. Es reicht aus, wenn er einsichtig macht, dass ihn die Frage nach dem Für und Wider des ärztlichen Eingriffes ernsthaft vor die Entscheidung gestellt hätte, ob er zustimmen soll oder nicht (vgl. BGH VersR 1992, 960, 962; VersR 1994, 1235, 1236).

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Klägerin hat, insbesondere in der persönlichen Anhörung vor dem Landgericht, geltend gemacht, dass sie, sofern sie um das besondere Risiko einer Nervenverletzung gewusst hätte, einen Neurochirurgen aufgesucht und sich durch diesen hätte operieren lassen. Die Klägerin hat weiter erklärt, dass sie sich in Absprache mit ihrem Hausarzt wegen der Lage des Tumors entschlossen habe, den Tumor durch einen Urologen entfernen zu lassen. Sie habe sich für eine Behandlung durch den Beklagten zu 1) entschieden, nachdem sie und ihr Ehemann sich in ihrem Bekanntenkreis, zu dem viele Mediziner zählten, umgehört hätten. Es liegt auf der Hand, dass eine Patientin, die sich nach längerer Prüfung und Überlegung für eine Operation durch einen bestimmten Arzt eines bestimmten Fachgebiets entschieden hatte, einen Eingriff durch einen Arzt einer anderen Fachrichtung ernsthaft erwogen hätte, wenn sie nach der gebotenen Aufklärung gewusst hätte, dass der Eingriff auch in das andere Fachgebiet fiel oder zumindest fallen konnte. Der von den Beklagten im nachgelassenen Schriftsatz vom 7.4.2008 hervorgehobene Umstand, dass der beabsichtigte Eingriff nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B in gleicher Weise den Fachbereich der Urologie wie denjenigen der Neurochirurgie betraf und insoweit ungeachtet des Operateurs gleiche Risiken bestanden, streitet nicht gegen einen Entscheidungskonflikt, sondern verdeutlicht diesen. Den bisherigen Empfehlungen des Hausarztes und aus dem Bekanntenkreis, die maßgeblich zu der Entscheidung der Klägerin für eine Operation durch den Beklagten zu 1) beigetragen hatten, wäre nach der erforderlichen Aufklärung über das Risiko einer Nervenverletzung die Grundlage entzogen gewesen, da sie ersichtlich einen wesentlichen Umstand nicht berücksichtigten. Die Klägerin hätte daher ernsthaft vor der Frage gestanden, ob sie einer Operation durch den Beklagten zu 1) zustimmen soll oder nicht. Dass sie sich nach erneuter Rücksprache mit ihrem Hausarzt und vertrauten Ärzten aus ihrem Bekanntenkreis - wie die Beklagten geltend machen - wiederum für einen Eingriff gerade durch den Beklagten zu 1) entschieden hätte, lässt sich demgegenüber nicht feststellen.

Den ihnen obliegenden Beweis, dass es bei einer Operation durch einen Neurochirurgen zu einem gleichwertigen negativen Verlauf gekommen wäre, haben die Beklagten nicht geführt. Der Sachverständige Prof. Dr. B hat zwar darauf hingewiesen, dass eine Operation durch einen Neurochirurgen gleiche Risiken wie der streitgegenständliche Eingriff gehabt hätte. Er vermochte aber nicht festzustellen, dass eine Operation durch einen Neurochirurgen tatsächlich ebenfalls zu einer Nervenverletzung geführt hätte.

Der Senat hält einen Schmerzensgeldbetrag von 25.000 € zum Ausgleich der von der Klägerin erlittenen immateriellen Schäden für erforderlich und ausreichend. Dabei hat er die im neurologischen Zusatzgutachten von Dr. L festgestellten Schadensfolgen berücksichtigt. Die Klägerin hat danach eine Schädigung des Nervus femoralis auf der linken Seite erlitten. Auch wenn sich die anfangs hochgradig ausgeprägten motorischen und sensiblen Defizite teilweise zurückgebildet haben, bestehen weiterhin und als dauernder Schaden Sensibilitätsausfälle und deutliche Einschränkungen der Hüftbewegung und der Kniestreckung, die sich besonders beim Treppensteigen sowie durch die Instabilität und das plötzliche Überstrecken oder Beugen des Knies auswirken, was durch die von der Klägerin getragene Knieschiene nur teilweise auszugleichen ist. Die durch die Paresen gegebene höhere Belastung des Kniegelenks und des Hüftgelenks führt zu intermittierenden Schmerzen und begründet eine erhöhte Gefahr degenerativer Gelenkveränderungen.

Die Zinsentscheidung beruht auf § 288 BGB a.F.. Höhere Zinsen als 4 % p.a. kann die Klägerin nicht verlangen. Einen entsprechenden Verzugsschaden hat sie nicht dargelegt. Die zum 1.5.2000 in Kraft getretene Fassung des § 288 Abs. 1 BGB, nach der Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins geschuldet werden, ist im Streitfall gemäß Art. 229 § 1 Abs. 1 Satz 3 EGBGB noch nicht anwendbar. Der Schmerzensgeldanspruch der Klägerin war am 1.5.2000 bereits fällig.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 91 Abs. 1, 92 Abs. 2, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die entscheidungserheblichen Fragen sind in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt oder solche des Einzelfalls.

Berufungsstreitwert: 56.243 €

Ende der Entscheidung

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