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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 27.08.2008
Aktenzeichen: 5 U 229/06
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 11. Oktober 2006 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 25 O 323/02 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger macht als Insolvenzverwalter über das Vermögen des früheren Klägers L. (Patient) dessen vermeintliche Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten wegen einer im September 1999 durchgeführten Bauchoperation geltend. Der Patient wurde am 15. September 1999 wegen Verdachts auf eine perforierte Appendizitis einer Laparoskopie im Klinikum der Beklagten zu 1. unterzogen. Operateur war der Beklagte zu 2. Da die weitere Diagnostik den Verdacht auf eine perforierte Divertikulose ergab, schloss sich am 28. September 1999 eine Sigmaresektion mittels Bauchschnitts an. Der Patient hat behauptet, es sei infolge fehlerhaften operativen Vorgehens zu einem Verlust seiner Ejakulationsfähigkeit gekommen. Er sei auch nicht darüber aufgeklärt worden, dass solche Folgen eintreten könnten. In Kenntnis des Risikos hätte er jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt nicht in die Operation eingewilligt.

Der Kläger hat beantragt,

1.

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilten, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld aus der Behandlung vom September 1999 zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 25.565,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz, mindestens verzinslich jedoch mit 8 %, seit dem 28. September 1999, spätestens seit dem 1. Mai 2000,

2.

festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtliche künftigen immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die ihm aus der fehlerhaften Behandlung vom September 1999 entstanden sind bzw. entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie sind den Vorwürfen entgegengetreten.

Das Landgericht hat, sachverständig beraten, die Klage abgewiesen, weil schadensursächliche Behandlungsfehler nicht bewiesen seien. Eine Aufklärung über das Risiko einer möglichen Störung der Sexualfunktion sei nicht erforderlich gewesen, weil dieses Risiko als Folge einer Operation der streitgegenständlichen Art in der medizinischen Wissenschaft damals unbekannt gewesen sei.

Dagegen wendet sich der Kläger mit der Berufung, mit der er sein Klageziel unverändert weiter verfolgt. Er rügt unzureichende Sachaufklärung. Entgegen der Meinung des Sachverständigen sei es sehr wohl vermeidbar zur Schädigung von Nerven gekommen. Wenn indessen wider Erwarten keine Behandlungsfehler festzustellen sein sollten, habe ein Risiko bestanden, über das habe aufgeklärt werden müssen.

Die Beklagten treten der Berufung entgegen und verteidigen das angefochtene Urteil.

Der Senat hat Beweis erhoben durch die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens und mündliche Anhörung des Sachverständigen. Wegen des Ergebnisses wird auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K vom 7. März 2008 und das Sitzungsprotokoll vom 30. Juli 2008 verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung ist in der Sache nicht gerechtfertigt. Auch nach der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme sind schadensursächliche Behandlungsfehler nicht bewiesen. Das gereicht dem Kläger zum Nachteil, denn er trägt für die anspruchsbegründenden Tatsachen die Beweislast.

Der Sachverständige hat auf der Grundlage der insoweit aussagekräftigen Dokumentation festgestellt, dass bei dem Patienten damals eine komplizierte Divertikulitis des Sigmas mit Perforation und Eiteransammlung im Unterbauch, einer Abszesshöhle im Mesenterium des Sigmas und ausgeprägten entzündlichen Veränderungen der Umgebung als Folge der fibrinösen Peritonitis, die auch eine Dünndarmschlinge einbezogen hatte, vorgelegen habe. Dies habe eine lebensbedrohliche Erkrankung dargestellt und dringend in der Weise wie geschehen, nämlich durch Entfernung des Divertikel tragenden Sigmasegments einschließlich des im Gekröse des Darms vorhandenen Abszesses therapiert werden müssen. Es seien weder prä- noch intraoperative Fehler festzustellen. Diese Darlegungen überzeugen, stehen im Einklang mit der erstinstanzlich durchgeführten Begutachtung und werden überdies vom Kläger auch hinsichtlich ihrer Richtigkeit nicht in Zweifel gezogen. Auch der Senat sieht keine Anhaltspunkte, die Anlass zu Zweifeln bieten könnten.

Die bei dem Patienten vorhandene Sexualstörung hat der Sachverständige als Anejakulation bei vorhandener Erektions- und Orgasmusfähigkeit identifiziert. Auch das überzeugt, denn Samenleiter und Samenbläschen haben sich als intakt erwiesen, sind also intraoperativ nicht geschädigt worden, wie die urologische Zusatzbegutachtung ergeben hat. Anejakulation bedeutet die fehlende Emission von Samenflüssigkeit aus Samenleiter, Samenblase und der Prostata in die Harnröhre, die insoweit als Operationsfolge zu bezeichnen sei, als sie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf einer operativ nicht vermeidbaren Läsion von Nerven beruhe, die für die unwillkürliche Steuerung der Ejakulation zuständig seien. Andere Ursachen wie eine Schädigung durch die stattgehabte Entzündung (Abszess) seien vernachlässigbar. Die Läsion sei nicht sicher vermeidbar gewesen, weil der Darm auf dem in Rede stehenden Nervengeflecht aufgelegen habe und die Abszedierung dort hineingedrungen sei. Das hat der Sachverständige im Anhörungstermin anschaulich und nachvollziehbar anhand eines Schaubildes dargestellt. Der Senat ist von der Richtigkeit dieser Ausführungen überzeugt. Andere Schädigungsmechanismen oder operative Vorgehensweisen, die eine sichere Vermeidung von Nervenläsionen in dem Operationsgebiet hätten gewährleisten können, sind nicht einmal ansatzweise ersichtlich. Soweit die vom Patienten vorprozessual hinzugezogenen Gutachter Prof. S. und Dr. J. teilweise zu anderen Ergebnissen gelangt sind, hat sich der Sachverständige damit überzeugend und erschöpfend auseinandergesetzt. Der Kläger hat denn auch nach Vorliegen der Begutachtung des Sachverständigen Prof. K. dagegen in der Sache nichts mehr erinnert.

Die Klage ist auch nicht aus dem Gesichtspunkt der eigenmächtigen Behandlung gerechtfertigt, die anzunehmen ist, wenn sich die Operation wegen fehlender oder unzureichender Risikoaufklärung mangels wirksamer Einwilligung als rechtswidrig erweist. Dabei verhehlt der Senat nicht, dass der Kläger bereits einen plausiblen Entscheidungskonflikt des Patienten, bei Aufklärung über eine mögliche Störung der Sexualfunktion möglicherweise von der Operation Abstand genommen zu haben, nicht vorgetragen haben dürfte. Die Operation war zwecks Lebensrettung alternativlos dringend geboten. Impotenz mangels Erektions- und/oder Orgasmusfähigkeit steht nicht in Rede. Auch die Zeugungsfähigkeit war nicht ernsthaft beeinträchtigt, wenngleich insoweit die Befruchtung künstlich herbeigeführt werden müsste. Die Kompetenz des Operateurs steht außer Frage, auf eine besondere Ausstattung der Klinik kommt es für die in Rede stehende Operation nicht an. Maßgebend ist aber letztlich, dass das Risiko, infolge der Sigmaresektion eine Anejakulation zu erleiden, zum damaligen Zeitpunkt in der medizinischen Wissenschaft unbekannt war, und zwar auch in Ansehung der besonderen Umstände des Streitfalls (Abszess im Gekröse). Das hat der Sachverständige dargelegt und unter Zitierung einschlägiger wissenschaftlicher Literatur belegt. Folgerichtig war in den damals üblichen Aufklärungsbögen für Operationen der in Rede stehenden Art (Q.Verlag F.) dieses Risiko auch nicht aufgeführt. Wenn aber nach dem Stand der medizinischen Erkenntnisse im Zeitpunkt der Behandlung der Arzt das Risiko nicht kennen musste, weil es in der medizinischen Wissenschaft noch nicht ernsthaft diskutiert worden war, bleibt der Behandler mangels Verschuldens haftungsfrei (vgl. Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 10. Aufl., Rn. 391 mit Rechtsprechungsnachweisen). So liegt es hier. Zwar war bekannt, dass es zu Nervverletzungen kommen könnte; dass eine solche Verletzung aber (auch) eine Potenzstörung in Form einer Anejakulation bewirken könnte, war weder bekannt noch in der Diskussion.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Zur Zulassung der Revision besteht mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen (§ 543 Abs. 2 ZPO) kein Anlass.

Berufungsstreitwert: 35.565,00 €

Ende der Entscheidung

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