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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 21.11.2001
Aktenzeichen: 5 U 34/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 713
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 U 34/01

Anlage zum Protokoll vom 21.11.2001

Verkündet am 21. November 2001

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 22. Oktober 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Rosenberger, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Schmitz-Pakebusch und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Thurn

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 24. Januar 2001 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 11 0 422/98 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die 1969 geborene Klägerin unterzog sich in der Vergangenheit mehrfach operativen Eingriffen in der Bauchregion, insbesondere auch Laparoskopien. Im Jahre 1993 wurde sie vom Beklagten zu 2) wegen starker Schmerzen neben bzw. unterhalb des Nabels behandelt. Im Juli 1997 führte der Gynäkologe Dr. K. bei ihr eine Laparoskopie zwecks Lösens von Verwachsungen im Colon-descendens Bereich durch, was nicht komplett gelang. Wegen fortbestehender Beschwerden im linken Unterbauch überwies er die Klägerin zur Abklärung von Therapiemöglichkeiten an die Beklagte zu 1). Der Beklagte zu 2) fand einen druckschmerzhaften Punkt im Bereich eines linksseitigen Unterbauchschnittes. Unter der Diagnose "Narbenneurom, Ilioinguinalissyndrom links bei Zustand nach mehrmaliger Laparotomie und Laparoskopie wegen Adhäsionen" wurde bei der Klägerin durch den Beklagten zu 2) am 01. Dezember 1997 eine Operation durchgeführt (Narbenrevision, Exstirpation des gesamten Narbengewebes und Resektion des cutanen Endastes des Nervus Ilioinguinalis links). Das operative Vorgehen ist wie folgt beschrieben:

"Wiedereingehen durch die alte Pfannenstielnarbe links, Darstellung des knapp kleinfingerendgliedgroßen Narbengewebes, das total exstirpiert wird. Längsspaltung der Externusaponeurose und Darstellung des cutanen Endastes des Nervus ileoinguinalis, der nach proximaler Durchtrennung reseziert wird. Kontrolle auf Bluttrockenheit. Naht der Externusaponeurose mit Vicryl-Einzelkopfnähten. Subkutane Redondrainage. Hautnähte. Steriler Verband."

Die Klägerin hat die Beklagten mit der Behauptung auf Schadensersatz in Anspruch genommen, infolge der Operation sei es zu einer vermeidbaren Schädigung des Nervus femoralis gekommen. Im übrigen sei sie nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Sie hat Schmerzensgeld von mindestens 40.000,-- DM, Erstattung von Verdienstausfall und Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten wegen sämtlicher künftiger Schäden begehrt.

Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt und Behandlungsfehler in Abrede gestellt sowie umfassende Risikoaufklärung behauptet. Hilfsweise haben sie sich auf hypothetische Einwilligung berufen.

Das Landgericht hat, sachverständig beraten, der Klägerin 35.000,-- DM Schmerzensgeld nebst Zinsen zugesprochen sowie die begehrte Feststellung getroffen.

Dagegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung. Sie bestreiten, dass es im Zuge oder infolge der Operation vom 01. Dezember 1997 zu einer Läsion des Nervus femoralis gekommen ist. Nach dem Operationssitus sei der davon weit entfernt liegende Femoralisnerv gar nicht in Gefahr gewesen, tangiert zu werden. Im übrigen sei die Klägerin über die einschlägigen Risiken aufgrund der zahlreichen Voroperationen aufgeklärt gewesen. Darüber hinaus habe der Beklagte zu 2) erneut u.a. auf das Risiko von Nervverletzungen hingewiesen. Das Risiko einer Femoralisschädigung sei vorliegend nicht aufklärungsbedürftig gewesen. Schließlich berufen sich die Beklagten auf hypothetische Einwilligung. Der durchgeführte Eingriff sei weitgehend schonend und im übrigen die einzige Möglichkeit gewesen, die Beschwerden der Klägerin, die einem erheblichen Leidensdruck ausgesetzt gewesen sei, zu beheben oder zu lindern. Die Klägerin habe nicht plausibel dargelegt, dass sie angesichts des geringen Risikospektrums die Operation verweigert hätte.

Sie beantragen,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tritt der Berufung entgegen, verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Wegen aller Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils sowie die im Berufungsrechtszuge gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist in der Sache nicht gerechtfertigt.

Das Landgericht hat der Klage im tenorierten Umfang mit Recht stattgegeben. Der Senat nimmt zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die im wesentlichen zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil Bezug und macht sie sich zu eigen (§ 543 Abs. 1 ZPO). Die Berufung gibt lediglich Anlass zu folgenden ergänzenden Bemerkungen.

Die Klägerin hat durch die Operation rechtswidrig einen Körperschaden erlitten, für deren Folgen die Beklagten einzustehen haben.

Das Landgericht hat zutreffend festgestellt, dass es bei der Klägerin am 01. Dezember 1997 entweder intra- oder unmittelbar postoperativ zu einer Druckschädigung des Nervus femoralis gekommen ist. Die Feststellung überzeugt. Sie beruht auf den ärztlichen Begutachtungen von Prof. Dr. M., Dr. R. und Dr. B.. Die Klägerin hat unstreitig vor Aufnahme in die Klinik der Beklagten zu 1) nicht unter Symptomen gelitten, die einer Femoralisschädigung zuzuordnen sein könnten. Die Beklagten behaupten nicht einmal, dass sich bei der präoperativ durchgeführten Untersuchung derartige Symptome gezeigt hätten. Solches ergibt sich auch nicht aus der von ihr vorgelegten Krankendokumentation. Dagegen haben sich postoperativ diese Symptome gezeigt ("Wegknicken im linken Knie, Schwäche im linken Bein mit Schmerzen", vgl. Krankenblatt der Ambulanz des L. vom 11.12.1997; Überweisungsschreiben des Beklagten zu 3) vom 11.12.1997), weswegen die Behandler der Beklagten zu 1) der Klägerin sogar eine Vorstellung bei einem Neurologen empfohlen hatten. Der Neurologe Dr. B. hat denn auch am 16.12.1997 eine Druckschädigung des Nervus femoralis festgestellt. Vor diesem Hintergrund unterliegt die Richtigkeit der Feststellung der Sachverständigen Prof. Dr. M. (Chirurg) und Dr. R. (Neurologe), die Schädigung sei operationsbedingt, keinem vernünftigen Zweifel.

Die Operation vom 01. Dezember 1997 stellt sich rechtlich als rechtswidriger Eingriff in die körperliche Integrität der Klägerin dar, denn sie war mangels ordnungsgemäßer Risikoaufklärung nicht von einer wirksamen Einwilligung getragen.

Es mag sein, dass der Beklagte zu 2) die Klägerin über Art und Umfang des Eingriffs, seine Chancen und die damit verbundenen allgemeinen Risiken (Blutungen, Wundheilungsstörungen, Thrombose etc.) sowie den damit verfolgten Zweck aufgeklärt hat; das genügte im Streitfall aber nicht, denn über das unter Umständen mit schwerwiegenden Konsequenzen für die zukünftige Lebensführung der Klägerin verbundene Risiko einer Femoralisschädigung hat er nicht aufgeklärt, wie er in seiner Anhörung vor dem Landgericht eingeräumt hat. Gerade über die Gefahr von Nervschädigungen mit schwerwiegenden Folgen wie Einschränkungen der Gebrauchsfähigkeit von Gliedmaßen oder auch nur nachhaltigen Sensibilitätsstörungen, ist aber stets aufzuklären (vgl. Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 8. Aufl., Rn. 330 ff. mit umfangreichen Rechtsprechungsnachweisen).

Es erscheint zwar durchaus nachvollziehbar, dass der Beklagte zu 2) glaubte, von einer Aufklärung über dieses Risiko absehen zu können, weil - wie er bekundet hat - "in dem betroffenen Operationsbereich keine tiefsitzenden oder großen Nerven vorbeilaufen" (Bl. 349 d.A.). Dem haben aber beide Sachverständigen entgegengehalten, dass nach Lage der Sache und gerade unter Beachtung der anatomischen Besonderheiten der Klägerin (schlanke Person mit zahlreichen Voroperationen im Operationsgebiet) durchaus die Gefahr einer Femoralisschädigung bestanden hatte (Bl. 412 d.A./414/415 d.A.). Diesen Besonderheiten hat der Beklagte zu 2) offenbar nicht genügend Beachtung geschenkt, was allen Beklagten zum Nachteil gereicht. Dem Beklagten zu 2) waren sämtliche Umstände, insbesondere die bei der Klägerin - vorhandenen - Besonderheiten bekannt. Deshalb genügte eine "regelhafte" Aufklärung unter Außerachtlassen der sich aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall ergebenden Risiken im Streitfall nicht.

Der Senat vermag auch nicht zu erkennen, dass die Klägerin hinreichend vorinformiert war, so dass es ausnahmsweise einer (erneuten) Aufklärung nicht mehr bedurft hätte. Es fehlt schon an der substantiierten Behauptung, dass sich die Klägerin bereits einer gleichartigen Operation unterzogen hatte und dabei über das in Rede stehende Risiko aufgeklärt worden ist.

Die Beklagten berufen sich schließlich ohne Erfolg darauf, dass dem Aufklärungsmangel die nötige Relevanz fehle, weil die Klägerin in jedem Fall in die Operation eingewilligt hätte, was sie bestreitet.

Unstreitig war der Eingriff nicht vital indiziert. Der bloße Leidensdruck, mag er auch erheblich gewesen sein, rechtfertigt nicht die Annahme einer hypothetischen Einwilligung. Selbst wenn man davon ausgeht, ein vernünftiger Patient würde im konkreten Fall den Eingriff nicht abgelehnt haben, was schon zweifelhaft erscheint, weil es durchaus nicht unvernünftig erscheint, letztlich doch tolerable Schmerzen lieber zu ertragen als das - wenn auch geringe - Risiko, eine erhebliche Gesundheitsverschlechterung zu erleiden, einzugehen, führt dies nicht zu einer mangelnden Plausibilität der ablehnenden Haltung der Klägerin. Denn sie muss nicht plausibel machen, dass sie sich anders (gegen die Operation) entschieden hätte, sondern nur, dass sie sich diesbezüglich in einem Entscheidungskonflikt befunden haben würde. Ein solcher bloßer Konflikt ist aber nach den obigen Ausführungen ohne weiteres nachvollziehbar, zumal an die Substantiierungspflicht eines Patienten insoweit keine hohen Anforderungen zu stellen sind (vgl. BGH NJW 1998, 2734; OLG Köln VersR 1997, 1534). Angesichts des erheblichen Tauschrisikos ist nachvollziehbar, dass sich die Klägerin im Zweifel befunden hätte, dieses einzugehen oder sich jedenfalls an einen Neurochirurgen zu wenden, um weiteren Rat einzuholen, wie sie vorträgt.

Das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld ist der Höhe nach angemessen. Die Klägerin, eine junge Frau von damals 28 Jahren, leidet unter einer erheblichen Schmerzhaftigkeit des gesamten inneren linken Beines. Sie ist in ihrer aktiven und passiven Beweglichkeit eingeschränkt. Sie gerät immer wieder in die Gefahr, die Kontrolle über ihr linkes Bein zu verlieren, was zu einer Gangunsicherheit führt. Auch Einschränkungen des Sexuallebens sind glaubhaft (vgl. zu allem die Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. M. Bl. 178-181 d.A. sowie die Feststellungen des Sachverständigen Dr. R. Bl. 196/197 d.A.). Diese Folgen, bei denen eine nachhaltige Besserung nicht zu erwarten ist, rechtfertigen ohne weiteres ein Schmerzensgeld in Höhe von 35.000,-- DM.

Der Feststellungsausspruch ist begründet, weil nicht auszuschließen ist, dass es zu Spätschäden kommt.

Der nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangene Schriftsatz der Beklagten gibt keine Veranlassung, die Verhandlung wiederzueröffnen. Der Sachvortrag enthält keine wesentlich neuen Aspekte mit denen sich die mit der Sache bisher befasst gewesenen Sachverständigen noch nicht auseinander gesetzt hätten. Die nunmehr förmlich beantragte Parteivernehmung der Klägerin ist nicht veranlasst.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Wert der Beschwer der Beklagten: unter 60.000,-- DM.

Ende der Entscheidung

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