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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 04.06.2003
Aktenzeichen: 5 U 195/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 97
ZPO § 708 Ziffer 10
ZPO § 711
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 U 195/00

Anlage zum Protokoll vom 04.06.2003

Verkündet am 04.06.2003

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 12.05.2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Rosenberger, den Richter am Oberlandesgericht Mangen und die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Schmitz-Pakebusch

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 13.09.2000 - 25 O 514/97 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger bleibt vorbehalten, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Den Parteien wird gestattet, eine Sicherheitsleistung auch durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer bundesdeutschen Großbank oder öffentlich-rechtlichen Sparkasse zu erbringen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger - Jahrgang 1938 -, der schon seit Jahren u. a. an arteriellem Bluthochdruck und an Diabetes mellitus litt, erlitt erstmals im November 1991 einen leichten ischämischen Hirninfarkt, der folgenlos ausheilte. Den Beklagten zu 2) pflegte der Kläger seit Oktober 1987 als Hausarzt zu konsultieren.

Im Juni 1994 wurde der Beklagte zu 2) urlaubsbedingt durch die Beklagte zu 1) in seiner Praxis vertreten.

Am Abend des 20.06.1994 verspürte der Kläger ein Beklemmungsgefühl über der Brust, außerdem bemerkte er, dass sein Mundwinkel einseitig leicht herabhing und dass er die Bewegungen von Daumen und Zeigefinger seiner linken Hand nicht vollständig steuern konnte. Der Kläger konsultierte zunächst keinen Arzt, sondern legte sich zu Bett.

Am Vormittag des Folgetages, des 21.06.1994, persistierten die vorbeschriebenen Symptome. Gegen 10:40 Uhr rief die Ehefrau des Klägers in der Praxis des Beklagten zu 2) an, schilderte den Zustand des Klägers und bat um einen Hausbesuch. Die Praxisvertreterin, die Beklagte zu 1), begab sich alsbald gegen 10:45 Uhr in die Wohnung des Klägers und untersuchte diesen; sie diagnostizierte eine transiente ischämische Attacke (TIA) und riet dem Kläger, die Blutdruckwerte im weiteren Tagesverlauf wiederholt selbst zu kontrollieren; bei fehlendem Absinken des Blutdrucks solle er das Medikament Adalat einnehmen, weshalb die Beklagte zu 1) dem Kläger zwei Kapseln Adalat übergab. Außerdem riet sie ihm zur Bettruhe. Streitig ist, ob auch die Möglichkeit einer stationären Krankenhausbehandlung erörtert worden ist. Ihren Hausbesuch beim Kläger vermerkte die Beklagte zu 1) in der Behandlungskarte, auf deren Inhalt Bezug genommen wird. Unter anderem heißt es dort: "Patient lehnt Krankenhauseinweisung ab".

Da die Beschwerden des Klägers sich im weiteren Tagesverlauf nicht besserten, verständigte die Ehefrau des Klägers gegen 22:00 Uhr den ärztlichen Notdienst. Der diensthabende Arzt Dr. C. traf gegen 22:30 Uhr in der Wohnung des Klägers ein, untersuchte den Kläger und stellte die Diagnose eines celebralen Insults mit Hemiparese links bei arterieller Hypertonie. Er veranlasste eine umgehende Verlegung des Klägers in ein Krankenhaus. Gegen 23:00 Uhr traf der Kläger im Krankenwagen im Krankenhaus H. ein. Der dort diensttuende Arzt Dr. L. diagnostizierte eine latente Parese des linken Arms und des linken Beines auf der Grundlage einer rechtshirnigen Durchblutungsstörung bei schlecht eingestellter primär arterieller Hypertonie und Diabetes mellitus II b. Er veranlasste eine stationäre Aufnahme des Klägers im Krankenhaus H..

Nach der stationären Aufnahme wurde ein Hirncomputertomogramm gefertigt und dabei eine Hirnblutung ausgeschlossen. Das CT zeigte, ebenso wie ein weiteres vom 30.06.1994, einen im Durchmesser ca. 2 cm messenden Herd rechts paraventrikulär, der als ischämischer Infarkt interpretiert wurde.

Der Kläger wurde im Krankenhaus H. zunächst mit blutdrucksenkenden Medikamenten behandelt. Am 24.06.1994 erhielt er über einen Zeitraum von einigen Stunden eine Vollheparinisierung, im weiteren Verlauf eine subkutane Heparinisierung mit zusätzlich täglich zweimaliger Gabe je einer Tablette Tiklyd.

Gleichwohl nahmen die neurologischen Ausfallerscheinungen während der ersten Tage des stationären Aufenthaltes in H. bis zum 24.06.1996 zu. Am 23. und 24.06.1994 wurden die Funktion des linken Armes und des linken Beines als nahezu aufgehoben beschrieben. Im weiteren Verlauf der stationären Behandlung in H. kam es alsdann unter krankengymnastischer Behandlung zu einer leichten Rückbildung des neurologischen Defizits.

Am 28.07.1994 wurde der Kläger aus der stationären Behandlung in H. entlassen und in eine stationäre Rehabilitationsbehandlung verlegt, die bis zum 24.08.1994 andauerte.

Der Kläger hat behauptet, die Beklagte zu 1) habe anlässlich ihres Hausbesuches keine stationäre Krankenhausbehandlung nahegelegt, anderenfalls er sich einer solchen unterzogen hätte. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagte zu 1) habe gravierende Behandlungsfehler begangen. Sie hätte sofort seine stationäre Aufnahme veranlassen müssen, in welchem Falle ihm die Verschlimmerung seiner Symptomatik erspart geblieben wäre.

Im hiesigen Rechtsstreit macht der Kläger mit seinen Zahlungsanträgen - unter ausführlicher Darlegung der bei ihm eingetretenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen infolge des vorgenannten Infarktereignisses - zum einen ein Schmerzensgeld geltend (Klageantrag zu 1.), zum anderen begehrt er Zahlung von 2.120,00 DM, die er an den vorprozessual von ihm beauftragten Sachverständigen Dr. S. gezahlt habe (Klageantrag zu 2.).

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagten zu verurteilen, ihm als Gesamtschuldner ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtengemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 130.000,00 DM, nebst 8% Zinsen seit dem 21.06.1994;

2. die Beklagten zu verurteilen, ihm, dem Kläger, weitere 2.120,00 DM, nebst 2,5% Zinsen über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank - mindestens verzinslich jedoch mit 6% Zinsen - seit der Rechtshängigkeit zu zahlen;

3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm, dem Kläger, sämtliche materiellen Schäden, die ihm aus der dortigen fehlerhaften Behandlung entstanden sind, derzeit entstehen und in Zukunft entstehen werden zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben behauptet, die Beklagte zu 1) habe den Kläger anlässlich des Hausbesuchs durchaus deutlich auf die Notwendigkeit einer stationären Behandlung hingewiesen, was der Kläger aber abgelehnt habe.

Der Beklagte zu 2) hat ferner eine ausreichende Qualifikation und sorgfältige Auswahl der Beklagten zu 1) vorgetragen.

Nach Einholung von Sachverständigengutachten hat das Landgericht durch Urteil vom 13.09.2000, auf das wegen aller Einzelheiten Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, zwar gehe es davon aus, dass entsprechend der Aussage der Zeugin L. die Beklagte zu 1) dem Kläger nicht zu einer Krankenhausbehandlung geraten habe, was als Verstoß gegen anerkannte Behandlungsgrundsätze zu werten sei; der neurologische Status des Klägers hätte nämlich eine stationäre Einweisung nahegelegt bzw. erforderlich gemacht. Gleichwohl bestehe eine Haftung der Beklagten nicht, weil nicht festgestellt werden könne, dass die durch den Fehler der Beklagten zu 1) eingetretene Verzögerung des Beginns der stationären Krankenhausbehandlung um ca. 11 Stunden beim Kläger einen gesundheitlichen Schaden verursacht habe. Der fehlende Nachweis hinsichtlich der Kausalität gehe zu Lasten des Klägers.

Gegen dieses am 22.09.2000 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23.10.2000, einem Montag, Berufung eingelegt und diese, nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist, am 29.01.2001 begründet.

Der Kläger verfolgt seine erstinstanzlichen Anträge weiter und trägt zur Begründung vor, das Landgericht sei zurecht von einem groben Behandlungsfehler dergestalt ausgegangen, dass die Beklagte zu 1) ihn unmittelbar nach ihrem Hausbesuch in stationäre Behandlung hätte einweisen müssen. In diesem Falle wäre es - anders als bei der Noteinweisung am Abend des fraglichen Tages - geboten gewesen, ihn in ein Krankenhaus mit neurologischer Abteilung und "Stroke-Unit" einzuweisen, in welchem eine effizientere Diagnostik und Therapie möglich gewesen und die schweren Folgeschäden vermieden worden wären. Demzufolge könne nicht der Argumentation des Landgerichts gefolgt werden, wonach die Entwicklung nach Einweisung auch bei frühzeitigerer Einweisung so oder so die Nämliche gewesen wäre.

Fehlerhaft sei es auch gewesen, ihm anlässlich des Hausbesuches Adalat zur Blutdrucksenkung zu verabreichen.

Insgesamt sei der grobe Behandlungsfehler der Beklagten zu 1) geeignet gewesen, die nachfolgend auch eingetretenen gesundheitlichen Schäden zu ermöglichen, weshalb von einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität auszugehen sei. Das Risikospektrum sei durch den Fehler der Beklagten zu 1) eindeutig vergrößert worden. Soweit es im Krankenhaus H. zu weiteren Behandlungsfehlern gekommen sei, insbesondere durch eine zu starke Blutdrucksenkung, sei dies den Beklagten anzulasten.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach den erstinstanzlichen Klageanträgen zu erkennen,

hilfsweise ihm nachzulassen, die Zwangsvollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung - auch durch Bürgschaft einer deutschen Großbank oder öffentlichen Sparkasse - abzuwenden.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise ihnen zu gestatten, Sicherheit auch durch Bürgschaft einer deutschen Großbank oder öffentlichen Sparkasse zu erbringen.

Auch die Beklagten wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen und behaupten weiterhin, der Kläger sei auf die Notwendigkeit einer stationären Einweisung hingewiesen worden, habe eine solche aber abgelehnt. Im übrigen wäre der weitere Verlauf auch bei früherer Einweisung der Nämliche gewesen. Insbesondere hätten im fraglichen Jahr 1994 noch gar keine Stroke-Units in Krankenhäusern zur Verfügung gestanden, und auch die Notwendigkeit umgehender stationärer Abklärung sei damals noch nicht bekannt gewesen und auch nicht praktiziert worden.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die beiderseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 16.05.2001, vom 28.11.2001, vom 02.09.2002; wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten von Prof. Dr. R. vom 16.05.2002, das Gutachten von Prof. Dr. H. vom 20.01.2003 sowie das Protokoll zu dessen mündlicher Anhörung vor dem Senat vom 12.05.2003 Bezug genommen, ferner auf das Protokoll der Zeugenvernehmung vom 29.10.01.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Das landgerichtliche Urteil erweist sich auch vor dem Hintergrund des Ergebnisses der in zweiter Instanz durchgeführten Beweisaufnahme als zutreffend.

Eine Haftung der Beklagten ist zu verneinen.

Aufgrund der Vernehmung der Zeuginnen L., N. und der Parteivernehmung des Klägers sowie der Beklagten zu 1) geht der Senat - worauf die Parteien auch durch Senatsbeschluss vom 28.11.2001 hingewiesen worden sind - davon aus, dass die Beklagte zu 1) anlässlich ihres Hausbesuches den Kläger zwar darauf hingewiesen hat, es sei angesichts seines akuten Zustandes mit der entsprechenden neurologischen Symptomatik vor dem Hintergrund seines Bluthochdruckleidens angezeigt, die akute Symptomatik im Rahmen einer sofort zu veranlassenden stationären Aufnahme abklären zu lassen, dass sie ihn dabei jedoch nicht auf die Dringlichkeit einer solchen Maßnahme sowie zusätzlich insbesondere nicht auf die möglichen fatalen Folgen des Unterlassens einer stationären Untersuchung und Behandlung hingewiesen hat; ein solcher Hinweis wäre jedoch nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. H. angesichts der akuten Symptomatik unbedingt angezeigt gewesen. Prof. Dr. H. hat sowohl in seinem schriftlichen Gutachten vom 20.01.2003 als auch anlässlich seiner mündlichen Anhörung vor dem Senat unmissverständlich dargelegt, zum Zeitpunkt des Hausbesuches der Beklagten zu 1 sei beim Kläger ein gravierendes neurologisches Defizit - nämlich eine verwaschene Sprache - aufgetreten, was am ehesten mit einem Schlaganfall zu erklären gewesen sei; außerdem habe der Kläger seine Extremitäten schlecht koordinieren können; unter Wertung der Vorgeschichte mit einem erheblichen vaskulären Risikoprofil bei gleichzeitiger Kenntnis der unmittelbaren Vorgeschichte (hängender Mundwinkel, Lähmung im Bereich der linken Hand zumindest am Vorabend) und eigenständigem Feststellen einer verwaschenen Sprache und Koordinationsstörungen an den Extremitäten, sei der Schlaganfall die einzig plausible Diagnose gewesen, die die Beklagte zu 1) ersichtlich auch für sich gestellt habe, da sie an eine kurzzeitige Durchblutungsstörung im Gehirn gedacht habe. Eine diagnostische Abklärung und damit die stationäre Einweisung sei demzufolge zwingend erforderlich gewesen, wohingegen die sofortige Einleitung weiterer Maßnahmen in der ambulanten Behandlungssituation bis zur Klärung der Schlaganfallsursache nicht notwendig und auch nicht möglich gewesen sei. Die Beklagte zu 1) habe nicht von einer abgeschlossenen Gehirndurchblutungsstörung ausgehen können, weil noch Koordinationsstörungen und eine verwaschene Sprache zum Zeitpunkt des Hausbesuches vorgelegen hätten; die Beklagte zu 1) habe deshalb den zum Zeitpunkt ihres Besuches wachen und bewusstseinsklaren Kläger eindringlich auf die Notwendigkeit einer stationären Behandlung hinweisen müssen, weil die Gefahr schwerer bleibender neurologischer Ausfälle bis hin zum Todeseintritt bestanden habe, worauf sie den Kläger ebenfalls habe hinweisen müssen. Der Sachverständige hat bereits in seinem schriftlichen Gutachten unmissverständlich klargestellt, dass das Unterlassen einer derartigen Aufklärung über diese gravierenden möglichen Folgen ein grobes ärztliches Versagen darstellt. Auch wenn ein bewusstseinsklarer Patient eine stationäre Abklärung ablehne, stehe es in der ärztlichen Pflicht, den Patienten eindringlich und in verständlichen Worten auf die Tragweite seiner Entscheidung hinzuweisen; dabei müsse dieser Hinweis zwangsläufig die möglicherweise entstehende schwere und dauerhafte Behinderung und das Todesrisiko beinhalten.

Diese Feststellungen hat der Sachverständige anlässlich seiner mündlichen Anhörung vor dem Senat erneut erläutert und bestätigt und dabei klargestellt, gerade bei einer Weigerung des Patienten, sich einer stationären Abklärung zu unterziehen, müsse der hinzugezogene Arzt eindeutig dem Patienten klarmachen, dass ohne stationäre Abklärung bzw. Behandlung der Symptomatik schwere Schäden wie z. B. eine Halbseitenlähmung oder sogar der Tod drohen könnten. Das Unterlassen solcher Hinweise sei nicht verständlich, weil solche Hinweise in der akuten Situation zwingend zu fordern seien. Das gelte im Falle des Klägers um so mehr angesichts seiner Vorgeschichte als Hypertoniker und Diabetespatient und der Symptomatik am Vorabend des Geschehens; es seien schwere Folgen zu befürchten gewesen, und zwar mit einem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad. Hinzu kommt, dass der erste Schlaganfall drei Jahre zuvor vergleichsweise "harmlos" ausgegangen sei. Deshalb habe sich beim Kläger die Vorstellung festsetzen können, eine solche Symptomatik sei nicht so bedrohlich, weil er das frühere Geschehen einigermaßen überwunden gehabt hatte. Dass es aus medizinischen Gründen im Gegenteil sich wegen der Vorgeschichte diesmal dramatisch verschlechtern konnte, hätte die Beklagte zu 1) dem Kläger eindringlich vor Augen führen müssen, und es sei nicht verständlich, dass sie dies nicht getan habe. Danach muss das Verhalten der Beklagten zu 1) als ein schon grobes ärztliches Fehlverhalten gewertet werden.

Gleichwohl führt dies im vorliegenden Fall nicht zu einer Haftung der Beklagten, weil dem Kläger der Nachweis dafür, dass das weitere Hirninfarktgeschehen auf diesem Fehlverhalten beruht, nicht gelungen ist.

Grundsätzlich ist der Patient nicht nur für den ärztlichen Behandlungsfehler, sondern auch für die Kausalität dieses Fehlers für nachfolgende Gesundheitsschäden darlegungs- und beweispflichtig (siehe so schon BGH VersR 1994/52, VersR 1999/862, VersR 2000/1282, VersR 1998/106). Bei einem Nachweis grober Behandlungsfehler können allerdings hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität ausnahmsweise für den Patienten Beweiserleichterungen bis zur Kausalitätsvermutung eintreten, was keine Sanktion für Arztverschulden, sondern ein Ausgleich dafür ist, dass das Spektrum der für die Schädigung in Betracht kommenden Ursachen gerade durch den Fehler besonders verbreitert bzw. verschoben worden ist.

Eine Beweiserleichterung hinsichtlich der Kausalität ist jedoch dann ausgeschlossen, wenn der Kausalzusammenhang zwischen grobem Behandlungsfehler und eingetretenen Gesundheitsschäden gänzlich unwahrscheinlich ist. Ist allerdings die alleinige Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers äußerst unwahrscheinlich, kann er aber zusammen mit anderen Ursachen den Gesundheitsschaden herbeigeführt haben, kann die Beweiserleichterung hinsichtlich dieser Mitursächlichkeit gerechtfertigt sein (BGH VersR 2000/1282, VersR 1997/362, OLG Düsseldorf VersR 2000/853, OLG Hamm VersR 1996/197).

Vorliegend sieht es der Senat nach der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. H. als bewiesen an, dass ein Kausalzusammenhang zwischen dem vorgenannten groben Behandlungsfehler der Beklagten zu 1) und den beim Kläger eingetretenen Gesundheitsschäden gänzlich unwahrscheinlich bzw. sogar ausgeschlossen ist. Bereits in seinem schriftlichen Gutachten hat Prof. Dr. H. ausgeführt, dass beim Kläger von einem Schlaganfall in Folge einer Minderdurchblutung des Gehirns auszugehen sei, was bei 80% der Schlaganfallpatienten der Fall sei; die heute mögliche Wiedereröffnung eines verschlossenen Gefäßes mittels Lysetherapie sei 1994 noch nicht etabliert gewesen, vielmehr sei damals in einigen Kliniken eine Hämodilution durchgeführt worden, die sich aber zwischenzeitlich nicht als förderlich erwiesen habe und auch schon damals umstritten gewesen sei. Die seinerzeit beim Kläger zunächst praktizierte Vollheparinisierung sei zutreffend wegen der gleichzeitig bestehenden Hypertonie und damit verbundenen Blutungsgefahr wieder beendet worden; an weiteren therapeutischen Optionen sei die Gabe von Azetylsalicylsäure in Betracht gekommen, die hier aber wegen der bereits seitens des Klägers seit Jahren erfolgten Einnahme von Kolfarit keine echte weitere Behandlungsmöglichkeit gewesen sei; außerdem könne der beim Kläger bestehende erhöhte Blutzuckerwert auch zu einer Verschlechterung der Schlaganfallsituation führen.

Insgesamt hätte den Feststellungen des Sachverständigen zufolge eine sofortige Krankenhauseinweisung die eingetretenen gesundheitlichen Schäden im Falle des Klägers auch nicht verhindert, vielmehr hat er den weiteren Verlauf beim Kläger als schicksalhaft bezeichnet.

Diese Feststellungen hat der Sachverständige Prof. Dr. H. anlässlich seiner mündlichen Anhörung vor dem Senat weitergehend dahingehend erläutert, dass sich nach dem Kenntnis- und Praxisstand im Jahre 1994 im Falle einer sofortigen Einweisung eine Zuweisung des Klägers entweder an eine internistische Klinik oder aber an eine neurologische Klinik angeboten hätte; Stroke-Units habe es entgegen der Behauptung des Klägers im Jahr 1994 noch nicht gegeben, vielmehr sei erst 1996 das erste Stroke-Unit in Deutschland eingeführt worden. Außerdem würden auch solche Stroke-Units nicht ausschließlich von Neurologen geleitet, vielmehr gebe es auch Stroke-Units unter internistischer Leitung. Nach jüngeren Erkenntnissen sei im Falle von Schlaganfällen eine Behandlung in der Neurologie zu bevorzugen, da sie die optimale Behandlungsmöglichkeit biete; diese Erkenntnis sei aber 1994 noch nicht etabliert gewesen, so dass aus damaliger Sicht die nachfolgende Verbringung des Klägers in eine internistische Klinik zwar suboptimal, aber nicht zu beanstanden gewesen sei. Bei Behandlung in einer neurologischen Klinik hätten sich nämlich vor dem Hintergrund des akuten und langjährigen Gesundheitszustandes des Klägers aus den schon dargelegten Gründen auch keine weitergehenden Behandlungsmöglichkeiten angeboten.

Die verzögerte Einweisung des Klägers zur stationären Behandlung erst am Abend des 21.06.1994 war demzufolge nicht ursächlich für den weiteren Krankheitsverlauf.

Soweit die Beklagte zu 1) dem Kläger zwei Adalatkapseln zwecks Blutdrucksenkung zur Verfügung gestellt hat, steht nach den Feststellungen des Sachverständigen zur Überzeugung des Senats fest, dass insoweit ein kausaler Zusammenhang zwischen dem weiteren Krankheitsgeschehen des Klägers und Folgeschäden nahezu ausgeschlossen ist. Es kann letztlich dahinstehen, ob der Kläger dieses Medikament überhaupt eingenommen hat; der Sachverständige hat nämlich ausgeführt, eine Senkung des Blutdrucks in der Akutphase des Schlaganfalles könne zwar nachteilig sein, auch könne die Einnahme von zwei Kapseln Adalat bei manchen Patienten zu deutlichen Blutdrucksenkungen führen, andererseits reagierten chronische Hypertoniepatienten, wie es der Kläger war, nicht heftig auf Adalat, so dass im vorliegenden Fall durch die Einnahme von zwei Adalat-Kapseln, die im übrigen nicht einmal feststeht, allenfalls mit einer Blutdrucksenkung auf ein etwa normotones Niveau gerechnet werden könne; auch habe eine Engstelle der hirnzuführenden Arterien beim Kläger nicht nachgewiesen werden können, so dass eine Blutdruckabsenkung auch unter dem Gesichtspunkt höhergradiger Stenosen im Bereich der hirnzuführenden Arterien sich beim Kläger nicht nachteilig habe auswirken können.

Ob sich die Absenkung des Blutdrucks auf 160/90 im Krankenhaus H. ursächlich für den weiteren Krankheitsverlauf ausgewirkt hat, kann offenbleiben, wobei dies nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht bewiesen ist, denn eine moderate Absenkung des Blutdrucks auf 160 habe keine gravierenden Auswirkungen, ausgenommen im Fall des Vorliegens einer Stenose, die den Blutzufluss zum Gehirn behindert hätte, was beim Kläger aber nicht der Fall gewesen sei. Eine schadensursächliche Blutdrucksenkung sei demzufolge im Falle des Klägers jedenfalls nicht sicher anzunehmen, weil es auch zu Spontanverschlechterungen kommen könne, ohne dass man eine Blutdrucksenkung durchführe. Bei Internisten habe seinerzeit, d. h. 1994, im übrigen noch die Vorstellung geherrscht, dass der Blutdruck im Falle eines Schlaganfalles gesenkt werden müsse, so dass die seinerzeit in H. durchgeführte Blutdrucksenkung - bezogen auf den Behandlungsstandard 1994 - auch nicht etwa fehlerhaft gewesen sei.

Im übrigen würden die Beklagten aber auch nicht für die Folgen einer - unterstellt - fehlerhaften Blutdrucksenkung im Krankenhaus H. einzustehen haben. Zwar haftet der Erstbehandler grundsätzlich auch für Fehler des Nachbehandlers, die jenem im Zuge der wegen des Fehlers des Erstbehandlers notwendig gewordenen Nachbehandlung unterlaufen; darum geht es hier aber nicht, weil die Behandlung in H. nicht wegen der verspäteten Einweisung erfolgt ist. Etwas anderes könnte sich allenfalls dann ergeben, wenn die Beklagte zu 1 verpflichtet gewesen wäre, den Kläger in K. in ein neurologisches Zentrum (Universitätsklinikum oder Klinikum M.) einzuweisen und der Kläger außerdem den Nachweis geführt hätte, dass ihm bei einer Behandlung in einem solchen Zentrum die Folgen erspart geblieben wären. Von beidem ist nicht auszugehen. Der Sachverständige hat es, bezogen auf 1994, nicht als Fehler bezeichnet, einen Patienten mit den Symptomen wie beim Kläger nicht sofort und unmittelbar in eine Neurologie einzuweisen, eben weil dies jedenfalls damals nicht den Standard entsprach. Von einem groben, die Beweislast eventuell verschiebenden Fehler kann danach schon gar keine Rede sei, so dass der Kausalitätsnachweis ebenfalls als nicht geführt angesehen werden muss, weil - wie dargelegt - eine Spontanverschlechterung ohne Blutdrucksenkung nicht ausgeschlossen werden kann.

Die Berufung des Klägers war demzufolge mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziffer 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 II ZPO) liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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